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Berlin: FATAL Gender-Deconstruction

Wie fatal ist Fatal?
jW sprach mit Hanin Elias, Sängerin von Atari Teenage Riot, Gründerin von Fatal/Digital
Hardcore und Mitorganisatorin des Fatal-Filmfestes

F: Was ist Fatal, und warum gibt es das Fatal-Filmfestival?

Digital Hardcore als Fatal-Plattenlabel ist eine Plattform für Frauen und Mädchen und auch
Männer, die Musik machen und dabei aus den ganzen sexistischen Zwängen ausbrechen und
Geschlechterklischees widerlegen wollen. Es versteht sich damit auch als politische
Organisation, die sich gegen Unterdrückung durch kulturelle Bedeutungszuschreibung
wendet. Mittlerweile arbeiten neben Musikerinnen und Musikern auch Leute aus dem
akademischen Bereich, aus der Gendertheorie usw. mit.

Das Fatal-Filmfestival organisieren Mark Scheffer und ich. Es geht uns darum, das Fatale
an Geschlechterzuschreibungen in der Filmindustrie sichtbar zu machen, zu zeigen, wie
Frauen in den vergangenen Jahrzehnten im Film dargestellt wurden, aber auch Frauen zu
zeigen, die diesem Klischee der netten, hübschen Frau nicht entsprechen.

Teilweise geht es auch um Männer, die in die Rolle der Frau geschlüpft sind. In Kevin
DiNovis Film »Surrender Dorothy« gibt es einen Mann, der am eigenen Leib spürt, wie es
ist, eine Frau zu sein, also unterdrückt und kleingemacht zu werden. Es geht um
Machtverhältnisse, aber auf jeden Fall ist es eine feministische Filmreihe.

F: Wie kann Feminismus heute aussehen, wo muß der ansetzen?

Ich habe eigentlich kaum feministische Sachen gelesen, Emma oder so. Mein Vater war
früher der Herr im Hause, und ich habe zwischen meinen Eltern alles so erlebt, wie ich es
nicht haben möchte. Ich habe dann angefangen, ein Manifest zu schreiben, das sich gegen all
diese männlich geprägten Strukturen wendet. Ich dachte: Jetzt mußt du die Sache irgendwie
verändern. Koste es, was es wolle, so willst du nicht weiterleben.

Frauen haben immer weniger Möglichkeit, sich anders zu präsentieren, als die Medien sie
darstellen. Ich stehe auch ständig unter Druck, die perfekte Mutti zu sein, die tolle
Liebhaberin, verführerische Frau und der Vamp und politisch zu sein und auch noch alles zu
organisieren. Man schafft es irgendwann nicht mehr. Ich stelle mir einfach vor, daß man aus
seinen Zwängen ausbricht und das macht, was in einem steckt. Das gilt genauso für Männer.

F: Spontane, affektive Gewalt spielt in den gezeigten Filmen eine ganz große Rolle. Frauen,
die aggressiv agieren oder einfach nur draufhauen, weil sie rauswollen und auch nicht
wissen, wohin. Ist die Gewalt kein Problem?

Die Frauen reflektieren ja auch die Sinnlosigkeit, die Stumpfsinnigkeit ihrer Umgebung.
Sobald Frauen anfangen, aggressiv zu werden und Gewalt ausüben, gibt das gleich den
großen Skandal. Aber zu Millionen Filmen, wo Männer gewalttätig sind, sagt kein Mensch
was. Die Zuschauer sollen sich ihre eigene Meinung bilden, innerhalb unserer fünf
Filmschwerpunkte (Femme fatal, Female Gangs und Bangs, Girls under Pressure,
Genderkiller, Vampiras). Ich finde es richtig, Frauen zu zeigen, die Gewalt ausüben. Das
befriedigt ja auch die innerste Wut vieler Frauen auf das, was sie ihr Leben lang erdulden
mußten. Die meisten, die ich kenne, fühlen sich danach irgendwie befreit.

F: Bei dem amerikanischen Rapper Eminem gibt es ein ähnlich spontanes Gewaltelement.
Bei ihm ist das - zwar gebrochen durch seine diversen Rapperidentitäten - ziemlich
sexistisch, rassistisch, homophob. Aber auch er brüllt Haß einfach raus. In welcher
Beziehung steht das zu weiblicher Gewalt?

Eminem wird so richtig schön dem Klischee vom weißen Mann Amerikas gerecht. Und daß
er das nun rausbrüllt, spricht nicht gerade für ihn. Ich finde auch, seine Stimme klingt wie
die eines Gartenzwerges. Das ist so langweilig: Der tausendste Mann brüllt seine
Gewaltbereitschaft raus, das sieht man bei jedem Fußballspiel. Oder danach in jeder
Kneipe. Und nun macht er halt Musik daraus. Bei Frauen hat sich da seit Generationen so
viel angesammelt, und ich finde, es wird echt mal Zeit, daß man als Frau was rausläßt und
eben nicht nur immer mit dem Arsch wackelt.

F: Die feministische Filmemacherin Catherine Breillat versucht in ihrem Film »Une vrais
jeune fille« dem männlichen Blick auf den weiblichen Körper einen weiblichen Blick auf
den männlichen Körper entgegenzustellen, der spiegelbildlich funktioniert: Hat er Muskeln,
einen coolen Blick, einen großen Schwanz? Kann ein kritischer Blick so funktionieren?

Frauen werfen den männlichen Blick inzwischen auch auf sich selbst. Andererseits sehe ich
Männer eigentlich auch so, ich gucke halt auf die Arme und den Arsch. Was Modejournale
und der ganze Medienmist angerichtet haben, steckt in uns drin.

Dadurch, daß man erkennt, was man tut, ist man schon mal einen Schritt weiter. Wir wollen
Mädchen aber vor allem eine andere Sicht der Dinge vermitteln, auf sich selbst, auf
Aggressivität, und daß es eben nicht darauf ankommt, immer schön passend und hübsch
auszusehen.

F: Wieso den Mädchen, nicht den Frauen allgemein?

Die Generation der Mädchen heute hat sehr wenig vom Feminismus mitgekriegt, viel
weniger als die jetzigen Frauen. Es gibt kaum politische Dinge, mit denen sie sich
irgendwie auseinandersetzen, und alles, was mit Feminismus und Emanzipation zu tun hat,
ist für sie totale Scheiße. An die mit idealistischen Selbstbefreiungsideen heranzukommen,
ist ganz schön schwer. Da muß man richtig gute Sachen anbieten - Fatal zum Beispiel und
die Filme, die auf dem Festival laufen.

Interview: Susan Geißler

*** Fatal-Manifest:
 http://www.digitalhardcore.com
Fatal-Party heute ab 22 Uhr im Club Deli,
Schillingbrücke am Ostbahnhof, Berlin-Friedrichshain, mit DJ-Sets und Liveauftritten, u.a.
von Hanin Elias, Alec Empire, Female Macho etc.

* Filme noch bis 14. Juni im Kino Central, Berlin-Mitte, jeweils 23 Uhr, Eintritt: 10 DM


junge Welt vom 08.08. 2001

 

08.06.2001
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