Bremen: Walser-KritikerInnen nehmen "Angebot" an/ Offener Brief
Der Autor und "Provokateur" (Einschätzung des Bremer Theaterintendanten
Klaus Pierwoß) Martin Walser sucht laut dpa-Meldung vom 29.11. das
Gespräch zu seinen KritikerInnen. Vier Gruppen aus Bremen, die die
Buchhandlung Phönix und das Bremer Theater erfolglos aufgefordert
hatten, den Schriftsteller am 26.11. auszuladen, nehmen das Angebot in
einem offenen Brief an.
Walser-KritikerInnen nehmen Angebot an - Offener Brief an Martin Walser
Herr Walser,
laut Meldung der Deutschen Presseagentur vom 29.11.2001 haben Sie uns
zur Diskussion aufgefordert. Das reiht sich nahtlos ein in Ihre
Inszenierung als weltoffener Grandseigneur der deutschen
Nachkriegsliteratur, dessen Herz für die Jugend schlägt, und der darum
umso betroffener ist, wenn angeblich uneinsichtige, dogmatische und
ungebildete Jugendliche, die noch nie etwas von ihm gelesen hätten,
stören.
Herr Walser, an uns lag es nicht, wenn es in Bremen nicht zur Diskussion
kam, sondern an der deutschen Polizei und Ihrem aggressiven Publikum,
das teilweise tätlich gegen uns vorgegangen ist. Wir nehmen Ihr Angebot
an. Nicht, weil wir auch nur eine Minute glauben, dass Sie uns
gründlich genug zuhören würden, um unsere Argumente auch nur
nachvollziehen zu können. Nicht, weil wir denken, dass jemand, der uns
als „zeitweise unzugänglich“ (auf der Lesung am 26.11.01 in Bremen)
pathologisiert hat, Interesse und Selbstreflexion genug besitzt, unsere
Argumente an sich heranzulassen. Wir können uns eine sinnvolle
Diskussion mit jemandem, der wie Sie ein Recht auf Wegsehen und Weghören
für sich reklamiert, der Ignoranz gegenüber der Wirklichkeit in der
Bundesrepublik predigt, der sich in allen Diskussionen – um in Ihrem
Jargon zu reden – „verständnisunwillig“ gezeigt hat, schwer vorstellen.
Wir sagen es ganz offen: Wir halten Ihre Thesen nicht für
diskussionswürdig, und Sie nicht für diskussionsfähig – aber wir werden
Ihnen die großväterliche Pose des besonnen argumentierenden Literaten
nicht durchgehen lassen. Unsere Kritik zielt auf das Bedürfnis des
»deutschen Volkes« nach einem Schlussstrich unter die Geschichte des
Nationalsozialismus, und nur insoweit auf Sie, wie Sie als Exponent des
deutschen Nachkriegsantisemitismus auftreten und diesen salonfähig
machen. Bedenken Sie, bevor Sie unser Angebot annehmen, dass Sie es
nicht mit Ignatz Bubis zu tun haben, der in seinen vorsichtigen
Formulierungen sicher auch politische Rücksichten nahm und als
Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland nehmen musste. Von
uns „hellen, schönen Jugendlichen“ mit unserem „trüben Gebräu“ haben Sie
dergleichen nicht zu erwarten.
Darum fordern wir Sie zu einem Disput über Nationalismus und
Antisemitismus in Deutschland vor und nach 1945 auf. Als Ort schlagen
wir das Schulzentrum Neustadt in Bremen vor, in dem mehrere LehrerInnen
Nachholbedarf zu haben scheinen. Zu diesem Anlass würden wir unter
anderem gerne die ungeschnittene (!) Video-Aufzeichnung des Gesprächs
zwischen einem Deutsch-LK und Ihnen sehen. Sollten Sie einverstanden
sein, wird es uns sicherlich gelingen, noch im Januar eine entsprechende
Veranstaltung zu organisieren. Wir stellen zwei Bedingungen:
1.) Die Öffentlichkeit muss zugelassen werden.
2.) Uns muss genügend Raum zur Verfügung stehen, um unsere Thesen
vorzustellen.
Lassen Sie uns wissen, ob Sie Ihrer Ankündigung Taten folgen lassen
wollen. Unsere weiteren Vorschläge zum Ablauf werden wir Ihnen dann
zukommen lassen.
Gruppe 42, Antinationale Gruppe, Not a lovesong, Junge Linke
P.S. Die Uniform, in die Sie auf einem Plakat in Bremen montiert wurden,
ist eine Wehrmachtsuniform. Die finden wir schlimm genug.
Kontakt: Bündnis 26. November, c/o Infoladen, St.-Pauli-Str. 10/12.
28203 Bremen
email: buendnis.n26@firemail.de (wird täglich mehrmals abgefragt)
Quellen in der bürgerlichen Presse:
Artikel über die Lesung in der taz bremen:
http://www.taz.de/pt/2001/11/28/a0220.nf/text.name,askuettMy.n,4
...und in der Welt (bundesweite Ausgabe)
http://www.welt.de/daten/2001/11/28/1128kli298579.htx
Artikel über das "Gesprächsangebot"
in der taz:
http://www.taz.de/pt/2001/11/30/a0121.nf/text.name,askuettMy.n,2
und in der taz bremen:
http://www.taz.de/pt/2001/11/30/a0226.nf/text.name,askuettMy.n,3
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