Oldenburg: Oldenburger Erklärung zur Friedenskundgebung 19.9.01
Oldenburg, 19.9.01
Erklärung des Initiativkreis Attac Oldenburg, PDS Oldenburg, Schweigekreis Oldenburg, Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Landesverband Niedersachen/Bremen, Pastor i.R. Walter Lück, Prof. Dr. Wolfgang Nitsch (Universität Oldenburg), Dr. Pervez Janjua (Islamischer Kulturverein Oldenburg e.V.), Hans-Henning Adler (PDS Oldenburg), Jens Ilse (DFG-VK)
An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
Wir sagen JA zur Solidarität mit den Opfern, wie wir es mit allen Opfern von Krieg und Gewalt tun, aber NEIN zu Völkerrechtsbruch und Krieg, wie sie derzeit von den USA und den übrigen Regierungen der NATO vorangetrieben werden.
Wir sind entsetzt über die grausamen Massenmorde in New York und Washington und drücken den Angehörigen der Opfer und den vielen Menschen, die von den Terroraktionen existenziell betroffen sind, unser Mitgefühl aus. Dieser barbarische und menschenverachtende Akt des Massenmordes hat in uns, sowie vielen unserer Mitmenschen, denen wir täglich begegnen, einen tiefen Schock und Fassungslosigkeit hinterlassen. Eine mitfühlende Solidarität mit den Opfern und eine aggressive Politik in Form von militärischen Aggressionen schließen sich einander aus. Erst eine Weltordnung der sozialen Gerechtigkeit und Hilfe gegenüber unterdrückten Völkern kann dem Terrorismus den Nährboden entziehen.
Es ist zu befürchten, dass die unterdrückte und verarmte Zivilbevölkerung in Afghanistan, die auf Grund mangelnden Zugangs zu medialer Kommunikation am weltpolitischen Geschehen unbeteiligt ist, zum ersten Opfer US-amerikanischer Vergeltungsfeldzüge werden wird. Teile der übrigen islamischen Welt können sich mit den Opfern in Afghanistan solidarisieren und sich in den ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gegen die Aggressoren und ihre Verbündeten zur Wehr setzen. Ein Krieg der USA bzw. der NATO gegen Afghanistan hätte also unabsehbare Folgen für den Weltfrieden.
Die schrecklichen Anschläge dürfen nicht zum Anlass für eine grundlegende Umgestaltung des Völkerrechtes genommen werden. Ein Begriff wie "Vergeltung", was nichts anderes als "Rache" bedeutet, ist dem geltenden Völkerrecht noch fremd. Das Verbot eines Angriffskrieges und der Schutz der einzelnen Staaten dürfen nicht unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung unterhöhlt werden. Für die Medien sowie für die amerikanische Regierung stehen die Schuldigen für die Terrorakte bereits fest. Die islamische Welt als Ganzes wird unter Generalverdacht genommen. Jedoch sind Entscheidungsträger in Politik, Ökonomie und Medien in den USA von einer Mitverantwortung für die Entwicklung nicht freizusprechen. In der Vergangenheit wurden Militärregimes und Terrororganisationen von US-amerikanischer Seite ausgerüstet, unterstützt und funktionalisiert, wobei die Verzweiflung und die Machtlosigkeit von Menschen ausgenutzt wurden, die zu Opfern einer brutalen, ungerechten Weltwirtschaftsordnung geworden sind. Erstmals erfuhren sie - wie die Taliban im Krieg gegen die Sowjetunion - Beachtung, Macht, ihr Selbstbewusstsein erstarkte. Ohne weitere Funktion wurden sie von den USA fallen gelassen.
Die Vereinigten Staaten haben als Letzte verbliebene ökonomische und militärische Supermacht also zu begreifen, dass sie sich nicht ewig aus weltpolitischen Entscheidungsprozessen, über internationale Verträge sowie die Interessen der übrigen Welt hinwegsetzen können. Die NATO-Staaten und insbesondere die USA müssen begreifen, dass ihre Rechnung nicht aufgeht, zum einem wesentlich zu einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung beizutragen, und sich zum anderen aus Ignoranz gegenüber den Folgen hinter einem militärischen Schutzschild zu verstecken. Mit dem Einstürzen des World-Trade-Centers ist für die Bevölkerung der westlichen Welt auch die Illusion der Sicherheit zerbrochen.
Die Bundesregierung, der Bundestag, aber auch wir als Bürgerinnen und Bürger dürfen uns nicht nötigen lassen, einem Rachefeldzug zu folgen, den wir selbst mehrheitlich als unverhältnismäßig betrachten und als gefährlich einstufen. Vielmehr fordern wir uns, dass die Bundesregierung mäßigend auf die US-Regierung einwirkt. Deutschland hat gegenüber den USA keine historische Dankesschuld abzutragen. Deutschland ist Europa und der Welt gegenüber für einen schweren Krieg verantwortlich, viele Menschen wurden traumatisiert. Eine Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Kreuzzügen ist nicht nur unverantwortlich gegenüber den SoldatInnen, sondern auch gegenüber der deutschen Bevölkerung, und sie ist zudem auch verfassungs- und völkerrechtswidrig. Ausserdem wenden wir uns gegen eine Beschränkung des Datenschutzes, der Freizügigkeit, der Asyl- und Einwanderungsrechte, der Meinungsfreiheit. Stattdessen müssen die Regierungen zusammenarbeiten, um eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu schaffen, die den Frieden langfristig sichert.
Die schrecklichen Ereignisse in den USA müssen den Menschen in den westlichen Gesellschaften klar machen, dass sie sich zu entscheiden haben, ob sie in einer Wohlstandsgesellschaft leben wollen, die sich auf einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung gründet, und damit weiterhin Konflikte provoziert, oder ob sie in einer Welt leben wollen, die global die Grundbedürfnisse und Interessen aller Menschen und Staaten berücksichtigt.
Schlussfolgernd fordern wir unterzeichnenden BürgerInnen und Organisationen:
- Die Bundesregierung und -abgeordneten fordern wir auf, einer möglichen Vorab-Zustimmung zu einem Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von Angriffskriegen der USA bzw. NATO, die durch keinerlei völkerrechtliche Bestimmungen gedeckt sind, eine Absage zu erteilen.
- Die BürgerInnen und Regierungen der westlichen Staaten fordern wir auf, ein deutliches Wort der Solidarität allen denjenigen auszusprechen, die sich in anderen, gegen weiteren Terror und für den Frieden ausgesprochen haben. Einer Polarisierung, wie sie gegenwärtig u.a. George W. Bush betreibt, der einen Kampf zwischen >Gut und Böse<, einen >Kampf der Kulturen< zwischen Morgenland und Abendland heraufbeschwört, müssen wir entgegenwirken.
- Unsere Bundesregierung und die Regierungen der übrigen hoch industrialisierten Staaten fordern wir dazu auf, eine gerechte und auf einem globalen Konsens basierende Weltordnung zu verwirklichen, die sich u.a. auf basisdemokratischen Entscheidungsinstitutionen gründet. Beispielsweise ist die Institution der UNO in ihren Entscheidungsstrukturen basisdemokratisch zu reformieren und in ihren überstaatlichen Kompetenzen zu stärken. Militärbündnisse wie die NATO, die nur den egoistischen Interessen von wenigen Staaten dienen, sind aufzulösen. Erst eine von Hunger, Armut und Unterdrückung freie Welt entzieht einem menschenverachtenden Terrorismus die Grundlage.
V.i.S.d.P.: Jens Ilse, Damm 39, 26135 Oldenburg, Tel/Fax 0441 59 47 688
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