Berlin: Urteil gegen Totalverweigerer
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PRESSEERKLÄRUNG 01/2001
24. Januar 2001 · verantwortlich: Frank Brendle
40 Stunden Arbeit für Totalverweigerer
Kein Freispruch, weil der Angeklagte kein Zeuge Jehovas ist
Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat heute den 22jährigen Totalen
Kriegsdienstverweigerer Dirk Schwieger zu einer Jugendstrafe von 40 Stunden
gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Der Student hatte im November 1998 den Zivildienst in einem Hamburger
Krankenhaus angetreten, nach fünf Monaten jedoch abgebrochen.
Ausschlaggebend dafür war, wie er vor Gericht aussagte, die militärische
Verplanung des Zivildienstes. "Meine Loyalität gilt allein der Erhaltung des
menschlichen Lebens", erklärte Schwieger. Die Einbettung des Zivildienstes
in die Gesamtverteidigung und seine Pflicht, im Kriegsfall
Versorgungs-tätigkeiten für die Bundeswehr zu leisten, habe bei ihm zu einem
Gewissenskonflikt geführt, den er nur durch die Beendigung des Zivildienstes
habe lösen können.
Rechtsanwältin Gabriele Heinecke hatte einen Freispruch gefordert, da es
sich um eine Gewissensentscheidung gehandelt habe, die vom Grundgesetz
geschützt sei.
Amtsrichter Jentsch versuchte jedoch, das Gewissen des Angeklagten
auszuleuchten. Zwar anerkannte er den Gewissenskonflikt, sprach ihm aber
nicht die für einen Frei-spruch nötige Intensität zu - ganz so, als könne
irgendjemand bewerten, wie tief ein Anderer von einer Gewissensentscheidung
bewegt ist. Der Richter erklärte mehrfach, Schwieger sei zwar "nicht
rechtsfeindlich", habe aber auch nicht eine solche Gewissens-not, wie sie in
ähnlichen Fällen bei Zeugen Jehovas gegeben sei. Wie er das heraus-gefunden
hat, darüber sagte er nichts. Außerdem, so der Richter, hätte Dirk Schwieger
ein so genanntes freies Arbeitsverhältnis nach § 15a Zivildienstgesetz
eingehen können.
Mit dem Urteil zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit blieb Richter Jentsch
deutlich unter dem Strafantrag des Staatsanwaltes, der vier Wochen
Dauerarrest gefordert hatte.
Die DFG-VK bedauert es, dass das Amtsgericht Berlin-Tiergarten nicht den Mut
hatte, eine persönliche Gewissensentscheidung über das Wehrpflichtgesetz zu
stellen.
Der Frage nach der Verfassungswidrigkeit der Wehrpflicht aufgrund der
fehlenden Wehrgerechtigkeit ist das Gericht ausgewichen: Der Richter verwies
darauf, dass hier "Konsequenzen im gesetzgeberischen Bereich" gefordert
seien. Wir drücken es deutlicher aus: Die Wehrpflicht gehört abgeschafft!
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