Den rechten Konsens brechen!
Am 11. Oktober wird in Saalfeld eine hoffentliche große Demonstration stattfinden. Unter dem Motto: Den rechten Konsens brechen! Gegen rechte Gewalt! rufen InitiatorInnen aus Gewerkschaften, Antifa- und anderen Gruppen uns Parteien dazu auf, gegen Rechtsradikalismus, die Verharmlosung rechter Gewalt und Duldung rechter Strukturen in Saalfeld und anderswo zu demonstrieren. Der nachfolgende Beitrag basiert im wesentlichen auf dem ersten Entwurf zum Demoaufruf. Er bietet einen ersten Einblick in die Entwicklung der faschistische Szene im Landkreis und das fehlende Problembewußtsein der Bevölkerung, aber auch der Verantwortlichen in der Politik.
Die Stadt Saalfeld, Kreisstadt des Landkreises Saalfeld- Rudolstadt, ist mit ihren Einwohnern das, was man gemeinhin als Provinz bezeichnet. Trotz oder gerade wegen der Abgeschiedenheit von der großen Welt hat sich hier über die Jahre ein gewaltiges Potential an rechtsorientierten Jugendlichen herausgebildet. Bei genauerer Betrachtung ist die Tendenz zur Bildung einer festen rechten Struktur erkennbar. Es wird versucht, politisch schwankende und gelangweilte Jugendliche in diese feste Struktur zu integrieren.
Die Entwicklung der faschistischen Szene im Landkreis
Exemplarisch wird hier, um die genannte Tendenz zu einer
festen Struktur in der Naziszene zu verdeutlichen, auf einige Höhepunkte faschistischer
Aktivitäten im Landkreis eingegangen.
- Am 17. August 1992 marschieren etwa 2500 Faschisten zum
Gedenken an Rudolf Heß ungehindert und medienwirksam durch Rudolstadt. Im gleichen Jahr
hält der Chef der Deutschen Nationalen Partei (DNP), Thomas Dienel, in einer Gaststätte
in der Nähe Saalfelds vor laufenden Kameras eine Rede anläßlich einer
Parteiversammlung, durchsetzt mit der üblichen ideologischen Propaganda.
- Vom 11. bis 13. Juni 1993 halten die Vereine
Deutsches Kulturwerk europäischen Geistes, der Freundeskreis Ulrich von
Hutten und die Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur e.V. nahe
Saalfeld im Schutz von Polizei und Wiking- Jugend ein Treffen ab.
- Am 30. April treffen sich etwa 150 Faschisten aus dem
gesamten Bundesgebiet zur Walpurgisnacht am Ortsausgang Saalfeld. Zwei Wochen später, am
14. Mai, findet in Rudolstadt ein angemeldetes und genehmigtes Konzert mehrerer Fascho-
Bands statt, welches bundesweit etwa 350 Faschisten anzieht.
- Während am 8. Mai eine Kranzniederlegung von 150 Antifas
in Rudolstadt durch die Polizei massiv angegriffen wird und es zu mehreren Festnahmen
kommt, gelingt es den Faschisten mittels einer Bombenattrappe fast, die
Gedenkfeierlichkeiten am antifaschistischen Mahnmal in Saalfeld im wahrsten Sinne des
Wortes zu sprengen (10. September 1995).
- Im August 1995 treffen sich 70 Faschisten aus der Region
auf dem Rudolstädter Volksfest und können dort ungehindert Straftaten wie
Körperverletzung begehen, Nazi- Parolen skandieren und Propagandamaterial zur Rudolf-
Heß- Woche verteilen.
- Dies wiederholt sich 1996 ähnlich, wobei die anwesende
Polizei, statt das Nazi- Treffen aufzulösen, gegen die Antifas Platzverweise erteilt.
- Im September 1996 besetzen etwa 40 Faschisten ein altes
Fabrikgebäude in Saalfeld, welches von der Polizei schließlich geräumt wird, aber den
Anstoß für eine Kampagne zu Gunsten eines Nationalen Jugendzentrums bildet.
Gleichzeitig bildet sich um den Kontaktmann der Anti- Antifa1 Ostthüringen und
Anmelder verschiedener Rudolf- Heß- Demos, Tino Brandt, der Deutsche Freundeskreis
(DFK).2 Dessen Betätigungsfeld ist hauptsächlich in der Rekrutierung und
Vernetzung national gesinnter Jugendlicher im Landkreis zu finden.
- 1997 fallen die Faschisten besonders durch gezielte
Gewaltakte gegenüber Ausländern und mißliebigen Menschen bzw. durch die Kampagne für
ihr Jugendzentrum auf. Außerdem kann man eine zunehmende Verknüpfung von Faschos mit
Dealern und der Zuhälterszene bemerken.
Keine Duldung faschistischer Zentren!
Ein Versuch, Saalfeld und Umgebung in ein Netzwerk
faschistischer Organisierung zu integrieren, ist, ein Nationales Jugendzentrum
aufzubauen. Dazu hat sich um Tino Brandt im Sommer 1996 ein Aktionskomitee Deutsches
Jugendhaus Saalfeld konstituiert, dessen Sprecher Brandt ist.
Obwohl Teile der regionalen Presse das Anliegen der
vernachlässigten Jugendlichen als legitim charakterisieren, lassen die Fakten
nur erahnen, welche Folgen ein solches Zentrum für die Region hätte.
Tino Brandt ist verantwortlicher Redakteur der Neuen
Thüringer Zeitung (NTZ) , die dem Nationalen Medienverbund unter
Führung Christian Wendts angehört. Wendt unterhält vielfältige Verbindungen zu dem
einschlägig bekannten Anwalt Jürgen Rieger3 , Frank Schwerdt (Die Nationalen
e.V.), Wolfram Nahrat (Wiking- Jugend) und Hans- Jörg Rückert (Hoffmann- von-
Fallersleben- Bildungswerk). Friedhelm Busse (FAP) und Steffen Hupka4
(Sozialrevolutionäre Arbeiterfront) etwa treten als Autoren für den Medienverbund auf.
Weiterhin ist Tino Brandt Mitunterzeichner der
Pullheimer Erklärung, die unter Federführung der Deutschen Liga
die Einheit der rechten Szene manifestieren soll. Brandt war einer der Hauptkoordinatoren
des Heß- Aufmarsches 1992, Anmelder des Nazi- Konzertes 1994 und weiterer Heß- Demos in
verschiedenen Städten. Für die Anti- Antifa tritt Brandt als Ostthüringer Kontaktmann
auf, im Internet schreibt er unter dem Pseudonym Till Eulenspiegel Beiträge
für das Thule- Netz.
Von einem Anlaufpunkt für orientierungs- und perspektivlose Jugendliche kann hier keine Rede sein, eher vom Aufbau eines weiteren Mosaiksteines im rechten Netzwerk, das unter dem Deckmantel der Jugend- und Sozialarbeit auf die Akzeptanz von weiten Teilen der Bevölkerung setzt.
Repressionen gegen Antifaschisten im Landkreis
Während Faschisten im Landkreis fast unbehelligt ihre
Aktionen durchziehen, werden Antifa und alternative Projekte massiv von Behörden, Polizei
und Justiz kriminalisiert. Fadenscheinige Begründungen führen zu Hausdurchsuchungen;
zurück bleibt oft ein Zustand allgemeiner Verwüstung. Bewohner der alternativen Projekte
versucht man durch mysteriöse Drogenfunde zu kriminalisieren. Mitglieder des vermeintlich
harten Kerns der Szene werden aufgrund fadenscheiniger Vorwürfe durch
mündliche Haftbefehle in Gewahrsam gebracht, als Zeugen für nicht erfolgte
Straftaten vorgeladen, um so eine Aufsplittung der Gruppe voranzutreiben.
Hausdurchsuchungen mit Foto- und Videoaufzeichnungen, Abhören des Telefons und
Überwachung des Schriftverkehrs werden angewandt, um sich auf den neuesten Stand der
Entwicklungen in der Antifa- Szene zu bringen.
Im Zuge des Polizeieinsatzes am 2. Mai 1997 anläßlich eines
Punk- Konzertes im Klubhaus kam es zu massiven Ausschreitungen von Polizisten gegenüber
unbeteiligten Passanten, die nur durch ihr Aussehen dem alternativen Spektrum zugeordnet
wurden. So wurde mit gezogener Pistole nach den Papieren gefragt, Radfahrer vom Rad auf
die Straße gestoßen und es kam zu wahllosen Festnahmen. [siehe auch KOPFSTAND vom Juli].
Kranzniederlegungen und Demonstrationen von Antifaschisten ( am 8. Mai 1995) charakterisiert man als Werk von Chaoten, greift diese unverhältnismäßig an bzw. behindert und verhindert deren Durchführung.
Es läßt sich feststellen, daß die gängige Praxis zur
Verharmlosung der rechten und rechtsextremen Kreise führt und antifaschistischer
Widerstand als Chaotentum stigmatisiert und in zweifelhafte politische Stereotype
gedrängt wird.
So forderte der Stadtrat von Saalfeld in einem
Mehrheitbeschluß die Initiatoren der Demonstration dazu auf, selbige abzusagen. Grund
dafür war nicht nur die von Neonazis angemeldete Gegendemo (gleiche Zeit, gleicher Ort),
vielmehr behaupten Bürgermeister und Polizeichef, daß Saalfeld keine rechte Hochburg
sei, sondern eine ganz normale Stadt; und der Rechtsextremismus sei ein von außen
herbeigeredets Problem. Ohnehin meint Polizeidirektionschef Kick, seien eher die Linken
die Bösen. Die Statistik aber zeigt anderes: neun Straftaten der sog. Linksextremen
stehen 231 Straftaten mit rechtextremistischen Hintergrund gegenüber. Der Polizeichef
biegt sich die Tatsachen ideologisch zurecht und der Bürgermeister sieht eine
antifaschistische Demo als Schädigung des Ansehens der Stadt (nicht
wiedergutzumachen, ökonomischer Schaden etc.) , nicht etwa als
demokratisches Recht.
Die Demonstration wird stattfinden. Genau um dieses
Mireinander von kleinbürgerlich- konservativer Augen zu- Mentalität und
neofaschistische Aktivitäten gehr es nämlich. Den rechte Konsens durchbrechen!
Petrikov
1
Die Anti- Antifa wurde 1992 als szeneübergreifendes Projekt ins Leben gerufen. Die strikt konspirativ arbeitenden Anti- Antifa- Kader sammeln Informationen über Antifaschisten, Anwälte, Richter etc. und verbreiten diese Daten z.B. im neofaschistischen Thule- Netz oder Broschüren.