Mit dem Holzhammer gegen Flüchtlinge
Australiens Migrationspolitik
Einleitung
Der jüngste Hungerstreik und Protest (bei dem sich die Teilnehmer die Lippen zunähten) von Häftlingen auf der Pazifik– Insel Nauru hat einmal mehr Licht auf Canberras harschen Umgang mit MigrantInnen geworfen. Die 264 Hungerstreikenden werden nach wie vor in Lagern in der winzigen Republik Nauru festgehalten. Sie wurden Ende 2001 von der australischen Marine, bei dem Versuch von Indonesien auf australisches Territorium im Indischen Ozean zu segeln, abgefangen und nach Nauru transportiert, wo ihre Inhaftierung von der australischen Regierung organisiert und finanziert wird. Die meisten Häftlinge kommen aus Afghanistan und dem Irak und sind seit mehr als zwei Jahren in Haft, ein Viertel sind Kinder. Ihre Forderungen nach einem Flüchtlingsstatus wurden abgelehnt. Trotz finanzieller Anreize von Seiten Canberras, lehnen es die meisten Häftlinge nach wie vor ab, in ihre Heimatländer zurückzukehren.
Die Verhältnisse auf Nauru sind schwierig. Sogar für die dort ansässige Bevölkerung. Durch Phosphatabbau wurde die Insel ihrer Vegetation beraubt, für die Wasserversorgung ist die Insel auf eine Entsalzungsanlage angewiesen. Naurus finanzschwache Regierung hat Schwierigkeiten, Diesel für eine Entsalzungsanlage und die Stromerzeugung zu importieren.
Da die Regierung sich weigert, Visa für Journalisten, unabhängige Juristen oder Repräsentanten von NGOs auszustellen, gibt es nur geringe Möglichkeiten die Lage der Häftlinge auf Nauru von unabhängiger Seite einschätzen zu können. Amnesty International hat Berichte aus erster Hand erhalten, dass es in den Lagern nur zwei Stunden am Tag frisches Wasser gibt, dass die Gesundheitsversorgung eingeschränkt ist, dass Kindern der Zugang zu Bildungseinrichtungen verweigert wurde und dass nur ein unzureichendes Angebot an Aktivitäten besteht, um die Zeit zu vertreiben. Andrew Bartlett, Senator der Partei Australian Democrats, hat Nauru zweimal besucht. Nach seinem ersten Besuch im Juli 2003 sagte er, er hätte einen „Ozean der Verzweiflung und der Depression“ besucht. Nach seinem Besuch im Januar diesen Jahres (kurz nachdem die jüngsten Hungerstreiks endeten) warnte er, dass es eine Tragödie geben würde, wenn nichts gegen die „unhaltbare Situation“ in den Haftanstalten unternommen würde.
Die von Australien ergriffenen Maßnahmen, Migration einzudämmen, sind härter als die vergleichbarer Nationen. Sie beinhalten ein militärisches Abfangen der Flüchtingsschiffe auf hoher See, den Zwang zur Rückkehr von überfüllten, gerade noch seetüchtigen Schiffen in indonesische Gewässer und die erzwungene Inhaftierung von MigrantInnen, einschließlich ihrer Kinder. MigrantInnen können erst nach der offiziellen Anerkennung ihrer Fluchtgründe von der Inhaftierung entlassen werden, sonst bleiben sie so lange inhaftiert, bis sie abgeschoben werden. Die Rigidität des Systems ist mit der Tatsache verbunden, dass Australien, im Unterschied zu anderen Ländern, Flüchtlingsschutz nur Menschen garantiert, die gemäß der engen Definition der Flüchtlingskonvention von 1951 Flüchtlinge sind. Neben der Möglichkeit des Migrationsministers in eine Abschiebung einzugreifen, gibt es keine Bestimmung, um Menschen aus humanitären Gründen Schutz zu gewähren, z.B. solchen, die aus Bürgerkriegsgebieten fliehen.
Die Geschichte der Zwangsverwahrung
Außenstehende Beobachter könnten annehmen, dass Australiens harsche Politik das Ergebnis eines großen Ansturms von nicht gewollten MigrantInnen auf Australiens Außengrenzen wäre. Tatsächlich ist der Gegenteil der Fall: Australiens ‚Problem‘ mit Migration ist bescheiden, besonders im Vergleich mit armen Ländern in Afrika oder West-Asien, die mit einer großen Anzahl von Flüchtlingen konfrontiert sind, die ihre Grenzen jeden Tag überqueren. Selbst in dem Zeitraum mit den meisten in Australien ankommenden Flüchtlingsschiffen war die größte Zahl der MigrantInnen eines Jahres 4.175 (im Wirtschaftsjahr 1999/2000). Die Politik der Zwangsinhaftierung wurde nicht aufgrund einer Notsituation eingeführt. Ihre Wurzeln gehen bis in die Zeit vor der Regierung John Howard zurück, mit der sie heute so häufig assoziiert wird. Die „Kultur der Kontrolle“ in der Einwanderungspolitik fand bereits in der berüchtigten „White Australia“ Politik ihren Ausdruck, die Nicht-Europäern den Zugang ins Land von 1901 bis in die frühen 1970er unmöglich machte. Kleine Einwanderer-Inhaftierungszentren wurden bereits vor langer Zeit in Sydney, Melbourne und Perth eingerichtet, während inhaftierte Immigranten in anderen Städten normalerweise in Gefängnisse verbracht wurden. Die routinemäßige Verhaftung von Migranten ohne Visa und die Errichtung von abgelegenen Haftzentren erfolgte jedoch erst nach der Ankunft eines Bootes mit 26 Menschen in Pender Bay nahe Broome im November 1989. Es war das erste Flüchtlingsboot seit 1981 und der Beginn einer zweiten Welle von Menschen, die versuchten, die Australische Küste mit Booten zu erreichen (die erste Welle dauerte von 1976 bis 1981).
An Bord des Pender Bay Bootes und ihm nachfolgender Gefährte befanden sich vor allem Menschen aus Kambodscha. Australien war zu dieser Zeit tief in die Verhandlungen um einen Friedensprozess für Kambodscha involviert, die auch die Rückführung von 300.000 kambodschanischen Flüchtlingen aus Lagern an der thailändischen Grenze vorsah. Die Regierung fürchtete, dass das Vertrauen auf den Friedensplan untergraben würde, wenn Kambodschaner in Australien als Flüchtlinge anerkannt würden Premierminister Bob Hawke erklärte rasch, dass diese Flüchtlinge keine „politischen“ sondern „ökonomische“ Flüchtlinge seien. Er sagte, er werde es nicht erlauben, dass kambodschanische Asylbewerber sich in der Schlange vor Australiens ordentlichem Einwanderungsprogramm „vordrängelten“. Die Inhaftierung entwickelte sich schnell zu einem formalisierten System, bald fanden sich auch andere Rechtfertigungen für den Freiheitsentzug, u.a. dass so von weiteren Einreiseversuchen abgeschreckt würde.
Die aktuelle Regierung geht mit dieser Begründung vorsichtiger um, vielleicht in dem Bewusstsein, dass sie zu Angriffen einlädt, da eine Inhaftierung zu Abschreckungszwecken den Richtlinien zur Verwahrung von Asylsuchenden des UNHCR von 1985 widerspricht. Stattdessen wird nun häufiger das Argument angebracht, dass die Einwanderungsgesetze eine Sicherungsverwahrung verlangen würden. Mit anderen Worten, es ist die Politik der Regierung, weil es Gesetz ist. Es wird auch behauptet, diese Praxis würde die Integrität der australischen Einwanderungs- und humanitären Programme aufrechterhalten, da sie sicherstelle, dass Asylbewerber sofort für Gesundheitschecks, die Bearbeitung jeglicher Visaanträge und die Ausweisung, falls ihren Anträgen nicht stattgegeben werde, verfügbar seien.
Flüchtlingsanwälte argumentieren, dass die Regierung diese administrativen Ziele auch mit einer vorübergehenden Inhaftnahme erreichen könne, kombiniert mit einem System der konditionalen oder genehmigten Freilassung in die Gesellschaft während der Bearbeitung der Asylanträge. Ein solches System wäre humaner und würde die Kosten vermutlich erheblich reduzieren. Aber mehrere aufeinander folgende Regierungen haben wenig Interesse an Alternativen zur Sicherungsverwahrung gezeigt.
Nach der Amtsübernahme im Jahr 1996 privatisierte die Regierung Howard die Haftanstalten für Immigranten. Journalisten wurde der Zugang zu den Anlagen verwehrt und auch die meisten NGOs hatten Probleme, Zutritt zu erlangen. Alle Angestellten müssen Geheimhaltungserklärungen unterschreiben. Aber trotz der Geheimhaltung war das Bekanntwerden der Probleme in den Haftzentren unvermeidlich, als Gefangene auf verzweifelte Maßnahmen wie Hungerstreiks, das Zusammennähen der eigenen Lippen, Selbstmordversuche und Revolten zurückgriffen. Die nachfolgende Berichterstattung löste eine gequälte nationale Debatte aus und entzündete eine Bürgerkampagne gegen Zwangsverwahrung. Die harte Linie der Regierung erwies sich jedoch als populär und im August 2001, im Vorfeld zu nationalen Wahlen, nutzte die Regierung Howard die Gelegenheit, noch einen Schritt weiter zu gehen.
„Pazifische Lösung“ oder Nauru Notlösung?
Am 26. August rettete der norwegische Frachter MV Tampa 433 Asylsuchende von einem sinkenden Holzboot im indischen Ozean. Die Tampa brachte sie zum nächsten Hafen auf den Weihnachtsinseln (australisches Territorium), aber Premier Howard erlaubte dem Schiff nicht, seine Passagiere an Land zu bringen, er verlangte die Verschiffung nach Indonesien.
Howards Haltung provozierte einen internationalen Zwischenfall, der Norwegen, Australien, Indonesien und den UNHCR einschloss. Nach einigen Tagen – welche die Asylsuchenden auf dem offenen Deck des Frachters verbrachten – wurde ein verzweifelter Deal erreicht. Neuseeland stimmte zu, 131 Asylsuchende aufzunehmen, vornehmlich Familien, Kinder und Frauen ohne Begleitung. Der Rest wurde nach Nauru geschickt und auf Canberras Weisung hin eingesperrt, während der UNHCR ihre Anträge auf Anerkennung als Flüchtlinge bearbeitete.
Die sogenannte „pazifische Lösung“ war geboren. In den darauffolgenden Wochen stoppte die Marine alle Schiffe, die Asylsuchende an Bord hatten, sobald sie australische Hoheitsgewässer erreichten. Wenn sie nicht zurück nach Indonesien gezwungen werden konnten, wurden die Passagiere nach Nauru verbracht und eingesperrt. Als die Zahl der Gefangenen auf um die 1.500 anstieg, wurde ein weiteres Internierungslager in Papua Neu-Guinea eröffnet (das wie Nauru auf australische Entwicklungshilfe angewiesen ist). Australische Staatsangestellte entschieden über das Schicksal der Gefangenen, aber ihre Entscheidungen wurden außerhalb der australischen Rechtsprechung getroffen und es gab keine Garantie, dass Antragsteller, die als Flüchtlinge anerkannt wurden auch wirklich in Australien angesiedelt werden würden. Diese dramatische neue Maßnahme erwies sich als wirkungsvoll, um Neuankömmlinge abzuschrecken. Ebenso erwies sie sich als ein effektiver Weg, um Wahlen zu gewinnen, besonders in der ängstlichen Stimmung nach dem 11. September 2001. Im November 2001 wurde die Regierung Howard wiedergewählt. Die Rechnung für die Ausdehnung der Inhaftierungspolitik betrug 500 Millionen Australische Dollar öffentlicher Gelder und ein nicht kalkulierbares Ausmaß an menschlichen Leid. Es wurde nichts zur Reduzierung der Flüchtige auf der Welt, noch etwas zur Behebung der Ursachen von Migration beigetragen.
Das noch immer ungelöste Schicksal von 264 auf Nauru eingesperrten Menschen zeigt, dass die „pazifische Lösung“ eben überhaupt keine Lösung war und ist.
Peter Mares
Peter Mares ist Journalist und Mitglied der Forschungsabteilung des Institutes für Sozialforschung der Swinburne Universität, Melbourne. Er ist der Autor von „Borderline. Australias response to refugees and asylum seekers in the wake of the Tampa“ (UNSW Press 2002)