Italy/ Europe: Kongreß in Italien
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Die Tutte Bianches, Zapatismus und Widerstandskultur in Italien
Spätestens seit den Protesten in Prag anläßlich des
IWF/Weltbankgipfels
sind die Bilder der Tutte Bianches, der weiß gekleideten und
gepolsterten
AktivistInnen aus Italien, wie ein Mythos um die ganze Welt gegangen.
Hinter der Aktionsform verbirgt sich eine Suche nach einem
Befreiungsprozess aus den Zwängen der kapitalistischen Welt.
?Wir sind eine Armee von Träumern, deshalb sind wir unbesiegbar?
schreiben
die AktivistInnen auf ihren Transparenten und Broschüren. Nach Prag
sind
fast 900 AktivistInnen aus Italien mit einem Zug, dem Global Express,
gekommen. Davon haben sich ca. 100 aktiv an der Aktion der Tutte
Bianches beteiligt. Hinter ihnen, eine grosse Menschenmenge zur
Unterstützung, neben ihnen die Medien der ganzen Welt und vor ihnen
die
Robocops des Staates mit Panzern, Wasserwerfern, Schlagstöcken und
Pfefferspray. Die sogenannte Demokratie des IWFs und der Weltbank
hinter
Panzer und Gitter.
Der Körper als Waffe des Zivilen Ungehorsams
?Wenn die Welt zu verkaufen ist, ist rebellieren selbstverständlich?
Die Tutte Bianches sind gut ausgerüstet und benutzen dazu
hauptsächlich
billige Materialien und ihre Kreativität: Matratzen, alte Reifen,
Baustellenhelme, Rettungsjacken, Armpolster aus Isomatten und
Isolierband, Gasmasken, aber auch Luftballons, Wasserpistolen oder
selbstgemachte Schutzschilder kann mensch in ihrem Repertoire finden.
Wieso ? ? Gegen eine Welt in der das Geld alles regiert, bleiben uns
nur
noch unsere Körper, um gegen die Ungerechtigkeit zu rebellieren?,
meint
Don Vitaliano, ein Pfarrer, der auch unter den Tutte Bianches zu
finden ist. ?
Wir sind nicht bewaffnet, wir agieren als Menschen und setzen unsere
Person ins Spiel. Wir fürchten uns vor der Polizeigewalt, deshalb
schützen
wir uns.?
Diese Aktionsform begann vor knapp einem Jahr in Italien und
überraschte
alle durch ihren Erfolg. Im Januar 2000 gab es bundesweite
Mobilisierungen
gegen Abschiebeknäste in Italien. Mehrere zehntausend Menschen sind
dafür auf die Straße gegangen. Die Demonstration gegen den
Abschiebeknast Via Corelli war ein besonderer Erfolg. Die Tutte
Bianches
hatten ihre Entschlossenheit angekündigt in den Abschiebeknast
einzudringen und zu schliessen. Die mehrere Tausend Tutte Bianches
marschierten vorne und mussten stundenlang Auseinandersetzungen mit
der
Polizei aushalten, bevor diese dann aufgeben musste und die Leute ins
Lager eindringen konnten. Abends kündigte der Innenminister die
Schliessung von Via Corelli an.
Die aufgeblasenen Reifen dienen dazu die Schlagstöcke der Robocops
rückprallen zu lassen. ?Über 150 Tränengaspatronen haben wir bei
dieser
Aktion gezählt? grinst ein junger Aktivist. Die rauchenden
Tränengaspatronen
werden in Kisten oder unter Eimer geworfen, um sie zu neutralisieren.
Es
erinnert an eine Beschreibung Ghandis des zivilen Ungehorsams: ?Feuer
mit
Wasser löschen?.
Seit dem sind Tutte Bianches auf vielen Mobilisierungen zu sehen:
Antifaschistische Demos, Mobilisierungen gegen den OECD Gipfel in
Bologna oder gegen die Eröffnung der Gentechweltausstellung in Genua
bei
der sie bis zum Eingang eingedrungen sind und die Ausstellung zum
Fiasko
und nationalen Debatte gezwungen haben.
Zapatismus, Ya Basta und die Tutte Bianches
Ya Basta ist nicht gleich Tutte Bianches. Tutte Bianches ist
hauptsächlich
eine Aktionsform und ein Selbstverständnis. In ihr erkennen sich
verschiedene Menschen, Gruppierungen und politische Strömungen; und
prägen somit die Gestaltung der Form.
Ya Basta ist ein Netzwerk von Gruppen, die sich mit dem Aufstand der
Zapatistas in mehreren Städten Italiens gebildet haben und eine der
politischen Strömungen die zur Kristallisierung der Tutte Bianches
beigetragen haben: ?Die Zapatistas haben einen wichtigen Beitrag
geleistet,
mit ihren Ideen Politik zu machen, ohne um die Macht zu kämpfen. Wir
versuchen diese Botschaft zu übersetzen und unsere eigene
Ausdrucksform
zu finden.?
Inspiriert wurden die AktivistInnen, als sie selbst bis in den
chiapanekischen
Dschungel Südmexikos anläßlich eines interkontinentalen Encuentros
gereist sind. ?Am Anfang haben wir vorhergehende Formen der Direkten
Aktion diskutiert, der Sabotage, der revolutionären Gewalt usw. Wir
haben
daraus geschlossen, dass unter den aktuellen Bedingungen der
Zivilgesellschaft, der Gebrauch unserer Körper als Waffe die Kräfte
derjenigen Menschen freisetzen könnte, die zu den alten Formen und
Schemen nicht geantwortet haben. Es ist eine kreative Form die andere
Seite in ein Problem mit einzubeziehen. Mit gewaltfreien Mittel der
Direkten
Aktion, bleibt die Sprache der Gewalt auf die Seite der Polizei und
des
Staates. Klassische Demonstrationen beeindrucken sie nicht mehr,
jetzt
sind wir als BürgerInnen ungehorsam, sie schlagen zurück, aber wir
verteidigen uns. Das zieht die Aufmerksamkeit der Menschen und gibt
unserem Protest Echo?.
Diese konfrontative Haltung macht Sinn: das tiefverwurzelte
(Selbst)bild des
Staates als Institution, die die Interessen aller vereint, ist im
neoliberalen
Zeitalter stark am bröckeln, in Italien auf jeden Fall früher als in
der BRD. Ein
offen in Erscheinung tretender Interessengegensatz zwischen legitimen
Bedürfnissen von BürgerInnen und staatlichen Maßnahmen sind eine gute
Voraussetzung für emanzipative Prozesse, weg von der Forderung an den
Staat, sozial abfedernd zu agieren oder ökonomisch steuernd zu
intervenieren mit dem Anspruch, einen Wohlstand für alle zu sichern.
?Unser Beitrag ist eine radikale Form der Konfrontation, die über die
klassischen Formen der Demonstration hinaus geht und die Möglichkeit
einer Massenbeteiligung mit sichereren Methoden ermöglicht. Junge
Leute
sehen, daß der Einsatz ihres vor der Polizei geschützten Körpers
klare
Wirkungen hat. Die Bewegung wächst. Wir sind nicht eine politische
Gruppe, es handelt sich um eine horizontale Bewegung, in der jede
Person
auf ihre besondere Weise zur Debatte und Organisation beiträgt. Alles
ist
untereinander verstrickt, es gibt Leute allen Alters. Alte Modelle
von
Avantgarden und Anführer sind vorbei.?
In einem Flugblatt schreiben sie: ?Wir haben uns eine neue
Herausforderung
gesetzt: aus dem Boden zu sprießen, um uns auf diese Weise in den
Aufbau der Gesellschaft einzubringen, um die Selbstverwaltung und
Selbstorganisation zu fördern, die in den letzten Jahren aufgebaut
wurde.
Wir wollen uns vom Widerstand in eine Offensive bewegen, hin in die
Arena
der Träume, der Rechte, der Freiheit, für die Eroberung der Zukunft,
die heute
den neuen Generationen verweigert wird?.
Wie die Zapatistas erkennt Ya Basta, dass die Befreiungsprozesse
notwendigerweise kontinuierlich in Frage gestellt und neu definiert
werden
müssen . ?Wir gehen mit Fragen auf unseren Lippen?, sagen sie, ?
nicht mit
Befreiungsstrategien, die als absolute Wahrheit festgelegt werden.
Diese
Tabus, die die Bewegungen der Vergangenheit charakterisiert haben,
müssen hinter uns gelassen werden?.
Die Rolle der Kommunikation: Die Unsichtbaren sichtbar machen
Die weißen Overalls werden als Symbol der Unsichtbarkeit getragen,
als
Idee der ?nicht-Identität? (siehe ?sans papiers?). Die Aktionsform
hat eine stark
symbolische Wirkung und kommunikative Stärke. Für sie entspricht der
Aufbau einer Gesellschaft der Praxis einer sicheren Identität, aber
mit
offenen Beziehungen. Sie versuchen viele anzusprechen und in den
Konflikt
mit einzubeziehen, dazu wollen sie ?Kommunikationsräume erobern?.
Organisation und ?Centri Soziale?
Organisisiert sind die AktivistInnen zum größten Teil in ihren
?sozialen
Zentren?, besetzte und selbstverwaltete Häuser oder Gelände, die in
vielen
Städten zu finden sind. Wie schon erwähnt, findet mensch hier Leute,
die
sich zu Ya Basta zählen oder nur zum sozialen Zentrum oder beides.
Auf
der Straße sind aber alle unter ?Tutte Bianches? zu finden. Der wohl
größte
und beeindruckendste Centro Soziale ist der Leoncavallo in Mailand,
der eine
lange Widerstandsgeschichte hat. Das Gelände ist enorm: mehrere
Räume,
Cafés, Bühnen, eine Kantine, ein Buchladen, Büro- und Plenumsräume,
ein
Konzertraum in dem Konzerte für 5000 Leute veranstaltet werden können
und noch viel mehr. Alles selbstverwaltet. Auffällig ist, das mensch
nicht nur
junge Leute sieht, sondern alle Generationen. Eine Kontinuität in der
Widerstandsgeschichte ist spürbar. Eine ältere Frau, die hier als ?la
madre?
vorgestellt wird, erzählt Geschichten: unter anderem, wie sie in
Argentinien
war und die ?madres de la plaza de mayo ?getroffen hat. Sie sagt, daß
über
1000 Gerichtsverfahren gegen ca. 200 Leute aus dem Centro Soziale am
laufen sind, dass sich aber alle kollektiv den Ermittlungen
entgegenstellen.
?Wir machen weiter?, sagt sie mit einem strahlenden Lächeln, während
sie
die Kippenfilter von einer Veranstaltung wegfegt. Sie scheint jede
und jeden
im Haus zu kennen.
Die Centri Soziale sind alle untereinander vernetzt und mobilisieren
oft
gemeinsam, wie z.B. nach Prag. In jedem Centro Soziale bestehen
kleine
Bezugsgruppen, die bestimmte Rollen in der Aktion der Tutte Biaches
üben
und sich Gedanken zur Schutzkleidung machen.
Grüne Züge
Eines der Erfolge der Italienischen AktivistInnen ist es, mit
sogenannten
?Grünen Zügen? zu Proteste reisen zu können. Erkämpft haben sie sich
dieses Recht durch Direkte Aktion. Die Überlegung ist unkompliziert:
?Wir
wollen dort protestieren, wo sich die Macht konzentriert und viele
sich
gemeinsam artikulieren wollen. Wir sehen es als legitim an, dorthin
mit
öffentlichem Transport billig oder umsonst reisen zu dürfen.? Die
AktivistInnen
verhandeln mit der Bahn über einen Zug. Die Leute die mitfahren,
können
nach Selbsteinschätzung einen Beitrag zahlen oder auch nicht, das
Geld
wird dann an die Bahn gegeben. In anderen Ländern wie Frankreich und
die
Niederlande hat die Idee auch schon Fuß gefasst. Der Transport ist
innerhalb
Italien immer erfolgreich, nach anderen europäischen Städten manchmal
problematisch wie zuletzt nach Nizza, wo der Global Express von der
französischen Armee und den CRS angehalten wurde.
Perspektiven
Die Tutte Bianches sind gerade dabei, ihre Aktionsform auf
?internationalen
Bühnen? wie Prag, Nizza (gescheitert) und Davos vorzustellen. Sie
gewinnen
an Dynamik und Unterstützung. Die Aktionsform greift auch schon auf
andere Länder über. In Spanien sind kurz nach Prag im Rahmen von den
Antirepressionsaktionen gegen den tschechischen Staat auch weiß
gepanzerte Menschen auf den Straßen von Madrid zu sehen gewesen.
Englische Reclaim-the-Streets-AktivistInnen haben schon überlegt,
ganz
durchsichtige Rüstungen zu bauen, in denen nackte Frauen auf die
Polizei
losgehen - um die Polizisten mit der Idee zu konfrontieren, eine
nackte Frau
zu schlagen - und die Rüstungen mit kleinen drahtlosen Kameras
auszurüsten, die dann die Bilder aus ihrer Sicht live ins internet
einspeisen.
Was auf jeden Fall deutlich wird ist, dass die Aktionsform ausgebaut
werden
kann und dass mehr Menschen sich sie aneignen können.
Im Juni 2001 tagt der G7 in Genua, und mit anderen Italienischen
Gruppierungen haben sie auch dort vor Präsenz zu zeigen. Offizielle
Aufrufe
gibt es bislang noch nicht, aber viele europäische AktivistInnen
wissen schon
längst Bescheid. ?Wenn die ItalienerInnen sich gut anlegen, können
die das
ganze Land blockieren?, meinte ein Aktivist in Prag. Ob das stimmt,
werden
wir ja sehen. Im Frühjahr findet in Mailand ein europäisches
Encuentro
(Treffen) statt, zu dem Ya Basta und Reclaim the Streets aufrufen.
Dort
sollen weitere Schritte in der europäischen Vernetzung und in der
inhaltlichen Auseinandersetzung diskutiert werden.
el desaparecido
Quellen:
- Artikel von Jess Ramrez Cuevas in La Jornada (Mexiko) ?der Körper
als
Waffe des Zivilen Ungehorsams?- Oktober 2000
- ?Das Zeitalter der Klandestinität? - Gedanken und Aktionen von Ya
Basta
vorgeschlagen.
Kontakt: Associazione Ya Basta ! For peoples dignity and against
neoliberalism CSOA Leonkavallo, Via Watteau 7, 20125 Milano, Italien
www.yabasta.it oder www.ecn.org/yabasta.milano
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