Offener Brief an JournalistInnen
Offener Brief 22.07.01 an alle Journalistinnen und Journalisten
Open your eyes, time to wake up
Enough is enough is enough is enough
(Chumbawamba)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, werdet Euch endlich Eurer Verantwortung in der Demokratie bewußt!
Wenn auch von den meisten Medien totgeschwiegen oder wie von der B.Z. Berlin als »Randale in ganz Europa« bezeichnet, gibt es zur Zeit Europaweit Protest-Aktionen wegen des brutalen Polizeieinsatzes in Genua, der in einem Mord am 23-jährigen Carlo (wie alt sind eigentlich ihre Kinder?) und in der Stürmung des unabhängigen Pressezentrums gipfelt. Auch wenn uns klar ist, daß es einfacher ist, die Tatsachen verdrehenden Nachrichten-Tickermeldungen oder die Polizeiberichte abzuschreiben, laden wir Sie ein, sich selbst ein Bild zu machen, um die Märchen über »Polit-Hooligans«, die zur Zeit kursieren, mal selber überprüfen zu können.
Zur Freiheit, für die in diesen Tagen Europaweit (junge) Menschen auf die Straße gehen, gehört nicht nur die Reise-, die Demonstration-, oder die Meinungsfreiheit. Auch die Pressefreiheit, die viele von Ihnen durch Ihre Hofberichterstattung für Polizei und Politik, Wirtschaft und Konzerne mißbrauchen, gehört dazu. Wir fordern hiermit alle Journalistinnen und Journalisten auf, die Hetze der Politiker gegen andere Formen von Politik nicht mehr durch Diffamierungen wie »Chaoten«, »Polit-Hooligans«, »unpolitische Randalierer« u.ä. zu unterstützen.
Etablierte Politikstrukturen entscheiden ohne uns über uns alle - das betrifft Sie als Journalisten genau so wie Jugendliche, Senioren, Arbeitnehmer, Arbeitslose und alle anderen Menschen in diesem Land und überall - ob deutscher oder nicht-deutscher Herkunft. Wir haben genug davon, von einer kleinen Kaste von Menschen beherrscht zu werden - sie mögen G8 sein - wir sind 6 Milliarden.
Und eine Bemerkung zu versuchten Spaltung der politisch Aktiven in gewalttätige und gewaltfreie Menschen: Diesen Unterschied gibt es nicht. Wenn friedliche Menschen von schwerbewaffneter Polizei angegriffen werden, wird es immer Menschen geben, die sich diese Angriffe nicht kommentarlos gefallen lassen. Überlegen Sie, wie Sie reagieren würden, wenn Sie in einer Gruppe von Menschen stehen und die Polizei Sie grundlos mit Tränengas beschießt - auf eine Art und Weise, daß die Geschosse an Ihrem Nachbarn oder an Ihnen abprallen... Grundlos? Ja, oder wie würden Sie es bezeichnen, wenn die Polizei Menschen angreift, nur weil sie angekündigt haben, in einen hermetisch abgeriegeltenStadtteil kommen zu wollen? In einen öffentlichen Stadtteil, abgeriegelt unter Mißachtung aller Menschenrechte für ein Treffen derer, die meinen, über den Rest der Menschheit zu herrschen.
In der vergangenen Nacht stürmte die Polizei die beiden Gebäude, in denen unabhängige Medien, das GSF, zahreiche Non-Violent-AktivistInnen, eine Rechtshilfe und mehr untergebracht waren. Ziel war nicht eine Durchsuchung, wie es später hieß, sondern Rache. Die Polizei stürmte zunächst das Gebäude, welches dem gegenüber lag, in dem Indymedia untergebracht ist. Dabei wurde sofort mit einer unglaublichen Brutalität auf Schlafende eingeschlagen und eingetreten. Viele Wände und Heizungen sind mit Blut beschmiert.
In einer Zusammenfassung von Indymedia-Österreich steht: "Am krassesten war aber das Vorgehen der Polizei gegen 50 AktivistInnen, die gegenüber dem Medienzentrum, in einer, von der Stadt zur Verfügung gestellten, Schule übernachten wollten. Fast alle der in diesem Gebäude befindlichen Personen musste nach dem Polizeieinsatz - viele hatten Knochenbrüche oder stark blutende Verletzungen am Kopf erlitten - ins Krankenhaus eingeliefert werden. Noch Stunden nach dem Einsatz ist die Schule eher mit einem Schlachtfeld vergleichbar: eingeschlagene Fensterscheiben, zerstörte Türen und der Boden voll von Blut."
Diese Aktion war nicht etwa die Tat einer durchgeknallen Polizeitruppe - diese Aktion war von "Oben" angeordnet. Es waren Abgeordnete vor Ort. Später kam sehr viel staatstreue Presse hinzu. Im Gebäude, in dem Indymedia und das Rechtshilfebüro untergebracht waren, war es "nicht ganz so schlimm": Ein Indymedia-Reporter aus England ist schwer verletzt worden, Computer, Technik, Mobilar wurden zerstört. Kameras und Fotoapparate wurden beschlagnahmt. Darunter auch welche mit Aufnahmen, die belegen, daß Agent Provokateure die gewalttätigen Auseinadersetzungen mitinszeniert haben.
In den Medien ist von einer Durchsuchung des Zentrum der Globalisierungsgegner in Genua zu lesen (Reuters). In einigen Staaten schreiben die Medien, die Gebäude wären die Stützpunkte des "Schwarzen Blocks", was eine Lüge ist. Die Journalisten waren vor Ort und haben Interviews geführt - sie kennen die Wahrheit!
Diesmal traf es »nur« die unabhängige Presse - das nächste Mal könnte sich die Gewalt der Herrschenden auch gegen Sie richten!
Links für eine weitere Recherche:
http://de.indymedia.org/2001/07/4866.html - ausführlicher Bericht mit Fotos und Videos
http://de.indymedia.org/2001/07/4888.html - Interview mit Betroffenen der Stürmung des Medienzentrums
http://de.indymedia.org/2001/07/4863.html - noch ein Bericht
http://italia.indymedia.org/ - Berichte aus Genua
Dieser offene Brief ist kein »offizielles« Schreiben irgendeiner bestimmten Gruppe (insbesondere nicht von indymedia), sondern von verschiedenen Menschen verfaßt, die die Hetze und die Lügen, die durch viele, wenn auch zum Glück nicht alle, Medienvertreter betrieben wird, nicht länger hinnehmen wollen.
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Mehr Infos gibt's bei http://de.indymedia.org - Indymedia ist unabhängige nichtkommerzielle Berichterstattung von unten über wichtige soziale und politische Themen vor Ort und weltweit. Hunderte von Medieninitiativen und AktivistInnen sind daran beteiligt. Indymedia ist ein internationales hierarchiefreies Netzwerk und versteht sich als Teil des weltweiten Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung.
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