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Hamburg: "Das verordnete Geschlecht" Film und Text zur Lage von Intersexuellen

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 http://www.tolmein.de/Bioethik/Bioethik_Wissenschaft/Zwitter-Pass/zwitter-pass.html

Tertium non datur oder / Den Zwittern keine Rechte?

Von Oliver Tolmein

WDR Kritisches Tagebuch. Ausgestrahlt am 02.04.2001


Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Meistens ist das die erste Frage nach der Geburt. Und niemand erwartet drauf die Antwort: Das kann man so nicht sagen. Tatsächlich kommt auf tausend Neugeborene aber ein Kind mit, wie die Mediziner sagen, uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen. Während das Allgemeine Preussische Landrecht im 18. Jahrhundert den Zwittern immerhin noch ein Recht zugestand sich selbst auszusuchen, ob sie als Männer oder Frauen leben wollen, schweigt das neue deutsche Recht sich aus und gibt den Mediziner damit freie Hand. Seit den Fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts versuchen in den westlichen Staaten Ärzte die zweigeschlechtliche Ordnung zu erhalten: Die Zwitter, Hermaphroditen oder Intersexuellen, werden mit Hormonen behandelt und, meist im Alter von wenigen Monaten, "operiert" dabei wird die Klitoris in der Regel stark verkleinert, gegebenenfalls werden Hoden entfernt und eine Vagina eingesetzt, seltener wird ein Penis aufgebaut. Dass diese medizinische Geschlechtszuweisung ihr Ziel erreicht, aus Zwittern Männern oder Frauen zu machen, wird seit einigen Jahren gestützt auf neuere Forschungen, von immer mehr Sexualwissenschaftlern bezweifelt. Und auch intersexuelle Menschen selbst, denen ein Geschlecht zugewiesen wurde, gehen in den USA, in Großbritannien oder in Deutschland immer häufiger auf die Barrikaden, weil sie sich nicht als das fühlen, was sie sein sollen. Sie wollen anerkannt werden als das was sie sind: als Menschen, die das gewohnte Schema der Zweigeschlechtlichkeit in dem wir leben und denken, sprengen.

Das Amtsgericht München/Abteilung für Personenstandssachen wird diese Woche ein einzigartiges Verfahren verhandeln: Ein intersexueller Mensch hat den Antrag gestellt, den Eintrag in seinem Geburtsbuch, der erst auf "Junge" lautete, dann auf "Mädchen" berichtigt worden war, erneut zu korrigieren: Künftig soll als Geschlechtsbezeichnung "zwittrig" in dem Dokument stehen. Das deutsche Personenstandsgesetz kennt diese Bezeichnung nicht, es steht aber auch nirgendwo im Gesetz, dass ein Mensch nur Mann sein kann oder Frau. Insofern könnten Gleicheitsgrundsatz und Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes durchaus den Weg dafür ebenen, dass der Antragsteller in München das Recht zugesprochen bekommt, das jede Frau und jeder Mann in dieser Republik hat: Als das bezeichnet zu werden, was sie oder er ist.

Welche Hindernisse auf diesem Weg zu überwinden sind, wird allerdings deutlich, wenn man liest, wie die Bundesregierung eine Kleine Anfrage der PDS-Abgeordneten Schenk zum Thema, letzte Woche beanwortet hat. Zitat "Intersexualität muss als eine Abweichung von der Norm betrachtet werden, unter der die Betroffenen schon wegen ihres Andersseins leiden", So formuliert dort eine rot-grüne Bundesregierung und eröffnet damit eine deprimierende Perspektive für Antidiskriminierungspolitik für Minderheiten Auch die übrigen Antworten auf die 34 Fragen sind geprägt von einer medizinischen Sichtweise.Intersexuelle erscheinen zuallererst als behandlungsbedürftige Menschen, an denen deswegen auch schwerste operative Eingriffe allein aufgrund der Zustimmung der Eltern vorgenommen werden dürfen. Das Bürgerliche Gesetzbuch erlaubt eine Sterilisation bei Kindern oder sonst einwilligungsunfähigen Menschen nur, wenn ein Vormundschaftsgericht ihr zustimmt. Die Beschneidung der Klitoris, wie sie in manchen afrikanischen Kulturen verlangt wird, ist ohne Wenn und Aber als Körperverletzung nach dem Strafgesetzbuch strafbar. Aber die teilweise operative Entfernung der Klitoris oder die vollständige Beseitigung der Hoden bei intersexuellen Kindern können Eltern ganz alleine in Zusammenarbeit mit dem Chirurgen beschließen. Dabei muss hier keine fortschreitende Krankheit gestoppt werden. Ziel des schweren und nicht mehr rückgängig zu machen Eingriffes ist nur dem intersexuellen Kind frühzeitig ein äußeres Geschlecht als Mann oder Frau zu verpassen, das "normal" wirkt und damit den Schein, dass es zwei Geschlechter gibt und nichts sonst, aufrecht zu erhalten. Ein hoher Preis für ein Ziel, dessen Wert in Zeiten, in denen die Rolle des Geschlechts eigentlich immer unbedeutender wird, nicht so recht einzuleuchten vermag.

-----------------------------------------FILM TIP---------------------

Am 19. November um 21:15 Uhr findet die Premiere, des Films "Das verordnete Geschlecht", im Hamburger Metropolis-Kino statt. Wir freuen uns über ein volles Kino - danach gibt es eine kleine Premieren-Feier. Danach kann er von Kinos und Gruppen, die sich für die Themen Zwitter, Gender oder Biopolitik interessieren, bei uns bestellt werden.

Das verordnete Geschlecht

Intersexualität - für Ärzte ist es eine Krankheit, die sie behandeln wollen. Für Intersexuelle selber ist es ihre Identität, die ihnen nicht zugestanden wird. Eines von 2000 Kindern wird ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale geboren. In den westlichen Industriegesellschaften ist die Existenz von Zwittern aber ein Tabu: Dass es nur zwei Geschlechter gibt, Männer und Frauen, ist eine der grundlegenden gesellschaftlichen Normen, die nicht in Frage gestellt wird. Im Gegenteil: Auch heute werden schwerwiegende und irreversible chirurgische Eingriffe bei Kleinkindern vorgenommen, um sie einem der beiden Geschlechter anzupassen.

In "Das verordnete Geschlecht" geht es um die Geschichte von Zwittern – aber auch um die weiterreichende gesellschaftliche Bedeutung, die es hat, dass nur die Existenz von zwei Geschlechtern anerkannt wird. Michel Reiter, der zum Mädchen gemacht wurde, und Elisabeth Müller, die genetisch, aber nicht hormonell, ein Mann ist, erzählen welchen Preis Zwitter dafür zahlen müssen, dass die Vorstellungen von Normalität erhalten bleiben. Wie andere Zwitter mussten sie schwere chirurgische Eingriffe erdulden, um so auszusehen und zu sein, wie es zu dem Geschlecht passt, das ihnen verordnet worden war. Weil ihre Eltern und die Ärzte nicht offen mit ihnen darüber sprachen, dass sie Zwitter sind, lebten sie jahrelang mit dem traumatisierenden Gefühl, irgendwas an ihnen sei schrecklich falsch. Heute leben Elisabeth Müller und Michel Reiter offen als Zwitter. Michel Reiter hat ein Gerichtsverfahren angestrengt, weil er will, dass er auch amtlich als Zwitter anerkannt wird. Ihm kommt es dabei nicht so sehr auf die Eintragung in seinen Pass ein. Wenn Zwitter als Zwitter anerkannt werden, so hofft er, werden auch die verstümmelnden geschlechtszuweisenden Operationen nicht mehr stattfinden dürfen.

Der Film kontrastiert ihre Geschichte mit den Erzählungen von Juristen, Eltern und Ärzten, die meinen, dass es für intersexuelle Kinder das beste sei, frühzeitig operiert zu werden, weil sie sonst als Aussenseiter aufwachsen würden. "Das verordnete Geschlecht" ist ein Dokumentarfilm über Geschlechter- und Körperpolitik. Er zeigt wie gewalttätig sich der Zwang normal zu sein auswirken kann und wie wichtig es ist, dass in einer Gesellschaft nicht Normalität die Leitlinie ist, sondern Unterschiedlichkeit anerkannt und Gleichbehandlung sichergestellt wird




Das verordnete Geschlecht

Ein Film von Oliver Tolmein und Bertram Rotermund

Mit Michel Reiter und Elisabeth Müller

Musik: Schorsch Kamerun

Deutschland, 2001, 62 min

Formate:

35 mm / dolby surround, Video, DVD

Premiere: 19.November, 21:15 Uhr, Kino Metropolis in Hamburg

Verleih-Infos:  Rotermund@aol.com

 

23.10.2001
Oliver Tolmein   [Aktuelles zum Thema: Gender & HERRschaft]  Zurück zur Übersicht

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