Bielefeld: Bielefeld: Pressemitteilung zur Einkesselung der Reclaim the Streets Party
Bielefeld, den 26.4.98 Pressemitteilung
Polizei Großaufgebot ermöglicht stundenlange Straßenblockade - 200
Menschen nach der RECLAIM the streets Party über 15 Stunden in
Polizeigewahrsam festgehalten.
Der 25 April 98 wird in Bielefeld sicherlich nicht so schnell vergessen
werden. Denn der Einsatz eines aufwendig ausgerüsteten
Polizeigroßaufgebotes über 10 Stunden lang zur Zerschlagung eines
Haufens von ca. 300 Tanzenden im Bielefelder Westen vom Samstag
nachmittag bis in den späten Abend geschieht sicherlich nicht jeden Tag.
Daß diese kulturell beeinflußte Demonstration den politischen
Hintergrund des derzeitig zunehmend spürbaren Sicherheitsfanatismus
hervorhebt, der vermehrt die spezielle Aussonderung und Ausgrenzung von
an den Rand gedrängten Gruppen wie Migrantlnnen, Obdachlosen,
DrogenuserInnen, Punks usw. bedeutet - und der perspektivlosen
Verkehrspolitik die allein die Verwertbarkeit und das Auto in den
Vordergrund stellt, statt den Menschen, - erklärt sicherlich auch die
unverhältnismäßig repressive Reaktion der Ordnungskräfte. Das an
diesem Datum anstehende Jubiläum zum 5 jährigen Bestehen des Anti A
33 Hüttendorfes als Anlaß dieser Demonstration bot anscheinend
zusätzlich arlamierende Gründe genug, hier quasi den polizeilichen
Notstand auszurufen, um die viel beschworene, rechtspopulistische
"Innere Sicherheit" wieder herzustellen, die wohl schwerlich durch ein
tanzendes Häuflein Menschen erschüttert wird. Daß die Polizei durch ihre
Überraschend, beinahe panische Reaktion eine stundenlange
Straßenblockade und mit dem martialisch abgesicherten Polizeikessel eine
fast schon groteske Situation mit äußerst bewegter Party eigens erst
ermöglichte, läßt doch an Sinn und Unsinn derartiger Polizeieinsätze
zweifeln.
WAS IST GESCHEHEN ?
Noch bevor die vom Anti A 33 Hüttendorf organisierte
Reclaim the streets-Party am Bielefelder Hauptbahnhof beginnen konnte,
untersagte die Polizei die Nutzung der Lautsprecherwagen mit der
Begründung diese Versammlung sei keine Demo mehr, sondern eine reine
Musikveranstaltung. Die Polizei zeigte sich in keinster Weise
kooperartiv, da sie uns Ihre Verfügung, keine Lautsprecherwagen zu nutzen
erst zu Beginn der Demo überreichte, obwohl wir die Demo fristgemäß
angemeldet haben. Da wir aber schon alles vorbereitet hatten und wegen
dieser unkooperativen Verhaltensweise der Polizei nicht auf die
Veranstaltung verzichten wollten meldeten wir spontan eine Demo gegen
das Musikverbot an. Auch diese belegte die Polizei mit der Auflage
eines totalen Musikverbotes. Sämtliche Versuche von uns, in
Verhandlungen über die Lautstärke einen Kompromiß zu erzielen, schlug
die Polizeiführung aus. Da wir unter diesen Vorrausetzungen diese Demo
auflösten und die Polizei den beginnenden Umzug noch am Bahnhof stoppte,
zogen die TeilnehmerInnen in kleinen Gruppen zum Flohmarkt am
Siegfriedsplatz, wo mit einem neuen Versuch, eine Techno Acid Party
gestartet wurde und auf einer kleinen Straßenfläche, die mit Dreibeinen
vor allzu schnellem Polizeizugriff geschützt wurde, getanzt wurde.
Obwohl wir gleich zu Beginn Verhandlungsbereitschaft signalisierten und
die Party auf eine Dauer von 2 Stunden beschränken wollten, fing die
Polizei schon sehr schnell an, den Platz zu kesseln. SCHON ZU DIESEM
ZEITPUNKT AB 18 UHR konnte niemand mehr aus dem Kessel heraus. Die
Polizei versprach zwar, niemanden Festzunehmen der/die freiwillig gegen
Vorlage des Ausweises den Kessel verläßt. Trotzdem wurden ca 60
Personen, die der polizeilichen Aussage Glauben schenkten, sofort
verhaftet und mußten danach die weiteren 15 Stunden im Knast verbringen.
Gleichzeitig wurde von uns eine Demo zum AJZ angemeldet. Wir sicherten
der Polizei zu auf dieser Demo keine Musik zu machen. Trotzdem
entschied der Einsatzleiter vor Ort, der zu diesem Zeitpunkt das Gesetz
des Handelns völlig in seiner Hand hatte, allein aufgrund des
Polizeirechtes, die Situation mit einem Kessel eskalieren zu lassen.
Die Demo lehnte er ab. Weiteren Verhandlungen mit uns entzog er sich durch
Hochkurbeln der Fensterscheibe seines Fahrzeuges. Ein letzter
Verhandlungsversuch,
einen freien Abzug gegen Vorlage der Personalausweise zu erreichen wurde
vom Sondereinsatzkommando mit der sofortigen Verhaftung der verhandelnden
DemoteilnehmerInnen beantwortet.
Kurze Zeit später beantragte der Polizeieinsatzleiter eine richterliche
Entscheidung. Allein aufgrund seiner Darstellung der Situation vor Ort,
zu der die Gegenseite keine Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt
wurde, entschied der Richter die Verhaftung der gesamten Party gut zu
finden und einer Festsetzung in Polizeigewahrsam bis zum anderen Morgen
8 Uhr zuzustimmen. Bis 0 Uhr 30 wurden gut 200 Personen teils unter
brutaler Gewaltausübung von Seiten der Polizei verhaftet. Menschen
wurden bei der Verhaftung die Arme bis über die Schmerzgrenze verdreht,
Menschen wurden über den Asphalt geschleift, so das sie Prellungen und
Schürfwunden erlitten. Menschen wurden unter Anwendung von CS-Gas und mit
Knüppeleinsätzen drangsaliert. Bei der Festnahme wurden
Menschen die Hände so stark abgeschnürt, daß sie sich nach einer
Nacht im Knast in ärztliche Behandlung begeben mußten: Besonders
Personen, die sich auf der Straße an Betonfässern angekettet hatten wurden
der Kopf und Extremitäten brutal verrenkt. Im Knast selbst ging die
unwürdige Behandlung weiter. Neben massiver Gewaltandrohung und sexueller
Beläsigung von mehreren Frauen, wurden Menschen teilweise 15 Stunden
ohne Trinkwasser festgehalten, Teilweise konnten sie Leitungswasser aus
Hundenäpfen trinken. Über mehrere Stunden hinweg durften viele keine
Toilette besuchen, so daß sie gezwungen wurden dies in aller
Öffentlichkeit zu errichten. Das Recht, vom Gefängnis aus, Personen
seines/ihres Vertrauens telefonisch zu benachrichtigen, wurde nahezu allen
Menschen verweigert. Menschen, die sich von außen um die Verhafteten
kümmern wollten, wurden falsche Auskünfte oder gar keine gegeben, wer
denn nun noch im Knast sitzt. Über 100 Leute wurden erst bis zu zwei
Stunden später aus dem Gefängnis entlassen, als in der richterlichen
Verfügung zugebilligt wurde. Derzeit (26.4. 16 Uhr) ist immer noch nichts
klar über weitere 16 Personen die wohl immer noch in Gewahrsam sitzen.
Die Polizei sagt dazu kein Wort.
Dieser Bielefelder Kessel und die Massenverhaftung von ca 200 Personen
ist eine neue Qualität der Repressiven Staats-und Polizeigewalt
gegenüber Andersdenkenden, die bislang für Bielefeld einmalig ist.
gez. wir ausm Hüttendorf + UnterstützerInnen
|