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Berlin: Linke klatschen Homos

Am Sonntagmorgen, den 7.10. gegen 01.00 Uhr, wurden an der Revaler
Str./Warschauer Str. in Friedrichshain zwei Schwule von einer Gruppe von 8-10
Vermummten, angegriffen. Die beiden wurden mit Sprüchen wie "Scheiß Nazis" belegt,
und mit Flaschen und Knüppeln u.a. gezielt auf den Kopf geschlagen. Die beiden
Schwulen waren auf dem Weg zu einem schwulen Club im Friedrichshain, hatten
ganz kurze Haare, der eine trug eine Armyhose, der andere Jeans, beide trugen
Fliegerjacken, der eine weiße Turnschuhe, der andere Springerstiefel mit
roten Schnürsenkeln.

Die Angreifer kamen aus verschiedenen Richtungen auf die beiden zu und
griffen ohne Vorwarnung an. Die Straße war relativ dunkel, so dass die Angreifer
vermutlich nicht mehr als umrisshaft sehen konnten, was für Leute die beiden
waren. Dass die Angreifer zuvor Details, etwa die Farbe der Schnürsenkel,
Aufnäher an der Jacke o.ä. hätten wahrnehmen können, ist unwahrscheinlich. Dem
einen der beiden Schwulen, M., gelang es zunächst, vor den Angreifern
wegzurennen. Sein Freund L. hatte sofort einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen und
konnte zunächst nicht fliehen. Obwohl er laut schrie: "Wir sind keine Nazis",
schlugen 5-6 der Angreifer auf ihn ein.

M. rannte dann wieder zurück um seinem Freund zu helfen und versuchte, L.
aus dem Zugriff der Gruppe herauszuziehen. Die Angreifer schlugen dann auf die
beiden weiter ein, bis die beiden Schwulen umkippten. Die beiden trugen
Schnittwunden von den Flaschen, große blutende Platzwunden am Kopf, die genäht
werden mussten, Prellungen am Oberkörper und einer einen gebrochenen Finger
davon. Der Rest der Gruppe stand dabei und ließ die anderen darin gewähren, ihre
beiden Opfer weiter zusammenzuschlagen. Trotz der Hilferufe kam keiner der
zahlreichen Passanten, die die Szene beobachteten, den beiden zur Hilfe oder
versuchte Hilfe zu organisieren.

Der Umstand, dass die beiden Homos durch die vermummten Angreifer als
"Scheiß Nazis" beschimpft wurden, und dass im RAW eine Genua-Soliparty stattfand,
wohin sich die Gruppe der Angreifer nach dem Angriff zurückgezogen haben soll,
lässt vermuten, dass sich die Angreifer als wehrhafte AntifaschistInnen
wähnten, während sie Schwule zusammenschlugen. Scheinbar reicht ein völlig
oberflächlicher Eindruck von einem Outfit auf einer dunklen Straße aus, um jemanden
als "Nazi" zu identifizieren; scheinbar ist es selbst für eine zahlenmäßig
weit stärkere Gruppe überflüssig, irgendwelche Worte an solche Menschen zu
richten oder gar Fragen zu stellen; erst zuschlagen, dann nachdenken! Super!
Ganz toll! Ihr seid richtige Helden!

Scheinbar legitimiert der vermeintliche Kampf gegen Nazis, Flaschen auf
Köpfen von Menschen zu zerschmettern, auch wenn diese am Boden liegen und um
Hilfe schreien. Die Art des Angriffs hat Elemente von einer
Gruppenvergewaltigung: Männer, die sich als größere Gruppe ein Opfer aussuchen, das ihnen
körperlich eindeutig unterlegen ist, Umstände unter denen es unwahrscheinlich
erscheint, dass die Tat Folgen für die Täter haben wird. Die ersten greifen an und
schlagen zu, weil sie ihre Männlichkeit dadurch demonstrieren wollen, dass sie
besonders entschieden und skrupellos sind, der andere Teil der Gruppe steht
daneben, obwohl dem einen oder der anderen vielleicht auch Zweifel gekommen
sein mögen; sie sind aber zu feige, einzugreifen und den GenossInnen in den
Arm zu fallen, weil sie selbst nicht als feige und zimperlich dastehen wollen.

Wir finden es empörend, dass Leute, die sich selbst als links definieren, so
handeln und fordern die TäterInnen auf:
- sich bei ihren Opfern öffentlich zu entschuldigen,
- ihre Taktik im Kampf gegen Nazis zu überdenken,
denn solche Opfer sind nicht als "Kollateralschäden" hinnehmbar. Wir fordern
die Zusammenhänge, in denen diese Leute aktiv sind, auf, sich von dieser Art
des "antifaschistischen" Kampfs zu distanzieren und derartige Männergewalt
weder zu unterstützen noch zu tolerieren oder schweigend hinzunehmen.

Die Militarisierung von Szene-Outifts betrifft nicht nur Homos, die
Armyhosen, Bomberjacken und Springerstiefel tragen, sie betrifft auch Linke mit
Szeneoutift. Auch hier wird mit szenegerechter Kleidung fleißig an der Ikone des
--vorzugsweise männlichen - Kämpfers gearbeitet. Keine Frage: dass einige
linke und auch unpolitische Schwule sich des Bildes und der Inszenierung des
Skins zur Inszenierung von Männlichkeit bedienen und den "geilen Skin" erotisch
besetzen, lässt sich kritisieren. Insbesondere lässt sich die Frage stellen,
wie diese schwulen Männer mit der Reaktion umgehen, die sie in ihrer Umgebung
oder etwa auf der Straße auslösen, wenn sie von anderen nicht als Schwule
wahrgenommen werden, sondern andere glauben, es handle sich um Naziskins.

Das Outfit eines männlich-martialisch auftretenden Skins kann Unsicherheit
und Angst auslösen. Auch wenn es sich bei dem Träger des Skin-Outfits um eine
linke Schwuchtel handelt, kann alleine schon der Anblick von weitem dazu
ausreichen, dass sich andere, etwa MigrantInnen, Lesben oder Schwulen,
Langhaarige, Behinderte etc. subjektiv bedroht fühlen, und dass diese Bedrohung so real
ist, dass lieber die Straßenseite gewechselt wird. Es ist vielleicht auch
noch zu verstehen, wenn Menschen, die sich in einer solchen Situation durch
einen Schwulen im Skin-Outfit bedroht gefühlt haben, in einer anderen Situation
in der sie sich sicherer fühlen, dem Homo-Skin ein "Scheiß Nazi" an den Kopf
schleudern, und es vielleicht keine Ebene gibt, auf der sich kommunizieren
ließe, dass sie sich bereits durch das Outfit bedroht fühlen.

Hier müssen wir unsere lieben kurzgeschorenen Mitschwuchteln in kritischer
Solidarität dann auch fragen, was sie tun um diese, von anderen real erlebte
Bedrohung zu verhindern, und ob sie es sich wirklich so einfach machen können,
selbst so lange als "geile Skins" rumzulaufen, wie sie dazu Lust verspüren
("die Freiheit nehm ich mir") und den anderen die "Freiheit" abzunötigen, die
Straßenseite zu wechseln.

Aber: Jemanden alleine auf Grund einer oberflächlichen Wahrnehmung eines
Skin-Outfits mit Flaschen und Knüppeln blutig zusammenzuschlagen, hat mit
emanzipatorischer Politik nichts mehr zu tun. Es zeugt von männlich-heterosexueller
Borniertheit, für die eine erotische Besetzung von Männlichkeit so fremd ist
wie ein vulkanisches Pon Farr. Hier wird von Leuten, die von sich selbst
glauben, links zu sein, als Straßenkampf gegen Nazis verbrämte Männergewalt
gegen Schwächere ausgeübt, die gerade das Pech haben, zufällig zur falschen Zeit
am richtigen Ort zu sein. Solche Scheißaktionen, wie die oben dargestellte,
sind nicht als "Dumm-Gelaufen" oder Missverständnis abzutun, derartige
Argumentationen haben sich dem, was sie bekämpfen, schon weitgehend angeglichen.

We are not amused, not at all......

Diskussion unter:
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08.11.2001
Ernsthaft aufgebrachten Tunten    Zurück zur Übersicht

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