include("../../includes/1.php"); ?> Die extreme Rechte in der Türkei include("../../includes/2.php"); ?> Ein Beitrag von Yasar Aydin
Download dieses Artikels im PDF-Format hier (Teil 1 aus AIB#71) und hier (Teil 2 aus der aktuellen Nummer). include("../../includes/3.php"); ?> International include("../../includes/4.php"); ?> Die extreme Rechte in der Türkei include("../../includes/5.php"); ?> Ein Überblick zu Geschichte und aktuellen Entwicklungen include("../../includes/6.php"); ?> Zur Einführung: zwei Schlaglichter
Erstes Schlaglicht: Wer die Homepage der extrem rechten Zeitschrift »Türkische Linke« öffnet, liest zunächst das Motto »Für eine nationale Linke«. Wenn man das Bild weiter nach unten rollt, erscheint eine Türkeikarte, auf der »Es gibt kein Kurdenproblem, sondern kurdische Invasion« steht. Binnen weniger Sekunden färbt sich die südosttürkische Provinz Diyarbakir grün und wirft Pfeile auf westtürkische Provinzen. Diese Pfeile sollen die kurdische Binnenmigration symbolisieren, was wiederum Teil eines »umfassenderen Plans« sein soll: geplant werde zunächst die »Kurdisierung« türkischer Provinzen, um später Ansprüche auf diese Provinzen zu erheben und sie endgültig vom »Vaterland « zu trennen. Zur Untermauerung folgt eine »Prognose«, dass das Bevölkerungswachstum in den kommenden 15 Jahren in der gesamten Türkei 24 Prozent betragen werde. Für die mehrheitlich durch Kurden besiedelten Provinzen wird ein Bevölkerungswachstum von 40 Prozent prognostiziert. Das starke Bevölkerungswachstum bei den Kurden sei das Ergebnis von »Sozialtechnologie« kurdischer Nationalisten und Separatisten, deren Ziel es sei, die ethnische Zusammensetzung der Türkei radikal zu verschieben. Den Höhepunkt dieser »hate speech« bilden eine Mahnung (»Söhne und Töchter türkischer Rasse, achtet auf Eure Identität!«) und ein Aufruf zum Boykott kurdischer Produkte. Türken werden dazu aufgefordert, nicht bei Kurden einzukaufen, nur in türkischer Sprache zu sprechen und die türkische Sprache gegen Einflüsse aus der kurdischen Sprache und Phonetik zu hüten, keine kurdische Musik zu hören und keine kurdischen Filme anzusehen, sich von den Gepflogenheiten des Dorflebens, das unter dem Einfluss kurdischer Kultur stehe, zu distanzieren, auf kurdische Gerichte und Spezialitäten zu verzichten und sich zu reproduzieren, um beim demografischen Wettbewerb mit den Kurden nicht auf der Strecke zu bleiben. Zweites Schlaglicht: 24. September 2005. In der Istanbuler Bilgi-Universität findet eine internationale sozialwissenschaftliche Konferenz zu den Massakern an Armeniern während des Ersten Weltkrieges statt. Draußen protestieren wieder einmal militante extreme Rechte, bewerfen Teilnehmer mit Tomaten und Eiern, verfluchen und beschimpfen sie. Einige versuchen sogar, die Bannmeile zu durchbrechen, um den Konferenzsalon zu stürmen. Dahinter steht eine größere Menschenmenge mit Plakaten mit beleidigenden und verunglimpfenden Inhalten (»Vaterlandsverräter«, »Schurken«, »armenische Bastarde«) und bejubelt die aufgebrachten Jugendlichen. Ähnliches spielt sich später auch vor dem Strafgericht im Istanbuler Stadtteil Sisli ab, als der wegen »Beleidigung gegen das Türkentum« angeklagte türkische Schriftsteller Orhan Pamuk zur Gerichtsverhandlung kommt.
Rechtsextremismus heute – Praxis, Feind- und Weltbild
Diese Schlaglichter geben nicht nur einen beispielhaften Einblick in die gegenwärtige Praxis der extremen Rechten in der Türkei, sondern deuten zugleich ihr Feindbild an: religiöse und ethnische Minderheiten, westlich orientierte Demokraten, kritische Wissenschaftler und Intellektuelle. Das Feindbild »Sozialismus« und »revolutionäre Kommunisten« ist in den letzen Jahren insbesondere nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus und wegen der Schwäche linker Parteien und revolutionärer Bewegungen in den Hintergrund geraten. Zu den Topthemen gehören nun die Kontroversen um die politische Integrität des Landes, EU-Mitgliedschaft, Aufarbeitung türkischer Geschichte, Definition türkischer Identität und Forderungen kurdischer Gruppen nach kulturellen und politischen Rechten, die meist pauschal als Separatismus zurückgewiesen werden. Zu den vorrangigen Aktivitäten der türkischen extremen Rechten gehören politische Kampagnen gegen eine mögliche EU-Mitgliedschaft und gegen die Kopenhagener Kriterien. Diese würden den Staat bei der Bekämpfung des separatistischen Terrors schwächen, das Land destabilisieren und schließlich zum Zerfall führen. Der Vertrag von Sevrés wurde dem Osmanischen Reich 1920 von den Großmächten Großbritannien und Frankreich aufoktroyiert. Er symbolisiert die imperialistische Aufteilung der Türkei und ist als nationales Trauma im kollektiven Bewusstsein der Türken tief verankert. Dieses Trauma wird immer wieder von nationalistisch- konservativen Politikern zu Propagandazwecken missbraucht. Die extreme Rechte greift ebenfalls darauf zurück, um so an konservative, nationalliberale und sogar linksliberale Kreise Anschluss zu finden und das Vertrauen großer Teile der Bevölkerung zu gewinnen.
Abgelehnt werden mit ähnlicher Begründung auch Forderungen nach mehr kulturellen und politischen Rechten für Kurden. Ein Großteil der extremen Rechten leugnet sogar die Existenz ethnischer Minderheiten innerhalb der Türkei, weist jede Verantwortung für die Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges zurück und versucht mit allen Mitteln, eine kritische Debatte über die Schattenseiten und gewalttätigen Kapitel der türkischen Geschichte zu verhindern. Ebenfalls aggressiv reagieren sie, wenn es um die kollektive Identität geht: sie sprechen sich für eine ethnische, kulturalistische und zum Teil rassistische Definition der türkischen Nation und der Zugehörigkeit zu ihr aus. Zu den Grundelementen des Weltbildes der türkischen extremen Rechten gehören Antikommunismus, Antiliberalismus, Antikosmopolitismus, Demokratiefeindlichkeit und Ablehnung von Pluralismus und Multikulturalität. Zu den Grundpfeilern des extrem rechten Weltbildes gehören: Kulturalismus, Panturkismus (Turanismus), Autoritarismus, Rassismus und Antisemitismus. Kurz: Weltbild und Praxis weisen viele Ähnlichkeiten mit der europäischen extremen Rechten auf. Da die Gewaltpraxis der türkischen extremen Rechten gut dokumentiert und auch hierzulande bekannt ist, brauchen wir hierauf nicht näher einzugehen. Sinnvoll ist es hingegen, Geschichte und theoretische Grundlagen in den Blick zu nehmen, um die Besonderheiten hervorzuheben.
Ursprung und Entwicklung
Der Rechtsextremismus lässt sich auf den Panturkismus zurückführen. Türkische Intellektuelle im Russischen Reich entwarfen den Panturkismus als Antwort auf Panslawismus und Assimilationsdruck. Hauptziel des Panturkismus ist die Gründung eines alle türkischen Völker umfassenden türkischen Staates. Während des Ersten Weltkrieges wurde er propagiert, um die türkischen Völker des Kaukasus und Zentralasien zu mobilisieren, wobei auf mythische Erzählungen über die »glorreiche« türkische Vergangenheit zurückgegriffen wurde. Der Panturkismus der ersten Generation hatte – im Gegensatz zu heute – eher defensiven als expansiven Charakter. Nach der Gründung der Türkischen Republik distanzierten sich die kemalistischen Eliten vom Panturkismus und entschieden sich für einen zivilen Staatsnationalismus. Nach langer Abstinenz meldete sich der Panturkismus erst in den späten 1930er Jahren zurück und erreichte nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion seinen Höhepunkt. Panturkisten gewannen wieder an Einfluss in den Städten, im Staatsapparat und in zivilen Einrichtungen und Verbänden. Dieser Einfluss wurde jedoch nach dem Sieg der Alliierten wieder zurückgedrängt, ihre Protagonisten strafrechtlich verfolgt und panturkistisch-faschistoide Organisationen verboten.
Die Formierung in den 1960ern: MHP und die Grauen Wölfe
Der Oberst Alparslan Türkes gehörte zu den Offizieren, die den Militärputsch vom 27. Mai 1960 durchführten. Bald danach geriet er jedoch in Konflikt mit den Mitgliedern des Komitees für Nationale Einheit (Milli Birlik Komitesi). Ihm und seinen Mitstreitern schwebte eine autoritäre Militärdiktatur vor, die das Land rasch industrialisieren und die nationale Einheit stärken sollte. Türkes und seine Freunde wurden vom Komitee für Nationale Einheit entlassen und ins Ausland geschickt. Nach einem relativ kurzen Aufenthalt als Militärattaché in Indien kehrte er wieder zurück und trat bald mit seinen Mitkämpfern der Republikanischen Nationalen Bauernpartei bei, übernahm den Parteivorsitz und besetzte die zentralen Gremien mit eigenen Leuten.
Der Name der Partei wurde in Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) umgeändert und die Jugendorganisation Ülkücü Gençlik gegründet (bekannt auch als Graue Wölfe). Ziel dieser Jugendorganisation war die Rekrutierung von Militanten und ihre Ausbildung in Kommandocamps. Sie wurden später als paramilitärische Kräfte zunächst gegen die legalen sozialistischen Organisationen und in den 1970er Jahren gegen revolutionäre Bewegungen eingesetzt. Zur Gewaltpraxis der Grauen Wölfe gehören zahlreiche Attentate auf linke und liberale Intellektuelle, gegen linke Gewerkschafter sowie Pogrome gegen Aleviten in Maras und Çorum, gegen linke Bewegungen und Aktivisten in Fatsa und an den Universitäten. Der Hauptunterschied zwischen dem Weltbild der MHP und dem der extrem rechten Gruppen und Aktivisten in den 1930ern und 1940ern ist die Einstellung zum Islam. Während die letzteren eine säkulare und islamkritische und zum Teil sogar islamophobe Haltung an den Tag legten und den zentralasiatischen Ursprung betonten, rückte die MHP um Türkes den Islam immer mehr in den Vordergrund und distanzierte sich vom offenen Bekenntnis zum Rassismus. Türkes betonte stets die guten Beziehungen der Türken zu Juden in der Geschichte und Gegenwart. Die Ablehnung zumindest des offenen Rassismus war auch wichtig, um auch Militante unter den Kurden zu rekrutieren, wobei Türkes beachtliche Erfolge erzielen konnte.
Nach einer kurzen Phase der Desorganisation und Desorientierung nach dem Militärputsch von 1980, gelang es der Ülkücü Bewegung, sich unter der Führung von Türkes neu zu formieren. Während der 1980er und 1990er Jahre setzte sich die Islamisierung, trotz Unterstützung der politischen Kampagne gegen die islamistische Wohlfahrtspartei, fort. Heute gehört eine reaktionäre Auslegung des Islams (»Türkisch-Islamische Synthese«) zum wesentlichen Bestandteil extrem rechter Ideologie. Zu den Prioritäten der Ülkücü Bewegung gehörten in den 1990er Jahren die Unterstützung des Staates beim Kampf gegen die bewaffneten Milizen der PKK und Werbung zur Unterstützung ausländischer Türken (eine Art »Soft-Pantürkismus«). Die enge Zusammenarbeit mit der konservativ-sozialdemokratischen Regierung zunächst unter der Führung von Süleyman Demirel und später von Tansu Çiller zu Lebzeiten von Türkes sowie die Regierungsbeteiligung zusammen mit der Mutterlandspartei und Demokratischen Linkspartei unter der Führung von Bülent Ecevit führte auch zu einer gewissen Mäßigung zumindest der Partei, wenn auch nicht der Anhänger der Ülkücü-Bewegung. Unter der Führung von Devlet Bahçeli hat sich die MHP zu einer nationalistischen bzw. rechtskonservativen Partei mit antidemokratischen, antiwestlichen und reaktionär-konservativen Tendenzen entwickelt. Die radikalere extrem rechte Linie wird eher von der Partei der Großen Einheit (Büyük Birlik Partisi) unter der Führung von Muhsin Yazicioglu vertreten.
Rechtsextremismus oder Faschismus?
Waren oder sind die MHP und die Ülkücü-Bewegung faschistisch? Wenn wir uns die Ideologie und Praxis dieser Partei und der ihr nahe stehenden Organisationen in den 1960er und 1970er Jahren vor Augen führen, erkennen wir, dass sie fast alle Merkmale faschistischer Bewegungen tragen. Was in der Ülkücü Bewegung fehlte, waren der positive Bezug zum Nationalsozialismus, zur Vernichtung europäischer Juden und ein hemmungsloser Vernichtungswille. Das Fehlen dieser Merkmale und der Islamismus können als Besonderheit der türkischen faschistischen Bewegung betrachtet werden. Ist die gegenwärtige negative Hochkonjunktur der extremen Rechten der Vorbote einer faschistischen Gefahr? Eine solche Deutung wäre übertrieben, zumal in der heutigen Türkei von einer gut organisierten Bewegung, die sich die faschistische Utopie zum Ziel gesetzt hat, nicht gesprochen werden kann. Weder die gegenwärtige MHP noch die radikalere Partei der Großen Einheit haben ein solches Ziel. Ferner fehlen in diesen Parteien die strikte Unterwerfung unter das Führerprinzip oder ein ausgeprägter Vernichtungswille gegen bestimmte Gruppen. Zudem verfolgt die MHP heute eine, verglichen mit den 70er Jahren, »besonnene« Politik und distanziert sich von gewalttätigen Auseinandersetzungen. Man sollte auch nicht aus den Augen verlieren, dass die MHP nicht in der Lage war, bei den nationalen Wahlen die 10%-Hürde zu überspringen, um im Parlament vertreten zu sein. Aktuellen Polit-Barometern zufolge steht die MHP an der Schwelle der 10%-Hürde, die Partei der Großen Einheit sogar unter 2 %. Außerdem würde der herrschende historische Block, zu dem auch die Militärs gehören, den Aufbau einer faschistischen Bewegung nicht zulassen. Es ist jedoch realistisch, dass es der MHP gelingt, die konservativ-reaktionären Proteste in Zentral- und Ostanatolien sowie an den Rändern der Großstädte für sich in Stimmen umzumünzen, die für eine Regierungsbeteiligung ausreicht. In diesem Falle könnte die MHP versuchen, die Demokratisierung der Gesellschaft und die Anbindung an die EU zu verlangsamen. Doch all dies reicht für eine Entwarnung nicht aus, denn es herrscht ein für die extreme Rechte günstiges Klima: So werden zum Beispiel in der Schwarzmeerregion Gerüchte in Umlauf gebracht, die orthodoxe Kirche missioniere Jugendliche aus armen Familien, bilde sie in Griechenland aus und setze sie in der Region (als Missionare) wieder ein. Vermutlich waren solche Gerüchte auch beim jüngsten Mordanschlag gegen einen katholischen Geistlichen ausschlaggebend.
Ähnliche Gerüchte kursieren auch in Bezug auf kurdische Jugendliche: »separatistische Gruppen« würden sie gezielt in die westtürkischen Städte bringen und dort zu kriminellen Zwecken einsetzen. Die Rezeption solcher Propaganda wird begünstigt durch das weiterhin ungelöste Kurdenproblem (nicht zuletzt wegen unrealistischer Forderungen einiger kurdischer Gruppierungen und ihres proamerikanischen Kurses), politische Spannungen mit den USA, die USamerikanische Militärpräsenz im Nahen Osten und die Erwägung eines Angriffs auf den Iran. All dies erzeugt ein ernsthaftes Gefühl der Unsicherheit und Bedrohtheit, das dem alten Trauma (Sevrés) neues Leben einhaucht. Was in der Türkei gegenwärtig fehlt ist ein Bündnis progressiver Kräfte, das die sozialen und (sicherheits-) politischen Unsicherheits- und Bedrohtheitsgefühle ernst nimmt, sich aber gleichzeitig nicht davor scheut, Agitatoren, die aufgestaute Gefühle bauchrednerisch ausbeuten, aktiv zu bekämpfen. include("../../includes/7.php"); ?>
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