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Die Debatte zuspitzen:

Kuschelsex ODER Kuschelpolitik?

Lesbisch-kommunistische De-Konstruktion ODER ex-autonom-postmoderner Liberalismus? "Wir haben tatsächlich Schlachtenforscher zu sein, weil entscheidende Schlachten gerade erst vorbereitet werden, weil die entscheidende Schlacht erst zu gewinnen ist, d.h. die Feinde, die uns gegenüberstehen, uns weiterhin bedrohen und wir zum Ende des Krieges nur gelangen können - nicht indem wir eine Befriedung einklagen, sondern indem wir die Sieger sein werden." Michel Foucault 1976, 13 - Hervorh. d. Verf.In


Inhhaltsübersicht


I. Für eine erneute Verschiebung der Debatte: Machtpolitik satt Diskursethik!

Es gab einmal eine Zeit, da war es in der linksradikalen und revolutionären Szene möglich, die Parole "Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen" zustimmend zu zitieren (Rote Armee Fraktion, Konzept Stadtguerilla, 1971). Und es gab einmal eine Zeit, da war es möglich, ein Papier mit der Überschrift "In höchster Gefahr und Not bringt der Mittelweg den Tod" zu versehen (Revolutionäre Zellen/Rote Zora, 1983). Alldies bezog sich zwar nicht auf das Geschlechterverhältnis aber immerhin...!

Heute scheint es diese Szene eher mit Motto, "In der Mitte ist holdes Bescheiden", zu halten. Diesen Eindruck gewinnt Lesbe jedenfalls, wenn sie die Sexualitätsdebatte in der Interim aus dem vergangenen Jahr und die jetzige Debatte über das Papier der Unglücklichen verfolgt: Radikale Positionen sind nicht gefragt. Die FrauenLesben aus dem Schwarzmarkt, die die Debatte angestoßen haben, wurden in der folgenden Diskussion (außer von den Unglücklichen) totgeschwiegen. Und die Unglücklichen wiederum sind den anderen VerteidigerInnen der Aarranca Nr. 8 zu radikal, so daß diese sich von jenen vorsichtig distanzieren. 'Einerseits-andererseits' und Mittellinien - Moralismus sollen anscheinend die Harmonie der RestSzene sicherstellen:

Im vergangenen Jahr brachte es Kermit fertig, sich einerseits der "ausführlichen Begründung" der Kritik, die die Schwarzmarkt - FrauenLesben an der Arranca geübt haben, "im großen und ganzen" anzuschließen, und andererseits eben dieser Arranca zu bescheinigen: "So finde ich es lobenswert, daß sich Fels mit ihrer Ausgabe auf das Glatteis begeben, um über Sexualität zu diskutieren." (interim, Nr. 376, S. 23; Nr. 373, S. 22). Auch Carrie &. R.P. McMurphy räumten damals mit einer - wie ich zugeben muß, sehr schon geschriebenen Satire ["Ein fiktives postmodernes (Nicht-)Verkaufsgespräch im Schwarzmarkt (Hamburg)" (interim, Nr. 378, S. 25 f.)] - die Kritik der Hamburgerinnen an der Arranca Nr. 8 aus dem Weg und vermieden es, den zentralen Konflikt (Vorwurf eines antifeministischen Rollbacks gegen die Arranca; Bedeutung des Einsatzes von Machtmitteln wie Zensur für den feministischen Kampf) anzusprechen. Die Debatte wurde im folgenden halbkritisch auf dem von der Arranca vorgegeben Terrain geführt' - "die frühkindliche Vergesellschaftung" und die Feinheiten der Jessica Benjamin-Exegese ("teilweise falsche Darstellung von Jessica Benjamins pyschoanalyti-scher Studien") (ebd., S. 27). Und damit Kritik (egal an wem) ja nicht zu scharf ausfällt, immer wieder die Aufforderung ja nur die "Diskursethik" (ebd.; und in der jetzigen Debatte Kermit in interim, Nr. 437, S. 9) und die "Moral" (interim, Nr. 376, S. 21) zu beachten.

Und selbst M.O.M.B.A.K., dessen/deren Kritik an den Unglücklichen relativ deutlich ausfällt, schreibt an diese gerichtet: "Ihr scheint nicht verstanden zu haben, worum es (den Schwarzmarkt-FrauenLesben) eigentlich geht, d.h. Ihr habt den Inhalt, den Kern ihrer Kritik an der Arranca! nicht begriffen." (interim, Nr. 438, S. 26).

Ich denke demgegenüber, de die Unglücklichen (im Gegensatz zu den meisten anderen Beiträgen in der Debatte) sehr wohl den Kern der Kritik der Schwarz-markt-FrauenLesben begriffen haben. Der zentrale Konflikt ist zumindest meines Erachtens:

Alle Debattenbeiträge, die auf diese zentrale Frage keine Antwort geben, haben objektiv (d.h. unabhängig von etwaig gegenteiligen Absichten!) den Effekt, das antifeministische Rollback, das Cristina Garaizabal, die Arranca und die Unglücklichen übereinstimmend propagieren, hinzunehmen, und sich auf Detailkritik zu beschränken.

Dies gilt für die Mutlosen (interim, Nr. 438, S. 16 ff.), die sich weitgehend auf "Kritik an der Form" (Hervorh. d. Verf.In) des Papieres der Unglücklichen beschränken und am Ende ebenso wie die Unglücklichen gesellschaftliche Antagonismen in bloße "Unterschiede" umdeuten. Dies gilt für Kermit (interim, Nr. 437, S. 8 ff ), der nicht den Ansatz der Unglücklichen kritisiert, sondern, daß die Unglücklichen ihren Ansatz vermeintlich mit Ausschließlichkeit" (S. 10 - Hervorh. d. Verf.In) vertreten.

Dies gilt für MY.T. (interim, Nr. 438, S. 26 f.)., die ihre(?) Kritik an den Unglücklichen zurückstellt, und sich statt dessen zunächst Kermits vorsichtige Kritik an den FriedrichshainerInnen vorknöpft. Und dies gilt auch für Sven Glückspilz (interim, Nr. 439, S. 7 ff), der den Unglücklichen vorwirft: "Ihr habt das Kinde mit Bade ausgeschüttet." Nein, die Unglücklichen haben nicht über das/ihr Ziel hinausgeschossen, sondern sie haben es getroffen. (Im Rahmen immanenter, ökologischer Kritik könnte mann ihnen allenfalls vorwerfen, daß sie auch das Wasser durch den Abfluß haben fließen lassen, um das feministische Kind los zu werden!).

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Die einzige, die die Situation weitgehend richtig erfaßt hat, ist Ida F. (auch wenn ich es fragwürdig finde die Unglücklichen wegen deren 'Polemik' und 'Unsachlichkeit' zu kritisieren; im gewissen Sinne waren sie bei der Sache - bei ihrer Sache!):

"Mit der Veröffentlichung der 'Legende von Paul und Paula' nimmt das Rollback in der linken Szene weiter seinen Lauf. Auf polemische, un- sachliche Art soll der sog. Identitätsfeminismus am Beispiel der Hamburger Schwarzmarkt Frauen (HH) als überholte moralisierende Theorie entlarvt werden, die an der Perspektivlosigkeit der Szene Schuld ist. Parteilichkeit ist nicht mehr gefragt, ganz im Gegenteil, alle können endlich alles sagen, was sie schon immer mal loswerden wollten [...]." (interim, Nr. 437, S. 11).

Wenn dieses Rollback abgewehrt werden soll, wird es nicht ausreichen, jene Situation einfach nur festzustellen. Und schon gar nicht wird es ausreichen, den Unglücklichen - wie dies M.O.M.B.A.K. tut - nahezulegen: "faßt Euch bitte kürzer" (interim, Nr. 438, S. 27). Es ist vielmehr notwendig, die Argumentation der Unglücklichen einer rigorosen Kritik zu unterziehen (womit Ida F. und M.O.M.B.A.K. angefangen haben) und den Unglücklichen, ihre theoretischen Waffen aus der Hand zu schlagen.

Zu beidem möchte ich im folgenden einen Beitrag leisten. Dazu werde ich in drei Schritten vorgehen: