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Berlin: Luxemburg-Liebknecht 13.1.02 Aufruf für Antifa-Block

Gegen die Barbarei
der Zivilisation

Luxemburg-Liebknecht Demo

Berlin · 13.01.2002
Frankfurter Tor · 10.00 Uhr

Deutschland und die zivilisierte westliche Welt befinden sich im Krieg gegen den Terror. Die Anschläge auf World Trade Center und Pentagon und der Krieg gegen Afghanistan haben in (Teilen) der Linken Ratlosigkeit und ein breites Spektrum von Positionierungen hervorgerufen. Von der Verdammung des Krieges als imperialistischem Angriffskrieg der Weltmacht USA bis zur Befürwortung des Krieges gegen antisemitische reaktionäre Fundamentalisten zur Verteidigung der Aufklärung.
Seit der Kapitalismus ohne praktische Alternative global geworden ist und die Utopie seiner Überwindung keine geschichtsmächtige Fraktion mehr hinter sich weiß, scheint es nahezuliegen, sich positiv auf Begriffe wie »Staat« oder »Menschrechte« zu beziehen. Die Linke muss demgegenüber die rasante Veränderung in der Weltordnung, die Revolutionierung der Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft - ihrer Produktionsweise - im Neoliberalismus analysieren, und subversive Kritik daran entwickeln.

freedom and democracy
Die Widersprüchlichkeit »westlicher Zivilisation« gerät aus dem Blickfeld, wenn sie gegen »den Terror« gestellt wird - sie zu hinterfragen ist Aufgabe linker Gesellschaftstheorie. Die Geschichte der Herausbildung der »freiheitlich«-kapitalistischen Welt ist eine Geschichte des Terrors und der Unterdrückung, die erst in den letzten Jahrzehnten und nur in den »entwickelten Industriestaaten« einer selbst-regulierenden Ausbeutung und dem stummen Zwang der Verhältnisse gewichen ist. »freedom and democracy«, scheinbare Grundlage der kapitalistischen Welt, ist die Freiheit der Warenbesitzer (heute auch des freien Warenverkehrs), »Freiheit, Gleichheit, Bentham« (Marx), Freiheit des Eigentums, Vertragsfreiheit der Käufer und Verkäufer von Arbeitskraft. Die Entwicklung der Menschenrechte war ein Teil der im Kapitalismus notwendigen Herstellung der »Freien und Gleichen«.

vorwärts immer rückwärts nimmer?
Zu den Standards linker Kritik gehörte seit den 70er Jahren der Nachweis, dass die »Freiheitsliebe« der kapitalistischen Staaten sich immer gut vertragen hat mit brutaler Ausbeutung, Unterdrückung und den Diktaturen in der sogenannten 3.Welt. Zu deren Machteinsetzung, Finanzierung und Stützung hat die »freie Welt« genug beigetragen, um zu verdeutlichen, dass der Kern ihres Freiheitsbegriffs die Freiheit des Kapitals ist, sich verwerten zu können. Das zu garantieren, ist die Aufgabe der kapitalistischen Gesellschaften und ihrer Politik. Der Zusammenhang von formaler Demokratie und Unterdrückung in den »Hinterhofstaaten« war Gegenstand der antiimperialistischen Bewegung. Doch die Welt hat sich verändert, die Vorstellung nationalistischer Befreiungsbewegungen (und die damit verbundene »Domino-Theorie«, die ein Land nach dem anderen der kommunistischen Revolution zuführen sollte) sind erledigt, weil die ökonomische Entwicklung die Vorstellung abgeschlossener Nationalökonomien unmöglich macht und es keine alternative Weltordung in Form des sozialistischen Blocks mehr gibt. Der globale Kapitalismus erfordert auch von der Linken globale Antworten und eine globale Perspektive der Befreiung - jenseits von Ausbeutung und Verwertungslogik. Wer sich heute der Vorstellung hingibt, dass Befreiung und Nation irgendwie zusammenpassen, dessen Blick ist hoffnungslos rückwärts
gerichtet.

Sozialismus oder Barbarei
Nicht zuletzt aus der Geschichte der antikapitalistischen und kommunistischen Bewegungen kann man lernen, dass die Menschenrechte zwar Teil der Durchsetzungsgeschichte der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sind, aber ihre Ansprüche von linken Bewegungen nicht zu hintergehen sind. Als Teil der historischen Denkformen und dem jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Diskussion hat es Marx nicht abgelehnt, die Menschenrechte als Teil der Kritik am Kapitalismus zu nutzen; die Abschaffung der Sklaverei z.B. galt ihm als Fortschritt. Die Linke tritt nicht gegen Freiheit und Gleichheit an, sondern dagegen, dass diese innerhalb kapitalistischer Gesellschaften immer schon aufs Kapital bezogen sind. »Zivilisation« und »Aufklärung« sind Ansprüche, die im Kapitalismus immer an die Rationalität der Verwertung geknüpft sind, eine Rationalität, die Auschwitz nicht aus- sondern einschließt. Rosa Luxemburg hat die Optionen der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft zugespitzt: Sozialismus oder Barbarei. Und wenn auch der Sozialismus die Zivilisation in sich aufheben muss, so bedeutet doch die kapitalistische Zivilisation die Barbarei.

Freiheit, Repression und Rassismus
Der Kampf der »freien Welt« ist mit einer Einschränkung von Freiheitsrechten verbunden, die Demokratie und »Freiheit« (und damit auch die Bedingungen linker Politik) maßgeblich umgestaltet. Rasterfahndungen, Sondergerichte für Ausländer, Abschaffung des Datenschutzes, Einsatz der Armee im Inneren, (Diskussionen um) Zulässigkeit von Folter, Berufsverbote, Abschiebungen, eine Zuspitzung des rassistischen Alltagsdiskurses, das Geplapper von den Menschrechten entlarvt sich selbst, wenn der Maßnahmenkatalog entrollt wird, der zu ihrer Durchsetzung führen soll. Was von der Freiheit bleibt, ist nicht die Freiheit von materiellen Sorgen, von Folter und Übergriffen, sondern die Freiheit zum Kaufen und Verkaufen, nicht die freie Presse sondern die Freiheit, das zu sagen, was sich als Mainstream durchsetzt. Weltweit wird staatliche Sicherheitspolitik verändert hin zu offener Repression. Im Zuge von Globalisierung und Neoliberalismus gehen den kapitalistischen Staaten die Angebote aus, mit denen die Integration der Menschen ins System zu organisieren ist. Die unmittelbare »Beherrschung« wird wieder wichtiger. Und es ist nicht gesagt, dass die Menschenrechte für die weitere Entwicklung des Kapitalismus von Bedeutung sein werden, nachdem die »Freiheit« aller Arbeitskraftverkäufer hergestellt ist und das Eigentum unangetastet - wen interessiert es, ob ein paar Gefangene gefoltert werden? Aufgabe der Staaten ist es, Verwertungsbedingungen für das Kapital zu garantieren, in der Globalisierung nimmt das die Form der Standort-Konkurrenz an. Wie der moderne Rassismus als Verwertungsrassismus »unideologisch« die Rationalität des Kapitals durchsetzen kann, ist die Sicherheit »aller«, die nur der Standort sind, Grundlage der neuen Repressionspolitik. Da diese nicht mehr an die Forderung gesellschaftlicher Einpassung in starre Normen geknüpft ist, sondern die Anpassung sich ambivalent und flexibel darstellt, ist sie nicht mehr als unmittelbarer Zwang für alle zu spüren - Demarkationslinie ist die Frage nach dem Nutzen und den Verwertungsmöglichkeiten der Person.
Diese Entwicklung ist nicht zu fassen als Rückwärtsbewegung sondern als Neudefinition von Rechten und Freiheiten in der kapitalistischen Gesellschaft - »Neo-Liberalismus« heißt eben auch, dass die Freiheiten neu definiert werden, die als Grundlage der Gesellschaft akzeptabel sind.

which side are you on?
Die von den USA mit aller Macht ihres Militärapparates gestellte Frage der Zuordnung »hälst du?s mit den Terroristen oder mit der freien Welt« stellt sich nicht für uns. Die Taliban können wie der Islamismus und jede Religion nur Gegenstand linker Kritik sein. Ihr Erstarken kann für die Linke vielleicht verständlich werden aus der Geschichte von Imperialismus, Krieg und Abhängigkeit, von antikommunistischer Instrumentalisierung und als Ergebnis einer Ideologisierung, der peripheren Positionen auf dem »Weltmarkt« - aber eine Befreiungsperspektive oder ein emanzipatorischer Gehalt ist hier nicht zu konstruieren. Weil man den instrumentellen Charakter der Kritik an der Frauenunterdrückung in der »westlichen Zivilisation« kritisiert, werden die Verhältnisse davon nicht weniger grauenhaft.
Genauso aber ist es Gegenstand linker Kritik, wenn in den Islamisten, in den »unauffälligen Schläfern« der neue innere und äußere Feind konstruiert wird (- jetzt manipulieren sie auch schon die Finanzmärkte!) gegen den »wir« alle zusammenstehen sollen. Hier finden auch so manche Bürgerkinder der radikalen Linken zu ihren liberalen Eltern zurück: Die Konstruktion innerer und äußerer Bedrohung, die Konstruktion der »Anderen« als Gruppe, die Vermutung über die schaurigen Riten der Islamisten, scheint ihnen plötzlich das heimische Kapital näher zu rücken als die fremden fanatischen Dunkelhäutigen.
Schon Marx hat in der Rede von den »Interessen der Menschheit« die Interessen der »Bourgoisie« nachgewiesen. Der aktuelle Krieg ist keiner für die Freiheit der Menschheit sondern einer, der die Neuordnung der Welt nach dem Ende der Blockkonfrontation weiter treibt. Dabei geht es nicht darum zu behaupten, es würden einzelne Bodenschätze »geraubt«, die Frage dreht sich um die »Regulation« der neuen alten Bedingungen der globalen Verwertung. Welche Konflikte sich dort im einzelnen entspinnen, muss Gegenstand linker Theoriebildung sein und soll hier nicht auf schlichte Zweck-Mittel-Zusammenhänge gebracht werden. Entscheidend für die weitere Existenz(berechtigung) der Linken wird sein, ob sie die Frage nach Interessen und Macht und deren Überwindung weiter stellt - oder ob sie sich dumm machen lässt wie die Sozialdemokratie 1914, von der Luxemburg gezeigt hat, dass sie sich auf die Formel der »nationalen Interessen« eingelassen hat, ohne »Not« oder »Zweck«, denn die Kriegskredite hätte es auch ohne ihre Zustimmung gegeben.
»Der Hauptfeind steht im eigenen Land« war die Parole, mit der Luxemburg und Liebknecht gegen die Konstruktion nationaler Interessen angegangen sind. Nach dem Faschismus war der Politikstil in Deutschland auf »bewältigen durch verschweigen«, die Totalitarismustheorie und keine großen Sprünge in der Außenpolitik angelegt. Nach der deutschen Vereinigung ist der Bezug auf Auschwitz gerade von den ehemaligen Linken umdefiniert worden zur »deutschen Verantwortung«. Diese bestand nicht in der Entschädigung der NS-Opfer sondern in der Beteiligung an Angriffskriegen. Nachdem die Verbindung von »nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg!« aufgelöst worden ist, hat auch der Bezug auf Auschwitz seine rhetorische Aufgabe erfüllt: Heute wird offen von »nationalen Interessen« Deutschlands in der Welt gesprochen, die notfalls militärisch zu verfolgen sind. Kriege werden wieder als »normale« Mittel der Politik gesehen. Es ist gerade die Aufgabe der Antifa, dagegen die »Störfaktoren« des deutschen Selbstbewusstseins in der öffentlichen Wahrnehmung zu halten: Auschwitz und - Stalingrad!

Gemeinsam einsam
Luxemburg und Liebknecht stehen für Kriegsgegnerschaft und Kritik des Parlamentarismus. Die Demonstration knüpft an die Vorstellung einer wirksamen, öffentlich wahrnehmbaren Politik an. Eine Antikriegsbewegung, die über »Gewalt« und »Aggression« jammert und die Herrschaftsverhältnisse der Zivilisation nicht benennt, ist zahm und lahm; indem sie vom Zwang der Verhältnisse schweigt, nimmt sie Partei für sie. Die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration soll - bei allen Diskussionen und Unterschieden - eine gemeinsame linke Positionierung gegen Krieg und Kapitalismus sein. Die Linke muss die Waffen ihrer Kritik schärfen und gleichzeitig die Vorstellung einer Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft hochhalten, wahrnehmbar machen und herausschreien. Denn aller Fortschritt linker Politik ist daran gebunden, dass diese Verhältnisse nicht ewig sind.

Kommt zum Antifa-Block!
no justice no peace!
Für den Kommunismus!

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28.12.2001
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