Dokument aus ManagerMagazin 6/1975:
Der Bund fürs Leben
Viele deutsche Manager schworen als Studenten ihren Bundesbrüdern lebenslange Treue. Gilt der Eid auch für Karrierehilfen in der Wirtschaft? Die Öffentlichkeit betrachtet die Zugehörigkeit prominenter Unternehmensführer zu Korporationen heute noch mit Argwohn.
So geschehen nicht etwa zur Jahrhundertwende, sondern Anfang der 70er Jahre: Dr. Günter Henle, Aufsichtsratsvorsitzender der Allianz Versicherungs-AG und Mitglied des hochlöblichen Corps Moenania zu Würzburg im Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV) forderte seinen jungen Verbandsbruder, den Tübinger Borussen und späteren Markomannen Dr. Wolfgang Schieren, auf, zu seiner Rechten Platz zu nehmen.
Die übrigen versammelten Aufsichtsräte, unter ihnen Dr. Werner Premauer von der Bayrischen Vereinsbank und Mitglied des Corps Franconia zu Würzburg sowie Bayer-Chef Professor Kurt Hansen, der Cheruscia Straßburg zu München im Coburger Convent zugehörig, wußten um die Bedeutung der Geste:
Borusse Schieren war für würdig befunden worden, neuer Generaldirektor des größten deutschen Assekuranzkonzerns zu werden und damit die Nachfolge des amtierenden Alfred Haase von der Landsmannschaft Afrania Leipzig zu Heidelberg anzutreten. Seine schärfsten Rivalen im Kampf um den Vorstandsvorsitz – zwei Nichtkorporierte – hatten den kürzeren gezogen.
Diese Begebenheit scheint alles zu bestätigen, was je an Vorwürfen und Verdächtigungen gegenüber Korporationen und dem machtvollen protektionistischen Zusammenspiel ihrer Alten Herren geäußert worden ist.
Ob Schlagend oder nichtschlagend (im Korporations-Jargon: "unblutig"), ob farbentragend oder couleurlos ("mausgrau"), ganz gleich auch, zu welchen Prinzipien sie sich jeweils bekennen oder welche Wahlsprüche sie aufs Papier geschrieben haben – mit dem Vorwurf der Protektion und des Nepotismus müssen die Korporationen leben, seit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihr revolutionärer Geist sich verflüchtigte und sie zu einem festen Bestandteil des wilhelminischen Establishments verkrusteten.
Heute existieren an bundesdeutschen ochschulen mehr als 1200 Korporationen, denen rund 70.000 Studenten (Aktive) angehören. Mehr als doppelt so groß – etwa 180.000 – ist die Zahl der Alten Herren (Korporierte, die die Universität verlassen und eine "angemessene Lebensstellung" erreicht haben).
Argwohn und Kritik der "mausgrauen" Öffentlichkeit hat vor allem das sogenannte Lebensbundprinzip der Korporationen immer wieder geweckt: mit dem Burscheneid, der in den meisten schlagenden Verbindungen im wahrsten Sinne des Wortes durch Blut besiegelt wird, verpflichten sich Korporierte für alle Ewigkeit, einander "stets wahrer Freund und Bruder zu sein" und sich in allen Lebenslagen wechselseitig zu unterstützen.
"Zufall wird mit CV geschrieben" war schon in den 50er Jahren der lakonische Kommentar des früheren Bundespräsidenten Theodor Heuss zu überraschend geschwinden Karrieren von Angehörigen des Cartellverbandes der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV) in Bonner Regierungsstellen.
"Zufälle" im Heusschen Sinne sind auch in der Wirtschaft auszumachen, wenngleich der "unblutige" CV in ökonomischen Gefilden eine untergeordnete Rolle spielt. Hier dominieren die sogenannten "Waffenverbände". Eine Auswahl:
In eklatantem Gegensatz zu derartigen personellen Konstellationen, die auf den ersten Blick den Eindruck massiver Pfründenwirtschaft seitens mächtiger Korporationsverbände erhärten, stehen allerdings die Erfahrungen professioneller Beobachter des Personalmarktes. Ludwig Kroeber-Keneth, dem Nestor der Personalberaterbranche, ist in den zwei Jahrzehnten seiner Tätigkeit "kein Fall zu Ohren gekommen, bei dem für die Besetzung einer gehobenen Management-Position die Korporationszugehörigkeit eine irgendwie geartete Rolle gespielt hätte".
Diplom Psychologe Klaus Steffen, Teilhaber der Headhunting Firma Jörg Zauber in Düsseldorf, hat zwar schon einige Male erlebt, daß ein Auftraggeber auf eine Bundes- oder Verbandsbruder als möglichen Kandidaten hinwies. Dann aber, so Steffen, "stets mit der Maßgabe, diesen Kandidaten besonders kritisch unter die Lupe zu nehmen".
In der Tat erweisen sich die angeblich so einflußreichen Korporationsverbände bei näherem Hinsehen heute als Papiertiger – zumindest was die Wirtschaft angeht. Auch daß Dr. Wolfgang Schieren es seiner Corpszugehörigkeit zu verdanken habe, siebenter Generaldirektor in der Geschichte der Allianz geworden zu sein, muß – so verführerisch eine solche Vorstellung auch sein mag – in den Bereich der Legende verwiesen werden. Dies bestätigt sogar einer seiner unterlegenen Mitbewerber: "Eine einfach absurde Vorstellung, daß bei einer personalpolitisch so weitreichenden Entscheidung derartige Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben könnten."
Daß so viele Alte Herren einflußreiche Positionen haben, beruht zunächst einmal auf der Tatsache, daß – so Holsten-Vorstand Dr. Klaus Asche – "180.000 Akademikerm die Korporationen angehören, sich im Verlauf ihres beruflichen Werdeganges nicht einfach in Luft auflösen können; daß ein gewisser Prozentsatz auch nach oben kommt, wäre nur dann verwunderlich, wenn Korporierte weniger durchsetzungsfähig wären als andere".
Aus mancherlei Gründen kann eher vom Gegenteil ausgegangen werden:
Letzteres mag zutreffen oder nicht. Jedenfalls: Wie BDA-Hauptgeschäftsführer Himmelreich richten immer mehr Personalvertretungen an Hochschulabsolventen die Frage:" Was haben sie während des Studiums so nebenher gemacht?" Himmelreich: "Dabei ist es mir egal ob der Betreffende sich in einer Verbindung, in einer politischen Hochschulgruppe oder in einem Tennisclub betätigt hat – Hauptsache, er sit nicht mehr als ein halbes Jahrzehnt in Isolation verkümmert. Denn von so einem ist nicht einmal mehr Kommunikationsfähigkeit, geschweige denn Führungsfähigkeit zu erwarten."
Verbindungsstudenten haben freilich gegenüber den Mitgliedern anderer Vereinigungen den Vorteil, daß sie in dem "Schmelztiegel zwischen Jung und Alt, der Korporation heißt" – so der Burschenschafter Dr. Harald Koch, ehemaliger Hoesch-Vorstand und SPD-Bundestagsabgeordneter – den Stallgeruch mitbekommen, den die ältere und überall bestimmende Generation mag.
Hierarchie und Komment erzwingen geradezu die Anpassung an die Denkweise der älteren Semester – die Hauptursache für die immer noch geringe Aufgeschlossenheit der Korporationen für Reformen. Von der so erworbenen geistigen Verwandtschaft dürfte dann doch manche Personalentscheidung beeinflußt werden, wobei die Verbindungszugehörigkeit nicht einmal bekannt sein muß.
"Jede machtausübende Elite trachtet danach, die erworbenen Privilegien an Gleichgesinnte weiterzugeben", konstatiert der Tübinger Professor Theodor Eschenburg, wie die meisten Professoren der älteren Generation ein Koporierter (Burschenschaft Teutonia Tübingen).
Nach Eschenburg können Patronage und Nepotismus "durchaus zu respektablen Ergebnissen führen, wenn die Nepotenreservoire als Gremien echter Auslese fungieren" und nicht "die Gruppenzugehörigkeit an sich schon als Qualitätsmerkmal ungeprüft ausreicht". Dem Korporations-Nepotismus gibt der Tübinger Professor allerdings "heute so gut wie keine Bedeutung" mehr.
In der Tat: Die Bundes- oder Verbandsbrüderschaft für sich allein, ohne ausreichende fachliche Qualifikation garantiert oder beschleunigt heute keine Karrieren mehr – zumindest in der Wirtschaft nicht. So hatte auch Schleyers persönlicher Referent Dr. Klaus Otter ("Natürlich wäre ich nicht hierhin geraten, wenn ich Dr. Schleyer nicht übers Corps Suevia gekannt hätte") bereits Karriere gemacht, als er seinen gegenwärtigen Job übernahm. Bei der Allianz Lebensversicherungs-AG in Stuttgart hatte er es nach dem Examen in nur zwei Jahren zum Leiter der Rechtsabteilung gebracht.
Oft genug kann sich bei Personalentscheidungen das Bestehen einer bundesbrüderlichen Beziehung sogar nachteilig auswirken. Der eingefleischte CVer Dr. Gisberth Kley, langjähriger Personalvorstand der Siemens AG, zog bei der Besetzung wichtiger Positionen – Lebensbundprinzip hin, Lebensbundprinzip her – grundsätzlich andere Bewerber seinen Cartellbrüdern vor: er wollte jeden Anschein von Protektionismus ausschließen.
Selbst mit der äußerlichen Omnipräsenz von Korporierten in hohen Positionen der Wirtschaft wird es in den nächsten zehn Jahren vorbei sein. Die Generation, die vor der Auflösung der Korporationsverbände durch die Nationalsozialisten Mitte der 30er Jahre aktiv geworden war und nach dem Krieg führend am Wiederaufbau beteiligt war, tritt allmählich ab.
Die lange Jahre mächtigen Männer der Chemie zum Beispiel, die Professoren Bernhard Timm (Burschenschaft Normannia Heidelberg), Karl Winnacker (Normannia Darmstadt im Coburger Convent) und Kurt Hansen, fanden keine Nachfolger aus korporativen Schrot und Korn.
Der 60jährige Schleyer, einer der letzten Corpsstudenten, denen vor der Auflösung das Burschenband umgelegt wurde und der heute einen großen Teil seiner Freizeit der Suevia als Altherrensenior widmet, bildet das Schlußlicht einer Generation, für die Akademikersein und Korporiertsein weitgehend identisch waren.
Die nach dem Krieg neuerstandene Burschenherrlichkeit blieb eine Sache von Studenten-Minoritäten. Eine andere studentische Gruppe schob sich nach vorn. 50 Namen umfaßt bereit s eine Liste arrivierter ehemaliger Funktionäre des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS) aus den 50er Jahren, die der frühere Vorstand der Mannesmann-Röhrenwerke Dr. Helmut Glaszinski (VDS-Vorstand 1954) erstellt hat.
Durch regelmäßige Treffs – zuletzt im April dieses Jahres – pflegen sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das dem des Lebensbundprinzips der Korporierten kaum nachsteht. Prominente Manager sind darunter:
Der Vorgänger von Lennings bei der GHH, Dr. Heinrich Wilhelm von Menges, in den Kösener Corpslisten als "früherer Rittergutsbesitzer" eingetragen, war noch im Corps Saxonia Göttingen "Drittchargierter". Dieselbe Charge bekleidete auch Bennigsen-Foerder senior Anfang des Jahrhunderts im Coprs Bremensia Göttingen. Beruflich brachte er es zum Direktor der Lokomotivfabrik A.Borsig in Berlin. Sein Sohn, Chef des größten deutschen Konzerns, war nie aktiv.
"O, quae mutatio rerum!"
Heinz-Klaus Mertes, ManagerMagazin, 6, 1975, S.75-77