"Die Nachkriegszeit ist beendet, die Vorkriegszeit hat begonnen"

(Zitat von dem Kabaretisten Dieter Hildebrandt)

Vor einem Monat sind die Geschäfsräume der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär vom Berliner Staatsschutz durchsucht worden; ebenso wurden die Anzeigenabteilungen von taz und junge Welt durchsucht. Anlaß war der Wunsch der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin, die für Erstellung und Verbreitung des Plakates "Ja, Morden." Verantwortlichen zu finden, da einige hochrangige Bundeswehrsoldaten und Politiker Strafantrag gestellt hatten. Die Durchsuchungen sind ein weiterer Schritt der Kriminalisierung antimilitaristischer Arbeit und belegen die neue Qualität der Bemühungen, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und -verbreitung zugunsten eines "Ehrenschutzes" für die Bundeswehr und ihre Soldaten zurückzudrängen und zu beschneiden. Dieses Bemühen ist nicht neu und findet nun einen Ausdruck in der "Lex Bundeswehr" , dem gesetzlich verankerten Soldatenehrenschutz. Wir sehen diese Kriminalisierungen von Menschen aus antimilitaristischen Bewegungen im Zusammenhang des Gesamtkontext der zunehmenden Verschärfung des innenpolitischen Klimas.

Darum halten wir es für wichtig verschiedene Bereiche, in denen sich die innenpolitischen Verschärfungen auswirken zu thematisieren und in den Gesammtzusammenhang zu stellen.

Aus "tendenz" Frühling 96, radikaldemokratische Zeitung der JungdemokratInnen - Junge Linke

Kommentar

Soldaten sind Mörder. Aber psst!

Die Bundesregierung will einen Ehrenschutz für Mord im staatlichen Auftrag. Zu Recht.

"Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder."

Das hat Tucholsky 1931 über den 1. Weltkrieg geschrieben. Und der Versuch, das zu bestrafen, ist von der damaligen militärfrommen Justiz zurückgewiesen worden. Weil a) Bonn nicht Weimar ist und b) die Hauptstadt jetzt Berlin heißt, soll sich soetwas auf deutschem Boden nie wieder ereignen. Zumindest wenn es nach der Bundesregierung geht. Sie hat ein Gesetz für den Ehrenschutz der Bundeswehr eingebracht. Das Verfassungsgericht hat 1995 geurteilt, daß die Wahrheit über das Kriegshandwerk nicht immer unter allen Umständen als Beleidigung der Kriegshandwerker anzusehen ist. Wie immer, wenn Karlsruhe daran errinnert, daß das Grundgesetz und das CSU - Parteiprogramm nicht völlig identisch sind, hat es dafür kräftig Schelte bezogen. Die Bundesregierung hat nun die Idee gehabt, einfach ein Gesetz zu machen. Mit dem kann mensch dann praktisch verbieten, was den schönen neugroßdeutschen Konsens stört. Und das ganz ohne Zensurbehörde! Zumindest hofft die CDU/CSU das - denn ob und wie so ein Gesetz verfassungskonform sein würde, ist ja auch noch nicht raus. So richtig neu ist die Idee nicht. Schon 1989 schluchzte der damalige Verteidigungsminister Stoltenberg in die Mikros: "Ich werde mich mit allem Nachdruck für einen wirksamen Ehrenschutz der unserem Staat dienenden Soldaten einsetzen, (...) erforderlichenfalls durch eine Änderung des zur Zeit möglicherweise unzureichenden Rechts" (Bundeswehr Aktuell Nr. 80). Anlaß: Das Frankfurter Landesgericht wollte einen Arzt nicht für den Satz "Soldaten sind potentielle Mörder" - die Langweiler-Form des Tucholsky-Zitats - verknasten. Seitdem durch deutsche Außenpolitik und die dazu passende Rechtsprechung aus Karlsruhe die potentiellen Mörder immer wahrscheinlicher wirklich jemanden vor die Flinte kriegen, hört mensch häufiger den Satz in seiner alten - und richtigen - Fassung: Soldaten sind Mörder. Was auch sonst?

Soldaten sind Soldaten ...

Eigentlich braucht´s das alles gar nicht: Soldaten sind Soldaten. Das müßte als -Beleidigung schon reichen. Tut es aber nicht. Also muß mensch das noch deutlicher machen. Das Strafgesetzbuch definiert in § 211 einen Mörder als jemanden, der/die "aus niedrigen Beweggründen" oder "mit gemeingefährlichen Mitteln" "einen Menschen tötet". Na Bitte! Der Staat sieht das natürlich anders. Welche Regierung läßt sich schon nachsagen, "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" oder die Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen" Verteidigungspol. Richtlinien) seien niedrige Beweggründe, um Leute umzulegen. Welche Regierung läßt schon das ganz teure Mordgerät als gemeingefährliche Mittel bezeichnen. Wenn eine Tötung Mord ist und wann nicht, definiert der Staat. Diese Lektion in Rechtspositivismus verdanken wir dem aufgeregten Geschrei um die Wahrheit.

.... und werden gebraucht

Die Bundesregierung hat Sorgen. Zwar steht der Großteil der Bevölkerung hinter dem neuen Deutschland und seinen Aufgaben und Interessen. Grundsätzlich sind sich Regierung und Volk ganz einig: "Ein souveräner Staat muß wehrhaft und wehrbereit bleiben, um sich gegen die Unwägbarkeiten künftiger Entwicklungen zu wappnen". Das Ausland mopst uns nicht nur durch niedrigere Lohnstückkosten die Arbeitsplätze - ihm ist auch nicht zu trauen. So sieht die Welt aus!

Die Jungs, mit denen der Staat anderen Staaten droht und ohne die Weltpolitik nicht geht, sollen sich nicht nachsagen lassen müssen, daß sie tun, was sie tun.

Zum politischen Geschäft gehört nun mal, daß bestimmte peinliche Begleitumstände staatlichen Wirkens nicht genannt werden. Es darf erwähnt werden, daß Soldaten "Leib und Leben riskieren" (Bundespräsident Herzog) - unerwähnt hat zu bleiben, daß sie auch "anderer" Leute Leib und Leben riskieren.

Wer das sagt, kriegt was auf die Mütze. Darum zieht der Staatsschutz jetzt eine Razzia gegen die "Kampagne gegen Wehrpflicht" durch.

Meinungsfreiheit stillgestanden!

Denn, so denkt die Bundesregierung kurz und falsch, wenn die Verweigererzahlen in die Höhe gehen, heißt das wohl, daß die Leute die Bundeswehr nicht leiden können. Dem ist nicht so.

Koteletts sind beliebt, aber Metzger will kaum jemand werden. "Peace-enforcement" wird allenthalben gut gefunden - aber selber machen? Nachher muß mensch trotz chirugischer Kriegsführung die Eingeweide des geschlachteten Feindes doch noch selbst zusammenkehren. Igitt! Bomben auf Belgrad!

Auch der neue Bericht der Wehrbeauftragten wirft ja auf die "starke Truppe" (BW-Eigenwerbung) nicht gerade goldenes Licht: Rekruten werden durch Stockschläge in die Genitalien diszipliniert oder bekommen -kleine praktische Vorbereitung- die Nase gebrochen. Zudem reicht es für CDU/CSU , daß der Staat all die tollen Rechte, wie z.B. Meinungsfreiheit, "gewährt". Sie dann auch noch tatsächlich "haben" zu wollen, ist Mißbrauch. Daß dieser Staat so freiheitlich-demokratisch ist, wie er ist, ist ein guter Grund, KritikerInnen das Maul zu stopfen. Die Sozis denken da moderater. Und sie sind sogar der Ansicht, daß die schrullige Ansicht, Soldaten seien Mörder, 1.) auch jetzt schon bestraft werden kann, 2.) irgendwie ja auch so ´ne Meinung ist und 3.) Ehrenschutz für bestimmte Gruppen rechtssystematisch unglaublig knifflich ist. Der Unterschied liegt auf der Hand: "Gärtner sind Mörder" ist - im Regelfall - nicht wahr. "Soldaten sind Mörder" ist wahr. Der besondere Rechtsschutz gegen die Wahrheit entspringt aus der Sache. Da das Gesetz durchkommen wird und sicher auch angewendet werden darf, lauten Tatsachen in Zukunft nur noch so: Peace-Enforcer(innen) sind potentielle Nicht-Totschläger(innen) - bei Fahnenflucht


Info Info Info Info

Am 31. Mai wird in Berlin eine öffentliche Rekrutenvereidigung durchgeführt werden. Dabei sollen mehrere hundert Rekruten, beschützt von mehr als 2000 Ordnungskräften, vor erhofften 25 000 ZuschauerInnen und Prominenz ein öffentliches Gelöbnis ihrer soldatischen Treue ablegen. Am 24.4 findet um 19.00 Uhr in der Oranienstr. 25 in Berlin ein Vorbereitungstreffen für Gegenaktivitäten statt.