Düsseldorf: Indymedia Kritikpapier
Strukturen schützen: Anna und Arthur halten?s Maul!
Überlegungen zu Nutzen und Gefahren des Internetforums Indymedia
Das vorliegende Papier befasst sich mit der Gefährdung linker
Strukturen durch die Publikation bestimmter Beiträge auf den
Kommentarseiten des Internetforums Indymedia. Wir wollen hiermit eine
Auseinandersetzung um Gefahren und Nutzen eines solchen offenen
Forums anregen, um zum einen die NutzerInnen zu einem
verantwortungsvolleren Umgang mit dem Medium zu bewegen, und um zum
anderen die Indymedia BetreiberInnen um eine erneute kritische
Reflexion ihrer bisherigen Praxis zu bitten.
Das Internetforum Indymedia hat sich in den letzten Monaten zu einem
zentralen Informations- und Diskussionsforum der (radikalen) Linken
entwickelt. Zur grundlegenden Konzeption Indymedias gehört es,
jedem/jeder, der/die über einen Internetzugang verfügt, zu
ermöglichen, Informationen, Inhaltliche Statements oder
Diskussionsbeiträge zu publizieren. Ziel dieses radikaldemokratischen
Ansatzes ist es, dass diejenigen, die politisch aktiv sind, auch die
Nachrichten über die jeweiligen Aktionen produzieren, und dies so
aktuell wie möglich. Während inhaltliche Beiträge von der
Indymedia-Redaktion redaktionell bearbeitet, zumindest aber vor ihrer
Veröffentlichung gelesen werden, und die Beiträge im Open Posting
nach Schlüsselwörtern gescannt werden, um beispielsweise rassistische
Propaganda von vornherein herauszufiltern, unterliegt der Bereich der
Kommentare keiner redaktionellen Kontrolle. Wir halten den Umgang
einiger NutzerInnen mit diesem Forum für bedenklich und wollen daher
eine Debatte um Risiken und Nutzen desselben innerhalb der Linken
anregen.
Unsere Kritik macht sich im Wesentlichen anfolgenden Punkten fest:
1. Gerüchteküche
Da Indymedia jedem/jeder die Möglichkeit bietet, Informationen im
Netz zu publizieren, ist es der Verantwortung jedes/jeder einzelnen
überlassen, was er/sie in diesem Rahmen der Öffentlichkeit zugänglich
machen will. Insbesondere die Kommentarseite entwickelt sich dabei
zuweilen zu einer brodelnden Gerüchteküche. Schnell werden hier aus
Vermutungen und persönlichen Einschätzungen Tatsachen, die sich auf
die Vorbereitung von Aktionen auswirken und in die Irre führen
können. Die Publikation von Gerüchten (oder im schlimmsten Falle
lancierten Falschinformationen), die für andere Nutzerinnen des
Forums nicht nachprüfbar sind, ist schlichtweg verantwortungslos:
Das bloße Spekulieren über mögliche Bullenstrategien oder angebliche
Vorhaben von Nazi-Gruppen führt dazu, ein unüberschaubares
Bedrohungsszenario zu schaffen, das einschüchternde Wirkung haben und
zu Fehleinschätzungen führen kann.
Das bloße Drohen mit militanten Aktionen bzw. das Spekulieren darüber
schadet unserem Agieren am Tag selbst und nutzt de facto überhaupt
nichts. Diejenigen, die militante Aktionen vorhaben, tun besser
daran, ihre Energie auf die Planung zu verwenden statt auf das
Rumprahlen mit ihren revolutionären Absichten. Mal ganz abgesehen
davon, dass die eigene Aktion gefährdet wird, wenn vor lauter
Vorfreude nebenbei die ein oder andere Information abfällt, die den
Bullen im Vorfeld durchaus nützlich sein könnte.
2. Den Bullen in die Hände arbeiten: ?Ich war dabei!?
Ähnlich verantwortungslos ist zuweilen der Umgang mit Debatten über
bereits gelaufene Aktionen. Die nach manchen Aktionen auftretende
ausführliche Diskussion über den genauen Ablauf der Begebenheit
spielt Polizei und Staatsschutz in die Hände und stellt eine konkrete
Gefährdung linker Strukturen dar. Debatten um den genauen Ablauf
militanter Auseinandersetzungen mit Faschisten beispielsweise nutzen
niemandem und sind für alle Beteiligten schlichtweg gefährlich.
Manche NutzerInnen überbieten sich nach solchen Ereignissen oftmals
gegenseitig mit Detailinformationen. Jede/r weiß dann noch ein
bisschen genauer zu berichten, wie genau die Schlägerei verlaufen
ist, wer angefangen hat, wie viele Leute auf der einen wie auf der
anderen Seite beteiligt und welche Verletzungen zu verzeichnen waren.
Die Publikation solcher Infos stellt eine konkrete Gefährdung für
alle an den Auseinandersetzungen beteiligten dar, sowohl für jene,
die mit ihrem vermeintlichen Insiderwissen prahlen, als auch für
jene, die aus gutem Grund den Mund halten. In solchen Fällen haben es
Polizei und Staatsschutz gar nicht mehr nötig, sich mühsam um
Zeugenaussagen zu bemühen, weil sie wichtige Informationen direkt von
den Involvierten selbst bekommen. Und ist dies einmal nicht der Fall,
so braucht es nur eine ohne größeres psychologisches Geschick in den
Raum geworfene Falschbehauptung, und schon setzt eine Welle von
Gegendarstellungen ein.
Abgesehen davon, dass diese bereitwillig zur Verfügung gestellten
Informationen Polizei und Staatsschutz helfen, ihre Akten zu
komplettieren, birgt die Form der Kommentarseite Indymedias auch die
Möglichkeit, gezielte Falschinformationen zu publizieren, und zwar
sowohl von Seiten der Nazis als auch von Seiten der Bullen selbst.
3. Anonymität und Identifizierbarkeit von NutzerInnen
Abschließend noch eine Bemerkung zum technischen Umgang mit
Indymedia: Im Allgemeinen schreiben die KommentatorInnen ihre
Beiträge unter Pseudonymen, in der Hoffnung, damit ihre Anonymität
wahren und sich vor Repression schützen zu können. Dies allein reicht
jedoch bei weitem nicht aus, da staatliche Überwachungsmaßnahmen im
Internet stark expandieren und mit einigem Aufwand es möglich ist,
mitzuverfolgen, von welchem Rechner (bzw. welchem Telefonanschluß)
aus sich NutzerInnen in die Kommentarseite eingeloggt haben. Bei den
meisten Rechnern ist der Kreis derer, die Zugriff darauf haben
eingrenzbar, so dass es Polizei und Staatsschutz möglich ist,
diejenigen mit dem vermeintlichen Insiderwissen zu ermitteln und zu
kriminalisieren.
Dies sei jedoch nur am Rande erwähnt, da es natürlich technische
Möglichkeiten gibt, sich auch hiervor zu schützen. Die zuvor
geäußerte Kritik am allgemeinen Umgang mit dem Medium bleibt davon
jedoch unberührt.
Unserer Meinung nach gefährdet der jetzige Umgang mit Indymedia,
insbesondere der Kommentarseite, konkret linke Strukturen bzw. auch
politisch aktive Einzelpersonen und schadet damit der politischen
Arbeit. Um in Zukunft zu verhindern, dass auf Indymedia Informationen
publiziert werden, die uns möglicherweise auf die Füße fallen
könnten, fordern wir zu einer Auseinandersetzung um einen sicheren
Umgang mit dem Medium auf. An die Indymedia-Redaktion richten wir die
Bitte, die Gefahren, die das Medium birgt, nochmals kritisch zu
reflektieren und den Diskussionsprozess öffentlich zu machen. Als
praktischen Vorschlag von unserer Seite möchten wir anregen, darüber
nachzudenken, ob nicht vielleicht ein entsprechender kurzer
Hinweistext direkt in das Kommentarfenster integriert werden könnte,
oder gegebenenfalls das Kommentarfenster ganz weggelassen wird.
In der Hoffnung auf eine produktive Auseinandersetzung
und mit solidarischen Grüßen
Antifa O.R.K.A., Aktion Knastmucke und R.A.Z.,
organisiert im Koordinierungskreis antifaschistischer Gruppen aus
Düsseldorf (Antifa-KOK)
www.antifakok.de
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