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Wunsiedel/ Bayern: Freie Bahn für braune Horden

"junge-Welt" v. 20.08.01


Freie Bahn für braune Horden
Wunsiedel: Alt- und Neonazis durften Heldenfeier für Rudolf Heß abhalten. jW-Bericht

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Rund 900 Rechte durften am Sonnabend im oberfränkischen Wunsiedel des ihrer Meinung nach »letzten deutschen Helden« Rudolf Heß gedenken. Der damals 93jährige Hitler-Stellvertreter beging am 17. August 1987 im Alliierten-Gefängnis in Berlin-Spandau Selbstmord. Der Aufmarsch war am Freitag abend vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München genehmigt worden, der damit das Demonstrationsverbot des Bayreuther Verwaltungsgerichtes und des Landratsamtes Wunsiedel aufhob. Das braune Pilgertreffen fand so erstmals seit mehr als zehn Jahren wieder im Heimatort von Heß statt. Den Auflagen des Gerichts zufolge durften die Rechtsextremisten jedoch nicht den Friedhof betreten, auf dem der in Nürnberg verurteilte Kriegsverbrecher begraben liegt. Angesichts der Genehmigung des Aufmarsches buchstäblich in letzter Minute gibt es zu denken, daß die Neofaschisten eine derart große Zahl von »Kameraden« aus dem gesamten Bundesgebiet mobilisieren konnten.

Sowohl der Neonaziaufmarsch als auch eine Gegenkundgebung von nach Angaben der Veranstalter etwa 400 Menschen wurden von einem starken Polizeiaufgebot begleitet. Die Gegendemonstration war vom Landratsamt Wunsiedel am vergangenen Mittwoch ebenfalls verboten worden (jW berichtete am 16. 8.). Am Freitag abend hatte das Bayreuther Verwaltungsgericht das Verbot jedoch aufgehoben. An der antifaschistischen Demonstration habe auch der Landrat von Wunsiedel teilgenommen, so Emma Engelhardt von der VVN-BdA Hof am Sonntag gegenüber jW. Er habe sich fassungslos über die Aufhebung des Verbots des Heß-Gedenkmarsches gezeigt.

Die bayrische Gewerkschaft der Polizei machte in erster Linie die Politik für den Heß-Gedenkmarsch verantwortlich. Weil den Sonntagsreden gegen rechts keine Taten folgten, gerieten wieder einmal die Polizeibeamten vor Ort zwischen alle Fronten, kritisierte der Pressesprecher der GdP in Bayern, Werner Leberfinger. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Gerhard Vogler, griff indes die Justiz für die Zulassung des Aufzuges scharf an. Nach Ansicht von Vogler hat der Verwaltungsgerichtshof München mit der »seit zehn Jahren bewährten« Praxis gebrochen, das Heß-Grab nicht zur Wallfahrtstätte für Neonazis werden zu lassen. Die Auswirkungen dieses Bruchs würden erst in den Folgejahren zu spüren sein, warnte Vogler.

Auch im brandenburgischen Wittstock kam es am Sonnabend zu einem Aufmarsch von rund 70 Neonazis. Während des Aufzugs wurden unter anderem zwei Transparente beschlagnahmt, auf denen behauptet wurde, Rudolf Heß sei ermordet worden. Das zuständige Oberverwaltungsgericht hatte erst zwei Stunden vor Beginn der Demonstration deren polizeiliches Verbot aufgehoben. In Rotenburg an der Fulda wurden am Wochenende 19 Neonazis festgenommen, die an einem Zeltlager teilnahmen, das ebenfalls aus Anlaß des Heß-Todestages veranstaltet worden war. Wie die Polizei erst am Sonntag mitteilte, lösten Beamte aus Fulda und Bad Hersfeld das Treffen von rund 40 Rechten bereits in der Nacht zum Samstag nach Hinweisen aus der Bevölkerung auf. Die Festgenommenen wurden jedoch unter der Auflage, das Treffen umgehend abzubrechen, wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach Angaben von Polizeisprecher Horst Bichl stellten die Beamten bei der Durchsuchung einschlägige CDs und Bekleidungsstücke sowie Luftdruckwaffen sicher.

 

20.08.2001
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