Göttingen: Mackenrode: Prozess am 15.April in Goettingen
Ab dem 15.4.98 kommt es vor dem Landgericht Göttingen zu einem Prozeß gegen fünf Linke, denen vorgeworfen wird, am 26.10.91 - vor mehr als sechs Jahren - in Mackenrode an Auseinandersetzungen mit Nazis aus dem Umfeld des damaligen FAP-Funktionärs Karl Polacek beteiligt gewesen zu sein. An jenem Abend waren wie so oft aus Göttingen und anderen Städten
ca. 30 Nazis bei Polacek zusammengekommen. Um den Faschos klar zu machen, daß sie hier (und anderswo) unerwünscht sind, kam es von antifaschistischer Seite zu einer Spontan-Demo zum Versammlungsort. Die ca. 50 DemonstrantInnen wurden von den aus dem Haus stürmenden Nazis sofort angegriffen, so daß es zu einer ca. 20 minütigen Auseinandersetzung kam, in deren Verlauf vier Nazis schwerer und einige leicht verletzt wurden. Nach der Aktion stellten die Bullen, die in der weiteren Umgebung Mackenrodes Straßensperren errichtet hatten, willkürlich die Personalien von 15 Menschen fest.
Vorgeschichte und Hintergrund
Seit 1983 unterhielt Polacek, ehemals NPD-Mitglied, in seinem Haus in Mackenrode einen Treffpunkt für Nazis. Ab Funktionalisierung der FAP als Nachfolge-Partei der verbotenen ANS/NA
(Aktionsfront nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten, M.Kühnen)
diente das Haus u.a. als deren Schulungszentrum, sowie als Anlaufpunkt für von Polacek rekrutierte Jugendliche. Mackenrode war der Kristallisationspunkt v.a. der militanten rechtsextremen Szene in
Südniedersachsen. Von hier gingen zahllose Übergriffe und Aufmärsche der Nazis aus. Gerade in den Jahren 90/91 war bundesweit eine rechte Aufbruchsstimmung zu spüren. Nach dem chauvinistischen Wiedervereinigungstaumel wurde das reaktionäre Rollback der "geistig-moralischen" Wende forciert. Im September 91 hatten Nazis unter dem Beifall und der Mithilfe von Teilen der Bevölkerung in Hoyerswerda das erste Pogrom innerhalb der BRD angezettelt Der gesellschaftliche Rechtsruck sowie die offene Duldung, mitunter sogar Unterstützung rassistischer Gewalt und rechter Propaganda durch die Staatsgewalt bedeuteten eine faktische Sanktionierung der Vorkomnisse. Auch in Göttingen fallen in diese Zeit zahlreiche Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Aktiv wurden Staatsschutz und Bullen erst, und dies nur widerwillig, als der internationale Druck, endlich gegen den aufkeimenden Rechtsextremismus vorzugehen, wuchs. Ganz anders das
Verhalten gegenüber der Antifa-Selbsthilfe. Wo immer sich in der BRD
konsequenter Antifa-Widerstand regte, der auch militante Aktionen
beinhaltete, setzte massive Verfolgung und Kriminalisierung ein, weil die Herrschenden ihr Gewaltmonopol in Frage gestellt sahen. In Göttingen war es unter anderem durch militante Aktionen gelungen, das offene Auftreten von Nazis weitgehend einzudämmen und auch ihre Schlupfwinkel weniger sicher zu machen. Selbst die Ausweisung Polaceks im Frühjahr 92 ist v.a. auf die beharrliche Antifa-Arbeit zurückzuführen. Die Auseinandersetzungen in Mackenrode am 26.10.91 und die Behinderung einer Arbeitstagung des rechtsextremen "Studentenbundes Schlesien" zum Thema
"Beobachtung und Bekämpfung autonomer Antifas" durch AntifaschistInnen in Bursfelde nahm der Staatsschutz zum Anlaß die große Kriminalisierungskeule zu schwingen und die gesamte Göttinger Antifa-Szene auszuleuchten. Möglich wurde dies, als sich das LKA einschaltete und nach §129/a (Bildung, bzw. Unterstützung einer kriminellen/terroristischen Vereinigung) ermittelte, nachdem den 15 (am 26.10.91) in den Straßensperren kontrollierten Menschen 52 (!) Anschläge der zurückliegenden zehn Jahre vorgeworfen wurde. Die BekennerInnenschreiben zu Bursfelde und Mackenrode wurden als Anlaß genommen, gegen die Göttinger Gruppe "Antifa(M)" und die "Antifa Jugendfront" zu ermitteln sowie die "Antifa(M)" zur terroristischen Vereinigung hochzustilisieren. LKA`ler rannten mit "Lichtbildmappen" zu allen bekannten Göttinger Nazis und forderten sie auf, die ihnen bekannten Antifas zu identifizieren und nach ihrer vermeintlichen Funktion einzustufen. Desweiteren rollte eine in diesen Dimensionen in Göttingen bisher unbekannte Überwachungs- und Ausspionierungswelle an:
Post- und Telefonüberwachung, Einsatz von Video und Richtmikrofonen, Überwachung von MitbewohnerInnen, NachbarInnen, FreundInnen und Bekannten der "Verdächtigen". Über 100.000 (!) Telefonate wurden abgehört.
Vorläufiges Ergebnis dieser umfassenden Überwachung waren das
mittlerweile eingestellte Antifa(M)-Verfahren, ein Verfahren gegen die BetreiberInnen des Buchladens Rote Straße wegen des Vertriebs
"verfassungsfeindlicher" Schriften und das Verfahren wegen Mackenrode.
Zum jetzigen Verfahren
Den fünf Angeklagten - vier Männer und eine Frau -
werden Landfriedensbruch, schwere Körperverletzung sowie in jeweils einem Fall versuchte Brandstiftung bzw. versuchter Totschlag vorgeworfen. Die Anklage stützt sich ausschließlich auf die Aussagen von drei Nazis, die aus den ihnen vom LKA vorgelegten "Lichtbildmappen" zunächst elf Leute "identifizierten", die sie trotz Vermummung am 26.10.91 erkannt haben wollen. Die frechen Lügen der Faschos bei diversen Vernehmungen legen den Schluß nahe, daß die BeamtInnen des BKA erheblich geholfen haben ihre
Aussagen so zu präzisieren, daß sich letztlich die fünf nunmehr
Angeklagten als Hauptverdächtige des Mackenrode-Verfahrens
herauskristallisierten. Die Liste der Nazi-Zeugen: Thorsten Heise,
Landesvorsitzender der (mittlerweilen verbotenen) FAP, hat versucht mit seinem Wagen einen Flüchtling zu überfahren und ist wegen diverser Körperverletzungen verurteilt worden; Michael Homeister, damals aktives FAP-Mitglied, Kroatien-Söldner, Waffenschmuggler, saß zuletzt in der JVA Wolfenbüttel wegen diverser schwerer Gewalttaten; Stefan Koller, ehemaliger Leiter des Referats Propaganda der FAP, mehrfach verurteilt.
Mit Stefan Bliesmer, damals Schatzmeister der FAP-Niedersachsen sowie Mitglied in der Wiking-Jugend und Hilfsgemeinschaft nationaler Gefangener (HNG), und Glenn Goertz, ehemaliger FAP-Bundesgeschäftsführer, stehen zwei weitere überregionale Nazigrößen auf der Zeugenliste. Weiteres Beweis- oder Belastungsmaterial existiert nicht!
Dennoch ist trotz der ganzen Abstrusität des Verfahrens eine Verurteilungnicht (nie!) ausgeschlossen, zumal dieser Prozeß die letzte Möglichkeitbietet, den immensen Verfolgungsaufwand gegenüber der Öffentlichkeit zurechtfertigen. Wir wollen den Prozeß nutzen, um auf all das aufmerksam zumachen, um die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes in und umGöttingen zu erzählen und um den Menschen Mut zu machen, ihren Teil dazu beizutragen Widerstand ist nicht kriminell, sondern notwendig! (manchmal
ist auch einfach Kriminelles notwendig., d.setzer)
Spenden zur Unterstützung des Prozesses bitte auf folgendes Konto:
A. Goldau, Kto.Nr. 415672-203, BLZ 25010030, Postbank Hannover
(gekürzt und zusammengestellt aus: göttinger Drucksache Nr.294)
|