Wuppertal: Bomben auf kabul
Bomben auf Kabul
Kritische Fragen an die antideutschen RealpolitikerInnen
Vor dem Hintergrund beginnender militärischer Aktionen im globalen
Anti-Terror-Kampf propagieren auch antideutsche Realpolitiker den rücksichtslosen
Krieg der westlichen Zivilisation gegen die islamistische Barbarei.
Die erfahrenen Geostrategen der Bahamas-Redaktion fordern die kategorische
Unterstützung "US-amerikanischer Militärschläge gegen islamische Zentren"
überall auf der Welt und einen US-Gegenschlag gegen Afghanistan, der "so
konsequent wie möglich" erfolgen solle. Auch die antideutsche Gruppe Wuppertal
begrüßt in ihrem Kampf "für die Zivilisation und den Kommunismus"
US-Militärschläge. Antifaschistische Gruppen aus NRW propagieren in ihrem Flugblatt "die
Verteidigung der westlichen Zivilisation und des ihr immanenten Glücksversprechens
von Emanzipation und Wohlstand" und fordern das "klerikalfaschistische
Terrorregime der Taliban zu beseitigen".
Warum werfen auf einmal deutsche Linksradikale sämtliche Ansätze kritischer
Theorie über Bord und werden zu begeisterten Anhängern des von Samuel
Huntington u.a. ausgerufenen "Kampfes der Kulturen"? Müssen wir uns im "Kampf der
Zivilisation gegen das Böse" tatsächlich gemeinsam mit George Bush in
vorderster Front am "Kreuzzug gegen den Terrorismus" beteiligen?
Einen wichtigen Schlüssel für das Verständnis des antideutschen Amoklaufes
liefert die Interpretation der Attentate in den USA als "ein faschistisches
Massaker eliminatorischer Antisemiten" (Flugblatt antifaschistischer Gruppen
aus NRW). Ohne das bisher irgendein eindeutiges Bekenntnis zu Motivation und
Zielen des Anschlages vorliegt, ist es für die Antideutschen völlig klar, dass
das World Trade Center und das Pentagon als "Hort der zionistischen
Weltverschwörung" (ebd.) angegriffen wurden. Die Einschränkung der möglichen Tatmotive
auf den Antisemitismus, ist also zumindest spekulativ und beinhaltet
wahrscheinlich eine unzulässige Reduktion der Komplexität der tatsächlichen
Konfliktlage.
Der Angriff auf das Pentagon und der wahrscheinlich geplante Angriff auf das
Weiße Haus zielte jedenfalls auf das politische und militärische
Machtzentrum der USA. Ob die USA also unmittelbar in ihrer Rolle als politische und
militärische Weltmacht oder primär in ihrer Rolle als Schutzmacht Israels
angegriffen wurden, ist keineswegs ausgemacht. Die Politik der USA in der arabischen
Region beschränkt sich zudem nicht auf eine Unterstützung Israels.
Der Konflikt mit Bin Ladens Netzwerk "Al Queda" - begann z.B. nach der
Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien im Zusammenhang mit dem
zweiten Golfkrieg. Bin Laden sah damals die heiligen Stätten der Moslems in Mekka
und Medina entweiht und entzweite sich darüber mit der amerikatreuen
korrupten Feudaloligarchie in Saudi-Arabien.
Auch der islamistische Kulturkampf gegen den "american way of life" und die
amerikanische Kultur als Inkarnation westlicher Dekadenz dürfte bei den
ideologischen Hintergründen der Attentate eine gewisse Rolle spielen. Der Aspekt
des Glaubenskrieges gegen die USA als Hauptmacht der Ungläubigen muß ebenfalls
ernst genommen werden. Der Angriff auf die USA ist in diesem Kontext wohl in
erster Linie als ein Kampf gegen das Christentum zu verstehen.
Der Antisemitismus ist also nur eine Komponente im Konglomerat der
fundamentalistisch-islamistischen Ideologie und keineswegs das einzige denkbare Motiv.
Eine vorschnelle Reduktion der Analyse auf das Motiv des "eliminatorischen
Antisemitismus" läuft Gefahr, analog zum antisemitischen Wahnbild einer
"zionistischen Weltverschwörung", eine ebenso halluzinatorische "antisemitische
Weltverschwörung" zu konstruieren.
In Verbindung mit dem Begriff des "faschistischen Massakers" beinhaltet die
Rede vom "eliminatorischen Antisemitismus" im übrigen eine gefährliche
Relativierung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Auch wenn die
Angriffe auf die USA verheerende Folgen hatten, handelt es sich bei ihnen
keinesfalls um einen Genozid. Mit der systematischen Ausrottung der europäischen Juden
durch die Nazis sind die Attentate auf keinen Fall vergleichbar.
Wenn nun die Bahamas den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" gleichsetzt und die
palästinensischen Attentate gegen Israelis "auch auf qualitativer Ebene mit
dem nationalsozialistischen Vorbild" für vergleichbar hält, dann begeben sich
ausgerechnet Antideutsche, die bisher jede Relativierung des
Nationalsozialismus politisch bekämpft haben, auf das Terrain eines üblen
Geschichtsrevisionismus. Durch diese unhaltbaren historischen Analogien wird suggeriert, dass
gegen diesen fürchterlichen und mächtigen Feind jedes Mittel zu seiner
Bekämpfung gerechtfertigt sei. Letztlich wird der Nationalsozialismus auf diese Weise
für tagespolitische Zwecke instrumentalisiert.
Als Konsequenz aus der Schmalspuranalyse und als antideutsche Realpolitik
wird dann die bedingungslose Solidarisierung mit den konservativsten und
aggressivsten Kräften der US-amerikanischen und israelischen Politik eingefordert.
Innergesellschaftliche Widersprüche in diesen Ländern werden genauso wenig
wahrgenommen, wie unterschiedliche politische Strömungen und Strategien.
Regierungen, Parteien und Bevölkerungen werden zu einem einheitlichen Block
homogenisiert. Die konkreten politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen bei
den Adressaten ihrer Solidarität scheinen die antideutschen Globalstrategen
wenig zu interessieren. Fragen nach möglichen Ursachen des in den Ländern des
Südens weit verbreiteten Hasses gegenüber der weltpolitischen Rolle der USA,
werden als Antiamerikanismus tabuisiert.
Letztlich wird das alte antiimperialistische Frontdenken unter umgekehrten
Vorzeichen reproduziert. Aus der bedingungslosen und unkritischen
Solidarisierung mit allen "Feinden des Imperialismus" in den 70er und 80er Jahren, wird -
bei z.T. denselben Akteuren - eine genauso bedingungslose und unkritische
Solidarisierung mit der staatlichen Politik westlicher Groß- oder
Regionalmächte.
Um diese Apologie herrschender Politik dann noch als antideutsche
Radikalität verkaufen zu können, muß krampfhaft ein unversöhnlicher Antagonismus
zwischen der aktuellen bundesdeutschen Politik und den Interessen der USA oder
Israels behauptet werden. Dabei ist den antideutschen Politstrategen keine noch
so absurde Verschwörungstheorie zu blöd.
Bei diesen Feststellungen geht es keineswegs um eine Rationalisierung oder
gar Rechtfertigung einer Politik der Selbstmordattentate. Diese Attentate
beinhalten keinerlei emanzipatorische Dimension. Die Täter handeln
menschenverachtend gegenüber den wahllos produzierten Opfern und frönen einem widerlichen
Märtyrerkult. Auch die Opfer von Ausbeutung, Verelendung und Unterdrückung
haben in der Tat eine Verantwortung für ihr Handeln und keinen Freibrief zum
Amoklauf.
Allerdings ist es infam, die offene Freude eines Horst Mahlers über die
Attentate mit der linken Nachfrage nach möglichen Hintergründen und Ursachen der
Anschläge gleichzusetzen. Hier geht es nicht mehr um eine kritische
Auseinandersetzung, sondern um pure Diffamierung und das Festklopfen von
Diskursverboten. Das Aufzeigen von möglichen Ursachen und Zusammenhängen beinhaltet nicht
automatisch eine Rechtfertigung der Attentate.
Das Erstarken des Islamismus in Teilen der sog. "Dritten Welt" ist
jedenfalls nicht zu begreifen, ohne eine Analyse der sozialen Misere und der Gründe
des Scheiterns bisheriger emanzipatorischer Entwicklungsperspektiven in den
Ländern des Südens. Auch wenn die Kader der islamistischen Gruppen in der Regel
aus der Ober- und Mittelschicht stammen, haben sie ihre soziale Basis doch in
der verarmten städtischen und ländlichen Unterklassen. Wird dieser Kontext
ausgeblendet, dann impliziert das auch den Verzicht auf jegliche linke Kritik
an den ungerechten Machtverhältnissen in der Weltpolitik und den
ausbeuterischen Austauschverhältnissen auf dem Weltmarkt.
Die Gleichsetzung jeglicher Antikriegsposition mit den "expliziten
Apologeten des islamistischen Terrors" in der antideutschen Polemik ist entweder dumm
oder zynisch. Nach wie vor gibt es gute Gründe für eine Antikriegsposition.
Bereits die Beantwortung von Terror durch Krieg ist äußerst fragwürdig. Schon
die Kriegsvorbereitungen gegen Afghanistan führten zu unermesslichem Leid in
der Zivilbevölkerung. Bereits vor Kriegsbeginn waren 1,5 Millionen Menschen
auf der Flucht und mehrere Hunderttausend akut vom Hungertod bedroht. Auch
dieser Krieg trifft also zuerst die Menschen, die schon bisher am meisten unter
dem Taliban-Regime und dem jahrelangen Bürgerkrieg zu leiden hatten.
Das von den Antideutschen beschworene "Glücksversprechen von Emanzipation
und Wohlstand der westlichen Zivilisation" hat sich nie auf diese Menschen
bezogen. In ihren Ohren muß eine solche Argumentation als blanker Hohn
erscheinen. Die von Bahamas empfohlene "direkte Unterwerfung unter den kapitalistischen
Warenfetisch" rettet diese Menschen keineswegs vor dem Hungertod.
Auch wenn ein Ende des Taliban-Regimes aus emanzipatorischer Perspektive
natürlich zu begrüßen wäre, muß die Frage nach den adäquaten Mitteln, den
möglichen Opfern und der politischen Perspektive einer solchen Strategie erlaubt
sein. Die jetzt von den USA und anderen Staaten aufgerüstete "Nordallianz" -
die z.T. von berüchtigten Kriegsverbrechern befehligt wird - ist für die
Menschen in Afghanistan jedenfalls keine Alternative.
Wenn man allerdings Taliban-Regime und Bevökerung in Afghanistan zu einer
fanatischen Volksgemeinschaft homogenisiert, erscheinen einem solche Einwände
natürlich unerheblich. Die antideutsche Interpretation der weltpolitischen
Lage als Kulturkonflikt zwischen westlicher Zivilisation und islamischer
Barbarei, transportiert die Kulturkampfthesen eines Huntington in den linken
Diskurs. Eine sehr gefährliche Debatte: denn das Szenario vom "Kampf der Kulturen"
ist die Hauptursache für die aktuelle Verschärfung des rassistischen Klimas in
nahezu allen westlichen Ländern. Eine Linke, die derartigen Thesen auf den
Leim geht, entwaffnet sich selbst im Kampf gegen die rassistische Formierung
und das verschärfte repressive Klima im eigenen Land. Und auch für die
Antideutschen stand hier doch einmal ihr Hauptfeind.
Autonome aus dem Ruhrgebiet/Bergisch Land 18.10.2001
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