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Leipzig: Deutschland den Krieg erklären!

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Deutschland den Krieg erklären!

Den zivilgesellschaftlichen Militarismus und die Neue Weltordnung angreifen!

Am 1. September 2001 wird die Zivilgesellschaft in Leipzig gegen eine Nazidemonstration aufmarschieren und des Weltfriedens gedenken. Das bgr (Leipzig) ruft die radikale Linke auf angesichts der Normalisierung einer militärischen Außenpolitik, die mit dem Krieg gegen Jugoslawien einsetzte und aktuell mit der Errichtung eines Protektorats Mazedonien fortgesetzt wird, die Inszenierung des zivilgesellschaftlichen Militarismus anzugreifen.

Bundeswehr auf dem Balkan

Das ehemalige Jugoslawien ist zum Symbol für die endgültige Überwindung der deutschen Niederlage im II. Weltkrieg geworden. Wo einst PartisanInnen gegen die Wehrmacht kämpften, werden heute wieder deutsche Soldaten von Menschen umjubelt, die als AlbanerInnen nach den alten ethnischen Teilungen in die damaligen Freund-Feind-Schemata AlbanerInnen, KroatInnen und MuslimInnen als ParterInnen der deutschen Nazis, SerbInnen als deren GegnerInnen) passen. Volksgruppenpolitik und ethnische Säuberungen nach der Errichtung von Nato-Protektoraten inklusive.
Mit der Beteiligung am Kosovokrieg der Nato-Truppen gegen Jugoslawien hat Deutschland seine seit dem 8. Mai 1945 eingeschränkte Souveränität wieder voll hergestellt. Rücksichten auf die Geschichte werden nicht genommen. Die Tradition der Wehrmacht, in der sich die Bundeswehr sieht, ist keinesfalls mehr Anlaß zur Zurückhaltung. Der Einsatz der Bundeswehr gehört seit dem folgerichtig zu den gängigen außenpolitischen Instrumentarien. Wenn jetzt auch in Mazedonien deutsche Truppen stationiert werden, ist dafür schon kein besonderes Argument mehr nötig. Wurden bei der Entscheidung zum Krieg um den Kosovo noch gewichtige moralische Zwänge angeführt, so wird heute fast auf jede Begründung verzichtet.
Erst wird der Einsatz mit anderen Nato-Staaten abgesprochen, dann ist der Zwang zur Bündnistreue ausreichend, um einen Konsens über die Notwendigkeit der Militärexpedition zu erzeugen.
Die Geschwindigkeit dieser vorraussehbaren Normalisierung ist atemberaubend. Aber nachdem sich beim letzten Einsatz kein ernsthafter
Widerstand regte, wird die breite Zustimmung der deutschen Gesellschaft zu Kriegen jetzt berechtigter Weise vorausgesetzt.
Der Streit um den Einsatz deutscher Truppen in Mazedonien entzündete sich deshalb nicht an der Frage, ob es hinreichende Gründe dafür gäbe. Schon gar nicht daran, ob es für eine deutsche Armee solche Gründe überhaupt geben kann und die Frage, ob eine deutsche Armee nicht prinzipiell zerschlagen werden sollte, ist heutzutage völlig verstummt. Der Streit um den Einsatz deutscher Truppen in Mazedonien entzündete sich an der Frage, ob die Bundeswehr nicht zuvor gestärkt werden müsse, um solche Einsätze "durchzuhalten".
Es handelte sich nicht um eine Frage des Ob, sondern des Wie. Denn an der Legitimität militärischen Handelns besteht in der bundesdeutschen Gesellschaft kein Zweifel. Lediglich vereinzelte Abgeordnete der Grünen stimmen dem Einsatz nicht zu. Und die PDS fragt
nach bekanntem Muster, ob der Einsatz nicht besser unter der Hoheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) statt der Nato stehe. Widerstand sieht anders aus, obwohl solche Positionen in Deutschland gegenwärtig schon als links außen gelten.
Nicht einmal der Umstand, das allgemein Zweifel an der Einschätzung über die Dauer der militärischen Intervention gehegt werden, führt zu Kritik. Vielmehr sind sich alle einig, daß eine realistischere Einschätzung an der gesellschaftlichen Zustimmung nichts ändern kann. Der Einsatz deutscher Truppen ist unbedingt gewollt.

Deutschlands Rolle

Hintergrund dieser allgemeinen Zustimmung zum Instrument Bundeswehr in der Außenpolitik, ist das Bild von der Rolle Deutschlands in Europa und der Welt. Deutschland ist in der Eigenwahrnehmung eine, wenn nicht die, große Zentralmacht des europäischen Kontinents: politisch und ökonomisch. Diese Rolle kann aber nur dann wirklich ausgefüllt werden, wenn in ihr eine entsprechende militärische Potenz enthalten ist. Die Rückkehr Deutschlands zu einer uneingeschränkten Großmachtpolitik vollzieht sich heute im Rahmen von Bündnissen. Militärisch dominierend ist dabei gegenwärtig die Nato, während ökonomisch und politisch die EU der maßgebende Zusammenhang ist. Dieses Ungleichgewicht zeigt sich auch in der militärischen Ausrichtung deutscher Außenpolitik. Führt derzeit kein Weg an der Nato und damit den USA als Bündnispartnerinnen vorbei wird mit der zunehmenden Aufrüstung der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee auch die Stärkung der Westeuropäischen Verteidigungsunion (WEU) vorangetrieben.
Diese Einbindung in Bündnisse wird zur Legitimation von Militäreinsätzen genauso herangezogen, wie es die treibende Rolle der einzelnen Regierungen unklar werden läßt. Kriege wie gegen Jugoslawien werden dann nicht geführt, weil Staaten Kriegsgründe für gegeben erklären,
sondern weil im Rahmen internationaler Vereinbarungen und Anfragen Bündniserfordernisse geschaffen werden. In einer solchen Situation
kann eine radikale Linke entweder dazu übergehen, Hauptschuldige auszumachen, die dann wahlweise Deutschland oder USA heißen können. Sie kann aber auch realistischer dazu übergehen, den Charakter der Bündnisse zu begreifen und die Beteiligung an deren Überfällen mit ihnen zusammen zu kritisieren. Es geht darum sich nicht der Sachzwanglogik einer EU oder Nato zu beugen, in denen jede Regierung auf den Willen der anderen zur Legitimation ihres eigenen verweist.
Die bisher zur Rolle Deutschlands prononciert vorgetragenen Analysen sind entweder antideutsch oder antiamerikanisch geprägt. Dabei versucht die antideutsche Variante, die deshalb attraktiv ist, weil sie der alten Wahrheit, daß der Hauptfeind im eigenen Land zu suchen sei, zu ihrem Recht verhilft, Deutschland zur zentralen Macht in Nato und EU zu stilisieren. Die BRD hat in dieser Sicht dann die USA zu ihrem maßgeblichen Militäreinsatz gegen Jugoslawien mittels diplomatischer Schliche gedrängt. Wohingegen der antiamerikanische Antiimperialismus aus dem militärischen Gewicht der USA auf deren Dominanz in der Nato schließt und das massive deutsche Interesse an der gewaltsamen Zerschlagung Jugoslawiens, das weit über das tatsächliche Interesse der USA hinausgeht aus dem Blick verliert.
Gegenüber einem sympathischen, aber realtätsfernen Antideutschtum oder dem im Rahmen der Antiglobalisierungsproteste neu erstarkenden Antiamerikanismus hat ein die Rolle supranationale Bündnisse analysierender Ansatz also den Vorteil, nicht auf Verschwörungs- und geheimnisvolle Dominanztheorien zurückgreifen zu müssen. Statt dessen rückt für uns mit der Ablehnung eines
Bündniszwangs, dem die BRD unterliegen soll, eine Kritik der deutschen Zivilgesellschaft als Subjekt des politischen Willens zum Krieg ins Zentrum der Antikriegspolitik. Diese Gesellschaft ist es schließlich, die durch ihre Zustimmung zum Projekt der europäischen Zentralmacht Deutschland, die Militäreinsätze im Rahmen der Nato erst möglich macht. Erinnert sein nur an die Aussage des Nato-Sprechers Jamie Shea während des Krieges um den Kosovo, ein Verlust der öffentlichen Zustimmung in der BRD hätte den Verlust der Zustimmung im gesamten Bündnis nach sich gezogen.
Doch diese Zustimmung zu einem militärisch agierenden Großdeutschland, daß seine Werte und Interessen weltweit durchsetzt, ist derzeit
von niemandem in Frage gestellt. Die rassistischen Diskurse, die eine moralische, geistige, ökonomische und politische Überlegenheit
"Kerneuropas" behaupten, geben diesem Denken eine zusätzliche Legitimation. Wenn wir davon sprechen den Militarismus der Zivilgesellschaft anzugreifen, bedeutet dies für uns also auch, gegen die Großmachtsphantasien und das sie stützende rassistische Weltbild vorzugehen. Im Gegensatz zu den traditionellen linken Kritiken an einer Bündniseinbindung der BRD geht es unserer Kritik nicht um eine Stärkung nationalstaatlicher Souveränität. Diese sehen wir im Gegenteil gegenwärtig gerade in den Bündnissen schon verwirklicht und damit als wesentlichen Teil des Problems. Unser Ziel kann nicht heißen "Ami go home", sondern Deutschland zerschlagen.

Der Materialismus der Neuen Weltordnung

Doch die herrschende Weltordnung ist keine isolierte Tatsache moralischer Überlegenheitsgefühle und kultureller Dominanzbestrebungen.
Ihre Entwicklung ist auch die einer ökonomischen Dominanz, in der sich verschiedenen Zonen ökonomischer Zusammenhänge bilden. Die Umgestaltung Mittelamerikas im Rahmen der NAFTA ist dafür genauso ein Beispiel wie der ASEAN Verbund oder die Entwicklung der EU zu einem neuen sozio-ökonomischen Gebilde, das zur US-amerikanisch dominierten Zone in Konkurrenz steht.
Die Neuaufteilung der Welt in sozio-ökonomischen Zonen bringt eine neue Stufe der weltweiten Durchsetzung des Kapitalismus mit sich.
Verwirklicht wird nicht nur die Durchsetzung einer bestimmten Produktions- und Verwertungsordnung, die sich durch internationale Konkurrenz entwickelt. Die neuen Zonen sind geprägt von einer direkten Verwirklichung politischer, sozialer und ökonomischer Normen. Sie sind damit Ausdruck postimperialistischer Dominanzverhältnisse, die nicht desto trotz die alte Ordnung reicher und armer Zonen aufrecht erhalten soll. Die alten imperialistischen Staaten, sind immer noch die Zentren dieser Ordnung. Hier werden die Regeln festgelegt und ihre Einhaltung wird von hier aus militärisch zementiert.
Wenn - wie z.B. im ehemaligen Jugoslawien geschehen - sich ein Land nicht an die herrschenden Spielregeln halten will, so muß es mit Konsequenzen rechnen. Die Verletzung der Menschenrechte wird von verschiedenen Nato-Staaten zum Grund genommen, Krieg zu führen.
Menschenrechte sind dabei als Code für die Weltordnung zu verstehen und damit kein isoliertes Kriterium für einen Kriegseinsatz, sondern legitimatorischer Universalitätsanspruch des als überlegen präsentierten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsmodells.
Deutschland ging in seinen Bestrebungen, endlich einen Quasi-Großmachtstatus zu erhalten, einen Schritt weiter. Als nämlich die Frage nach der Legitimation des ersten deutschen Kriegseinsatzes seit 1945 gestellt wurde, lautete die Antwort: Nie wieder Auschwitz! So richtig dieser Satz an sich auch ist, diente der Bezug auf die Vergangenheit hier nur dazu, deutsche Träume zu beflügeln. Alle, die als Repräsentanten einer anderen Ordnung der Verwirklichung deutscher Vorstellungen im Weg stehen, müssen damit renen, wenn dies zur Legitimation des Kampfes gegen sie notwendig erscheint, als neuer Hitler gebrandmarkt zu werden. Für die deutsch-nationale Zivilgesellschaft bedeutet, daß das neue Deutschland aus der Vergangenheit wirklich gelernt hat, daß ihm deswegen eine neue Rolle in der Welt gebührt. Kriege Deutschlands werden jetzt mit der moralischen Rechtfertigung der Verhinderung eines neuen Auschwitz bedenkenlos der Bevölkerung vermittelt, auch wenn sie einem ganz anderen Zwecke dienen: Deutschlands neue Vormachtstellung im Weltsystem festzuschreiben und auszubauen.
Im Sinne dieses Ziels lassen sich auch die ökonomischen Motivationen einer militärischen Zerschlagung Jugoslawiens genauer fassen. Mit der kriegerischen Aufteilung des ehemaligen Jugoslawiens in Kleinstaaten ging die Ausweitung der DM-Euro-Zone einher. Derzeit verfolgen alle aus diesem Krieg hervorgegangenen Staatengebilde, die sich als Ausdruck autonomer "Volksgruppen" konstituierten, das Ziel einer Integration in die EU.
Damit ist es gelungen, den Balkan zur direkten Einflußzone der sich erweiternden EU werden zu lassen. Die Unterordnung dieser europäischen Region unter die politische und wirtschaftliche Führung Deutschlands kann heute als durchgesetzt betrachtet werden. Durch die Beteiligung am Wiederaufbau der zerstörten Region profitiert die europäische und vor allem die deutsche Wirtschaft zusätzlich.
In diesem Zusammenhang gewinnen auch all jene Analysen ihre Bedeutung, die auf die besonders treibende Rolle der BRD bei der Sezession einzelner Gebiete von Jugoslawien hinweisen. Die schnelle Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch die BRD sind dafür genauso Belege wie die Unterstützung der UCK. So ist auch zu verstehen, warum die USA im Rahmen der Nato auf eine militärische Eigenvertretung der EU bei der Durchsetzung europäischer Interessen drängen. Denn die entstandenen politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten bis hin zur Verwaltung eines Protektorats wie gegenwärtig im Kosovo nützen in erster Linie Deutschland bzw. der EU.

Widerstand! Gegen imperialistischen Antifaschismus und die Zivilgesellschaft

Für uns kommt es gegenwärtig vor allem darauf an, mit zu beginnen, den Widerstand gegen die neue Großmachtpolitik zu organisieren.
Dafür ist es notwendig, den kapitalistischen Charakter der neuen Weltordnung genauso im Blick zu behalten wie den imperialistischen Universalismus bürgerlicher Werte, auf den sich ihre Legitimation stützt.
Wenn heute in Den Haag ein internationaler Gerichtshof der Allianz gegen Jugoslawien Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Slobodan Milosovic und anderer verurteilen will, werden die Parallelen zum Nürnberger Prozeß gesucht. Der imperialistische Antifaschismus ist also kein rein deutsches Phänomen. Er kann nach Belieben zur Rechtfertigung des Krieges gegen die eine oder die andere Seite benutzt werden. Wie beliebig die Zuschreibungen dabei sind zeigt sich am Beispiel der UCK, die im Kosovo - als es um dessen Abspaltung von Jugoslawien ging - als legitime Vertretung einer von "ethnischen Säuberungen" bedrohten "albanischen Volksgruppe" galt. In den Auseinandersetzungen im unmittelbar angrenzenden Mazedonien ist dieselbe UCK plötzlich zu einem marodierenden Haufen Terroristen geworden, die für das völkische Projekt eines Großalbaniens kämpfen, an dessen Erstarken in der Region kein wirkliches Interesse im Rahmen der Europastrategien besteht. Obwohl die Vergleiche mit Hitler und dem nationalsozialistischen Deutschland nicht als spezifisch für die BRD gelten können, haben sie hier jedoch eine andere Bedeutung als in den Staaten der Alliierten des II. Weltkriegs. In der BRD ist die Relativierung des Nationalsozialismus immer Teil des nationalen Projekts. Der deutsche Regierungsantifaschismus, wenn er im Rahmen des imperialistischen Universalismus verwand wird, ist dann plötzlich ein Instrument völkisch orientierter Politik.
Dem widerspricht die Gegensätzlichkeit zwischen Zivilgesellschaft und Nazibewegung nur scheinbar. Die Zivilgesellschaft vertritt eine andere Spielart des deutschen Nationalismus. Sie präsentiert sich quasi als Gegengewicht zum völkischen Nationalismus der Nazis und kann daher mit diesem nicht mitgehen. Sie erwartet heute, dass Deutschland, nachdem es sich als "geläutert" präsentiert hat, auf anderem Wege eine führende Macht in Europa und der Welt wird. Das Großmachtstreben Nazideutschlands und der BRD stehen sich in der Strategie der Verwirklichung konträr gegenüber. Deshalb stören die Nazis mit ihrer Ablehnung der Nato und ihrem positiven Bezug auf den Nationalsozialismus bei der Umsetzung des nationalen Projekts Großmacht Deutschland nur. Wenn am 1. September die Nazibewegung und die Zivilgesellschaft aufeinander treffen, wird die gesellschaftliche Situation offensichtlich, in der die BRD zum Beginn des 21. Jahrhunderts wieder zur Militärmacht geworden ist. An diesem Punkt gilt es für uns zu verdeutlichen, daß der zivilgesellschaftliche Antifaschismus ein imperialistisches Projekt ist, das zur Definition von Situationen genutzt werden kann, in denen die kapitalistisch-bürgerliche Ordnung militärisch durchgesetzt werden soll.
Die radikale Linke, die sich in den letzten Jahren maßgeblich als Antifabewegung definiert hat, kann heute nicht einfach nur gegen die Nazibwegung vorgehen. Sie muß ihren Begriff von Antifa verteidigen, indem sie gegen den Militarismus vorgeht, der sich in der BRD neuerdings hinter ehemals explizit linken Forderungen verbirgt. Alle Angriffe, die wir am 1. September gegen Nazis und die Zivilgesellschaft unternehmen, stehen unter Imperativ "Deutschland den Krieg erklären!".

damals wie heute: Desaster Area in Leipzig

Am 1. September, dem Tag, an dem sich der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen zum 52. Mal jährt, wollen die freien Kameradschaften um Thomas Wulff und Steffen Hupka erstmals wieder seit dem 1. Mai 1998 in Leipzig einen Naziaufmarsch organisieren.
Sie wählten als Motto: "1. September - damals wie heute: für Freiheit, Frieden und Selbstbestimmung." Im Aufruf wird Deutschlands alleinige Kriegsschuld geleugnet. Deutschland wird vom Täter zum Leidtragenden umgedeutet, wodurch Opfermythen erhalten und transportiert werden.
Mit diesem Motto wählten die Anmelder eine Thematik, die in der Naziszene zum einen hoffähig und zum anderen wenig kontrovers ist.
Doch was sie darunter verstehen, wird vor folgendem Hintergrund deutlich: Für den Ausbruch des zweiten Weltkrieges machen die Nazis "kapitalistisch-imperialistische Kräfte" verantwortlich, Deutschland soll "in den Krieg gestürzt" worden sein. Dieselben Mächte (im Aufruf nicht näher benannt, aber im Kontext des nationalsozialistischen Duktus durchaus als "jüdischer Weltimperialismus" zu entschlüsseln) morden angeblich seit 1945 in der Welt, zetteln Kriege an und "schicken auch jetzt deutsche Soldaten für ihre Interessen in fremde Länder". Freiheit und Frieden bedeuten in dieser Lesart die national geprägte Freiheit Deutschlands, den Frieden eines deutschen, völkischen Imperialismus. Selbstbestimmung steht also vor allem für die Unabhängigkeit Deutschlands von Kooperationsstrukturen mit anderen Staaten. Der "Antikapitalismus", den die Nazis vertreten, ist ein antisemitischer. Kritisiert wird nicht die kapitalistische Produktionsweise an sich, kritisiert wird die Herrschaft der Interessen derer, die Kapital besitzen und von seinen Erträgen leben. Dabei gehen sie noch einen Schritt weiter und schreiben diese Herrschaft einer bestimmten Menschengruppe, den Jüdinnen und Juden zu. Angestrebt wird ein Modell, in dem Entscheidungen im Sinne der "Volksgemeinschaft" fallen, eine Wirtschaft also, die genau diesen völkisch-nationalen Interessen dient. Das erklärt, warum Kriegseinsätze Deutschlands unter der Nato abgelehnt werden: Sie wird als Instrument betrachtet, mittels dessen die "kapitalistisch-imperialistischen Kräfte" (namentlich die USA) Deutschland an sich binden. Wenn Deutschland also heute um eine führende Rolle in der Welt ringt, so macht es sich im Verständnis der Nazis zum Instrument der fremden kapitalistischen Mächte.
Für den übergroßen Teil der Gesellschaft, der sich auf bürgerlich-demokratische Normen verpflichtet sieht, ist die Schuld am zweiten Weltkrieg nicht bei den "kapitalistisch-imperialistischen Kräften" der Nazidiktion zu suchen, sondern bei "den Nazis" selbst, die gewissermaßen das deutsche Volk verführt und ins Unglück gestürzt haben. Entgegen der zu Nazideutschland bestehenden Kontinuität versucht die Mehrheit der Deutschen ihre Mitschuld und ihr Mitwirken an den Verbrechen Nazideutschlands auf Einzeltäter abzuwälzen. Daß von Deutschen während der "Blitzkriege" mit der Wehrmacht begeistert über Europa hergefallen wurde, um neuen "Lebensraum zu schaffen", wird aus dem Bewußtsein der deutschen Geschichte verdrängt. Statt dieser Tatsachen wurden mit den Naziführern Schuldige gefunden und die Zivilgesellschaft kommt um eine angemessene Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte am 1. September bequem drum herum.
Die Gegenaktivitäten der Zivilgesellschaft werden sich vorhersehbarer Weise auf ein friedliches Fest gegen die Nazis und Gewalt beschränken. So wird sich das zivilgesellschaftliche Engagement in Leipzig an diesem Datum darauf reduzieren, den Nazis zu zeigen, daß sie unerwünscht sind und ein Opfergedenken zu zelebrieren, bei dem sich das neue Deutschland als Resultat der Lehren aus Nationalsozialismus und Weltkriegen präsentieren kann. Die Abgrenzung von den Nazis und ihren Forderungen, dient dabei dem Beweis, daß in der BRD jene notwendigen demokratischen Prinzipien verwirklicht seien, die von den Nazis noch immer nicht begriffen wurden. Und wenn an diesem 1. September der Jahrestag des Überfalls auf Polen thematisiert wird, dann nicht um eine neuerliche Kriegsbeteiligung Deutschlands zu verhindern. Denn die versammelte Zivilgesellschaft hat gerade nicht im Sinn, gegen deutschen Krieg und erneute Großmachtphantasien aufzutreten. Könnte sich eine radikale Linke mit einer konsequenten Ablehnung der Nazibewegung und ihrer Ideologie noch anfreunden - mit der Motivation dafür, die den Universalismus des zivilgesellschaftlich-demokratischen Militarismus wesentlich enthält, kann sie es nicht.
Deutschlands aktueller Antifaschismus, der nach außen getragen wird, muß auch im Innern gelten, sonst würde er jede Glaubwürdigkeit einbüßen. Die Einsätze der Bundeswehr sind an eine hohe Zustimmung innerhalb der Bevölkerung gebunden, die z.B. im Falle des Kosovokrieges gegen Jugoslawien über systematische Desinformation und Vergleiche der jugoslawischen Politik mit den Verbrechen des Nationalsozialismus erreicht wurde. Wenn Massaker zum Beweis "ethnischer Säuberungen", KZs und Selektionen erfunden wurden, die späteren Recherchen alle nicht standhielten, muß zumindest der antifaschistische Ansatz, da wo er mit offensichtlichen Nazis konfrontiert wird, durchgehalten werden. Dies fällt um so leichter, da die Nazis versuchen, in die Gesellschaft ihr der Neuen Weltordnung mit ihren supranationalen Interventions- und Durchsetzungsstrategien unangemessenes Modell zum Erlangen deutscher Größe hineinzutragen.
Der Weg der Nazibewegung zur deutschen Großmacht ist nicht einfach eine Radikalisierung der ohnehin ablaufenden und gerade aus Sicht des Erlangens eines Großmachtstatus sehr erfolgreichen Prozesses. Er widerspricht ihnen wesentlich, so daß sich beide Konzepte unvereinbar gegenüber stehen. So würde es schließlich auch bei den PartnerInnen im Ausland auf Unverständnis stoßen, wenn dem Treiben der Nazis nicht etwas entgegengesetzt würde. Um das Bild des geläuterten Deutschlands zu erhalten, muß etwas getan werden: das heißt, die Zivilgesellschaft wird mobilisiert, oder deren VertreterInnen, wie zum Beispiel Gewerkschaften, Parteien links der CDU, Kirchen usw.
Sicherlich wird es auch in Leipzig derartige Aktivitäten geben. Es wird sich also eine auf den ersten Blick recht paradoxe Situation ergeben:
Die Nazis, die für ihr mächtiges Deutschland aufmarschieren, werden von der versammelten Zivilgesellschaft empfangen, die ihre Visionen einer Rolle Deutschlands in Europa verteidigen.
Es ist also essentiell, an diesem Tag ein mehrgleisiges Konzept zu fahren. Wir müssen den Nazis zeigen, daß sie noch mit uns zu rechnen haben. Wenn die Zivilgesellschaft zu ihren alten Konzepten der Ignoranz oder demokratischen Konkurrenz zur Nazibewegung zurückkehrt, gilt den Nazis, ihrer menschenverachtenden Ideologie und Praxis noch immer unser Haß! Die lokale und überregionale Szene will sich an neuerliche Aufmärschen wieder organisieren und hofft so, einen Aufschwung zu bekommen. Ihr Ziel ist es, im Rahmen der Kameradschaftsstrukturen den militanten Nazicliquen ein Gefühl von Handlungsmöglichkeiten nach innen und außen zu vermitteln. Gelingt es uns erneut, den Naziaufmarsch erneut massiv zu be- oder gar zu verhindern, wird das für die versammelten Kameraden eine demotivierende Wirkung haben.
Weiterhin ist es für uns notwendig, eine klare Abgrenzung zu den versammelten BürgerInnen zu ziehen. Denn das Projekt für das sie stehen fordert ebenfalls unseren Widerstand. Zum einen stellen ihre Aktivitäten gegen nazistische Tendenzen in Deutschland nur eine Abgrenzung im Rahmen eines eigenen nationalen Großmachtstrebens dar. Zum anderen zeigt genau der wenig erfolgversprechende Ansatz der Nazibewegung, daß die Nazis im Moment eine gesellschaftlich eher unbedeutende Rolle einnehmen, weil es ihnen in ihrer augenblicklichen Position nicht gelingt, ihre Inhalte in die Gesellschaft zu tragen. Diese Zivilgesellschaft stellt zur Zeit die übergroße Mehrheit der Bevölkerung dar (auch wenn natürlich Unterschiede zwischen einer rot-grünen Regierungspolitik und den Gegebenheiten in den Provinzen immer noch eine weitgehenden Konsens der Nazibewegung mit dem "gesunden, deutschen Menschenverstand" erhalten), die damit in der Lage ist, ohne Nazis als Stichwortgeber ihre Visionen umzusetzen. Das heißt, daß wir uns an diesem Tag auch stark mit dem zivilgesellschaftlichen, geläutert erscheinenden Deutschland auseinandersetzen müssen, statt nur mit dem Aufmarsch der Nazis. Wir können und müssen uns am 1. September den Nazis entgegenstellen, aber genauso die versammelte Zivilgesellschaft angreifen.

Deutschland den Krieg erklären!
Desaster Area in Leipzig

 

07.08.2001
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