Luckenwalde (Brandenburg): Vor Gericht gibt sich der Neonazi lammfromm
Prozess wegen eines Überfalls der "Kameradschaft Germania" auf Punks -
Polizisten sahen tatenlos zu
Von Heike Kleffner (Berlin)
Vor dem Amtsgericht Luckenwalde hat der Prozess gegen den 21-jährigen Alexander
T. begonnen. Er ist angeklagt, zusammen mit weiteren Mitgliedern der
rechtsextremen "Kameradschaft Germania" eine Gruppe deutscher und polnischer
Punks überfallen zu haben.
Die rund 15 Mitglieder umfassende "Kameradschaft Germania" gilt in der Berliner
Neonaziszene als tonangebend. Vor Gericht geben sich die Neonazis lammfromm. Auf
der Straße schlagen sie zu, wenn sie sich überlegen fühlen. So wie am 10. Juli
vergangenen Jahres. Da hatte die Gruppe von langjährigen Szeneaktivisten und
rechtsextremen Skinheads aus Berlin und Brandenburg einen gemeinsamen "Ausflug"
gemacht: Nach Hamburg, zu einem von der NPD angemeldeten Aufmarsch von 600
Rechtsextremisten gegen die Wehrmachtausstellung. Auf der Rückfahrt stießen auf
der Raststätte Stolpe die zwei vollbesetzten Kleinbusse der Berliner Neonazis
auf eine achtköpfige Gruppe von deutschen und polnischen Punks. Was dann folgte,
wird zurzeit vor dem Amtsgericht Luckenwalde aufgeklärt.
"Die Linken saßen ganz friedlich vor ihrem VW-Bus", beschreibt ein Beamter der
Mega, der brandenburgischen Polizei-Sondereinheit gegen rechte Gewalt.
"Plötzlich stiegen die Rechten aus ihren Fahrzeugen aus, vermummten sich und
warfen mit Steinen und Flaschen auf die Punks", so der Beamte. Einer der Rechten
habe mit einer Eisenstange zugeschlagen. Warum der Beamte und sein Kollege, die
die Neonazigruppe beschattet hatten, nicht eingegriffen hätten, will der Richter
wissen. "Alles ging so schnell, und der Überfall war so brutal, dass wir nicht
einschreiten konnten", sagt der 36-jährige Polizist und senkt den Kopf. Er habe
stattdessen per Notruf weitere Polizeikräfte verständigt.
Genug Zeit für die Neonazis, die linken Jugendlichen, die sich vor dem Stein-
und Flaschenhagel in ihr Fahrzeug flüchteten, noch ein zweites Mal anzugreifen.
Der 28-jährige Jan S. aus Berlin zeigt vor Gericht die Narbe in seinem Gesicht:
Eine Flasche hatte sein Auge nur knapp verfehlt. Außerdem entstand an dem Bus
der Punks rund 3500 Mark Sachschaden.
Wenig später wurden die 16 rechten Angreifer auf der Autobahn von der
herbeigerufenen Polizeiverstärkung angehalten und festgenommen. Bei
Hausdurchsuchungen wurden unter anderem Propagandamaterial und Schlagwaffen
gefunden.
Seit mehr als einem Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Schwerin gegen neun
erwachsene Neonazis und sieben Jugendliche wegen Landfriedensbruchs,
Körperverletzung und Sachbeschädigung. Doch der Prozess gegen den 21-jährigen
Alexander T. aus Luckenwalde ist das erste Verfahren wegen des Angriffs. "Es
gibt bisher noch keine weiteren Anklagen", heißt es bei der Staatsanwaltschaft.
Und so lehnt sich Alexander T., bieder in Strickpullover und Cordhose gekleidet,
vor Gericht zurück und sagt: Er sei zwar mit seinen Freunden nach Hamburg
gefahren, habe aber während des gesamten Rückwegs geschlafen. Der Prozess wird
kommende Woche fortgesetzt. Dann werden T.s Gesinnungsgenossen als Zeugen
geladen.
aus: Frankfurter Rundschau vom 18. Oktober 2000
PS: Die Kameradschaft "Germania" hat für den 4. November 2000 einen Aufmarsch in Berlin angemeldet. Weitere Informationen hierzu bei http://www.antifa.de !
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