BRD: Antwort von Kolinko auf die antideutschen Kriegsflugblaetter
Antwort auf die Stellungnahmen "Fuer die Zivilisation, fuer den
Kommunismus" (Antideutsche Gruppe Wuppertal ) und "Kritische Fragen
an den friedensbewegten Protest" (Antifa Duisburg, Antifa Muehlheim/
Essen West, Antideutsche Gruppe Wuppertal, Antipostfa Recklinghausen,
AK Antideutsche Kritik in der AADO) (1)
1. Warum wir euch antworten
Uns geht es auch nach den Anschlaegen auf das WTC weiter um den
"Kommunismus", um die der Suche nach der gesellschaftlichen Befreiung
von Ausbeutung und Unterdrueckung. Kommunismus begreifen wir als
Bewegung der Selbstbefreiung der Ausgebeuteten, gegen jede staatliche
oder sonstige Vertretungs- und Vermittlungsstrukturen. Nach den
Anschlaegen, als Zeichen der Barbarei dieser globalen Gesellschaft,
steht der Staat allerdings wieder maechtig und scheinbar
unueberwindbar im Rampenlicht. Uns wundert nicht, dass die diversen
(regionalen) Staats- und Kapitalvertreter, sei es in den USA,
Afghanistan, Israel, Pakistan oder sonst wo, den Anschlag dazu
nutzen, ihre Macht zu stabilisieren und sich vor ihrer "Bevoelkerung"
als notwendige Beschuetzer aufzuspielen. Was ankotzt, ist die
Tatsache, dass auch viele Linke kraeftig dabei helfen, das allgemeine
Abhaengigkeitsgefuehl vom Staat und seinen HelferInnen zu staerken.
So jedenfalls lesen wir u.a. eure oben genannten, in denen ihr die
"Verteidigung der westlichen Zivilisation" bzw. moegliche
"US-Militarschlaege" begruesst. (2)
2. Die politischen Reaktionen nach den Anschlaegen auf das WTC zeigen
die Staatsfixiertheit vieler Linken deutlich
Klar, wie ihr auch an verschiedenen Stellen selbst schreibt,
reagierten viele Linke auf klassische antiimperialistische Art und
Weise auf die Anschlaege. Dabei schwingt ihr gleich die Keule des
Antisemitismusvorwurfs, wenn Leute Brass auf die militaerische und
wirtschaftliche Politik des US-Staats haben (nicht zuletzt auch im
Nahen Osten). Wir koennen den Brass nachvollziehen, kritisieren aber
vor allem zwei Dinge:
a) dass diese Anschlaege als "Angriff auf den Kapitalismus" gewertet
werden; es war schon vor den Anschlaegen klar, dass sich z.B. die
"revolutionaeren Stroemungen" innerhalb der Globalisierungsbewegung
deutlicher von den reformistischen (und tendenziell
antisemitischen/nationalistischen) Vorstellungen vom Kapitalismus als
"Herrschaft des Finanzkapitals" distanzieren muessen. Wir kritisieren
diese Vorstellung in erster Linie, weil sie unserem Beduerfnis nach
Befreiung nicht gerecht wird: wir wollen uns nicht nur von unserem
Bankkonto befreien, sondern vor allem von der zwanghaften Routine
unseres Jobs, der Kontrolle durch die staatliche Verwaltungsmaschine,
dem Hirnschiss durch Erziehung und Bildung etc. Dabei laesst sich das
Kapitalverhaeltnis nicht durch "symbolische Aktionen" (Belagerung von
Gipfeltreffen, Entglasen von diversen Bankfilialen etc.) ernsthaft
erschuettern.
b) dass Linke dazu aufrufen, sich als Reaktion auf die Anschlaege
hinter irgendeine Nation zu stellen; dabei macht es fuer uns erst mal
keinen entscheidenden Unterschied, ob nun zur Unterstuetzung der "vom
US-Imperialismus" angegriffenen Staaten oder wie von euch zur
"Verteidigung Israels und der westlichen Zivilisation" aufgerufen
wird. Denn beide "Lager" haben eines gemeinsam: sie brauchen das
Konstrukt der "Volksgemeinschaft", z.B. der "palaestinensischen" oder
"israelischen". Diese Haltung verschliesst die Augen vor den realen
Konflikten, die in jeder Region vor sich gehen. So ist die
gewalttaetige Politik des israelischen Staats gegenueber vielen
ArbeiterInnen in der Region (taegliche Einreise als billige
Arbeitskraefte, taegliches Abschieben in die umliegenden Ghettos) so
wenig eine Handlung des "israelischen Volks", wie die
Selbstmordattentate und die Folter durch PLO-Bullen die Akte "der
arabischen Welt" sind. Die Aufstaende in vielen arabischen Laendern
gegen die "islamischen Herrscher", wie zuletzt in Algerien, zeigen
deutlich, dass die Vorstellung der "Volksgemeinschaft" bull-shit ist.
Auch diese Regionen sind gepraegt von Klassenkonflikten, die sich
sowohl offen gegen die Ausbeutung richten, als auch als scheinbar
religioese/nationalistische Konflikte kanalisieren lassen.
3. Das Schielen nach dem Staat ist nicht bloss ein "Sehfehler",
sondern Folge der realen Schwaeche des Klassenkampfs
Klar, dieses ganze "Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den
Voelkern, sonder zwischen oben und unten"-Blabla gammelt so vor sich
hin, angesichts der zu begruessenden Krise der "nationalen
Befreiungsbewegungen", aber auch angesichts dessen, dass auf
Ausbeutung und Unterdrueckung momentan selten kollektive und
befreiende Formen des Kampfes gefunden werden. Ihr selbst seht dieses
Problem (3).
Wir sollten uns fragen, warum das so ist, und wie wir es aendern
koennen. Wir sehen sowohl hinter dem Naeherruecken von Teilen der
hiesigen Linken an und in den Staat, als auch im Aufschwung der
Islamisten und anderer Reaktionaere eine Folge der Niederlagen von
Klassenbewegungen: Wenn die Perspektive einer umfassenderen
gemeinsamen Befreiung erstickt wird, scheint der Rueckzug in die
religioese, nationale Gruppe, der Bezug auf den Staat etc. als
einzige Moeglichkeit, sich vor weiteren Verschlechterungen zu
schuetzen bzw. mit der eigenen Misere klarzukommen.
Hierfuer gibt es viele Beispiele: die Revolution im Iran 1978/79
begann als Protest der proletarisierten Landbevoelkerung und der
StudentInnen und konnte durch seine nationale Isolation von den
Ajatollahs in islamistisch-antiimperialistische Bahnen gelenkt
werden. Ebenso der Aufstand in Algerien 1988, der sich gegen die
Krisenpolitik des Staats und die Folgen der IWF-Massnahmen richtete
und erst mit seiner Niederlage von den Islamisten instrumentalisiert
werden konnte.
4. Die Schwaeche der revolutionaeren Bewegung wird durch Forderungen
an irgendeine staatliche Seite nur verstaerkt
Warum "entscheiden" sich Menschen fuer die barbarische Form, auf ihre
beschissene Lage zu reagieren bzw. - was wohl viel haeufiger der Fall
ist - warum tun sie nichts, um diese Lage zu veraendern? Diese Frage
laesst sich nicht auf der individuellen Ebene klaeren, wie es bei
euch im Zitat (2) anklingt. Das Problem laesst sich auch nicht
loesen, in dem mensch auf die Entscheidung der "weltweiten
Arbeiterklasse" wartet, die ohne weltweiten Klassenkampf ebenfalls
nur ein Konstrukt ist. Bleibt also nur der Staat, als "bewusste
Instanz"? Zu diesem Entschluss kommt ihr, wenn auch unter langem Hin-
und Herwinden (4).
Ihr kritisiert erst die Vorstellung, dass mit dem Anschlag auf das
WTC das Kapitalverhaeltnis getroffen worden waere. Jetzt begruesst
ihr selbst Bomben gegen...(ja gegen wen oder was eigentlich), um das
halbfeudale Ausbeutungsverhaeltnis in Afghanistan oder einem anderen
"arabischen Land" zu beenden. Welche Vorstellung von
Befreiungsprozessen stecken dahinter? Welches gesellschaftliche
Verhaeltnis laesst sich denn mittels Staatsdekreten,
Uebergangsregierungen oder Bombenangriffen grundlegend veraendern?
Wenn wir in guter anti-deutscher Manier die Unterstellungsmaschine
ankurbeln wuerden, liesse sich folgendes Vermuten: ihr denkt, die
Barbaren da unten sind eh nicht faehig, sich selbst zu befreien, also
schicken wir ihnen ein wenig Entwicklungshilfe?! Die Bomben auf
Afghanistan haben nicht nur bereits hunderte ProletarierInnen
getoetet und tausende in den Hunger geschickt, sie werden auch die
Bedingungen fuer Kaempfe gegen Ausbeutung und staatliche Verwaltung
verschlechtern, was die Erfahrungen aus dem Golfkrieg 1991 zeigen:
Vor dem Krieg brannte Saddam H. der Arsch vor Streiks und
Aufstaenden. Erst die NATO-Bomben, der aeussere Feind, brachten
wieder "Ruhe" in die Region und sicherten seine Macht. Falls die
Taliban nicht fuer geordnete Ausbeutung in der Region werden sorgen
koennen, wird halt versucht, dies durch andere Formen der Kontrolle
zu erreichen: wie im Kosovo ueber eine UNO-Militaerregierung, eine
Militaerdiktatur wie in Pakistan, eine andere "islamistische"
Regierung (z.B. aus Kraeften der "Nordallianz"). Dass Bomben auf ein
paar Taliban (bis jetzt wohl eher auf die, die selbst zu arm waren,
um zu fluechten) die "Selbstmordattentate" in Israel oder anderswo
nicht stoppen werden, laesst sich absehen.
Auch eure andere Begruendung, warum die "westliche Zivilisation"
jetzt mit Bomben gegen die Islamisten verteidigt werden muesste, ist
daneben. Erst stellt ihr die "westliche Zivilisation" als "Kehrseite
der islamistisch-voelkischen Ideologiebildung" dar, um sie dann
aufgrund ihres "uneingeloesten Glueckversprechens" zu verteidigen.
Letzteres seht ihr als Voraussetzung fuer eine kommunistische
Revolution, wenn mensch es gegen die kapitalistischen Verhaeltnisse
wendet (5).
Wir sehen keinen Gegensatz zwischen der (serbische ArbeiterInnen mit
URAN-Muell) bombardierenden "westlichen Zivilisation" und den
"kapitalistischen Verhaeltnissen". Daher koennen wir auch nicht
verstehen, wie ihr das "Gluecksversprechen" der einen gegen das Elend
der anderen ausspielen wollt. Was ist das ueberhaupt, dieses
Gluecksversprechen? Der Tellerwaeschertraum?!
Wir sollten dem buergerlichen Staats nicht noch seine Ketten
lackieren, in dem wir die Menschen vor die abstrakte Wahl stellen:
wollt ihr von den Koranjuengern oder von Westerwelle und Dispokredit
terrorisiert werden? Diese Wahl existiert nicht, in dem Sinne, dass
die "buergerlichen Freiheiten" (Lohnarbeit, eingeschraenkte
Demonstrations- etc. Freiheiten) sich nicht waehlen lassen und nicht
ein fuer alle mal garantiert sind. Die "Gluecksversprechen" haengen
sehr viel mehr von einer stetigen Akkumulation ab (die auf unserem
Ruecken stattfindet und die sich schlecht waehlen oder verteidigen
laesst) und auf die, wie wir gerade merken, die naechste schaerfere
Krise folgt. Natuerlich ist es ein Unterschied, ob ich in Afghanistan
oder in Daenemark gegen Ausbeutung kaempfe. Aber sowohl den
ProletarierInnen in Kabul, als auch in Kopenhagen bleibt nichts
anderes uebrig, als es unter den jeweiligen Umstaenden zu tun.
5. Was tun?
Wie schon angedeutet, die Ohnmacht bzw. die Appelle an staatliche
Seite haben materielle Gruende: das Ausbleiben von groesseren
Klassenbewegungen. Wenn wir uns trotzdem weder resigniert kritisch
zuruecklehnen, noch den oeden und perspektivlosen Weg in die
herrschende Realpolitik gehen wollen, bleiben vor allem zwei Dinge zu
tun:
a) sich in die Kaempfe und Konflikte gegen Ausbeutung und die sich
zuspitzende Krise einmischen, sei es im Ruhrgebiet oder sonst wo;
dort die Tendenzen unterstuetzen, die sich sowohl gegen die
Profitlogik der Bosse und Gewerkschaften wehren, als auch die
Trennungen in verschiedene Berufe, Geschlechter, Nationen etc.
aufbrechen.
b) innerhalb der revolutionaeren Bewegung klarmachen, dass trotz
aller Ohnmacht kein Staat, keine Nation der Erde unsere Probleme
loesen kann; einen klaren Trennungsstrich zu den Positionen/Gruppen
ziehen, die dazu beitragen, die Revolution nicht nur
"perspektivisch", sondern ganz praktisch aus den Aeugen zu verlieren,
in dem sie uns selbst zu vertreten suchen oder mit dem Staat in
Verhandlung treten (z.B. Gruppen wie ATTAC) bzw. staatliche
Interventionen einfordern. Die dafuer notwendige Diskussion koennen
wir nicht nur in einer allgemeinen Form fuehren. Was wir dringend
brauchen, ist eine Diskussion ueber konkrete
Klassenauseinandersetzungen, z.B. gerade ueber die in Israel oder dem
Nahen Osten (als der Region, wo die Perspektive der
gesellschaftlichen Befreiung momentan, zu mindest nach medialer
Ueberlieferung, am staerksten durch religioese/nationalistische
Auseinandersetzungen verdeckt wird).
Also los, all ihr, die ihr nicht nur vom Kommunismus traeumen wollt!
las kalinkas gegen den Inselkoller (10/2001)
kolinko@koma.free.de
www.motkraft.net/prol-position
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Fussnoten:
(1) I. "Fuer die Zivilisation, fuer den Kommunismus" (Antideutsche
Gruppe Wuppertal - http://trend.partisan.net/trd1001/t051001.html)
II. "Kritische Fragen an den friedensbewegten Protest" (Antifa
Dusiburg, Antifa Muehlheim/ Essen West, Antideutsche Gruppe
Wuppertal, Antipostfa Recklinghausen, AK Antideutsche Kritik in der
AADO - http://trend.partisan.net/trd1001/t041001.html)
(2) "Werden nicht beiderseits [sowohl von der Friedensbewegung, als
auch den Islamisten] die negativen Folgen der objektiv abstrakten
Prozesse der globalisierten Kapitalakkumulation personalisiert und
auf die USA als Sitz der "zionistischen Weltverschwoerung" bzw. des
"internationalen Finanzkapitals" projiziert?(II)"
(3) "Ist es nicht vielmehr so, dass die Zivilisation durch Herrschaft
und Ausbeutung zwar bestaendig Hass hervorbringt, die Leidenden aber
immer noch die Entscheidung treffen muessen, ob sie diesen mit in der
Tat barbarischen Ideologien wie dem klerikalfaschistischen Islamismus
antisemitisch wenden oder aber emanzipatorisch gegen die Grundlage
des Leidens, die Vergesellschaftung durch Kapital und Staat,
richten?(II)"
(4) "Was spricht prinzipiell dagegen, klerikalfaschistische
Terrorregime wie die Taliban zu beseitigen und damit den ihnen (noch)
Unterworfenen ein ertraeglicheres Leben zu ermoeglichen und zudem die
Gefaehrdung von Juden im Nahen Osten durch den Islamismus zu mindern?
(...) Trotz der scheinbaren Unmoeglichkeit ihres Unterfangens sind
US-Militarschlaege zu begruessen, wenn und und soweit sie helfen,
einerseits die Bedrohung gegen Israel und diejenigen, die mit ihm
identifiziert werden, abzumildern und/oder andererseits den
Tugendterror gegen die islamischen Regimen Unterworfenen
schwaechen"(I)?
(5) "Waehrend dem verwirklichten Gottesstaat jegliches die
Verhaeltnisse transzendierende Moment abgeht, birgt die buergerliche
Gesellschaft - wie rudimentaer auch immer - stets noch ein nicht
eingeloestes Gluecksversprechen als Voraussetzung, eine
kommunistische Revolution ueberhaupt denken zu koennen"(I).
oder
"Waere im gegenwaertigen Konflikt die Verteidigung der westlichen
Zivilisation und des ihr immanenten Gluecksverprechen von
Emanzipation und Wohlstand nicht die Voraussetzung dafuer, eben
dieses Gluecksversprechen in kommunistischer Absicht gegen die
kapitalistischen Verhaeltnisse selbst zu wenden und damit auch die
barbarische Kehrseite, den Antisemitismus jedweder Provenienz,
perspektivistisch durch Revolution zu beseitigen"(II)?
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