Wuppertal: 1. Mai-Aufruf
Autonome 1.Mai Demo
14.00 Uhr Platz der Republik, Wuppertal
anschließend Straßenfest auf dem Schusterplatz
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Diesmal alles anders!?
Statt eines vereinheitlichenden Aufrufes einige Positionen im Interview
zum 1. Mai.
Warum gehst Du zum 1. Mai auf die Straße?
Das ist im Prinzip schnell gesagt: weil wir den Herrschenden nicht die
Straße überlassen dürfen! Vielmehr sollten wir uns bemühen hier durch
unsere Kritik die herrschenden Verhältnisse in Frage zu stellen und somit
versuchen durch das Formulieren unserer Vorstellungen von einer
selbstorganisierten, emanzipatorischen Lebensform Perspektiven und
Alternativen aufzuzeigen! Gerade dabei ist mir der positive Bezug auf viele
soziale Kämpfe wichtig, denn oft werden gerade hier die zwei Komponenten im
Widerstand gegen Unterdrückung sehr klar deutlich, nämlich die ganz
konkrete Kritik an den Verhältnissen einerseits, häufig aber eben auch ganz
konkrete Perspektiven. Wenn wir am 1. Mai auf die Straße gehen, sehe ich
uns da schon in einer gewissen emanzipatorischen Tradition, da die
Demonstrationen/ Aktionen am 1. Mai immer wieder Ausdruck von
Herrschaftskritik waren und es heute auch noch sind.
Die autonome 1. Mai-Demo war Anfang der 90er eine wichtige Erfahrung für
meine Politisierung. Die Demo, auf der wir radikal gegen Unterdrückung und
den herrschenden Normalzustand auf die Straßen der Wuppertaler Nordstadt
gingen und wo immer auch gelegentlich militant Nazis und Institutionen des
Staates (z.B. die Schule der Bereitschaftspolizei) angegriffen wurden, übte
auf mich eine große Faszination und das Gefühl einer revolutionären
Gegenmacht aus. Auch heute noch gehört sie für mich zu den Höhepunkten des
linksradikalen Veranstaltungskalenders und Tage vorher stellt sich immer
noch ein gewisser Nervenkitzel ein.
Der 1. Mai in Wuppertal ist mit seinem Strassenfest ein ziemlich wichtiger
sozialer Event. Ich denke viele Leute gehen tatsächlich nur deswegen dahin.
Für mich verbinden sich mit der 1. Mai-Demo ganz unterschiedliche
Bedeutungen und Erinnerungen aus verschiedenen Lebensphasen. Außer der
Begründung, da bin ich halt schon immer hingegangen, gibt es für mich
natürlich auch noch andere Gründe, warum gerade diese Demo so wichtig ist.
Ich würde die 1. Mai Demo als "positive Demo" bezeichnen. D.h. wir
reagieren nicht auf etwas, demonstrieren nicht nur gegen ein bestimmtes
Ereignis oder Versuchen etwas zu verhindern, sondern wir gehen auf die
Strasse, weil wir es wollen und wir bestimmen an dem Tag (unter
Einflußnahme unserer grünen Begleitung) wie es läuft und was passiert.
Diese Demo verbindet all die Einzelthemen, zu denen ich den Rest des Jahres
arbeite, zu einer allgemeinen Kritik/einem allgemeinem Widerstand gegen
das System. Wenn ich zu Themen wie staatl. Rassismus, Alltagssexismus oder
Faschismus arbeite, sind das alles nur Einzelstücke eines verbindenden
gesellschaftlichen Systems, das ich als Gesamtes abschaffen will und diese
Zusammenhänge werden am 1. Mai deutlich, da wir dort die Punkte
thematisieren können, die für uns in einem Zusammenhang stehen und die wir
für wichtig halten.
Weil ich meine Wut über die deutschen Alltäglichkeiten auf die Straßen
dieses doch irgendwie liebenswerten Stadtteils tragen möchte. Und weil
nicht jeden Monat die 1. April-Demo sein kann.
Oft wird der 1. Mai als "Tag der Arbeit" bezeichnet. Hat das was mit Dir zu
tun?
Mein Bezug zum 1. Mai als ArbeiterInnen-Kampftag liegt eher in den sozialen
Kämpfen, die in dieser Tradition geführt wurden und werden, als alleinig in
dessen Ursprung (dem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen). Das schließt
Kämpfe um Arbeitsverhältnisse mit ein, beschränkt sich jedoch nicht auf
diese. Die Abgrenzung des autonomen 1. Mai von den die Medien dominierenden
DGB-Kundgebungen läßt sich für mich dabei nicht auf die Gegenüberstellung
der Motive "Kampf gegen/für die Arbeit" vereinfachen. Die politische
Differenz ist jedoch offenkundig: ein Bündnis für Arbeit, in dem ein
vormals antagonistisches Verhältnis von ArbeitnehmerInnen und Kapitalisten
in ein vermeintlich beiderseits gewünschtes Streben nach Sicherung von
Arbeitsplätzen überführt werden soll, ist unvereinbar mit einer radikalen
Kritik von Lohnarbeit, die auf die Uberwindung jeglicher
Unterdrückungsverhältnisse abzielt.
Dem kann ich mich voll und ganz anschließen. Wie gesagt ist der 1. Mai in
einer emanzipatorischen Tradition zu sehen, in der natürlich auch
Arbeitskämpfe, bei denen es sowohl um eine Umverteilung der Arbeit ging,
als aber auch partiell um Verweigerung in der kapitalistischen Produktion,
anzusiedeln sind. Eine Reduzierung darauf halte ich jedoch für verkürzt,
kann nämlich eine antikapitalistische Kritik an den herrschenden
Produktions- und Vergesellschaftungsformen nicht alle Widersprüche und
Unterdrückungsformen befriedigend auflösen und zeigt uns isoliert
betrachtet somit auch nur unzulängliche Perspektiven, bzw. Alternativen
auf.
Auch wenn wir hier "undogmatisch" den Kampf gegen (weltweite) Unterdrückung
durch das herrschende kapitalistische System auch immer als Kampf gegen
Arbeitszwang formulierten (und uns darin wohltuend von der traditionellen
Arbeiterbewegungsphrase "Arbeit für Alle" - sei es kommunistischer oder
sozialdemokratischer Provenienz - unterschieden), so müßte allerdings
gerade eine kommunistische Kritik an dem Arbeitswahn weitergehen und ihn
als Ausdruck der Verwertungslogik des Kapitals selbst begreifen. Hier geht
es um "Produktion um der Produktion willen", also auch "Arbeit um ihrer
selbst willen" aus der objektiven, selbstzweckhaften Bewegung des Werts.
Dies heißt für das Kapital, bei Strafe des eigenen Untergangs aus Geld
immer mehr Geld machen zu müssen. Dafür müssen alle menschlichen
Arbeitsprodukte und die Arbeitskraft selbst die Warenform annehmen, die
damit ein den menschlichen Bedürfnissen gegenüber gleichgültiges
gesellschaftliches Verhältnis darstellt. Deshalb bleibt auch die Forderung
nach mehr "Verteilungsgerechtigkeit" hinsichtlich des Mehrwerts in der
Irrationalität der Warengesellschaft befangen. Die Warenform und damit die
LOHNarbeit selbst ist es, die alles Individuelle, Besondere, die konkreten
Menschen und ihre Lebensäußerungen in das allgemeine Zwangssystem der
Selbstverwertung des Werts zusammenzwingt.
Eigentlich hat der 1. Mai für mich nix mit einem Tag der Arbeit zu tun.
Aber theoretisch finde ich es schon wichtig den DGB-Einheitsdemos etwas
entgegen zusetzen und klar zu machen, daß die Forderung "Arbeit für alle
"erstens schon lange überholt und zweitens totaler Unfug ist und dem unsere
Vorstellungen vom Umgang mit Arbeit bzw. Nichtarbeit entgegen zusetzen.
Wichtiger ist allerdings, dass wir uns den Tag, dem wir in unserer eigenen
Tradition eine neue Bedeutung als internationalem Kampftag aller
Unterdrückten gegeben haben, nicht von den Faschos, die seit ein paar
Jahren versuchen diesen Tag mit großen Aufmärschen zu dominieren, nehmen
lassen. Deswegen sollten wir uns am 1. Mai nicht nur mit selbstbestimmten
Aktionen die Strasse zurück holen, sondern auch verhindern, daß die Nazis
dies ebenfalls tun. Ein Fascho-Aufmarsch am 1. Mai hat mehr Wirkung als die
Aufmärsche des restlichen Jahres, die mittlerweile fast alltäglich geworden
sind.
Der Tag der (nationalen) Arbeit wurde von den Nazis zum Feiertag erklärt,
was auch wunderbar zum Arbeitswahn und Rassismus der Gewerkschaften paßt,
deren Mitglieder schon mal gerne Jagd auf ausländische Billig-
LohnarbeiterInnen machen. Ich demonstriere lieber dagegen, Arbeit als
identitätsstiftenden Lebensmittelpunkt zu sehen, durch den Menschen, die
weniger Leistung erbringen können oder wollen, ausgegrenzt werden.
In den letzten Jahren hat sich ja einiges verändert.
Welche Konsequenzen ziehst Du für Dich und die Möglichkeit Widerstand zu
leisten daraus?
Eines meiner Hauptanliegen im Hinblick auf einen autonomen 1. Mai ist
spätestens seit 1998 die Schaffung eines neonazifreien Kampftages. Der
Mißbrauch dieses Datums durch die Nationalsozialisten, die diesen Tag zum
ihrem "Tag der Arbeit" zweckentfremdeten wird mit Großaufmärschen wie in
Leipzig, auf nicht hinnehmbare Weise fortgesetzt. Am 1. Mai 1998 hielten
dort mehrere tausend Neonazis am Völkerschlachtsdenkmal eine Kundgebung ab
und konnten nur durch die starke Präsenz von AntifaschistInnen am Marsch
durch die Stadt gehindert werden. Für den diesjährigen 1. Mai sind ebenfalls
mehrere Naziaufmärsche von der NPD angemeldet (Berlin, Hannover,
Wetzlar). Die Verhinderung dieser Aufmärsche muß zentrales Anliegen unserer
antifaschistischen Politik sein.
Also, auf der einen Seite habe ich das Gefühl von einer immer größer
werdenden Resignation, dies sowohl bei mir, als auch in Teilen meines
persönlichen und politischen Umfeldes. So scheint es meist, daß wir mit
unserem Handeln ins Leere laufen, bzw. wir nur damit beschäftigt sind zu
reagieren, oder daß sich die Widersprüche, besonders die ganz persönlichen,
nur immer vielfältiger und vertrackter auftun anstatt sich aufzulösen, um
von den fehlenden Auseinandersetzungen erst gar nicht zu sprechen.
Andererseits sehe ich aber auch immer mehr die Notwendigkeit, den
herrschenden Verhältnissen etwas entgegenzuhalten, so pathetisch es
auch klingen mag. Es ist aber mehr als nur ein irrationales Gefühl, sondern
schon auch eine Konsequenz aus der Analyse der Verhältnisse. So ist unser
Handeln teilweise ja auch von direktem Belang und teilweise für einige
Menschen ganz real erfahrbar, wie beispielsweise in der Flüchtlingsarbeit.
Mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen.
So wichtig es für mich ist, alljährlich mit FreundInnen und GenossInnen
gemeinsam gegen die herrschenden Verhältnisse auf die Straße zu gehen und
durch selbstbewusstes Auftreten ein Stück Utopie von einem selbstbestimmten
und solidarischen Leben vorwegzunehmen, so denke ich allerdings, daß wir
hier als auftretende radikale Linke viele unserer Parolen und Inhalte
kritisch hinterfragen müssen. Nun wird aber gerade in klassischen autonomen
(1 .Mai-Demo-)Parolen wie "Bonzen angreifen und enteignen!" dieses
abstrakte, aber höchst reale Herrschaftsverhältnis der
Wertvergesellschaftung auf den bösen Willen profitgieriger
Kapitalisten(schweine?) "runtergebracht" und zudem suggeriert, mensch müsse
eben nur die "herrschende Klasse" stillegen und das Übel wäre aus der Welt.
Daß dies nicht so ist, weil die bestehenden ökonomischen Sachzwänge eben
nicht voluntaristisch wegzuzaubern sind und unabhängig vom Willen (aber
doch erst durch das Handeln) der Beteiligten bestehen, heißt allerdings
nicht, daß die Menschen nicht für ihr "Mitmachen" - und sei es unter
ökonomischem Zwang - verantwortlich gemacht werden müssen.
Ich weiß nicht, ob die Menschen vor ein paar Jahren tatsächlich das Gefühl
hatten etwas ändern zu können. Ich denke jedenfalls, daß wir gerade
höchstens auf ein paar Dinge aufmerksam machen können, aber überhaupt keine
Chance haben auf irgendwelche Entwicklungen Einfluß zu nehmen, sie zu
verhindern, abschaffen oder verändern zu können.
Trotzdem ziehe ich aus all dem überhaupt keine Konsequenzen und mache
weiter wie bisher. Denn ich gehe lieber auf die Straße oder zeige mit
anderen Methoden, daß ich das hier alles scheiße finde, statt mir irgendwo
meine kleine heile Welt aufzubauen und so zu tun als ginge mich die
Scheiße, die in dem Rest der Welt passiert nichts an.
Auf Eurem Plakat steht "Wir wollen alles anders". Was wollt Ihr eigentlich
alles anders?
Meine Vorstellung von einem anderen Leben beinhaltet auch die Gründung von
autonomen Wohn- und Arbeitsprojekten, um der gesellschaftlich geförderten
Vereinzelung, die häufig mit Individualität verwechselt wird, alltäglich
begegnen zu können. Die autonome 1. Mai Demo ist eine der Möglichkeiten,
mit vielen Menschen unsere Idee von einer herrschaftsfreien Gesellschaft
und unsere Ansätze für einen Weg, diese herbeizuführen, lautstark zu
artikulieren und auf der Straße zu feiern.
Aus dem Widerspruch, daß nämlich - auch wenn die Verhältnisse übermächtig
erscheinen - Widerstand gegen die Unerträglichkeit dieser Normalität nötig
ist, schöpft die autonome 1. Mai-Demo aber gerade ihre Kraft; als einer der
Orte, an dem in der Überschreitung das Gefühl und der praktische Impuls
dafür lebendig gehalten wird, daß es sich lohnt zu kämpfen - für ein Leben
in Glück im Verein freier Menschen.
Ich will einen anderen 1. Mai und zwar einen der schon in der Nacht davor
mit einer lautstarken, kämpferischen Walpurgisnachtdemo beginnt. Und die
ganzen AntiFa- und sonstigen Macker können ihre 1. Mai-Demo dann alleine
machen. Ich will selbstbestimmt leben. Ich will arbeiten, weil ich es
möchte und/oder sinnvoll finde und nicht, weil es von mir erwartet wird
oder ich das Geld brauche. Ich möchte sein wie ich bin und mich nicht auf
eine Rolle festlegen lassen.
Ich möchte eine Gesellschaft, in der weder der Selbstzweck der
Kapitalverwertung noch autoritäres, patriarchales und chauvinistisches
Denken und Handeln das Leben der Menschen bestimmen.
Wenn alles anders werden soll, dann müssen wir wieder unsere Demos, unsere
Zentren, unsere Wohnformen und Kleinfamilien, unsere Parties und Feste als
soziale Orte und als politische Interventionsfelder begreifen. Die "große
Politik" mit Veranstaltungen, wohlorganisierten Demonstrationen, mit
Disziplin und Organisationen gibt mir keine Hoffnung auf bessere Zeiten,
eher im Gegenteil: ohne Freiwilligkeit und ohne Spaß am Leben, ohne die
Lust wieder neue Utopien zu entwickeln, wird es keine Ernsthaftigkeit,
keinen Haß, keine Kraft und keinen Mut zu kämpfen geben, und es wird schon
gar keine festen und tragfähigen sozialen Zusammenhänge geben, die erst die
Voraussetzung sind für militanten Widerstand. Und der autonome 1. Mai wird
dann erst wieder interessant, wenn uns in den Nächten und Tagen des übrigen
Jahres auch wieder mehr einfällt. Das setzt aber voraus, das wir wieder
eine Idee entwickeln, für was für ein Leben wir überhaupt kämpfen.
Heraus zum autonomen 1. Mai!!! 14 Uhr Platz der Republik
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