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Luebeck: Luebeck: Prozesserklaerung zu Antifaverfahren

Am 25.8. fand der erste Prozesstermin im Zusammenhang mit den Antifa-
Aktionen in Lübeck vom Januar und März statt. Nach der Verlesung der
Prozesserklärung der Angeklagten, wurde der Prozess vertagt, da ein Zeuge
nicht erschienen war.

Alle Menschen, die von Bußgeld- und Starfverfahren betroffen sind, melden
sich bitte bei:
Rote Hilfe Ortsgruppe Kiel, Postfach 6444, 24125 Kiel, Fax 0431-75141

Klar ist, daß die anstehenden Verfahren einen Haufen Geld verschlingen
werdne. Also spendet reichlich auf das Solikonto!
Rote Hilfe Ortsgruppe Kiel
Stichwort: Lübeck
Konto-Nr 91 012 880
BLZ 210 501 70 Sparkasse Kiel

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Mir wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, ich hätte mehrmals
versucht, den Zeugen Wieck in die Finger der linken Hand zu beißen und
damit Widerstand geleistet.

Dazu erkläre ich: den Mund aufzumachen und die Zähne zu Zeigen, läßt sich
neben anderen Aktionsformen auch für mich unter 'Widerstand' subsumieren:
Nämlich dann, wenn es darum geht, dem Schweigen der Mehrheit ein
lautstarkes NEIN entgegenzuhalten -
ein NEIN zu den täglich stattfindenden Angriffen auf das Leben und die
Würde von MigrantInnen und Flüchtlingen, sei es durch staatliche
Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik oder sei es durch prügelnde und
mordende Faschisten und Rassisten
ein NEIN zu einer Gesellschaft in der nur die zählen, die weiß, deutsch,
reich, männlich, leistungsfähig, jung und schön sind.

Widerstand kann sein: Der Versuch, einen faschistischen Aufmarsch zu
verhindern, faschistische Propaganda unmöglich zu machen oder dem
rassistischen Konsens in der deutschen Gesellschaft etwas
entgegenzusetzen.
Zu diesem Widerstand bekenne ich mich auch hier. Denn es geht in diesem
Prozess nicht darum, ob ich versucht habe in einen Finger zu beißen, ja
nicht einmal darum, ob der Polizeieinsatz nach den geltenden Gesetzen
rechtmäßig war oder nicht.
Es geht in diesem Prozess, wie auch in denen, die in den nächsten Wochen
noch folgen werden, um den Versuch Antifaschistinnen und Antifaschisten zu
kriminalisieren.

Ich habe am 31.1.1998, wie viele andere auch, an den Aktionen gegen den
AUfmarsch des 'Bündnis Rechts für Lübeck' teilgenommen.
Das 'Bündnis Rechts' wurde anläßlich der schleswig-holsteinischen
Kommunalwahlen von führenden Neonazi Kadern gegründet und in der Folge von
einer bundesweiten Neonazistruktur, die sich 'Frei Nationalisten' nennen
unterstützt. Die 'Freien Nationalisten' sind ein Zusammenschluß aus
Anhängern und Kadern verbotener faschistischer Organisationen, wie der
'Nationalen Liste', der 'FAP' oder der vor ihrem Verbot von Christian
Worch und Thomas Wulf geführten 'Wiking Jugen'.
Die Organisierung und der Ablauf des geplanten Aufmarsches lagen denn auch
maßgeblich in den Händen der 'Freien NAtionalisten'.
Verhindert werden konnte der Aufmarsch, der vom OLG Schleswig in letzter
Ninute genehmigt worden war, nur dadurch, daß Antifaschistinnen und
Antifaschisten Barrikaden errichteten und so den Bürgermeister Lübecks zu
einem Verbot wegen "Gefahr für die Sicherheit und Ordnung' zwangen.

Widerstand gegen Faschisten ist nicht kriminell, sonder für mich
selbstverständlich.

Ich habe einen Großvater, der als einer der ersten in der HJ
mitmarschierte und später als Funker in der Luftwaffe für den Mord an
Menschen in der Sowjetunion mitverantwortlich war.
Ich habe eine Grßmutter, die später erzählte, wie sie die Züge mit den
Menschen, die in die KZ deportiert wurden gesehen und nichts unternommen
hat.
Ich habe seit meinen Kindertagen eine Bekannte, die als jüdische
Kommunistin verfolgt, und deren Schwester im KZ Ravensbrück gefoltert,
gequält und beinahe ermordet worden wäre.
Ich habe mit Frauen gesprochen, die im Widerstand gegen Faschismus
gekämpft haben und bis heute gegen die traumatischen Erlebnisse und um
ihre Anerkennung kämpfen müssen.
Ich habe eine Freundin, die als Kommunistin in den 70er Jahren
Berufsverbot bekam.
Ich habe Freundinnen und Freunde, die in Folter und Tod abgeschoben werden
sollen, weil die BRD ihre Interessen in der Türkei mit Waffenlieferungen
absichert und den Krieg in Kurdistan finanziert.
Ich habe Freundinnen, die rassistischen und sexistischen Angriffen
ausgestzt sind, weil sie eine dunklere Haut und Haare haben.
Ich habe einen Freund, der zusammengeschlagen und auf den Kopf getreten
wurde, weil er schwul ist.
Diese Erlebnisse, Erfahrungen und Erinnerungen begleiten mich. Sie
erschrecken mich, sie machen mich wütend und machmal auch ohnmächtig.
Sie haben mich aber auch gestärkt. Sie machen meine Augen und mein Herz
offen für andere. Für ihre Lebenssituation, ihre Probleme, ihre Ängste
aber auch für die Wärme von Gemeinsamkeit und Solidarität. Dafür, daß es
mir möglich ist so zu denken und zu fühlen, danke ich meinen Freundinnen
und Freunden, ganz besonders aber auch meinen Eltern.
Sie haben mich gelehrt, aß Widerspruch nicht immer erwünscht, aber um so
notwendiger ist. Er erzeugt Auseinandersetzung und machmal Streit, ist
unbequem.
Ich habe auch gelernt, daß es immer weniger ausreicht, das zu benennen,
was ist - sondern daß es aktiven Widerstands bedarf.

Erich Fried sagt dazu:

Die Gewalt fängt nicht an
wenn einer einen erwürgt
Sie fängt an
wenn einer sagt:
"Ich liebe dich:
du gehörst mir!"

Die Gewalt fängt nicht an
wenn Kranke getötet werden
Sie fängt an
wenn einer sagt:
"Du bist krank:
Du mußt tun, was ich sage!"

Die Gewalt fängt an
wenn Eltern
ihre folgsamen Kinder beherrschen
und wenn Päbste und Lehrer und Eltern
Selbstbeherrschung verlangen

Die Gewalt herrscht dort
wo der Staat sagt:
"Um die Gewalt zu bekämpfen
darf es keine Gewalt mehr geben
außer meiner Gewalt!"

Die Gewalt herrscht
wo irgendwer
oder irgendwas
zu hoch ist
oder zu heilig
um noch kritisiert zu werden

oder wo die Kritik nichts tun darf
sondern nur reden
und die Heiligen und die Hohen
mehr tun dürfen als reden

Die Gewalt herrscht dort wo es heißt:
"Du darfst Gewalt anwenden!"
aber oft auch dort, wo es heißt:
"Du darfst keine Gewalt anwenden!"

Die Gewalt herrscht dort
wo sie ihre Gegner einsperrt
und sie verleumdet
als Anstifter zur Gewalt

Das Grundgesetz der Gewalt
lautet: "Recht ist, was wir tun.
Und das was die anderen tun
das ist Gewalt!"

Die Gewalt kann man vielleicht nie
mit Gewalt überwinden
aber vielleicht auch nicht immer
ohne Gewalt

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27.08.1998
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