2 x 0 Jahre Deutscher Herbst ?
Jährt sich ein Datum auf Null, zuweilen auf fünf, so ist die Zeit
der Jubiläen gekommen. Ausgangspunkt derartiger Bemühungen in der
bürgerlichen Gesellschaft ist - wie gesagt - die Null, nicht die
Politik heute und schon gar nicht die eigene Frage. Vor ein paar
Wochen haben wir uns schon von einer als 'Dokumentation' gehegten
Krimi-Schlure in der ARD angenehm die Zeit totspielen lassen. In den
TV-Bildern war zwar so gut wie keine Wahrheit, aber der ein wenig
rechtsradikal gewordene Regisseur Breloer ist ein wirklicher
Entertainment-Profi. Also: Was gibt es heute noch substantielles bei
einer Jubiläumsparty mitzuteilen? Nachfolgend ein Besinnungsauf-satz
mit ein paar Gedanken "über den Tag hinaus".
Antiimperialismus
Die RAF ist nicht zu denken ohne die weltweite Studentenrevolte der
60er Jahre und ihrem Protest gegen den von der US-Regierung gegen den
nationalen Befreiungskampf des vietnamesichen Volkes geführten Krieg.
Mit Erleichterung und Freude wurde im Jahre 1975 in westdeutschen
Städten von Zehntausenden die Parole skandiert: "1. Mai, Saigon ist
frei!". Auch wenn es heute keinen Grund mehr dafür gibt, sich noch
mit "nationalen" Befreiungskämpfen zu solidarisieren, so bleibt doch
die Beendigung der Massaker in Vietnam durch die Niederlage der
us-amerikanischen Militärmaschine eine Sternstunde der Menschheit.
Die weltweite antiimperialistische Bewegung trug dazu bei für die
Menschen in Vietnam den Frieden zu erkämpfen.
Leider ist damit aber der Imperialismus nicht verschwunden. Nach
Vietnam hat er lediglich seine Formen ändern müssen. Die seit Mitte
der 70er Jahre anhaltende kapitalistische Krise schrieb sich unter
der Führung der USA durch die 13ungerpolitik von IWF und Weltbank
zunächst gegen die damals noch Trikont genannten Weltgegenden fort,
bis sie schließlich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die
spätstalinistischen Staaten erreichte. h1it den daraus entstandenen
Folgen sind wir heute im weltweiten Maßstab mit verschärften Formen
von Verelendung, Rassismus und Krieg konfrontiert. Diese Beschreibung
ist zwar nicht besonders originell, aber leider wahr. Genauso wahr
allerdings wie die Einsicht, daß die Kriegerlnnen der RAF in den 80er
Jahren nicht mehr dazu in der Lage waren, die neuen Formen des
Imperialismus, die auch eine Kritik am Spätstalinismus hätte
beinhalten müssen, zu begreifen und in ihre Programmatik aufzunehmen.
Für einen kurzen historischen Moment waren ihnen sogar die Autonomen
mit ihrer Ende der 80er Jahre durchgeführten Kampagne gegen das
Treffen von IWF und Weltbank in theoretischer Hinsicht voraus. Mit
dem Ende des Vietnamkrieges wurde der Antiimperialismus der
RAF-Kriegerlnnen im schlechten Sinne abstrakt. Durch die
Selbsteinordnung als Krieger in den antiimperialistischen Krieg
verloren sie zunehmend so gut wie jeden Bezug zu den kultur- und
sozialrevolutionären Momenten der 68er und den daraus folgenden
militanten Basisbewe-gungen. Folgerichtig mußte nicht nur das Ende
der DDR in den Erklärungen der RAF deprimierende
gesellschafts-theoretische Katastrophen und sonstiges
antiaufklärerisches Geraune hervorbringen.
Macht-Gegenmacht
Die RAF hat uns gezeigt, welche Konsequenzen aus dem Versuch folgen,
eine Politik zu machen, die einen spannenden Frontalangriff gegen den
BRD-Staat führte. Das politische verschwand schlicht im Militärischen
der schweigend an den Start gegangenen KriegerInnen der zweiten
RAF-Generation. Das sind selbstverständlich Aussagen aus der
ZuschauerInnenperspektive, weil ein Krieg nun mal den Krieger
erfordert. Doch das wollen wir auch deshalb nicht sein, weil wir das
"politisch" im Kampf um Befreiung schlicht falsch finden.
Der blutige wie fulminante Militärcoup der Schleyer-Entführung wurde
in den damaligen RAF-Erklärungen durch eine Katastrophe der Politik
ergänzt. Sie mündete nicht nur in die in der deutschen Geschichte
nicht völlig unbekannt gebliebene Praxis des Genickschußes. Sie
sorgte auch für ein faschistoid aufgeladenes, einmaliges Bündnis
zwischen der Bevölkerung und dem starken Krisenstab-Staat Und der
beseitigte im Handstreich sowohl die parlamentarische Demokratie als
auch für die zum damaligen Zeitpunkt einsitzenden RAF-Gefangenen
Jedwede rechtsstaatliche Garantien und nahm sie damit als Geiseln.
Ansonsten schaltete sich noch die freie Presse gleich, alle anderen
Teile der Linken liessen sich mundtot machen oder versuchten noch,
sich in erbärmlichster Art und Weise von etwas zu distanzieren, mit
dem sie doch praktisch gar nichts zu tun hatten. Deprimierend.
Wie v enig die RAF-KriegerInnen letztlich dem von ihnen geführten
Krieg politisch gewachsen waren, hat sich dann in den 90er Jahren
gezeigt, in dem eine ganze Hand voll von ihnen, auch mit Hilfe von
faustdicken Lügen, sich zu sogenannten Kronzeugen verandelten. Und
drei ist nicht der immer legitime Versuch, im nachinhein eine andere
Position zu '77 geltent zu machen, Gegenstand unserer Verachtung,
sondern daß sie sogar ihre eigenen Gruppen-Genossinnen im wahrsten
Sinne des Wortes an den Staat verraten haben. Aber so ist sie nun
mal, die sich selbst bespuckende Praxis von bloßen KriegerInnen, die
der stärkeren Macht in die Hände gefallen sind.
Bis auf den heutigen Tag zirkuliert das Politische um die Macht, weil
es sonst nicht existiert. Das gilt für alle Beteiligten die sich dazu
entschlieKen eben Politik machen zu vokalen - was übrigens auch ein
sehr guter Grund dafür sein kann, es damit ganz zu lassen.
Subjektiver Bruch
Die von der RAF und Antiimps aufgrund ihrer Marginalität
praktizierte, als 'Politik mißverstandene Form des gegen sich selbst
durchgesetzten "subjektiven Bruches" hat immer auch für Autonome eine
gewisse Faszination ausgeübt. Diese moralisierende Kategorie kommt
einer jede Jugendgeneration allemal noch mehr entgegen, als die
stotternde Praxis einer erheblich mühsamer zu formulierenden
Gesellschaftskritik. Zwischenzeitlich wissen wir, daß ein
"subjektiver Bruch" persönlich und individuell für die, die sich
einem derartigen Zugriff unterwerfen zwar zu funktionieren scheint,
jedoch letztlich - und das lehrt das traurige Schicksal der
'Kronzeugen - die im eigenen Erkentnisfortschritt purzelnde autonome
Entscheidung nicht überspringen und damit auch nicht ersetzen kann.
Amnestie statt Amnesie!
Die RAF hat auch Autonomen zeigen können, daß der Kaiser nackt ist,
und daß wer keine Angst vor der Vierteilung hat, ihn vom Pferd ziehen
kann. Daß der bundesdeutsche Staat genau das nicht vergessen hat,
wird daran deutlich, daß er alle diejenigen RAF-Gefangenen, die nicht
abschwören und zu Kreuze kriechen wollen, in den Knästen bis an deren
Lebensende verschimmeln lassen wird -: fern nichts geschieht. Und daß
die diktatorische Praxis des Krisenstabes nicht gänzlich aus dem
Instrumentarium der hiesigen Staatspolitik verschwunden ist, zeigte
die im Pogrom-Herbst 92 vom Bundeskanzleramt an die Öffentlichkeit
lancierte Drohung mit dem "Staatsnotstand."
Für Autonome gibt es keinen Grund, die Geschichte der RAF, die auch
die eines aus vielen Gründen mißglückten wie gescheiterten
revolutionären Aufbegehrens gewiß ist, in irgend einer Weise
wegzusortieren. Den unten wie unfreien Verhältnissen müssen auch
deshalb keine imaginären Masken mehr heruntergerissen werden, weil
sie nach dem Ende der RAF als im Prinzip bekannt vorauszusetzen sind.
Vor diesem Hintergrund müssen sie erneut mit dem Ziel analysiert
werden, für weltweit egalitäre Verhältnisse zu kämpfen, in denen die:
Leute frei von Furcht verschieden und doch glücklich miteinander sein
können. Die noch verbliebenen Gefangenen der RAF sollten "irgendwie"
Bestandteil dieses sich streitenden Projektes sein.
Timur und sein Trupp
Zur Übersicht der
aktuellen Nummer