Ende der Versöhnung
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Schuld an der Eskalation hat Israel. Darin sind sich die meisten Medien und Parteien in Deutschland einig. Selbst die CDU schließt Sanktionen wegen der Politik Sharons nicht mehr aus. In den anderen EU-Staaten sind antisemitische Aktionen schon fast alltäglich. In Frankreich und Belgien brannten in den vergangenen Wochen Synagogen und jüdische Einrichtungen.
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»Manchmal meint man, man hört Israel sprechen«, orakelte Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der CDU, in der vergangenen Woche und meinte nicht etwa Ariel Sharon, sondern ausgerechnet den deutschen Außenminister Joseph Fischer. Galt der grüne Politiker wegen seiner Teilnahme an einer PLO-Konferenz in den sechziger Jahren bei der Union noch vor nicht allzu langer Zeit als untragbar, so hat sich die Kritik mittlerweile völlig umgekehrt. Fischer solle endlich dafür sorgen, dass Europa »mit einer Stimme spricht«, und klar sagen, dass »Israel die größere Verantwortung« für die Eskalation trage, sagte Lamers. Bislang galt die Bundesrepublik als israelfreundlichstes Land in der EU. Das könnte bald anders werden. Selbst Wirtschaftssanktionen will der außenpolitische Experte der Union nun »als letztes Mittel« nicht mehr ausschließen.
Boykottiert Israel! Für solche Forderungen waren bislang nur linksradikale Antiimperialisten, wie etwa in den achtziger Jahren in der Hamburger Hafenstraße, bekannt. Jetzt scheinen auch die Konservativen diese Parole für sich entdeckt zu haben.
Der palästinensische Repräsentant in Deutschland, Abdallah Frangi, erlebe neuerdings, schreibt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, »dass er auf CDU-Veranstaltungen mit rhythmischem Applaus verabschiedet wird«. Wie drastisch sich das Verhältnis zu Israel verändert hat, zeigen auch die Äußerungen anderer Politiker. Israel betreibe einen »hemmungslosen Vernichtungskrieg«, formulierte etwa der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm in einem Brief an den israelischen Botschafter Shimon Stein und bediente sich eines Wortes, das bislang der Beschreibung des Nazi-Krieges gegen die Sowjetunion vorbehalten war.
Noch drastischer geht Jürgen Möllemann, Landesvorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, zur Sache. »Was würde man denn selber tun, wenn Deutschland besetzt würde? Ich würde mich auch wehren, und zwar mit Gewalt. (...) Und ich würde das nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggressors«, sagte er in der letzten Woche der taz.
So viel Verständnis für palästinensische Selbstmordaktionen gegen israelische Zivilisten - denn anders ist Möllemanns Erklärung trotz seiner Dementis kaum zu verstehen - war von deutschen Politikern bislang nicht zu hören. Entsprechend entsetzt reagierte auch die jüdische Gemeinde. »Anstatt gegen Antisemitismus zu mobilisieren - was hier zu Lande tatsächlich etwas Neues wäre -, wird in Sachen Feindmarkierung eher der Schulterschluss mit den Antisemiten praktiziert«, kommentierte der Präsident des Zentralrates der
Juden in Deutschland, Paul Spiegel, den »moralischen Bankrott Möllemanns«.
Doch dieser erhält Rückendeckung aus seiner Partei. »Die Haltung zu Israel wird immer kritischer«, so der ehemalige Außenminister Klaus Kinkel, »das macht mich traurig, ist aber nicht unberechtigt.« Und auch der Parteivorsitzende Guido Westerwelle verteidigte das Recht auf »Kritik an der Militärpolitik der israelischen Regierung«. Weniger prominente Parteimitglieder werden noch deutlicher. Die »unverfrorene Art und Weise«, pöbelte der Ex-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer, in der eine »Israel-Lobby seit Jahren mit dem bösen Vorwurf des Antisemitismus jeden niederzumachen versucht, der es wagt, israelische Völker- und Menschenrechtsverletzungen anzusprechen«, müsse endlich zurückgewiesen werden.
Schäfer muss sich keine Sorgen machen. Die Aufforderung, die Juden in die Schranken zu weisen, ist längst angekommen - bei Konservativen wie bei Linken. »Wenn Argumente fehlen, den Vorwurf des Staatsterrorismus an Israel zu entkräften«, verteidigt etwa das Neue Deutschland den »Fallschirmjäger a.D.« Jürgen Möllemann, sei die Versuchung groß, »zur verbalen Keule des 'Antisemitismus' zu greifen«.
Die große Koalition aus rechten Liberalen, Konservativen und Linken spricht aus, was die Bevölkerung denkt. Nach einer Umfrage von Emnid sind 73 Prozent der Deutschen der Meinung, dass das »harte Vorgehen Israels gegen die Palästinenser« nicht gerechtfertigt sei. »Es gibt gegenwärtig eine nahezu geschlossene anti-israelische Haltung in der Presse. Ich spüre geradezu physisch, wie mein mühsam erkämpftes Zugehörigkeitsgefühl zu diesem Land erodiert«, sagte der Schriftsteller Ralph Giordano in der Mitteldeutschen Zeitung. »Das weckt meine Fluchtinstinkte«.
Solche Äußerungen werden allerdings kaum noch wahrgenommen. So »normal« scheint der Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit seit Martin Walsers Rede von der Auschwitzkeule schon geworden zu sein, dass sie auf das Verhältnis zu Israel nun keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchen.
Ähnlich wie im Kosovo-Krieg wird in der aktuellen Kritik an der Regierung in Jerusalem wieder die NS-Vergangenheit bemüht. Weil sich die Israelis wie Nazis benähmen, seien die Deutschen geradezu prädestiniert, sie zu kritisieren. »Israel muss aber nicht nur besetzte Gebiete räumen. Auch die Besitznahme palästinensischen Bodens und seine israelische Besiedlung ist eine kriminelle Handlung«, erklärte Günter Grass im vergangenen Dezember und stellte damit zumindest indirekt das Existenzrecht Isreals in Frage. Dass Intellektuelle wie Grass sich mittlerweile mit einem ganz anderen vermeintlichen Tabu beschäftigen - mit den an Deutschen verübten Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg -, ist da nur konsequent.
Vor allem in der Linken artikuliert sich, gerade wegen ihrer scheinbaren moralischen Unbefangenheit gegenüber der Vergangenheit, eine reaktionäre Kritik an Israel. Auf zahlreichen Demonstrationen wird ein Eingreifen der EU und eine eindeutige Parteinahme der Bundesregierung gefordert und der
Konflikt in ethnischen und nationalistischen Kategorien interpretiert. In den Aufrufen und Flugblättern ist fast ausschließlich vom »unterdrückten palästinensischen Volk« die Rede, das sich gegen die »israelischen Besatzer« wehre. Während das tägliche Leid, das der palästinensischen Bevölkerung widerfährt, als moralische Legitimation dient, sind die Selbstmordattentate auf israelische Zivilisten kaum der Rede wert.
Selbst islamistische Gruppen wie die Hamas oder die Hizbollah, deren erklärtes Ziel die Vernichtung Israels ist, werden als legitime nationale Befreiungsbewegungen angesehen. Volk, nationale Befreiung und Kampf bis zum Sieg - nicht nur im Vokabular erinnert die aktuelle Palästina-Solidarität an den Antiimperialismus der siebziger Jahre. Neu ist hingegen, dass nun auch konservative Politiker wie Lamers oder Blüm an dem antizionistischen Kampf der Linken Gefallen finden.
Dass sich Antisemitismus und Antizionimus kaum mehr trennen lassen, zeigt sich schon an den Anschlagszielen. In Berlin explodierten Mitte März nach einer propalästinensischen Demonstration auf einem jüdischen Friedhof Rohrbomben, am Osterwochenende wurden nahe dem Kurfürstendamm zwei Juden, die an ihrer Kleidung als solche zu erkennen waren, auf offener Straße niedergeschlagen.
In anderen europäischen Staaten sind antizionistische Aktionen schon fast alltäglich. In Italien rufen die linksradikalen Nachwuchskräfte von Ya Basta zum Boykott israelischer Waren auf. In der Schweiz wurde die Indymedia-Filiale nach einer Anzeige wegen antisemitischer Volksverhetzung vorrübergehend eingestellt.
In Frankreich und Belgien richteten sich in der vergangenen Woche zahlreiche anti-israelische Attacken gegen Synagogen, Friedhöfe und Einrichtungen der jüdischen Gemeinden. Am Osterwochenende wurden in Marseille, Lyon, Nizza, Brüssel und Antwerpen Synagogen angezündet. In der jüdischen Gemeinde in Frankreich werden die Warnungen vor einer neuen »Kristallnacht« laut, die Attacken seien erst der Anfang. In Europa entwickle sich eine neue antisemitische Stimmung - knapp 50 Jahre nachdem die nationalsozialistische
Vernichtungspolitik die jüdische Assimilation beendet hat. Gegen die antisemitischen Aktionen demonstrierten am vergangenen Sonntag mehr als 100 000 Franzosen.
Am Mittwoch dieser Woche ruft auch der Zentralrat der Juden in Deutschland zu einer Solidaritätskundgebung in Frankfurt am Main auf. Viel Unterstützung wird die jüdische Gemeinde allerdings hier nicht mehr erwarten können.
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