Israel: Shalom aus der Reserve
Mit zwei großen Demonstrationen meldet sich die israelische Friedensbewegung zurück. von stefan vogt / Jungle World
Schon vor einiger Zeit wurden von feinfühligen Beobachtern Anzeichen für einen möglichen Stimmungsumschwung in der israelischen Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Beteiligung an der Friedensdemonstration am 9. Februar übertraf dann allerdings auch die kühnsten Erwartungen. 10 000 Menschen versammelten sich vor dem Tel Aviv Museum unter dem Slogan »Die Besetzung tötet uns alle!«
Aufgerufen hatte eine Koalition verschiedener Gruppen aus dem linken Teil der Friedensbewegung, darunter Gush Shalom und die Frauenkoalition für den Frieden. Dass eine Friedensdemonstration mehrere Tausend Menschen auf die Straße bringen konnte, ist schon an sich erstaunlich. Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada freute man sich schon über Aktionen, an denen sich ein paar Hundert Personen beteiligten. Erstaunlich ist aber vor allem der Umstand, dass eine Demonstration dezidiert linker Gruppen so erfolgreich war. Dass sich 10 000 Menschen hinter Parolen versammelten, die bis vor kurzem die Forderungen einer verschwindend kleinen Minderheit ausdrückten, deutet in der Tat auf einen Umschwung in der öffentlichen Meinung in Israel hin.
Genau eine Woche später, am vergangenen Samstag, mobilisierte ein Bündnis aus weniger linken Gruppen noch einmal mindestens 15 000 Menschen zu einer Demonstration in Tel Aviv, dieses Mal mit der Forderung: »Raus aus den besetzten Gebieten - zurück zu uns selbst!« Organisiert hatten diese Kundgebung unter anderem Shalom Achshav (Frieden jetzt), die Parteien Meretz und Habachira Hademokratit (Demokratische Wahl) sowie eine Gruppe linker Mitglieder der Arbeitspartei Avoda.
Dass sich die Basis der Friedensbewegung in Israel wieder verbreitert, darauf deutet nicht nur der Umstand, dass sich die linken Gruppen an dieser Demonstration beteiligten und sie zum Teil auch organisatorisch unterstützten. Auch die Zeitung Ha'aretz stellte sich am Freitag in ihrem Editorial entschieden auf deren Seite. In bislang ungekannter Schärfe verurteilte das Blatt die Besetzung und Besiedlung der Westbank und des Gaza-Streifens: »Die Besatzung beeinträchtigt nicht nur die Fähigkeit des souveränen Staates, sich selbst zu verteidigen, und sie untergräbt nicht nur sein Ansehen in den Augen der Welt, sondern sie spaltet auch die israelische Gesellschaft. Sie behindert ihre Entwicklung und sät Gewalt und Hass in ihrem Innern.«
Einen wesentlichen Anstoß hat diese neu erwachte Friedensbewegung von einem offenen Brief erhalten, in dem vor etwa drei Wochen einige Offiziere der Reserve ihre Weigerung erklärten, Dienst in den besetzten Gebieten zu tun. Die Besatzung, heißt es in diesem Brief, habe »alle Werte zerstört, mit denen wir in diesem Land aufgewachsen sind«.
Inzwischen hat sich daraus eine Kampagne entwickelt, der sich mehrere Hundert Soldaten, Reservisten und zukünftige Wehrpflichtige angeschlossen haben und die in den Medien für zunehmende Furore sorgt. Besonders die linken Gruppen sehen in dieser Initiative eine Bestätigung ihrer Positionen und ihrer Einschätzung, dass die Friedensbewegung zu neuem Leben erwacht ist. Die Reservisten standen dann auch im Zentrum der Aufmerksamkeit während der Demonstration am 9. Februar, drei von ihnen konnten als Redner für die Kundgebung gewonnen werden.
Dieser Umstand sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Reservisten eine gänzlich andere Strategie verfolgen als die Linken. Die Unterzeichner des offenen Briefes haben zum großen Teil einen religiösen oder konservativen, mindestens aber zionistischen Hintergrund, mit dem sie ihren Protest auch explizit begründen. Im Gegensatz zu den linken Friedensgruppen versuchen sie nicht, die Weltöffentlichkeit gegen Israel zu mobilisieren, sondern wollen eine Diskussion gerade im nicht linken Teil der israelischen Gesellschaft initiieren. Aus diesem Grunde weigern sich die Reservisten, ausländischen Medien Interviews zu geben.
Vielleicht ist es gerade diese Strategie, die sie für das militärische Establishment Israels zu einer ernsten Bedrohung werden lässt. So wichtig es aus der Sicht der Friedensbewegung auch ist, die Kritik an der Besatzungspolitik gegen einen weitgehenden nationalen Konsens aufrecht erhalten zu haben - dies war während der Intifada eindeutig eine Leistung der Linken -, entscheidend ist es, die Basis für einen neuen Dialog mit den Palästinensern in der ganzen Gesellschaft zu schaffen.
Dabei müssen jedoch die Ängste der Israelis ernst genommen werden. Eine Argumentation, wie sie im gemäßigten Teil des Friedensbewegung zu hören ist, nämlich dass die Besatzung und die Politik der Regierung Sharon die gesellschaftliche Stabilität, die jüdische Identität und vor allem das Leben der Bevölkerung Israels weit mehr bedrohe als die Intifada, ist dafür wesentlich geeigneter als der Ruf nach einer internationalen Intervention, wie ihn die Linke zum Teil vertritt.
Auch auf palästinensischer Seite gibt es mittlerweile Stimmen, die diese Problematik erkennen. Der Parlamentsvorsitzende Abu Ala erklärte am Freitag in einem Interview des palästinensischen Fernsehens, dass Fehler der Palästinenser zum Niedergang der israelischen Friedensbewegung beigetragen hätten. Nun müsse es darum gehen, in der israelischen Bevölkerung den Glauben wiederherzustellen, dass ein Frieden mit den Palästinensern möglich ist.
Einen ersten Schritt dazu machte der Repräsentant der Autonomiebehörde in Jerusalem, Sari Nusseibeh, der während der Friedensdemonstration am vergangenen Samstag als Redner auftrat. Er war bereits früher mit der Mahnung an die Öffentlichkeit getreten, die Palästinenser müssten die Ängste der Israelis berücksichtigen und deshalb zu weitreichenden Zugeständnissen etwa hinsichtlich des Rückkehrrechtes bereit sein.
Noch gelten solche Positionen auf palästinensischer Seite als Sakrileg. Als Nusseibeh vor palästinensischem Publikum den Abschied vom Recht auf Rückkehr nach Israel forderte, reichten die Reaktionen von Rücktrittsforderungen bis zu Morddrohungen. Die fortdauernde Zusammenarbeit der Autonomiebehörde mit den Islamisten und anderen radikalen Gruppen ist ebenfalls wenig dazu geeignet, das Vertrauen der Israelis in den Friedensprozess zu erneuern.
Allerdings scheint auch hier die Überzeugung langsam Raum zu gewinnen, dass der bewaffnete Kampf gegen die Israelis nichts bringt. Edward Said forderte Anfang Februar in einem Artikel der englischsprachigen Ausgabe von Al-Ahram, die Palästinenser sollten diesen sinnlosen Kampf aufgeben und »kreative« Formen des Widerstandes finden. Unter Bezugnahme auf die Kampagne der Reservisten verlangte er vor allem die Zusammenarbeit mit der israelischen Friedensbewegung: »Ohne eine Identifikation und Zusammenarbeit mit dem israelischen Widerstand gegen die israelische Besatzung werden wir weiter auf der Stelle treten.«
Auch in Israel ist die Forderung, mit den Palästinensern zu verhandeln und die Besatzung zu beenden, noch immer das Anliegen einer Minderheit. Doch gerade vor dem Hintergrund der katastrophalen wirtschaftlichen Entwicklung, die ja nicht zuletzt eine Folge des Konfliktes ist, erkennen auch hier immer mehr Menschen in der Besatzung eine schwerwiegende Bedrohung der israelischen Gesellschaft.
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