"Revolutionäre raus aus den Zellen"
Berlin/Frankfurt. Am 19. Dezember ’99 fand eine groß angelegte Staatsschutzaktion
statt, die sich gegen mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ)/Rote
Zora richtete. Bei dieser Aktion wurden Axel Haug, und Harald Glöde in Berlin,
sowie Sabine Eckle in Frankfurt verhaftet. Ihnen wird die „Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung" und die Beteiligung an mehreren Anschlägen
vorgeworfen. Am selben Tag wurde der Mehringhof in Berlin von 1000 Polizisten
umstellt und durchsucht. Am 18. Januar 2000 wurden zwei weitere mutmaßliche
RZ-Mitglieder in Frankreich festgenommen.
Teil der Vorgeschichte der Staatsschutzaktion ist die Auslieferung des RZ-Aussteigers
Hans-Joachim Klein nach seiner Verhaftung in Frankreich an die BRD im Frühjahr
’99. Klein, gesucht wegen des Überfall auf die OPEC-Ministerkonferenz in Wien
’75, machte schon ’79 mit seinem Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit" unmissverständlich
klar, dass er die Seiten wechseln werde. Bedroht von einer lebenslangen Haftstrafe,
begann er mit umfassenden Aussagen, um in den Genuss der Kronzeugenregelung
zu kommen. Den Preis für Kleins Strafnachlass könnte beispielsweise Rudolph
Schindler zahlen, der im Herbst ’99 in Frankfurt verhaftet wurde und laut Klein
ebenfalls an dem Überfall von ’75 beteiligt gewesen sein soll. Auch die zwei
weiteren mutmaßlichen RZ-Mitglieder, die kürzlich in Frankreich festgenommen
wurden, werden laut Staatsanwaltschaft vor allem durch die Aussagen Kleins belastet.
Im November ’99 wurde Tarek Mousli aus Berlin unter dem Vorwurf der „Mitglied-
und Rädelsführerschaft" bei den RZ festgenommen. Mousli, der schon im Mai ’99
wegen Verdachts auf „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" in Berlin
verhaftet, jedoch im September ’99 wieder auf freien Fu_ gesetzt wurde, machte
schließlich umfangreiche Aussagen, um – wie Klein – Kronzeugenstatus zu erhalten.
Laut Bundesanwaltschaft (BAW) führten diese Aussagen zur Inhaftierung der jetzt
Einsitzenden Axel, Sabine und Harald. Die Glaubwürdigkeit Mouslis ist jedoch
nicht gerade hoch, so führten seine Aussagen zu den Durchsuchungen des Mehringhofes
in Berlin, bei denen sich die Ermittler Sprengstoffunde erhofften. Sprengstoff
wurde nicht gefunden, dafür aber 100.000 DM Sachschaden angerichtet.
Dem Staatsschutz war es nie gelungen den basismilitanten Ansatz der RZ/Rote
Zora, der für Hunderte von Sabotageaktionen und Anschlägen steht, zu zerschlagen
und in die Widerstandsstrukturen einzudringen. Zwar haben bedeutende Teile der
RZ Anfang der 90er ihre Auflösung bekanntgegeben, jedoch nicht aus Gründen staatlicher
Repression, sondern wegen inhaltlicher Differenzen und der perspektivischen
Infragestellung des eigenen Konzeptes, was dazu führte, dass sich auch heute
noch positiv auf die RZ bezogen wird. Ihr basismilitanter Ansatz, viele handlungsfähige,
autonome Gruppen zu schaffen, war und ist zum Teil immer noch von Bedeutung
für die autonome Bewegung und wird weiterhin im reduzierten Maße in der Antifa-
und der Anti-Atom-Bewegung praktiziert. Nach der Abwicklung der RAF und des
„deutschen Herbstes" wird nun die Geschichte RZ/Rote Zora von der BAW neu aufgerollt,
mit dem Ziel das Kapitel „bewaffnet kämpfende Gruppen in der BRD" endlich abzuschließen
und den Mythos „RZ" zu brechen.
Die EinSatz! nimmt die jüngsten Ereignisse zum Anlass eine Serie zur RZ/Rote
Zora zu beginnen. Der erste Teil behandelt die Situation die schließlich zur
Entstehung der RZ führte. In den nächsten Ausgaben beschäftigen wir uns mit
dem Internationalismusverständnis und dem Problem des Antisemitismus in der
RZ, mit der Frauenorganisation Rote Zora, sowie mit konzeptionellen Umgestaltungen
in den RZ und deren Bedeutung für die radikale Linke.
Die gesellschaftliche Situation
Die Revolutionären Zellen, die erstmals ’73 mit Aktionen in Erscheinung traten,
waren wie die RAF und die Bewegung 2. Juni eine illegal operierende Organisation.
Diese bewaffnet kämpfenden Gruppen entstanden aus dem sich über einige Jahre
hinziehenden Endes der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der Auflösung
des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS). Mit dem langsamen Zerfall
dieser einflussreichen linken und außerparlamentarischen Bewegung ging eine
Diskussion um die Neuorientierung der Bewegung einher. Thema der Debatten war
auch militante Politik: Ausgehend von der Annahme, dass der Faschismus hätte
verhindert werden können, hätte sich beispielsweise die historische KPD auf
die Illegalität vorbereitet, um den Kampf zu organisieren, setzte sich die StudentInnenbewegung
mit ihrer eigenen Entwicklung auseinander. Festzustellen war, dass militante
Aktionen, wie die Aktionen gegen den Springer-Verlag nach dem Attentat auf Rudi
Dutschke nicht Ausdruck von organisiertem Widerstand waren, sondern weitesgehend
spontan verliefen.
Hinzu kam die Auseinandersetzung, ausgelöst durch die Einführung der Notstandsgestze
’68 durch die große Koalition unter NS-Funktionär Kurt Kiesinger, um eine zunehmende
Faschisierung der Gesellschaft. Faschismus wurde als dem bürgerlichen Staat
innewohnender Ausdruck kapitalistischer Gesellschaft begriffen. Seit ’68 wurde
der Repressionsapparates weiter ausgebaut. Einzelne Momente dessen seitens des
Staates dienten als Indikator neuer faschistischer Entwicklung. Daher sahen
Teile der damaligen Bewegung die Gefahr eines neuen Faschismus und der daraus
folgenden Notwendigkeit, bewaffneten Widerstand zu organisieren. Auch die Erfahrungen
anderer militanter Gruppen, wie z. B. von Guerillagruppen im Trikont, flossen
entscheidend in den Diskussionsprozess ein. Es blieb die Erkenntnis, dass die
Umwälzung der Gesellschaft nur mit dem Mittel der revolutionären Gewalt möglich
sei. Dieser Flügel bildete die Keimzelle der bewaffnet kämpfenden Gruppen.
’69 wurde Willy Brandt, der als Verfolgter des Naziregimes galt, zum Bundeskanzler
gewählt. An die Stelle der großen trat die sozial-liberale Koalition. Diese
erließ eine Amnestie für alle Demonstrationsdelikte, die ein Strafmaß von acht
Monaten nicht überschritten, und liberalisierte das Demonstrationsrecht. Viele
StudentInnen verbanden mit dem Regierungswechsel und den neuen Gesetzen die
Hoffnung auf Liberalisierung und einen „demokratischen Dialog"um die weitere
Entwicklung der BRD. Von ihrem „Marsch durch die Institutionen" versprachen
sie sich eine Änderung der Verhältnisse mit den Mitteln parlamentarischer Demokratie.
Anfang der 70er konnte man die Folgen dieses Weges nicht überblicken, heute
zeigt sich jedoch, dass diese Strategie dazu führte, in das bestehende integriert
zu werden, um schließlich staatstragende Politik zu praktizieren.
’72 wurde aber auch der „Radikalenerlass" verabschiedet. Dadurch konnten Berufsverbote
für Linksradikale verhängt werden, um diesen die Existenzgrundlage zu rauben.
Diese Praxis richtete sich gegen die in Teilen der Bevölkerung verankerte Solidarität
für die Ideen der außerparlamentarischen Linken und der entstehenden bewaffneten
Gruppen. Vor allem Menschen, die sich in kommunistischen Gruppen organisierten
und akademische Laufbahnen einschlugen, waren von dieser staatlichen Praxis
betroffen.
Die Erfahrungen des RAF-Konzeptes
Im Zuge der Ausweitung der Repression gegen radikale Linke wurden ’71 Petra
Schelm, Georg von Rauch und Tommy Weißbecker von Zielfahndungskommandos oder
in Polizeikontrollen erschossen. Die Rote Armee Fraktion (RAF) reagierte ’72
mit einer Offensive auf die Repressionsmaßnahmen und die erneuten Flächenbombardements
der USA im Krieg gegen Vietnam. ’72, am Ende der Offensive, saßen alle bekannten
bedeutenden Mitglieder der RAF im Knast. Auf die bitteren Erfahrungen der RAF
konnten die Revolutionären Zellen bei ihrer Gründung zurückgreifen. Die Mitglieder
der RAF waren schon bevor sie in den Untergrund gingen bekannt. Der Staatsschutz
fokussierte sich auf diese bekannten Personen. Aus Gründen der Repression ein
klarer Nachteil, ermöglichte dieses Konzept mit der Popularität der Mitglieder
offensiv Politik zu gestalten. Die RAF versuchte durch die Veröffentlichung
von Konzepten immer wieder die Polarisierung und Diskussion in der Linken voranzutreiben
und den bewaffneten Kampf in der BRD zu propagieren. Offensives Eintreten für
die Illegalität sowie die Bekanntheit der im Untergrund Lebenden ließ die RAF
zum „Staatsfeind Nr. 1" avancieren. Die Problematik dieses Konzeptes zeigte
sich in der permanenten Repression und Verfolgung. Die RAF machte sich zur Projektionsfläche
für den Staat und befand sich in ständiger Konfrontation mit ihm. Die Kämpfenden
waren immer der Gefahr ausgesetzt, enttarnt zu werden, die Reproduktion des
eigenen Lebens wurde zum Kraftakt.
Die Revolutionären Zellen
Die RZ bezogen sich wie alle bewaffnet kämpfenden Gruppen auf das aus Lateinamerika
kommende Konzept Stadtguerilla der Tupamaros aus Uruguay und auf die damit einhergehende
Forderung an die radikale Linke in den Metropolen, den „Kampf ins Herz der Bestie
zu tragen". Die Stadtguerillas versuchten die Kämpfe, die in den sog. 3. Welt-Staaten
stattfanden, aufzugreifen. Die Bewegungen, die z.B. in Vietnam oder in Korea
kämpften, wurden als InitiatorInnen einer weltweiten revolutionären Veränderung
der kapitalistischen Ordnung begriffen. Die Kämpfe sollten auf die westlichen
Zentren übergreifen. Die bewaffneten Gruppen in den westlichen Metropolen verstanden
sich als Katalysator dieser Entwicklung, um schließlich gemeinsam mit allen
revolutionären Befreiungsbewegungen an einem Strang zu ziehen.
Das Organisationsprinzip der RZ war dezentral und nach eigenen Angaben antihierarchisch.
Während die Politik der RAF durch bestimmte Personen konkret wurde, blieb das
RZ-Konzept bewusst abstrakt. Für die Öffentlichkeit gab es keine Persönlichkeiten,
die für die Politik der RZ standen. Die militant Kämpfenden blieben anonym,
vor allem, um sich vor Repression und politischer Isolierung zu schützen. Dies
brachte ihnen den Ruf als „Feierabendterroristen" ein, sorgte jedoch auch dafür,
dass die RZ bis zur heutigen Verhaftungswelle für die Fahndungsbehörden eine
relativ unbekannte Größe blieben. Dies erklärt zum Teil das größere öffentliche
Interesse an der RAF als an den RZ.
Die Mitglieder der RZ wollten nicht im Untergrund verschwinden, sondern weiterhin
auch Teil der legalen linken Bewegung sein. Ihre Aktionen sollten dem Bedürfnis
der Linken selbst entspringen und auf diese rückwirken. So scheint es logisch,
dass im Mittelpunkt der Konzeption der RZ die Vermittelbarkeit der bewaffneten
Politik stand. Als ein Medium der Vermittlung wählten die RZ das Zeitungsprojekt
„Revolutionärer Zorn", mit dem sie versuchten, die eigene Politik zu reflektieren
und zugänglich zu machen. Durch dieses Konzept versuchten die RZ eine Verselbständigung
militärischer Politik zu unterbinden. Die RZ begriffen sich als Teil der radikalen
Linken und deren militanter Ausdruck, mit dem Ziel, ihr Konzept weiter zu verankern
und den bewaffneten Kampf zu etablieren.