"Fatal real"
Dubioses Erbe einer einstmals feministischen Theorie.
Von Sabine Grosch
Spätestens seit Erscheinen der Übersetzung von Judith Butlers "Gender Trouble" ("Das Unbehagen der Geschlechter") ist der feministische Diskurs auch hierzulande ohne dekonstruktivistische Modelle nicht mehr denkbar. Butler hat mit ihrer Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht zwar zunächst heftigste Kontroversen ausgelöst, doch haben sich die Wogen allmählich geglättet, und fast könnte man sagen, daß sich das Butler-Modell und seine Weiterführungen trotz ihres machtdiskurskritischen Anspruchs auf dem akademischen Terrain selbst zu einem gewissen Machtdiskurs ausgewachsen haben. Elisabeth List schreibt hierzu: "Wer die neue Sprache der 'Dekonstruktion' nicht beherrscht, mit ihren Vokabeln nicht jonglieren kann, ist nicht 'in', nicht 'interessant'. (...) Anders gesagt: Theorien, auch feministische und natürlich nicht nur die poststrukturalistischen, können zum 'symbolischen Kapital' werden, akkumuliert in den Händen einer neuen Elite von Meisterdenkerinnen." Obschon hier nicht eine nochmalige Kritik an einzelnen Thesen Butlers geübt werden soll, ist es angebracht, mehrere Jahre nach Einsetzen des "Butler-Booms" (Annuß) darauf hinzuweisen, daß mit dem Dekonstruktivismus ein Bruch vollzogen wurde, der zur Ablösung feministischer Theorie vom Feminismus geführt hat, so daß dieser - wenn überhaupt - allenfalls noch als Kathederfeminismus auftritt.
Will man bestimmte Schritte feministischer Theorieentwicklung skizzieren, so läßt sich eine Linie ziehen von einem Konzept der Subjekt- beziehungsweise Gleichwerdung der Frauen (Simone de Beauvoir) zu einem radikalen Differenzkonzept (maßgeblich Luce Irigaray). Die hierauf folgende Theorieströmung, die von der Subjekt-Frau-Dekonstruktion (Judith Butler) schließlich zur Entwertung des Körperlichen und zur Unterordnung der Frauen unter die technophilen Ideale von Cyber-Utopien führt (Donna J. Haraway), wird zwar irrtümlicherweise oft noch als feministische Theorie aufgefaßt. Es ist jedoch kein Zufall, daß zumindest Butlers Dekonstruktivismus unter dem Signum Gender-Theorie firmiert, wodurch eine gewisse Abgrenzung zur einstmals feministischen Theorie auch explizit deutlich wird. Weniger klar scheint das beim Cyber-Feminismus, und so muß unmißverständlich gezeigt werden, daß dieser keinerlei feministischen Gehalt hat.
Anzusetzen ist hier zunächst bei der von Butler in "Das Unbehagen der Geschlechter" vorgeschlagenen Dekonstruktion der Kategorie des Subjekts (Frau) und des Geschlechts. Der damit vollzogene radikale Bruch im Feminismus affirmiert Theorien, die objektiv mit derzeitigen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Tendenzen korrespondieren, und legitimiert die weitere Entpolitisierung einer bereits in der Krise befindlichen Frauenbewegung. Butlers Subjektdekonstruktion geht einher mit ihrer Kritik am Axiom einer einheitlichen Geschlechtsidentität, die von der gesamten philosophischen Theorietradition ontologisiert und ratifiziert worden ist, und der sich laut Butler auch fortgeschrittenere feministische Theoriekonzepte nicht gänzlich entziehen konnten. So konstatiert sie beispielsweise bei Monique Wittig "das Festhalten an der Metaphysik der Substanz, die das normative Modell des Humanismus auch als Rahmen für den Feminismus bestätigt". Nach Butler behalten also auch feministische Theorien die Metaphysik der Substanz und den Ursachen- und Ursprungsgedanken der Philosophie bei, die sie für den "vorherrschenden disziplinären Mechanismus" hält. Daraus läßt sich umgehend schließen, daß Butler sich in ihrer Kritik der Geschlechts- und Subjektkategorie weitgehend auf die philosophische Dekonstruktion essentialistischer Konzepte beschränkt und die Konstitutionsbedingungen eines solchen Geschlechts und Subjekts in erster Linie in der Begriffs- und Ideensphäre verortet. Dies verhindert die Thematisierung des Subjekts und des "Geschlecht(s) als gesellschaftliche Strukturkategorie" (Annuß).
Es kann hier weder darum gehen, im Gegenzug zu Butlers Thesen einer Ontologisierung oder Substantialisierung von Kategorien das Wort zu reden, noch darum, den Subjektbegriff für einen politischen Feminismus stark zu machen - auch wenn dies in Zeiten der zunehmenden Entpolitisierung eine berechtigte Intention wäre. In Frage gestellt werden muß die Annahme, die Philosophie sei als vorherrschender disziplinärer Mechanismus die wesentliche subjektkonstituierende Macht. Dabei wird nämlich das Verhältnis von Theorie und (gesellschaftlicher) Praxis nicht mehr reflektiert. Diese Tendenz ist der neueren feministischen Theorie allgemein schon bescheinigt worden: "Spätestens seit dem realpolitischen Abgang marxistischer Theorie scheint auch ihr zentrales Anliegen einer Verbindung von Theorie und Praxis historisch entsorgt. Jahrzehntelang kreisten und rangen um diese Verbindung die verschiedensten Varianten gesellschaftskritischen Denkens. Nun sind die Handlungsimpulse erschöpft. Die Dialektik von Theorie und Praxis zerfällt. Auch die feministische Theorie hat von dieser Dialektik ihren Abschied genommen." (Rauschenbach)
Butlers Theorie mag zwar eine relativ treffende Beschreibung von der Macht des Diskurses über Geschlechtsidentität sein, und der "selbstreferentiellen Debatte" (Nickel) des akademischen Feminismus hat sie entscheidende Impulse geliefert, aber eine gesellschaftskritische Analyse der Kategorien Geschlecht und Subjekt leistet sie nicht. So bemerkt auch Evelyn Annuß hierzu: "Die historisch zu bestimmende Kategorie des (bürgerlichen) Subjekts, seines Geschlechts und die gesellschaftlichen Bedingungen seiner möglichen Dezentrierung bleiben bei Butler unproblematisiert." (Annuß) Das heißt, Butler bleibt trotz kritischen Anspruchs gesellschaftstheoretisch ignorant und damit letztlich affirmativ.
Die Analyse auf einer gesellschaftstheoretischen Ebene führen, hieße, die gesellschaftlichen und historischen Bezüge des Geschlechts- und Subjektbegriffs herauszuarbeiten, um zeigen zu können, daß die Geschlechter, wie sie in westlich-kapitalistischen Gesellschaften - denn nur in diesen ist überhaupt eine derart aufwendige Theoretisierung solcher Kategorien zu verzeichnen - bestanden und bestehen, fremdbestimmte sind, deren philosophischer, aber auch gesellschaftlich-sozialer Konstruktion bestimmte Vergesellschaftungsformen zugrunde liegen. Ausgehend davon, daß die Geschlechter als Geschlechterrollen,
als gesellschaftlich erzwungene geschlechtsspezifische Verhaltenskonditionierung zu verstehen sind, gilt es,
in kapitalistischen Gesellschaften das fremdbestimmte Geschlecht vom Geschlecht zu unterscheiden. Das heißt, es geht um die Thematisierung der konkreten geschlechtsspezifischen Fremdbestimmung und nicht um eine vorwiegend philosophische Dekonstruktion von Begrifflichkeiten, wie Butler sie vornimmt.
Ein Grund für diesen blinden Fleck bei Butler ist sicherlich ihr Standort im postmodernen Denken, das genauer zu betrachten und selbst kritisch zu hinterfragen wäre. Hierbei ist zunächst zu konstatieren, daß postmoderne Theorien - besonders solche, die den Tod des Subjekts verkünden und die Vervielfältigung von Bedeutungen und Identitäten an seine Stelle gesetzt sehen wollen - mit einer gesellschaftlichen Tendenz korrespondieren, die sich durch funktional fragmentierte und ständig neu zusammensetzbare und sich zusammensetzende Identitäten und Standpunkte auszeichnet. In treffender Weise führt Annuß Fredric Jameson an, wenn sie bemerkt: "Im Kontext der Expansion kapitalistischer Vergesellschaftung zum Weltsystem geht Jameson von der Ablösung bisheriger Entfremdungserfahrungen durch fragmentierte Subjektivitätsformen aus." (Annuß)
Dieser multiple Charakter, wie er in der spätkapitalistischen Gesellschaft erfordert ist, wird von einigen feministischen Theoretikerinnen offensichtlich als Errungenschaft gefeiert. Sabine Hark führt als Beispiel Teresa de Lauretis an: "Sie sieht in feministischer Theorie und Praxis eine neue Konzeption von Subjekt erwachsen, die von heterogener Subjektivität und multipler Identität ausgeht; es ist ein Subjekt, das Bewegung und nicht Person oder Idee ist." Die Verhältnisse, die eine solche multiple Identität erforderlich machen, bleiben konsequent unhinterfragt und werden gar als Freiheitshorizont vorgestellt. Cornelia Eichhorn hingegen weist sehr klar auf die in diesen Theorien drohende Gefahr der blinden Wiederholung gesellschaftlicher Prozesse und auf ihre entpolitisierenden Implikationen hin: "Gegenwärtig, wo so viel von einer Pluralisierung der Lebensstile, dem Anwachsen räumlicher, politischer und sozialer Mobilität, der Zunahme biographischer Wahlmöglichkeiten und ähnlichem die Rede ist, wenn es um die Entwicklungstendenzen in den kapitalistischen Zentren geht, kann eine 'Verviefältigung der Bedeutungen' und 'Pluralisierung der Identitäten' auch einer Anpassung an die Erfordernisse dieser Entwicklungen gleichkommen. Es ist noch nicht lange her, da wurde die Anforderung an Frauen, vielfältig und flexibel, Mutter und Vater, Kumpel und Freundin, Geliebte und Kampfgefährte, Karriere- und Putzfrau in einer Person zu sein, als Teil der sexistischen Arbeitsteilung begriffen und als Zumutung zurückgewiesen. Heute hingegen könnte frau mit Butler glauben, hinter dieser Anforderung das Licht der Freiheit aufblitzen zu sehen." (Eichhorn)
Die Frage an dieser Stelle jedoch lautet: Was ist mit der Pluralisierung für die Frauen gewonnen? Will man sich damit nicht in den "akademischen Wettbewerb", in die "Konkurrenz zwischen Feministinnen" (List) begeben, also sich nicht in die schon oben erwähnte Riege der neuen Elite von Meisterdenkerinnen einreihen, sondern den Anspruch einer Theorie vertreten, die das Verhältnis von Theorie und Praxis reflektiert, dann fällt die Antwort vernichtend aus. Es läßt sich nämlich nichts anderes erkennen als der Trend zur Zersprengung beziehungsweise zunehmenden Entpolitisierung einer politischen Frauenbewegung. Ein Artikel zum Internationalen Frauentag in der Zeit vom 7.März 1997 hat wohl nicht zufällig den Titel "Solidarität gibt es nicht". Und in der Beschreibung der Reihe Coyote-Texte im Argument-Verlag heißt es: "Die neunziger Jahre sind für den gesellschaftskritischen Feminismus Jahre des Rückschlags und der Defensive. Herrschaftskritik wurde (...) aus ihrer polymorphen Gestalt in eine universitäre depolitisierte Institution ge- und verdrängt." (Die Herausgeberinnen, in: Haraway II,3) Wenn die Herausgeberinnen Haraways Theorien und Vorschläge dann allerdings als ein Beispiel für "kontinuierlichen Widerspruch" zur "neuen Weltordnung" präsentieren und ihr "die Formulierung von alternativen Möglichkeiten" (ebd.) bescheinigen, so zeugt dies nur vom Mangel an theoretischen Alternativen.
Die entsinnlichte, technophile und letztlich im Dienste des Kapitalismus stehende Struktur des wissenschaftlichen Denkens galt der feministischen Theorie anfangs als etwas, das kritisch hinterfragt werden muß. Die neueren Theoretikerinnen laufen jedoch mit der Übernahme technomorpher Kategorien Gefahr, mit dem einstmaligen Gegner identisch zu werden. Dies soll anhand einiger Aussagen aus dem Manifest für Cyborgs von Donna Haraway veranschaulicht werden. Auch wenn Haraways Manifest als kritische Auseinandersetzung des Feminismus mit den Technowissenschaften gemeint ist, läßt sich die problematische Affinität Haraways zu den neuen Technologien nicht leugnen. So konstatiert sie für das Zeitalter der Gen- und Computertechnologien den "Zusammenbruch der klaren Unterscheidung von Organismus und Maschine" (Haraway ) und geht davon aus, daß wir alle mittlerweile zu cyborgs, zu Maschinenmenschen durch ständige Konfrontation mit Computern, Faxgeräten und Anrufbeantwortern geworden sind. Sie sieht hierin zwar eine gewisse Gefahr, hält es aber für fruchtbarer, die Chancen dieser neuen Möglichkeiten aufzugreifen, anstatt nur Verluste und Niederlagen zu beklagen. In welches Fahrwasser sie sich damit begibt, scheint für sie keine Rolle zu spielen. Da ihr Manifest ständig oszilliert zwischen metaphorischer und begrifflicher Ausdrucksweise, sind ihre Thesen auf den ersten Blick nur schwer einzuordnen und erwecken eher den Anschein spielerischer Mimikry denn kritischer Auseinandersetzung mit einer relativ neuen Problematik; eine Verfahrensweise, die die Gefahren der kompletten Technisierung bis hin zur Abschaffung des Menschen nicht wirklich thematisiert und die letztlich entgegen ihrer Intention von den alten Denkformen beherrscht wird.
Haraway favorisiert in ihrem Manifest eine Cyber-Utopie, die eine "Post-Gender-Welt" (Haraway) begründe und als Emanzipation von jeglichen "Imperativen westlicher Epistemologien" anzusehen sei. Mit dieser Cyborg-Metaphorik läßt sich ihr zufolge jenseits von Kategorien wie Gender, Identität, Ursprung und jenseits jeglicher Dualismen argumentieren, was sie als Chance für Feministinnen betrachtet: "Feministinnen können allerdings großen Gewinn daraus ziehen, wenn sie die Möglichkeiten explizit aufgreifen, die sich aus dem Zusammenbruch der klaren Unterscheidung von Organismus und Maschine und ähnlicher Unterscheidungen ergeben, die das westliche Selbst strukturiert haben." Dieses "westliche Selbst" meint Haraway mit der Cyborg-Metapher umgehen zu können und unterstreicht ihrerseits ebenfalls den multiplen Charakter, von dem bereits die Rede war: "Die Cyborg ist eine Art zerlegtes und neu zusammengesetztes, postmodernes kollektives und individuelles Selbst. Es ist das Selbst, das Feministinnen kodieren müssen." Auch wenn Haraway Cyborg überwiegend als Metapher meint, so bedient sie sich damit eines Modells der neuen Technologien und ist somit "mittendrin", wie sie selbst in einem Interview sagt. Dieses Mittendrin-Sein ist Ausdruck einer Anerkennung dessen, was eben im Maße dieser Anerkennung zu erkennen nicht mehr möglich ist. Es impliziert jedoch auch den Wunsch teilzuhaben, das heißt dieses Mal wollen die Frauen dazugehören und mitmischen, egal um welchen Preis. Und hierbei geht Haraway davon aus, Frauen beziehungsweise Cyborgs seien in der Lage, besser mit den neuen Technologien umzugehen: "(...) dann werden wir unser eigenes Handlungsfeld und unsere Hoffnung auf lebenswertere Welten genau darin finden, diese Praxen zu formen, statt uns vor ihnen zu verstecken."
Derartige Argumentationen gehören zu der landläufigen, vor allem in den Technowissenschaften vertretenen, von kritischen Autoren jedoch längst als interessierte Naivität entlarvten "Vorstellung, daß die Wissenschaften und ihre technischen Projekte im großen und ganzen schon in Ordnung und auch nützlich seien, freilich käme es wohl zunehmend darauf an, daß diese Instrumente nicht in falsche Hände geraten, nicht von einseitig interessierten Auftraggebern genutzt und bestimmt würden und daß der einzelne Wissenschaftler über eine integre Moral verfüge, also auch schon einmal ein Forschungsprojekt einstellt, wenn die (absehbaren) Folgen prekär zu werden drohen oder eben Folgen nicht mehr absehbar sind usw." (Müller-Warden)
In ihrer Erläuterung des Netzwerks, von dem sie sich Chancen für Frauen verspricht, weil es die "Verschmelzung verschiedener Räume und Identitäten" und die "Durchlässigkeit der Grenzen des individuellen Körpers wie der Körperpolitik" (Haraway I) garantiert, greift Haraway schließlich explizit auf einen Vergleich mit kapitalistisch bewährten Konzepten zurück: "'Vernetzung' ist nicht nur eine multinationale Unternehmensstrategie, sondern auch eine feministische Politikform, das Weben von Netzen ist die Praxis oppositioneller Cyborgs." Auch hier gilt: indem Frauen anfangen, für ihre Ziele Argumente aus der Tradition funktionaler Vergesellschaftung, mithin der des Gegners zu bemühen, werden sie "in dem Maße mit ihm identisch, wie sie ihn verstehen". (Müller-Warden)
Feministinnen, die eine solche Cyber-Utopie favorisieren, unterliegen letztlich doch der elementaren Struktur von Wissenschaft, wie sie bereits in den weltflüchtigen Maßstäben der Philosophie Platons formuliert ist: "Und solange wir leben, werden wir, wie sich zeigt, nur dann dem Erkennen am nächsten sein, wenn wir, soviel möglich, nichts mit dem Leibe zu schaffen noch gemein haben, was nicht höchst nötig ist, und wenn wir mit seiner Natur uns nicht anfüllen, sondern uns von ihm rein halten, bis der Gott selbst uns befreit." Aber auch Descartes kommt einem in den Sinn. So weist Jochen Rack darauf hin, daß "die cartesianische Vorstellung von einem körperlosen Geist zur Grundlage (wurde), auf der man Mitte des 20. Jahrhunderts die Metapher vom Geist als Softwareprogramm entwickelt hat" (Rack). "Ich erkannte daraus", heißt es bei Descartes, "daß ich eine Substanz sei, deren ganze Wesenheit oder Natur bloß im Denken bestehe und die zu ihrem Dasein weder eines Ortes bedürfe noch von einem materiellen Ding abhänge, so daß dieses Ich, das heißt die Seele, wodurch ich bin, was ich bin, vom Körper völlig verschieden und selbst leichter zu erkennen ist als dieser und auch ohne Körper nicht aufhören werde, alles zu sein, was sie ist."
Diese Vorstellungen scheinen heute dank des technischen Fortschritts weitgehend Wirklichkeit geworden zu sein, wie auch ein Beispiel aus einem zeitdiagnostischen Artikel belegt: "Millionen von Cybernauten 'surfen' hier, ihrer Körper entledigt, in einem idealisierten immateriellen Reich. Als Wesen des Äthers sind die Cybernauten (...) aller physischen Begrenzung enthoben. Sie sind frei von Mißbildung, Krankheit und Häßlichkeit. (...) Im Cyberspace, sagen die Freaks, kann man einfach 'sein' - eine reine Seele, die körperliche und nationale Grenzen überschreitet." (Wertheim)
Es scheint, als wolle die feministische Theorie auf diesen wohl unaufhaltsamen Zug des Homo cyber sapiens aufspringen. Daß dies jedoch keine Lösung ist, sondern neue alte Probleme mit sich bringt, darauf weist Käthe Trettin hin: "Der Cyberfeminismus ist kein ernstbafter Lösungsvorschlag (...). Er berauscht sich an Multimedia-Visionen und fällt im übrigen zurück in einen völlig unreflektierten Umgang mit der Kategorie 'Frauen'." (Trettin) Statt sich jedoch blind an den Zug anzuhängen, gibt es immerhin die Möglichkeit, sich gegen alle akademischen Trends und Modeerscheinungen einiger vorhandener kritischer Auseinandersetzungsmodelle zu erinnern, die, wie Annuß schreibt, "zu der Einsicht führen, daß auch der Gegenstand Geschlecht nur als exemplarischer einer kritischen (Gesellschafts-)Wissenschaft sinnvoll ist".
Annuß, Evelyn: Umbruch und Krise der Geschlechterforschung: Judith Butler als Symptom. In: Das Argument 216, Heft 4,1996
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechte., Frankfurt a.M. 1991
Eichhorn, Cornelia: Zwischen Dekonstruktion und Identitätspolitik. Eine Kritik zur feministischen Debatte um Judith Butler. In: Die Beute, Heft 1, 1994
Haraway, Donna (Haraway 1): Ein Manifest für Cyborgs. In: Dies.: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a.M./New Yorck 1995
Haraway, Donna (Haraway II): Monströse Versprechen. Coyote-Geschichten zu Feminismus und Technowissenschaft. Hamburg 1995
Hark, Sabine: Vom Subjekt zur Subjektivität: Feminismus und die Zerstreuung des Subjekts. Nr. 12 der Vortragsreihe Berliner Wissenschaftlerinnen stellen sich vor, Vortrag vom 14. Januar 1992
List, Elisabeth: Politik, Geschlecht, Lebensform. Perspektiven feministischer Theorie und Praxis. In: Grosz-Ganzoni, Ita-Maria (Hg.): Widerspenstige Wechselwirkungen. Tübingen 1996
Müller-Warden, Joachim: "Was ist Wissenschaft?" In: Ders./Welzer, Harald (Hg.): Fragmente kritischer Theorie. Tübingen 1991
Nickel, Hildegard Maria: Feministische Gesellschaftskritik oder selbstreferentielle Debatte? Ein (ostdeutscher) Zwischenruf zur Frauen- und Geschlechterforschung. In: Berliner Journal für Soziologie, Band 6, 1996
Platon: Sämtliche Werke 3, Phaidon, Politeia. Hamburg 1985
Rack, Jochen: Homo Cyber Sapiens. Die Kolonisierung des Körpers. Sendeskript des Features vom 14. Februar 1997 im Deutschlandradio
Rauschenbach, Brigitte: Erkenntnispolitik als Feminismus. Denkformen und Politikformen im feministischen Bildungsprozeß der Erfahrung. In: Die Philosophin, Heft 11, Mai 1995
Trettin, Käthe: Es geht weder mit noch ohne Frauen. In: Frankfurter Rundschau, 10. Juni 1997.
Wertheim, Margaret: Ehre sei Gott im Cyberspace. In: Die Zeit, Nr. 22, 24. Mai 1996
aus: "Fatal real",
bei ç a ira, Freiburg 1997
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