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Freiheit? Sieben Thesen zur Lage in Zeiten kriegsvorbereitender Propaganda

1. Das ist kein Krieg

Auch wenn die Dimension der Terroranschläge schockierend ist: Das ist kein
Krieg. Bis jetzt noch nicht. Kriege sind bewaffnete Auseinandersetzungen
zwischen Staaten oder Bürgerkriegsparteien in einem Land; Krieg erfordert einen
bekannten Gegner, dessen militärische Struktur angegriffen werden kann.

Das Etikett »Krieg« lenkt ab von der Fragwürdigkeit von blinden
Vergeltungsschlägen, die vorwiegend aus symbolischen und innenpolitischen Gründen
forciert werden. Es sei daran erinnert, daß z.B. die »Ziele« im Sudan, die 1998 von
den USA bombardiert wurden, sich nachträglich als »Irrtum« herausstellten.
Terror wird durch Gegenterror nicht bekämpft, und er rechtfertigt ihn nicht.

2. Es kommt jetzt alles darauf an, keinen Krieg daraus zu machen

Die Rhetorik vom Krieg und die Politik des Gegenschlags spielt in
leichtfertiger Weise mit der Gefahr eines tatsächlichen Krieges, vor allem eines
Krieges zwischen dem Westen und arabischen Ländern. Zweifellos geht Terror in der
Welt auch vom Boden der USA und Europas aus; daß eine Bombardierung
entsprechender »Zentren« nicht verständnisvoll hingenommen werden kann, erleben wir
gerade. Dasselbe gilt für Länder in Asien, Afrika oder Nahost aber auch. Aktuell
ist es der Westen, der einen Angriffskrieg gegen arabische Staaten
vorbereitet, der bereits als Krieg des Guten gegen das Böse abgefeiert wird. Die
Geschwindigkeit, mit der angebliche »Erkenntnisse« produziert werden, ist mehr als
fragwürdig. Die Leichtfertigkeit, mit der das Risiko eines tatsächlichen
Krieges in Kauf genommen wird, ist ebenso schockierend wie das Desinteresse an
den Menschen, deren Leben direkt und indirekt gefährdet wird.

3. Das ist kein Anschlag gegen die Freiheit, nicht einmal gegen den
Kapitalismus, und es läßt sich auch keiner draus machen

Mit den verheerenden Anschlägen sind weder die »freie Welt«, sprich der
Westen, noch die »zivilisierte Welt«, sprich die Industriestaaten, auch nicht die
»Demokratie«, sprich der Kapitalismus angegriffen worden. Abgesehen davon,
daß man bis jetzt nicht weiß, wer die Anschläge mit welchem Ziel durchgeführt
hat, richten sie sich gegen Symbole der USA als weltweiter
Interventionsmacht, ökonomisch und militärisch. Das ist eine relativ spezielle Botschaft. Die
Rede vom »Angriff auf die Freiheit« bäckt dieses spezifische Gewaltpotential
mit allem und allen in der Gesellschaft zusammen und verdeckt gezielt, daß
eben diese Interventionsmacht und -praxis seit langem bewußt und kalkuliert
Risiken auch für die eigene Bevölkerung anzieht - vor allem, indem sie anderswo
Gewalt ausübt und Armut schafft, aber auch, indem sie bedenkenlos Gruppen
militärisch aufrüstet, über die sie dann die Kontrolle verliert.

4. Das ist kein Anschlag für die Freiheit, nicht einmal gegen den
Kapitalismus, und es läßt sich auch keiner draus machen

Man muß keine Sympathie für das Pentagon oder für das internationale
Finanzkapital hegen, um festzustellen, daß die Anschläge eine faschistische
Handschrift tragen. Ähnlich wie bei den Anschlägen in Bologna, Oklahoma und anderen
sollten mit maximaler Gewalt möglichst viele Menschen getötet werden, Chaos
und Krieg sind die kalkulierten, erhofften Folgen dabei. Der Tod von
Zivilisten, die unmittelbare Lebensgefahr die für Palästinenser, für Israelis, für die
Bevölkerung arabischer Staaten und viele andere hervorgerufen wird, sind den
Tätern vollständig gleichgültig.

Egal ob die Verantwortlichen arabische Fundamentalisten, amerikanische
Rechtsextreme, eine Verbindung mehrerer Gruppen oder ganz andere waren: Hier läßt
sich kein antikapitalistischer Kontext konstruieren, hier rechnet ein
reaktionäres, organisiertes Machtpotential mit einem Gegner ab, der der eigenen
Macht im Weg steht; hier wird geschlachtet, weil man sich von den Folgen eine
Eskalation verspricht, von der das eigene Machtgebilde auf Kosten zahlloser
anderer profitieren soll.

5. Die Anschläge sind der Bankrott einer militärisch und polizeilich
fixierten Sicherheitspolitik; ein Weitergehen in diese Richtung ist
verantwortungsloses Hasard

Die Rede vom Krieg verdeckt auch, daß es vor Terroranschlägen keinen
absoluten Schutz gibt. Die eigene Sicherheit zu erhöhen, erfordert Politik, nicht
militärische Schlagkraft. Es erfordert eine Politik, die zumindest in höherem
Maße auf Kooperation, Ausgleich und Kompromiß bedacht ist, wenn es um
ökonomische Politik und internationale Konflikte geht. Auch wenn die Terroranschläge
nicht beanspruchen können, irgend jemand zu »repräsentieren«, haben sie einen
verbreiteten realen Haß auf den Westen und die USA zur Voraussetzung, um
ihre Söldner zu rekrutieren und sich erfolgreich vor Infiltration abzuschotten.
Diesen Haß kann man militärisch nicht zerschlagen, er ist die Bilanz einer
Politik, die weiten Teilen der Menschheit nichts zu bieten hat - nicht die
Ambivalenz eines noch halbwegs auskömmlichen Lebens im Kapitalismus, sondern
buchstäblich nichts außer Gewalt, Armut, Vertreibung und Demütigung.
Sicherheitspolitik besteht heute im Protest gegen die Politik der G8. Wer findet, am
wichtigsten sei, daß die Bundeswehr jetzt auch möglichst schnell ihre globale
Interventionsfähigkeit weiter vorantreibt, ist nicht nur zynisch, er riskiert
bereitwillig unser aller Leben um der Interessen von Eliten und »Systemzwängen«
willen.

6. Es ist notwendig, deutlich zu machen, daß wir uns weigern, einen Krieg zu
führen

Die an sich bekannte Wahrheit, daß Krieg das Schlimmste ist, was passieren
kann, wird derzeit beschleunigt zugedeckt. Wir erleben kriegsvorbereitende
Propaganda. Es ist wichtig, klarzumachen, daß ein Krieg auf Widerstand stößt.
Anteilnahme und Solidarität für die Getöteten in Amerika und ihre Angehörigen
sind wichtig. Für die innenpolitischen Interessen von Bush und die
strategischen Machtinteressen deutscher Eliten im Nahen Osten den Kopf hinzuhalten, hat
damit nichts zu tun.

7. Es ist notwendig, einer Spirale von Rassismus entgegenzutreten

Es gibt bereits Angriffe auf Ausländer, speziell auf Menschen aus arabischen
Ländern oder aus mehrheitlich moslemischen Ländern, in den USA und auch
hier. Das Spiel von oben ist dasselbe wie immer: Man will solche Übergriffe nicht
haben, betreibt aber die Politik, die sie vorbereitet. Es geht eben nicht
darum, daß »nicht alle Araber so sind« oder der Islam auch ganz nett sein kann.
Es geht um aktiven Schutz für Gefährdete, es geht um eine selbstkritische
Haltung gegenüber der eigenen Politik und Dominanz. Es geht um das Anerkennen
der Tatsache, daß es auch Haß gibt und daß er auch reale Gründe hat. Es geht
um das Eingeständnis der Tatsache, daß der Westen jeder emanzipatorischen oder
sozialen Alternative innerhalb des Islam oder innerhalb der arabischen
Gesellschaften mit kompromißloser Härte entgegengetreten ist, einfach wegen des
Öls. Und es geht darum, mit der realen Vielgestaltigkeit von Positionen,
politischen Überzeugungen und sozialen Kräften endlich zu kooperieren, zu
kommunizieren und zu verhandeln, anstatt sich die Feindbilder zu schaffen, die das
eigene Draufhauen immer wieder aufs neue legitimieren sollen.

 

17.10.2001
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Antimilitarismus]  [Schwerpunkt: WTC / Pentagon]  Zurück zur Übersicht

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