Lübeck und anderswo
Rassistische Ermittlungen nach dem Lübecker Brandanschlag
Durch einen Brandanschlag sind in Lübeck am 18. Januar 1996 zehn BewohnerInnen der Flüchtlingsunterkunft Neue Hafenstraße getötet und zahlreiche durch Verbrennungen, Rauchvergiftungen und Sturz aus den Fenstern schwer verletzt worden. Seit dem 20.Januar sitzt der libanesische Flüchtling Safwan Eid (der zusammen mit seiner Familie selbst Opfer des Brandanschlags war) als Ergebnis rassistischer Ermittlungskonstrukte in Untersuchungshaft. Das bei einigen von Beginn an bestehende Mißtrauen gegen die ermittelnden Behörden hat sich im Verlaufe der Ermittlungen als völlig berechtigt herausgestellt.
Um 3.42 Uhr geht der erste Alarmruf bei der Feuerwehr ein. Schon eine Minute später ist zufällig eine BGS-Streife an dem bereits in Flammen stehenden Haus vor Ort. Nur hundert Meter entfernt besteigen zur gleichen Zeit drei deutsche Männer ein Fahrzeug. Die BGS-Beamten nehmen deren Personalien auf, da einer von ihnen "wie ein Skinhead" ausgesehen habe, lassen sie aber dann weiterfahren. Am Morgen des Brandtages werden die drei "polizeibekannten" Männer (einer, der 17jährige Maik W., saß zwei Monate wegen Hakenkreuzschmierereien in Untersuchungshaft) dann in Grevesmühlen vorläufig festgenommen und werden danach als Beschuldigte vernommen" (Staatsanwalt K.D. Schultz). Zumindest einer davon ist offenbar ein Skinhead (ein Staatsanwalt: "Kurze Haare, Springerstiefel, Bomberjacke"). Es bestehe der "Anfangsverdacht des Mordes und der Brandstiftung".- Der leitende Kriminaldirektor Tabarelli betonte trotzdem (oder gerade deswegen) ausdrücklich, daß die Behörden "in alle Richtungen", auch in die eines technischen Defektes, ermitteln.
Ermittlungskonstrukte
Über die drei offensichtlich aus der rechten Szene stammenden festgenommenen Männer wird dabei die ganze Zeit "erstaunlich" wenig bekannt. Dies gilt noch mehr für den etwas später auftauchenden "vierten Mann". Und angesichts der dem Anschlag folgenden allgemein demonstrierten Hektik ist es schon "überraschend", in welch geradezu idyllischer Stille die Ermittlungsbehörden das zusammentragen können, was sie nach der Freilassung der vier Deutschen am Freitag morgen "objektive Beweiserhebungen" nennen werden. Demnach konnten die drei Männer jetzt gar nicht rechtzeitig am Brandort sein, da sie um 3.20 Uhr von einer Polizeistreife an einer Tankstelle 15 Km entfernt von der Hafenstraße gesehen wurden und dann von dieser Streife bis kurz vor der Hafenstraße verfolgt wurden. Sie wären so erst dort angekommen, "als schon die Sprungkissen aufgeblasen wurden". Die Männer wollten in der Gegend mal schauen, ob sie Autos knacken könnten.
Neben der offensichtlichen Widersprüchlichkeit der beiden Polizeiversionen muß festgestellt werden, daß die Tankstelle einfach nicht mehr als 5,1 Km von der Flüchtlingsunterkunft entfernt ist. Die drei zunächst Verdächtigen konnten die Strecke bis zum offiziell festgestellten Brandausbruch um 3.30 Uhr ohne weiteres schaffen. Und der ominöse vierte Mann wurde schließlich an der Tankstelle überhaupt nicht gesehen. Interessant ist auch, daß bei diesen "objektiven Beweiserhebungen" von den angesengten Haaren bei den Männern nie die Rede gewesen ist. Dies tauchte erst Wochen später im ´Stern´ auf.
Schon am Freitag abend wird in aller Stille Safwan Eid unter dem Verdacht festgenommen, den Brandanschlag begangen zu haben. Spätestens ab hier ermitteln die Behörden nur noch in die Richtung, daß es einer von den Flüchtlingen selber gewesen sein muß. Am frühen Samstag abend verkündet der leitende Kriminaldirektor Tabarelli, daß die Ermittlungen nun einwandfrei ergeben hätten, daß es sich um einen Brandanschlag handele. Technischer Defekt wird ausgeschlossen. Das Feuer ist demnach im ersten Stock ausgebrochen, es ist kein Brandsatz geworfen worden, es gebe keinen Anhaltspunkt auf ein Eindringen von außen, die Tür sei fest verschlossen gewesen. Alles, was die Staatsanwaltschaft gegen Safwan Eid vorbringen kann, ist die ominöse Aussage eines Rettungssanitäters, dem gegenüber Safwan Eid im Rettungswagen gesagt haben soll: "Wir waren das". Außerdem habe Safwan Eid in den Vernehmungen Wissen geäußert, was nur der Täter gehabt haben könne. Am Samstag abend erfolgt der Haftbefehl.
Am Montag vormittag gibt es eine Pressekonferenz der Lübecker Polizei, auf der der Lübecker Polizeisprecher nicht ausschließt, daß es doch ein "rechtsextremistischer Anschlag" war und daß die "Täter in das Haus eingedrungen sind". Aber die Staatsanwaltschaft tut in der Folge alles, um ihre offensichtlich haltlosen Behauptungen irgendwie zu untermauern. Immer wieder neue Motivspekulationen werden in Umlauf gebracht, mit Schikanen und Einschüchterungen sollen die überlebenden Flüchtlinge in endlosen Vernehmungen dazu gebracht werden, irgend etwas verwertbares gegen Safwan Eid auszusagen. Aber sowohl Safwan Eid selbst wie alle anderen Flüchtlinge bestreiten sämtliche Vorwürfe und machen statt dessen Angaben über den Brandhergang, die die offizielle Version des Ablaufs immer unglaubwürdiger machen. Dies wird schließlich auch in der Monitor-Sendung vom 7.März verdeutlicht, wo der Frankfurter Brandexperte Prof.Achilles die angeblich eindeutige Brandermittlung der Behörden massiv anzweifelt. Demnach konnte das Feuer sehr wohl im Erdgeschoß ausgebrochen sein, was durch verschiedene Beobachtungen der Flüchtlinge in dem brennenden Haus gestützt werde. Inzwischen sind noch eine Reihe weiterer ermittlungstechnischer "Versäumnisse" oder "Irrtümer" bekannt geworden. Die Staatsanwaltschaft bleibt aber unverdrossen bei ihrer Variante der Ereignisse. Safwan Eid bleibt weiterhin in Haft, mittlerweile ist praktisch das einzige, was an Vorwürfen geblieben ist, die Aussage des Rettungssanitäters.
Es kann festgestellt werden, daß sich im Verlaufe der behördlichen und medialen Verarbeitungsmaschinerie eine klare Hierarchie der Tatursachen und des Umgangs damit herausbildete. Diese Hierarchie orientierte sich je nach behauptetem Ermittlungsstand an dem Verträglichkeitsfaktor für die Befindlichkeit des nationalen Kollektivs und seiner Interessen (die dabei zu Anfang durchaus divergierten). Aber ab dem Zeitpunkt der Präsentation eines Opfers als Täter eint große Teile der Nation ein letztlich bedingungsloser Glaube der von offizieller Seite propagierten Fassung. Zu verlockend ist diese Version für die eigene oder die nationale Befindlichkeit, als daß jetzt noch große Zweifel angebracht wären. Die offizielle Ursachenfindung hatte dank der "schnellen Arbeit der Lübecker Kripo" eine für die Nation erfreuliche Richtung genommen.
Ermittlungen, Behauptungen, Ergebnisse, ob wahr oder nicht, sind jetzt völlig uninteressant geworden. Die endlich wiederhergestellte Normalität läßt sich deutscheR jetzt doch nicht durch kleinliche Bedenken gefährden. Sollen sich doch die Gerichte darum kümmern. Wenn es am Ende der Libanese nicht war, wen interessiert das noch? "Wir" waren es jedenfalls auch nicht, daß hat mensch jetzt schwarz auf weiß.
Deutsche Normalität
Der bisher doch einigermaßen glatte Verlauf der Abwicklung des Lübecker Anschlages, die erfolgreiche Verkehrung der Tätergemeinschaft zu Opfern und der Opfer zu Tätern, läßt für den künftigen Umgang mit rassistischen und antisemitischen Anschlägen befürchten und erwarten, was die FAZ schon gleich nach der Festnahme von Safwan Eid erhoffte: "Doch alle, die verantwortungslos, ohne Rücksicht auf Wirklichkeit und Wahrheit mit der Nazi-Keule auf Deutschland zu schlagen gewohnt sind" werden "es dann etwas schwerer haben". Das Gegreine um das völlig normale Grevesmühlen(sic!), welches nach dem Lübecker Brandanschlag angeblich fälschlich in rechten Verruf gebracht wurde, wie auch die Reaktionen auf die internationale Öffentlichkeit verweisen darauf, daß deutscheR sich die zersetzenden "Verleumdungen" des Auslandes oder einiger weniger inländischer "Nestbeschmutzer" nicht mehr länger gefallen lassen wird. Die Entschuldigungsorgien gegenüber den so arg gebeutelten Grevesmühlener BürgerInnen stellen dabei einen vorauseilenden Gehorsam derjenigen dar, die dieses Mal noch nicht von vornherein eine deutsche Täterschaft ausgeschlossen haben. Nie mehr "falsche" Beschuldigungen gegen Deutsche!
Der Spiegel zeichnete schon am Montag nach dem Anschlag vor, was in Zukunft angesichts von Störungen der Normalität in diesem Land "bestenfalls" angesagt ist: "Wie wichtig die Arbeit der Brandermittler ist, zeigt sich an Fällen wie Solingen, Mölln und nun Lübeck. Oft erweist erst ihr Befund, um welche Art Tragik es sich handelt: Mordlust, Fahrlässigkeit oder einen technischen Defekt"(Spiegel 4/96). Na bitte: Abgesehen von der Unterstellung der objektiven Ermittlung der Behörden spielen gesellschaftliche Ursachen keine Rolle mehr, es geht nur noch darum, welche Form des Umgehens "wir" für "welche Art Tragik" finden. Alles irgendwie nicht schön, aber alles auch irgendwie Schicksal.
Und die verbliebenen antirassistischen und antifaschistischen Ansätze wie auch die Reste demokratischer Öffentlichkeit werden sich künftig verstärkt damit konfrontiert sehen, daß ihre verschiedenen Befürchtungen von Anfang an mit abgehandelt und ziemlich schnell als haltlose Unterstellungen erledigt werden. Denn die seit Solingen festzustellende Generallinie, daß es in Deutschland in der offiziellen und von den meisten sehnlichst geglaubten Lesart keine nennenswerte "ausländerfeindlich motivierte Gewalt" mehr gibt, ist durch die diesmalige Inszenierung optimiert und erfolgreich auch auf ein weltweit schlagzeilenträchtiges Ereignis angewandt worden. Es ist in den letzten Jahren längst üblich geworden, bei den zahllosen Bränden in Flüchtlingsunterkünften oder von ImmigrantInnen bewohnten Häusern, wo es aber keine größeren Menschenopfer zu beklagen gab, quasi schon mit dem ersten Alarmruf zu verkünden, daß es mit größter Wahrscheinlichkeit ein "technischer Defekt" oder die BewohnerInnen selber waren.
Während die rassistische und antisemitische Gewaltspur und die Zahl der Angriffe auf alle Menschen, die nicht in das Bild vom normalen Deutschen passen, stetig ansteigen, wird Deutschland in der offiziellen Lesart immer anständiger und die Deutschen werden in dieser Vorgaukelung geradezu vorbildlich tolerante Zeitgenossen. Aber diese Gemeinschaft friedliebender Menschen wird leider immer wieder das Opfer von "fremden Mächten" oder die Deutschen heimsuchender "exotischer Gewalt". Die Urteilsbegründung anläßlich des Verfahrens gegen einen Deutschen, der einen Gambier in einem Zug ermordet hatte, bringt es auf den Punkt: Er wurde wegen Notwehr freigesprochen, weil er sich durch die demonstrative Anwesenheit des Schwarzen bedroht gefühlt hatte.
Die Schicksalsgemeinschaft der Deutschen, die genug mit ihrem gewöhnlichen rassistischen Alltag zu tun hat, will endlich und endgültig "mit der Elle des Normalmaßes" gemessen werden. Nach den Mühen der mehr als zehnjährigen Geschichtseinebnung von Bitburg bis zum 8.Mai 1995, dem so sorgsam und erfolgreich inszenierten Sieg über die Vergangenheit, will sich dieses Deutschland nicht mehr länger seine Geschichte vorhalten lassen. Im Gegenteil: Angesichts der Studie der Innenministerkonferenz "Polizei und Fremde" zeichnet sich ab, daß Deutschland auch in dieser Frage künftig in die Offensive gehen wird: Demnach laste die deutsche Geschichte auf den Beamten. Sie sehen sich in Kontakten mit Ausländern häufig dem Nazi- und Faschismusvorwurf ausgesetzt. Die rassistische Wirklichkeit dieses Landes endgültig auf den Kopf stellend wird dann bekundet: "Die Ausländer nutzen die deutsche Geschichte, um Oberwasser zu bekommen". Die Tätergemeinschaft der Deutschen als das Opfer von Ausländern und ungerechtfertigten Vorwürfen, die Deutschland verantwortungslos die Vorgaukelung seiner aktuellen Wahnidee erschweren: Daß "wir" hier ein weltoffenes und ausländerfreundliches Land seien.
Weiterhin muß alles dafür getan werden, daß Safwan Eid aus dem Knast kommt. Aber selbst, wenn Safwan Eid freigelassen werden muß, begründen die rassistischen Methoden der sogenannten Ermittlungen, die Ermittlungen selbst, die Rolle der Medien in diesem Schauspiel sowie die problemlose Ausrichtung der Gesellschaft auf die präsentierte Version der Ereignisse die Forderung nach einer internationalen Untersuchung. Deutschland darf im Zusammenhang mit dem Lübecker Anschlag seiner Verantwortung nicht entkommen!!
Adresse:
Safwan Eid
JVA Lübeck
Marliring
23566 - Lübeck