Editorial
Verschwörungs-
theorien
Antifa Infoblatt #76 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! In unserem Schwerpunkt widmen wir uns in dieser Sommerausgabe dem Thema Verschwörungstheorien. Warum interessieren wir uns als Redaktion des Antifaschistischen INFO Blattes für Verschwörungstheorien, also die Versuche bestimmte Ereignisse, Zustände oder Entwicklungen durch eine Verschwörung zu erklären – wobei diese Erklärungsversuche meist irrationale, paranoide Züge haben und unzulässig verallgemeinern?

Hannah Arendt konstantierte dazu bezüglich des Musterbeispiels aller Verschwörungstheorien, der sogenannten »Protokolle der Weisen von Zion«, dass es nicht darum gehe, zum hundertsten Male zu beweisen, was ohnehin alle Welt weiß, nämlich, daß man es bei den »Protokollen« mit einer Fälschung zu tun hat, vielmehr gehe es darum, zu erklären, weshalb eine so offensichtliche Fälschung bis heute von so vielen geglaubt wird.

Die als »Verschwörung« bezeichneten Vorgänge werden durch diejenigen, die sie aufzudecken behaupten keinesfalls wertneutral dargestellt, sondern von einem bestimmten Standpunkt aus bearbeitet, sie enthalten also immer auch eine weltanschauliche Beurteilung der Ereignisse. Grundlage aller Verschwörungstheorien ist ein vereinfachendes Welt- und Geschichtsbild, das auf der Grundannahme basiert, dass die soziale Wirklichkeit durch Handlungen von Personen direkt steuernd beeinflusst werden könne. Die irrige Auffassung, eine relativ kleine Personengruppe könne wichtige gesellschaftliche Ereignisse zentral steuern, ist nicht nur »unterkomplex«, sondern Grundlage des klassischen antisemitischen Stereotyp einer jüdischen Weltherrschaft. Die Suche sollte sich also weniger auf die Verschwörer, als vielmehr auf die Verschwörungssucher selbst konzentrieren. Wir haben einige Fachautoren um Gastbeiträge zu dem Thema gebeten. Dr. phil. Eduard Gugenberger schildert esoterische Elemente im Verschwörungsweltbild der extremen Rechten, während Dr. Michael Hagemeister den Mythos der jüdischen Weltverschwörung am Beispiel der Protokolle der Weisen von Zion beschreibt. Inwieweit Mythen und Märtyrer als Mobilisierungsfaktor der Neonaziszene fungieren stellen wir in einem weiteren Artikel dar.

Die Artikelreihe zu Faschismustheorien setzen wir in dieser Ausgabe mit Sternhells ideengeschichtlicher Einführung in den Themenkomplex fort. In der nächsten Ausgabe werden wir den Artikel fortführen und uns mit dem ideologischen Inhalt des Faschismus auseinandersetzen. Wer es nicht erwarten kann den ganzen Text zu lesen, findet die vollständige Version auf unserer Internetseite. Vor drei Jahren hatten wir in der Ausgabe # 64 den Schwerpunkt Antifa; über Thesen und Konzepte antifaschistischer Praxis möchten wir auch diesen Sommer diskutieren. In dieser Ausgabe veröffentlichen wir einen Gastbeitrag von der Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen!« der sich diesem Thema annähern möchte und weiteren Bestand für eine unfassende Diskussion liefern soll. Wir würden uns über weitere Texte, die sich dem Kampagnentext widmen freuen.

Besonders bedanken möchten wir uns hiermit auch beim Solidaritätsfonds der Hans-Böckler-Stiftung, die uns bei der Anschaffung neuer Büromöbel unterstützt.