Prag: Berichte aus Prag (Chronologie)
Samstag, 23.9.2000
Angemeldet war eine Nazi-Demo, gleichzeitig eine Antifa-Demo und die Demo
der kommunisitischen Organisationen gegen den IWF. Auf der Nazidemo waren
wohl nur 50 KameradInnen, wohingegen 1000 Menschen gegen die
NeofaschistInnen demonstrierten. Die Schaetzungen fuer die Kommie-Demo
bewegen sich zwischen 700 und 1500 Teilnehmenden.
Sonntag, 24.9.2000
16.00 Uhr, Letna-Park:Abschlussdemo des Gegengipfels
ca. 2000-3000 Menschen demonstrieren bei der von INPEG, einer lokalen
Initiative, organisierten Demo gegen IWF und WB, ohne dass es zu
Ausschreitungen kommt. Linksruch und andere linke Sekten verteilen Ihre
Schilder, wie ueblich ruft einE CheckerIn eine Parole durchs Mega vor und
die anderen plapperns nach.. Die Polizei tritt betont friedlich auf, keine
Helme, kein Spalier, keine aggressiven Sprueche. Ein deutschsprachiger Block
zieht die ueblichen deutschen Sprueche skandierend in der Demo mit, was
spaeter von vielen GenossInnen massiv kritisiert wird. Die Spitze der Demo
bildet ein internationaler Block und INPEG, hier ist es bunter und die
Menschen bringen sich gegenseitig Parolen bei. Es gibt unterschiedliche
Meinungen darueber, ob ?Fuck the police? OK ist. (INPEG spricht sich
deutlich gegen Gewalt gegen Personen, Tiere oder Eigentum aus.)
Abends gibts Party mit Kunst und Musik, ?Art of Resistance?.
Im Konvergenz-Zentrum, dem zentralen Ort der Gegenbewegung finden
Vorberitungsplena statt.
Waehrend dessen wird der Zug aus Italiem mit 1000 AktivistInnen an der
Grenze festgehalten, woraufhin einige Menschen die Karlsbruecke blockieren,
um Druck fuer die Einreise zu machen, was auch gelingt.
Montag, 25.9.2000
Der gesammte Montag ist der Vorbereitung des Global Action Day am Dienstag
gewidmet. Im Konvergenz-Zentrum finden vieeeele Plena statt. Wir versuchen,
den Informationsfluss und die Entscheidungsfindung moeglichst so zu
gestalten, dass alle Menschen sich einbringen koennen, was auch recht gut
funktioniert. Nur der Linksruck und seine Partner-Organisationen haben das
Konzept nicht so recht verstanden und fuehrt waehrend der Plena Teach-Ins
durch, bei denen wir erfahren, warum wir alle in Prag sind und was wir
danach machen muessen.
Neben den Demo-Plena gibt es Trainigs in medizinischer Versorgung,
Selbstverteidigung, gewaltfreier Direkter Aktion, rechtlichen Fragen und
Kommunikationsstruktur.
Am Nachmittag wird das Demo-Konzept zur Diskussion gestellt: Vom Ort der
Auftakt-Kundgebung soll ein grosser Demo-Zug losgehen, der sich mit der Zeit
in drei Teile spaltet, die fuer sich versuchen, die Zufahrten zum
Kulturpalast, wo der IWF tagt, zu blockieren. Zusaetzlich bilden sich
weitere autonome Kleingruppen, die Hotels oder den Kulturpalast blockieren
wollen und eine Samba-Band, die zwischen den Blockaden herziehen und gute
Laune verbreiten will.
Die drei Hauptzuege nennen sich gelber, pinker und blauer Block ,wobei die
autonomen Gruppen die blaue Route favorisieren. (Die meisten Deutschen und
viele SpanierInnen gehen hier wohl mit) . Die Gewerkschaften und Parteien
laufen eher im Pinken. (Spaeter sehen wir eine Gruppe, die Fahnen vom DGB,
der DPG und der NGG mit sich fuehrt!!!)
Der Gelbe Block organisier sich so, dass am Anfang eine Gruppe der Tutti
Bianci laeuft, die mit Autoreifen und Schaumgummi gepolstert die Polizei
wegdruecken will und sich mit INPEG geeinigt hat, keine Offensivwaffen zu
nutzen.
Die GenossInnen von Ya Basta (von den centri sociali, besetzte Zentren in
Italien) stellen die meisten Tutti Bianci, jedoch kann jedeR, der/die will
mitmachen.
Viele Menschen besorgen sich Zubehoer, um sich vor den zu erwartenden Gas-
und Knueppelangriffen zu schuetzen.
Die einzelnen Bloecke bestehen aus sogenannte Clusters, welche ca. 10 bis 15
Kleingruppen beinhalten.
Dienstag, 26.9.2000
9.00 Uhr Genehmigte Auftaktkundgebung der Gegendemo auf dem Namesti Miru,
dem Platz des Friedens. Dort haben sich schon ca. 5000 Menschen eingefunden
haben und stetig mehr werden. Unter den Demonstrierenden sind wieder
zahlreiche Sekten, auch seltsame LebensschuetzerInnen,
Silvio-Gesell-AnhaengerInnen, baskische NationalistInnen, Leute mit
bescheuerten Plakaten, die den IWF als finstere Gestalt, die nach der Welt
greift, darstellt, Kommies mit rotem Stern mit Hammer, Sichel und
Kalashnikov, Anarchos verteilen Flugis, die zum Strassenkampf aufrufen und
so weiter.
Wir haben uns fuer den gelben Block entschieden. Um 11 Uhr ziehen wir los.
Es ist weit und breit keine Polizei zu sehen, obwohl die Demo nicht
genehmigt ist. Nachdem sich blau und pink abgespalten hat, sind wir noch ca.
3000-4000 Leute.
Recht schnell kommen wir zur Haupzufahrt des Kulturpalastes, einer Bruecke,
die ueber ein Tal mit Eisenbahnlinien fuehrt.
Dort sehen wir auch, wo die ganze Polizei ist: Die Bruecke ist mit Polizei
in voller Kampfmontur mit Gasmasken und Barrikaden, Wasserwerfern und sogar
mit Militaer-Panzern blockiert.
Die Tutti Bianci draengen die Polizei bis direkt vor die Panzer zurueck,
dabei wird, wie wir spaeter erfahren massiv geknueppelt und auch
Pfefferspray eingesetzt, aber die GenossInnen sind gut gepolstert und auch
gegen Gas geschuetzt, trotzdem gab es einige Verletzte.
Wir stehen in der Mitte der Demo, zwischen uns und den Tutti Bianci ist eine
Luecke, weil diese sich Platz zum Rueckzug ausgebeten haben.
Die Leute von Linksruck finden das bloed und fangen an, mit Megas die Leute
zum Druecken aufzufordern, damit wir eine Massendemonstration sind und nicht
StellvertreterInnen fuer uns kaempfen. Dieses Konzept war zwar abgesprochen,
aber der Linksruck war ja wie gesagt waehrend der Plena damit beschaeftigt,
Teach-Ins zu veranstalten. Die Spannungen zwischen den Linksrucklern und
eher anarchistisch oder autonom orientierten GenossInnen wachsen, vereinzelt
wird sich angeschriehen.
16.30 Uhr Nach zwei Stunden Blockade ziehen sich die Tutti Bianci zurueck,
weil sie infolge zahlreicher Polizeieinsaetze und der Hitze keine Kraft mehr
haben.
Eigentlich sollte es noch ein Delegierten-Plenum geben, auf dem das weitere
Vorgehen abgesprochen wird, aber nachdem die Tutti Bianci erklaeren, dass
sie auf jeden Fall gehen, wird ueber den Lauti verbreitet, dass wir jetzt
alle gehen sollen, um in der Stadt die blaue Gruppe suchen sollen.
Linksruck-CheckerInnen agitieren mit ihrern Megas dagegen. Wir koennen uns
nur entscheiden, welcher von oben getroffenen Anordnung wir uns unterwerfen.
Schoene Scheisse!!! Deswegen machen wir erst mal garnichts von beidem,
sondern setzen uns an den Rand und machen Bezugsgruppenplenum.
Weil um 17.00 Uhr auf dem Namesti Miru Treffen fuer versprengte Gruppen ist
und wir auch einige GenosInnen verloren haben, entscheiden wir uns, dort hin
aufzubrechen.
Von weitem sehen und hoeren wir, dass es im Tal Riots zu geben scheint.
Spaeter erfahren wir, dass Teile der blauen Gruppe durch das Tal zum
Kultutpalast gekommen sind und dort fast zwei Stunden blockiert haben und
den Palast besprueht haben, wobei die Polizei mit unverhaeltnissmaessiger
Haerte vorgegangen ist. Es gab viele Verletzte, einige davon wirklich
schwerst und viele Verhaftungen.
Auf dem Weg zurueck sehen wir, dass viele Haeuser und Verkehrsschilder am
der Demo-Route neu dekoriert sind.
Der Informationsfluss ist zu dieser Zeit sehr mangelhaft. Die Infos
wiedersprechen sich und wir haben eigentlich keine Ahnung, was blau und
pink und die anderen gerade machen.
Weil die IWF-Leute um 20.00 in die Oper gehen wollen, ziehen wir nach
einigem Hin und Her zur Oper, wo sich eine positive Ueberraschung darbietet.
Die Oper ist vollkommen blockiert, der Hintereingang mit Barrikaden und
Demonstrierenden, der Vordereingang mit einem riesigen Mob von
Demonstrierenden. Vereinzelte StreifenpolizistInnen ignorieren all dies.
Wir setzen uns an den Hintereingang, dann ruft uns jemensch zum Plenum. Dort
gibt es neben dem obligatorischen Megafon-Duell zwischen Linksruck und
AnarchistInnen die Info, die Bruecke, an der wir gewesen sind, sei nun die
einzige freie Strecke vom Kulturpalast zur Oper.
Wieder rennen wir hierhin und dorthin. Irgendwann kommt die Info, dass der
Opern-Besuch geplatzt ist und die IWF-Leute auf dem Weg zum Bankett irgendwo
in der Naehe des Konvergenz-Zentrums sind, dass aufgrund polizeilichen
Drucks geschlossen wurde.
Wir wollen zur Karlsbruecke, wo angeblich eine Aktion fuer die inhaftierten
GenossInnen stattfinden soll. Auf dem Weg sehen wir eingeschlagene Scheiben,
KampfpolizistInnen, rennende GenossInnen. Immer wieder hoeren und sehen wir
das Knallen von Blendschock-Granaten und merken, dass irgendwo in der
Innenstadt auch CS-Gas im Einsatz ist.
Auf der Karlsbruecke machen wir dann mit 30 Leuten einen kurzen
Protestmarsch. Um unsere verloren gegangenen GenossInnen wieder zu finden,
machen wir uns zum Treffpunkt auf, um dort festzustellen, dass es gerade da
besonders massiv kracht. Die ganze Polizei, die bis zum spaeten Nachmittag
den Kulturpalast geschuetzt hat, marschiert jetzt in der Stadt auf, die Lage
scheint sich zuzuspitzen.
Da wir alle ziemlich erschoepft sind, machen wir uns zu unserem Schlafplatz
auf. Aus der Strassenbahn sehen wir immer wieder Polizei und Demonstrierende
in staendiger Bewegung.
Mittwoch, 27.9.2000 (heute)
Am Morgen gibt es neue Geruechte ueber die Bilanz des S26:
600 Verhaftungen die Armee steht in den Startloechern, fuer den Fall dass der
Ausnahmezustand ausgerufen wird das tschechische Pendant zur Bildzeitung
titelte ?Krieg in Prag? die Deutsche Botschaft will, dass die inhaftierten
Deutschen abgeschoben werden Um 14.00 Uhr gibt es neue Infos: Angeblich hat die
Polizei ihre friedliche Taktik geaendert und greift in der ganzen Stadt Leute
auf, die irgendwie so aussehen, als ob sie GegnerInnen des Gipfels seien. An
unserer Strassenbahnstation wurden 30 Leute, die auf dem Weg zum Bahnhof waren
und nach Hause fahren wollten, eingekesselt und mitgenommen.
Unsere gesammte Infrastruktur ist durch polizeiliche Repression
zusammengebrochen, es gibt nur noch eine Info- und EA- Nummer. Neben dem
Konvergenz-Zentrum ist auch das Infozentrum und das Medical-Center
geschlossen, geruechteweise wurde das Stadion, in dem die meisten
GenossInnen uebernachten durchsucht.
Aber wir lassen uns nicht entmutigen und werden auch weiter unsere Stimme
und auch anderes erheben. Irgendwann muss der Kapitalismus einfach enden.
Gruesse!
|