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USA: Wunder in Erbsengröße im Verfahren für Mumia Abu-Jamal

Junge-Welt, 21.12.01 "AUSLAND"

Wunder in Erbsengröße

Juristische Finessen zur Verhinderung eines neuen Verfahrens für Mumia Abu-Jamal

cOhne Vorankündigung, ohne Anhörung der Parteien und ohne Anhörung auch nur eines einzigen Zeugen oder Beweises hat Richter Yohn am 18. Dezember entschieden, den Antrag Abu-Jamals auf Überprüfung der verfassungsmäßigen Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung, den Habeas-corpus-Antrag, in allen Punkten abzulehnen – bis auf einen einzigen mit weitreichenden Folgen: Er hat das Todesurteil aufgehoben.

Es klingt wie ein Wunder. Genau besehen schrumpft dieses Wunder jedoch auf Erbsengröße. Von mehreren hundert Seiten juristischer und faktischer Argumentation der Verteidigung wird einzig der magere Punkt 25 anerkannt: die Instruktionen von Richter Sabo an die Geschworenen und das an sie ausgegebene Urteilsformular bei der Strafzumessungsphase im Prozeß 1981 entsprachen nicht den gesetzlichen Anforderungen. Diese Anweisungen und Formulare, die bis 1989 in einigen Bundesstaaten der USA und auch in Pennsylvania verwendet wurden, hätten eine falsche und »unvernünftige« Auslegung der Bundesgesetze nahegelegt, indem sie den irrtümlichen Schluß aufdrängten, mildernde Umstände dürften bei der Strafzumessung nur dann eine Rolle spielen, wenn die Geschworenen darüber einstimmig einer Meinung seien. Dies habe zu einer inakzeptablen Gefahr der Verwirrung bei den Geschworenen über die angemessene Prozedur bei der Strafzumessung geführt und könne daher nicht aufrechterhalten werden.

Die gute Nachricht hierbei: Auch alle anderen Todesurteile, die unter Verwendung dieses Formulars zustande kamen, sind nun ebenso anfechtbar wie das Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal.

Dies ist der einzige von insgesamt 39 Punkten in den beiden Habeas-corpus-Anträgen Abu-Jamals, dem Yohn stattgegeben hat. Der Schuldspruch »Mord ersten Grades« wird ausdrücklich aufrechterhalten, das einzige, was jetzt zur Debatte steht, ist die Umwandlung des Todesurteils in lebenslängliche Haft.

Bundesrichter Yohn hat zwei Entscheidungen getroffen – einmal zum ursprünglichen Habeas-corpus-Antrag Mumia Abu-Jamals vom Oktober 1999 und zum anderen zur erweiterten Version dieses Antrags, den die Verteidigung im August 2001 eingereicht hat. Seinen Bescheid zum ersten Antrag breitet Yohn auf 272 Seiten aus, der Abschmetterung des ergänzten Antrags widmet er ganze 27 Seiten. Beide Entscheidungen kann man nur als Dokumente des Grauens bezeichnen.

Bei seiner Ablehnung des ersten Antrags macht Yohn sich noch die Mühe, die eingereichten Punkte einzeln abzuhandeln, der zweite Antrag, der einen alternativen Tathergang präsentiert und unter anderem mit dem Geständnis des Berufskillers Arnold Beverlys erstmals handfeste Beweise für Mumias Unschuld vorlegt, wird pauschal und auf rein formaljuristischer Ebene abgeschmettert.

Wie auf ein Mantra beruft Yohn sich dabei wieder und wieder auf das 1996 verabschiedete »Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Effektivierung der Todesstrafe« (AEDPA). Zur Essenz dieses Gesetzes heißt es bei Yohn, die für die Bearbeitung von Habeas-corpus-Anträgen zuständigen Bundesgerichte seien dadurch nunmehr dazu aufgefordert, grundsätzlich »von einer Richtigkeit der faktischen Beurteilungen durch die Staatsgerichte auszugehen«.

Im Klartext: Einmal gefällte Urteile sind, von wenigen extremen Ausnahmen möglicherweise abgesehen, als richtig zu betrachten, und die Aufgabe der Bundesgerichte besteht fürderhin darin, die Vollstreckung dieser Urteile zu beschleunigen. Dies geschieht vor allem durch die Einführung rigider Zeitlimits für die Einreichung von Berufungsanträgen. Zweck dieses Gesetzes ist nichts anderes als eine vermehrte, öffentlich als »Kampf gegen Kriminalität« präsentierbare Zahl von Hinrichtungen, eine Beschleunigung der staatlich betriebenen Fließbänder des Todes.

Die Konsequenzen dieser Auffassung ziehen sich durch den gesamten Text der beiden Entscheidungen Yohns. So heißt es über den rassistisch voreingenommenen Richter Sabo, der 1981 das Todesurteil gegen Abu-Jamal verhängt hatte: »Es ist eine Sache, ob ein Richter die Polizei favorisiert oder ein Individuum (Jamal) ablehnt; es ist jedoch eine ganz andere Sache, ihm rassistische Beweggründe zu unterstellen. Wenngleich keine von beiden Haltungen entschuldbar ist, sind dies jedoch entschiedene Behauptungen, zu deren Erhärtung ganz unterschiedliche Beweise nötig wären. Nichts in Jamals erstem Antrag hat die Gerichte darauf aufmerksam gemacht, daß sie die rassistische Haltung von Richter Sabo würden untersuchen müssen.« Im Klartext: Ob ein Richter rassistisch ist, fällt nicht ins Gewicht, wenn der Angeklagte sich darüber nicht »rechtzeitig« beschwert hat.

Zum entscheidenden Unschuldsbeweis durch den Zeugen Beverly heißt es lapidar: »Jamal kann seinen Antrag nicht um diesen neuen Beweis erweitern, weil dieser Beweis sich in keiner Weise auf den ursprünglichen Antrag bezieht (...) Diesen Bezug zu gestatten ... würde bedeuten, daß Jamal eine Ausweitung der Zeitbegrenzungen innerhalb des Gesetzes zur Effektivierung der Todesstrafe gestattet würde, wovor das Dritte Bezirksgericht ausdrücklich gewarnt hat.« Und weiter: »Selbst wenn die Erklärung Beverlys vom 8. Juni 1999 nicht früher verwertbar gewesen sein sollte, setzt das Gesetz zur Effektivierung der Todesstrafe in diesem Fall eine zeitliche Deadline am 8. Juni 2000.« Auch die neu eingeführte Behauptung der tatsächlichen Unschuld könne diese Frist nicht verlängern, weil keine wie auch immer geartete Ausnahme in dieser zeitlichen Beschränkung vorgesehen sei. Die einzig denkbare Möglichkeit für eine solche Ausnahme sei, daß »der Antragsteller beweisen könne, daß die Präsentation des Zeugen Beverly im ursprünglichen Prozeß es mehr als wahrscheinlich gemacht habe, daß kein vernünftiger Geschworener ihn verurteilt hätte«. Das sei ihm nicht gelungen. Im Klartext: Der Beweis wird nicht gehört werden, weil der Richter ihn nicht hören will. Die mögliche Wahrheit würde das angestrebte schnellere Vollstrecken aller Todesurteile nur unnötig verkomplizieren. Also alles abgelehnt.

Richter Yohn hat angeordnet, daß eine neue Jury innerhalb von 180 Tagen darüber befinden muß, ob Mumia Abu-Jamal erneut zum Tod oder »nur« zu lebenslänglich, einem Tod auf Raten verurteilt wird. Kommt innerhalb dieser 180 Tage kein neuer Geschworenenspruch zustande, lautet die Strafe automatisch lebenslänglich. Staatsanwaltschaft wie Verteidigung haben bereits angekündigt, Berufung einlegen zu wollen.

 

26.12.2001
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