Thüringen: Es wächst zusammen was zusammen gehört - Staatsknete für Neonazis
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Junge-Welt
17.05.2001
Staatsknete für Neonazis
Thüringer VS leistete NPD-Aufbauhilfe. Von Rainer Balcerowiak und Ralf Fischer
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Während sich der thüringische Landtag am heutigen Donnerstag erstmalig mit der Verfassungsschutzaffäre um die Zusammenarbeit mit führenden Nazikadern beschäftigen wird, erhärtet sich der Verdacht, daß die Behörde massiv an der organisatorischen Entwicklung der regionalen Neonaziszene mitgewirkt hat.
Die »Thüringer Allgemeine« hatte am Wochenende berichtet, daß der Verfassungsschutz (VS) den stellvertretenden NPD- Landesvorsitzenden Tino Brandt seit Jahren als Quelle führt und sechsstellige Honorare an ihn bezahlt hat. In dieser Zeit gelang es Brandt und anderen Top-Nazis, verschiedene zuvor zerstrittene Gruppen wie die »Freien Kameradschaften« oder den »Thüringer Heimatschutz« in gemeinsame Strukturen einzubinden und in den inneren Führungszirkel der NPD aufzusteigen. Unklar ist bisher, ob noch weitere führende Nazis mit dem VS kooperierten, wie Kenner der Szene vermuten. Zudem sollen ausstiegswillige Neonazis vom VS zum Weitermachen angehalten worden sein.
Dank der soliden finanziellen Polsterung aus Steuermitteln konnte Brandt in den letzten Jahren seine Tätigkeiten als reisender Agitator mit fast wöchentlichen Auftritten als Redner und Demonstrationsleiter beträchtlich ausweiten. Als gesichert gilt ferner, daß die Führungsriege der NPD über die Agententätigkeit Brandts informiert war und so den Verfassungsschutz gezielt mit wertlosem »Spielmaterial« oder gezielten Desinformationen beliefern konnte. Der PDS- Bundestagsabgeordnete Carsten Hübner erinnerte in diesem Zusammenhang am Mittwoch gegenüber jW an die »blamable Rolle«, die Thüringens VS bei der Materialsammlung für gerichtsfeste Fakten im Verbotsverfahren gegen die NPD gespielt hat.
Innenminister Christian Köckert (CDU) hatte noch am Dienstag versichert, daß der VS keinen rechtsextremen Spitzenfunktionär als Quelle führe oder geführt habe. Am gestrigen Mittwoch veröffentlichte die Thüringer Allgemeine jedoch Bilder von einem Treffen Brandts mit VS-Mitarbeitern.
Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der PDS- Landtagsfraktion in Thüringen, wertete die Aussage Köckert als »Zeugnis von Inkompetenz«. Zwar wolle man Köckert und der VS-Spitze nicht unterstellen, daß sie den Aufbau der Naziszene bewußt gefördert hätten, aber im Ergebnis sei genau das dabei herausgekommen. Angesichts des Aufschwungs der Naziszene und der Hilflosigkeit der Behörden stelle sich die Frage, »wer hier wen ausspioniert hat«. Man werde jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, die Sache aufzuklären und, falls sich die Indizien für die direkte Verantwortung des Innenministers bestätigten, auch dessen Rücktritt fordern, so Dittes. Aus der parlamentarischen Kontrollkommission, dem für die Kontrolle des VS zuständigen Gremium, ist die PDS jedoch von CDU und SPD in Thüringen ausgeschlossen worden.
Der DGB-Landesvorsitzende Frank Spieth forderte am Mittwoch den Rücktritt von Köckert. Die Tatsache, daß der Verfassungsschutz seit Jahren rechtsextremistische Eliten als Spitzel beschäftige, sei ein »verfassungspolitischer Skandal allererster Güte«, erklärte er am Mittwoch. Anstatt rechtsextreme Führer auf Staatskosten zu sponsern, müsse die Landesregierung endlich ein Programm zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auflegen, den »Thüringer Heimatschutz« verbieten und eine Opferberatung aufbauen. Es dränge sich der Verdacht auf, daß Innenminister und Verfassungsschutzpräsident nur deswegen bei der Aufklärung auf Verharmlosung setzten, um von ihrer eigenen, tiefen Verstrickung in den rechten Sumpf abzulenken, sagte Spieth.
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