Nie waren wir verägerter
In der Sommer 97 Ausgabe der Zeitschrift ARRANCA hat das ehemalige
Mitglied der Bewegung 2. Juni Klaus Viehmann eine bemerkenswerte
Replik hauptsächlich auf das Buch seiner ehemaligen Genossin Frau
Viett: "Nie war ich furchtloser" geschrieben. Dabei stellt er seinen
Bemerkungen über einige konkrete Vorgänge aus den 70er und frühen
80er Jahren längere einleitende Bemerkungen voran, in denen er die
Frage reflektiert, welche Bedeutung "Terroristen- und Aussteiger" -
Memoiren für heute besitzen. Treffend ist dabei seine Bemerkung, daß
manchmal "Geschichtsschreibung die Summe der Lügen ist, auf die sich
die Leute nach 20 Jahren geeinigt haben". Genau das weist er aus
unserer Sicht - wenn auch mit zuvielen dramatischen Anekdoten -
überzeugend an einigen Passagen in dem Buch von Frau Viett nach.
Mit seinen Bemerkungen hat sich auch unser Eindruck bestätigt, den
wir nach einer Veranstaltung mit Frau Viett im Berliner Ensemble
gewonnen hatten. Dort hatte sie hauptsächlich Passagen aus ihrem Buch
über ihr schönes sozialistisches Leben in der DDR vorgelesen, die -
nach unserem Geschmack - nichts anderes als eben öliger Kitsch waren.
Gut, Geschmacksfragen lassen sich niemals diskutieren, aber
Nachfragen über die politische Bedeutung derartiger Aussagen entzog
sie sich durch den schlichten Hinweis, daß die Fragenden eben jenes
schöne DDR-Leben nun mal nicht biographisch miterlebt hätten. Und auf
die für die Zukunft wichtige Frage, ob denn nun dieses von ihr als
"schön" beschriebene Leben in der DDR für alle Zukunft das "Ende der
Geschichte" sei, sprich, der von hoffentlich kommenden zukünftigen
Bewegungen immer wieder von neuem anzustrebende glückliche Endzustand
menschlichen Glücks und Befreiung, blieb sie die Antwort, die doch in
der Logik ihrer eigenen Aussagen hätte ein donnerndes "Ja" sein
müssen, schlicht schuldig. Das war nichts anderes als eine kalte
politische Diskussionsverweigerung von Frau Viett vor einem
allerdings weitgehend andächtig und bewundernd staunenden, mehrere
hunderte Köpfe zählenden Publikum. Aktuell ist es wohl leichter
beliebige Geschichten vom schönen realsozialistischen DDR-Leben zu
konsumieren, als sich der sowohl anstrengenden wie komplizierten
Frage zu stellen, was Erfahrungen des bewaffneten Kampfes aus den
70er Jahren für daß was noch in Zukunft kommen wird, bedeuten können.
Man könnte das wirklich alles schweigend übergehen, wenn es nicht
völlig außer Zweifel stünde, daß das von Frau Viett gegenüber dem
Publikum frontal praktizierte Modell der Antiaufklärung - und die
findet im Kitsch ihre angemessene Form! - in direkter Gegnerschaft zu
all denjenigen steht, die sich gerade in der Zukunft gegen die
aktuell ungerechten wie unfreien Verhältnisse politisch bewegen
müssen, wenn sie sich noch als Individuen glücklich vergesellschaften
wollen.
Zwei Einwände sollen aber an dieser Stelle gegen die von Klaus
Viehmann in seiner Replik auf das Buch von Frau Viett geltend
gemachten Argumentation erhoben werden. Gerade wo die Zeit der
gegenseitigen politischen Vorwürfe auch zwischen ehemals miteinander
verstrickten Mitgliedern von bewaffneten Gruppen vorbei ist, ist es
schwierig, die Praxis der Unterstellungen zu vermeiden. Wir kennen so
etwas auch aus unseren Liebesbeziehungen. Das eine ausgespuckte
Detail zieht sofort das nächste nach sich und eine Lawine von
Beziehungsschlamm ist schnell losgetreten ... Je mehr sich die
Beteiligten untereinander die dramatischen Anekdoten "um die Ohren
hauen" desto mehr verschwindet sowohl Geschichte wie Politik. Einen
Teil des Viehmann- Berichts haben wir wie einen Krimi gelesen, und
genau das ist eines von vielen politischen Problem heute.
Der andere Einwand bezieht sich auf seine Klage darüber, daß
Darstellungen von Frau Viett gerade "innerhalb der Linken einen Raum
finden". Auch unabhängig von der wirklich langweiligen Frage um was
es sich eigentlich bei diesem Ding namens "die Linke" genau handeln
soll (vielleicht die SPD?), lohnt ein sich ja gerade
selbstbeschränkender Bezug auf dieses absolut nichtssagendes Ungetüm
auch deshalb nicht, weil es doch völlig egal ist, von wem an welchen
Orten die Auseinandersetzung geführt werden. Wenn sie denn endlich
geführt werden! Insofern finden wir die Ausgrenzung der
Auseinandersetzung mit der Lebensbeichte von Frau Viett aus dem, was
man meint "die Linke" nennen zu müssen, viel zu formal gedacht.
Deshalb finden wir es auch viel richtiger, Frau Viett wo immer es
möglich ist, einzuladen, und sie anhand ihres eigenen Suchtextes im
wahrsten Sinne des Wortes "zur Rede zu stellen". Und dabei sollte man
weder ihr noch irgend jemand anderem in diesem Zusammenhang auch nur
das geringste Wort "glauben", und dennoch neugierig und unbestechlich
nachfragen: Und zwar auch über das "was nicht geschrieben steht". Das
wäre wirklich radikale Aufklärung in der bestmöglichen Variante, und
zwar nicht für irgend so eine 'Geschichte', die nun mal vorbei ist,
sondern hauptsächlich für die, die auch am Beispiel der nicht immer
wahrheitsgetreuen Schilderungen von Frau Viett lernen können,
wenigstens für die politisch zu bestimmende Zukunft nicht noch mal
den auch von ihr verbochenen Unsinn zu wiederholen.
Timur und sein Trupp
P.S.: Als ein Akt der Solidarität wegen der vom rechtsradikalen
General Propper gegen die INTERIM verhängten Repressalien kehren wir
wieder als bescheidene KommentatorInnen des Zeitgeschehens in diese
Zeitung zurück.
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