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TEXT: Zur Kritik an der Palästina-Solidarität - Antisemitismus in der deutschen Linken

Zur Kritik an der Palästina-Solidarität - Antisemitismus in der deutschen Linken

Ziel dieses Textes ist es nicht, eine Position zum Nahost-Konflikt zu
formulieren, sondern eine Kritik an dem Umgang der hiesigen Linken mit dem
Konflikt. Es geht uns um eine Kritik an der aktuellen Palästina-Solidarität
und dem
Antisemitismus in der Linken.

Linker Antisemitismus? Gibt's doch gar nicht, denken viele vielleicht. Zwar
fehlt der Antisemitismus meist in der Aufzählung der -ismen, gegen die
protestiert wird, aber linke Antisemiten? Schön, wenn's so einfach wär...
Linksradikale reagieren auf den Begriff "Antisemitismus" oft genauso nervös,
wie die bürgerliche Öffentlichkeit auf den Begriff "Rassismus": Der Vorwurf
löst meist weit mehr Empörung aus, als die Tat selbst. Wird etwa der
(latente) Antisemitismus in bestimmten Positionen zum Nahost-Konflikt
kritisiert,
lautet die reflexhafte Antwort meist: "Man muss ja wohl noch Israel
kritisieren
dürfen", denn das "habe ja nichts mit Antisemitismus zu tun". Ebenso kann
man
in unzähligen Talkshows hören, dass es ja wohl nichts mit
"Fremdenfeind-lichkeit" zu tun habe, wenn "man mal offen darüber sprechen
möchte, wie viele Ausländer dieses Land verträgt".

Seit 1945 versteckt sich der Antisemitismus in Deutschland hinter der
Behauptung, "man dürfe ja nichts mehr gegen Juden sagen". Diese Strategie,
real gar
nicht existierende "Denkverbote" herbeizureden, angebliche "Tabus" zu
konstruieren und diese dann mutig zu brechen, wird auch unter Linken immer
beliebter. Kürzlich wurde sogar in einem Beitrag auf "Indymedia" bemerkt, es
sei
"nationalistisch", wenn jemand "nichts gegen Juden sagen dürfe", nur weil er
Deutscher sei.

Auch in der innerlinken Debatte ist es inzwischen üblich, den KritikerInnen
des Antisemitismus vorzuwerfen, sie würden ja beim Nahost-Konflikt ständig
Israelis und Juden gleichsetzen und jede Kritik an Israel als Antisemitismus
"verteufeln". Das sehen wir anders. Antisemitismus ist - stark verkürzt -
die
Verbreitung von Vorurteilen gegen Jüdinnen und Juden. Unzweifelhaft ist,
dass
es sich bei Israel - sowohl nach seinem Selbstbild wie auch in der
Fremdwahrnehmung - um einen jüdischen Staat handelt. Dazu kommt, dass aus
unserer Sicht - im Vergleich zum eher mäßigen Interesse an ähnlichen
Konflikten,
beispiels-weise auf dem Balkan, in Sri Lanka oder Kolumbien - auffällig
starke
Interesse der deutschen Linken - aber auch teilweise der internationalen
Öffentlichkeit am Nahostkonflikt. Zudem ist die Kritik häufig nicht gegen
die Leiden der
Palästinen-serInnen gerichtet, sondern dagegen, dass die Israelis sie
schlecht behandeln. Die miserablen Bedingungen, unter denen
PalästinenserInnen in
arabischen Staaten leben, werden nur selten thematisiert. Kurzum: Die
Tatsache, dass es sich bei Israel um einen jüdischen Staat handelt, spielt
durchaus
eine wichtige Rolle für den Blick auf den Nahostkonflikt.

Antizionismus und Pali-Solidarität

Auf Israels Charakter als "Judenstaat" wurde Ende der 60er, Anfang der 70er
Jahre von Seiten der deutschen Linken noch deutlicher Bezug genommen. Unter
dem Vorzeichen der Solidarität mit dem "Befreiungskampf der Palästinenser"
wurde behauptet, die Juden würden den PalästinenserInnen genau das antun,
was
"die Nazis" ihnen angetan hätten. Viele Linke fanden es passend, von der
"Endlösung der Palästinenserfrage" zu sprechen, vom "faschistischen Israel",
das
"das palästinen-sische Volk ausradieren" wolle. Auch die
"Gerade-wir-Deutschen"-Logik, mit der Fischer und Scharping 1999 die Bomben
auf Belgrad
begründeten, hatte hier ihre Geburtsstunde. Damals hieß es, gerade die
Deutschen hätten
eine besondere Verant-wortung für die PalästinenserInnen.

Der "Antizionismus" verstand sich als nach-träglicher Widerstand gegen den
deutschen Faschismus und war dabei den heutigen Aktionen von Neonazis
gefährlich nahe: Es war die Spontigruppe "Tupamaros Westberlin", die am 9.
November
[!] 1969 einen Brandanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Westberlin
verübten. Ihr Mitbegründer Dieter Kunzel-mann schrieb zu jener Zeit: "Wenn
wir
endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ›Zionismus‹ zu begreifen,
werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen
durch eindeutige Solidarität mit AL FATAH, die im Nahen Osten den Kampf
gegen
das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat". Es
ist also keine große Überraschung, dass Kunzelmanns ehemaliger Genosse Horst
Mahler heute mit seinen Kameraden mit Pali-Tüchern bekleidet durch die
Straßen
läuft und "Lang lebe Palästina" ruft. Schon in den 70ern bewunderten viele
deutsche Linke die PalästinenserInnen als "militanten
Heimatvertriebenenverband" (Wolfgang Pohrt).

Schon aus den 70er Jahren stammt die absurde These, "Antizionismus" habe
nichts mit Antisemitismus zu tun. Es mag ja sein, dass die, die sich selbst
Antizionisten nennen, keine Antisemiten sein wollen und sich auch nicht
selbst
als solche sehen. Aber allein schon die oben genannten Anschlagsziele
zeigen,
dass Antizionismus und Antisemitismus zumindest nahe Verwandte sind. Der
Begriff Antizionismus wurde zunächst in der Sowjetunion verwen-det, um eine
Verbindung des tradier-ten Antisemitismus mit der marxistisch-leninistischen
Ideologie zu erreichen. Der "Zionist" war gleichzeitig Klassen- und
Volksfeind, der
"Zionismus" (sprich: Israel) galt als Quelle des Imperialismus. Auch der
"Antizionismus" der deutschen Linken kritisierte nicht etwa das konkrete
Handeln
israelischer PolitikerInnen, sondern richtete sich meist gegen die Existenz
eines jüdischen Staates an sich. "Israel" wurde in vielen linken Texten in
Anführungszeichen gesetzt, wie die "DDR" bei Springer. Zur "Lösung des
Konflikts" wurde nicht selten die "Zerschlagung Israels" gefordert.

Auch wenn "Antizionismus" und "palästinen-sischer Befreiungskampf" heute
keine eindeutigen Bezugs-punkte linker Politik mehr sind, so ist dies doch
nach
wie vor die Brille, mit der viele deutsche Linke auch heute noch (bzw.
wieder) auf den Nahost-Konflikt schauen. Seit Beginn der sogenannten
Al-Aqsa-Intifada im Herbst 2000 kochen bei kaum einem anderen Thema die
Emotionen so
schnell hoch, sind so schnell die Fronten klar gezogen, als wenn es um den
Nahostkonflikt - oder besser um Israel geht.

Auf die Fresse für "Solidarität mit Israel"

Besonders seit den Anschlägen vom 11. September 2001 artikulieren sich dabei
auch in der deutschen Linken immer offener antisemi-tische Denkweisen - bis
hin zur offenen Gewalt. Einigen Linken scheint es legitim zu sein, andere
Linke, die - aus welchen Grün-den und in welchem Ausmaß auch immer - für
Israel
Partei ergreifen, anzuschreien, sie als "Zionistenschweine" zu beleidigen
und
sie auch körperlich anzugreifen. Inzwischen gab es in mehreren deutschen
Städten Übergriffe auf Personen, deren "Vergehen" darin bestand, Parolen wie
"Solidarität mit Israel" oder "Lang lebe Israel" zu unterstützen. Auch
Plakate,
die sich in irgend einer Weise positiv auf den Staat Israel bezogen oder
sich
auch nur gegen palästinensische Selbstmordatten-tate richteten, wurden in
Berlin wiederholt innerhalb kürzester Zeit abgerissen oder auf andere Weise
unlesbar gemacht.

Manche GenossInnen finden, dass Menschen, die "einen imperialistischen
Staat", oder wie es auch heißt, "die drittgrößte Militärmacht der Welt"
"verteidigen", sich ja schließlich nicht wundern müssten, "auf die Schnauze
zu
bekommen". Was mit Parolen wie "Solidarität mit Israel" gemeint sein könnte,
ist
Ihnen also noch nicht mal eine Diskussion wert. Kein Gedanke wird daran
verschwendet, dass damit vielleicht auch einfach nur gemeint sein kann: Die
Existenz
eines jüdischen Staates, der unter anderem als Konsequenz aus der von
Deutschen versuchten Vernichtung des europäischen Judentums und dem bis
heute
weltweit virulenten Antisemitismus entstanden ist, ist legitim und
unterstützenswert. Gerade angesichts des arabischen Antisemitismus und der
Vernichtungsabsichten weiter Teile der politischen und militärischen
GegnerInnen Israels sollte die Idee Israels als jüdischer Staat unterstützt werden.

Diese Sätze bedeuten nämlich etwas ganz anderes, als eine unbedingte
Übereinstim-mung mit jeglichen Aktionen der jeweiligen israelischen
Regierung oder
der israelischen Armee. "Uneingeschränkte Solidarität" - komme sie nun von
Schröder oder von der Bahamas - ist meist eine eher zweifelhafte
Angelegenheit.
Allemal zu verurteilen ist es jedoch, angesichts solch gutgemeinter (aber
meist jedoch wohl recht folgenloser) Solidaritätsbekundungen völlig
auszurasten
und Leute von Demos zu verjagen, sie zu beschimpfen oder gar
zusammenzuschlagen.

Noch stärker zeigt sich der Antisemitismus in Aktionen wie dem Boykott
israelischer Produkte bzw. Geschäfte. Die AktivistInnen verbitten sich
jeglichen
Vergleich mit den Judenboykotten der Nazis. Begründet wird die Aktion mit
der
Politik Sharons. Aber wer käme etwa auf die Idee, wegen der Politik
Schröders, der deutschen Waffenexporte und Kriegseinsätze, Deutschlands
Rolle in EU,
NATO und IWF, angesichts der staatlich geduldeten "national befreiten Zonen"
und der rassistischen Sondergesetze einen Boykott deutscher Waren zu
fordern?
Spätestens vor dem Hintergrund solcher Kampagnen ist die Behauptung, "man
dürfe ja nichts gegen Israel sagen", nicht nur ad absurdum geführt, sondern
auch
faktisch widerlegt.

Die Palästina-Demo am 16.3.

Ein aktuelles Beispiel dafür, wie sich Antisemitismus in der
Palästina-Soliarbeit ausdrückt, ist die vom "Solidaritätsbündnis für
Palästina" am 16.3.02
organisierte Demo. In diesem Solibündnis sind neben der "Vereinigten
Palästinensischen Gemeinde" Berlins und weiteren palästinensischen und
iranischen
Gruppen auch zahlreiche deutsche Gruppen vertreten, vom "Arbeitskreis
Nahost" der
grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung und der "Friedensinitiative Wilmers-dorf"
über das "Gegeninformationsbüro" (GIB), die Gruppen "Libertad!" und
"Mücadele" bis hin zu "Linksruck".

Schon das Motto der Demo "Palästina muss leben!" lässt aufhorchen. Ein
ähnlicher Spruch war Teil der Nazi-Kriegspropaganda: "Deutschland muß leben,
und
wenn wir sterben müssen" prangt seit 1936 u.a. auf dem "Kriegsklotz".

 

15.04.2002
Antisemitismus-AG der Gruppe Subcutan [homepage]   [Email] [Aktuelles zum Thema: Kritik d. Antisemitismus]  Zurück zur Übersicht

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