nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Hamburg: Gegen den demokratischen Antisemitismus

Kundgebung aus Anlass des Erscheinens des Buches "Tod eines Kritikers" von
Martin Walser


Sogar die empirische Sozialforschung stellt fest, dass vierzig Prozent der
Deutschen eindeutig antisemitischen Äußerungen zustimmen. Die seit 1989
ständig zunehmende antisemitische Gewalt löst kaum noch Proteste aus. In
dieser Situation war Jürgen Möllemanns hetzerische Bemerkung, für den
Antisemitismus seien "Herr Sharon und in Deutschland Herr Friedmann mit
seiner intoleranten, gehässigen Art" verantwortlich, einer der Auslöser
einer Debatte, die in den letzten Wochen eine neue Phase deutscher
"Normalisierung" einleitete.

Bei dem sogenannten "Antisemitismusstreit! handelt es sich im wesentlichen
nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Antisemiten und
Antisemitismus-Kritikern, sondern um einen weiteren Schritt zur
Etablierung des offenen Antisemitismus als legitimen Bestandteil des
offiziellen Meinungspluralismus. Ansonsten hätte u.a. auffallen müssen,
daß Möllemanns "Rücknahme! seiner Äußerungen ("ich hätte das so nicht
sagen sollen") keinerlei Einsicht in ihren antisemitischen Inhalt zeigte.
Im Gegenteil bestätigte sie das antisemitische Ressentiment, die Deutschen
seien von einer "zionistischen Lobby! verfolgt, die ihnen solche
Äußerungen verbiete, so Möllemanns Fraktionsfreund, der Ex-Grüne Jamal
Karsli.

Eine solche Opfer-Inszenierung hatte Martin Walser gar nicht mehr nötig.
Er hat sich spätestens mit seiner Paulskirchenrede von 1998 als
verfolgende Unschuld geoutet, die sich von "Moralkeulen! und der
"Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken! bedroht
sieht. Diese damals vom versammelten politischen Establishment mit
stehenden Ovationen bedachte Klage verschaffte ihm am 57. Jahrestag der
deutschen Kapitulation die Gelegenheit, sein "Geschichtsgefühl! vor
Kanzler Schröder auszubreiten und über Versailles als Voraussetzung von
Auschwitz zu schwadronieren.

In Walsers literarischer Mordphantasie "Tod eines Kritikers" gehorcht die
Romanfigur André Ehrl-König, alias Marcel Reich-Ranicki, den
antisemitischen Stereotypen jüdischer Wurzellosigkeit und Allmacht. Dies
bringt der deutsche Nationaldichter in der Charakterisierung Ehrl-Königs
in der Süddeutschen Zeitung folgendermaßen auf den Punkt: "Geburtsorte:
Brüssel, Bonn, Berlin, Breslau. E-K bedauert, dass er es nicht, wie Homer,
auf sieben Städte bringt, die darum streiten, seine Geburtsstadt zu sein.
... Noch nie in der Geistesgeschichte hat ein Einzelner so viel Macht
gehabt."

Möllemanns und Walsers Aussagen sind eindeutig und Anlaß genug zum
Protest. Sie entfalten ihre volle Wirkung aber erst im Rahmen einer
deutschen Selbstverständigungsdebatte, in der ihre Ausfälle zum Anlaß
genommen werden, die seit 1945 durch sekundären Antisemitismus geprägte
eigene Differenz zu "den Juden! neu zu bestimmen und in die
tabubrecherische Offensive zu gehen. "Wie dürfen Deutsche über deutsche
Juden sprechen?" fragt die taz, und fühlt sich eingeklemmt "zwischen Moral
und Zensur". Dementsprechend halten auch demokratische KontrahentInnen
von Möllemann und Walser Variationen zum Thema bereit. Wenn schon nicht
Juden für den Antisemitismus verantwortlich zu machen seien, so doch
zumindest der Antisemitismusvorwurf. Ein solcher Vorwurf stellt das
wirkliche Tabu in der öffentlichen Auseinandersetzung dar, auch wenn die
Indizien für Antisemitismus evident sind, denn, so Guido Westerwelle, "man
macht in Deutschland keinen Wahlkampf mit Antisemitismus, aber auch nicht
mit dem Vorwurf des Antisemitismus gegenüber Demokraten".

Genau die Infragestellung der Entgegensetzung von Demokratie und
Antisemitismus ist aber nötig. Selbstverständlich ist Möllemann
demokratischer Antisemit, so wie der Anteil von Antisemiten am
Wählerpotential aller demokratischen Parteien ähnlich hoch ist. Die
Annahme, Demokratie und Antisemitismus schlössen sich aus, ist haltlos.
Anzugreifen ist die Dynamik der nationalen Selbstfindung, die auch in
ihrem demokratischen Vollzug Antisemitismus produziert.

Im auf Einigkeit ausgelegten Streit wird nationales Selbstbewußtsein nach
innen und außen demonstriert. Nicht zufällig entzündete sich Möllemanns
Ressentiment an Israel zu einem Zeitpunkt, an dem Bundeswehrtruppen in
Israel durchaus eine Option deutscher Außenpolitik sind.

Nachdem der von Fischer, Scharping und anderen mit Holocaust-Vergleichen
geführte Krieg gegen Jugoslawien gewonnen ist und Berufsvertriebene unter
Berufung auf die "Lehren der Geschichte! Entschädigungsforderungen an
Polen und Tschechien richten können, ist die "Entlarvung! Israels als
Staat der Ewiggestrigen die Krönung deutscher Vergangenheitsbewältigung.

Wir wenden uns mit dieser Kundgebung gegen die Antisemiten Walser und
Möllemann. Wir wenden uns aber auch gegen die von ihnen geforderte
"Emanzipation der Demokraten!, die nichts anderes ist, als die agressive
Beschwörung des "gesunden Volksempfindens! gegen Israel und gegen Jüdinnen
und Juden. Ein deutsch-demokratisches Empfinden, das mittlerweile von
CDU-Strategen, über den rot-grünen Kanzler bis zur PDS und weiteren großen
Teilen der Linken geteilt wird.

Kundgebung Mi., 26.06.02
18:00 UHr IDA-Ehre-Platz (Mönckebergstr.)

Initiative gegen Antisemitismus, E-Mail: gegen  _antisemitismus@freenet.de

Das layoutete Flugi:
 http://www.nadir.org/nadir/initiativ/arachne/data/antisem_flugi.pdf
Plakat:
 http://www.nadir.org/nadir/initiativ/arachne/data/plakat.pdf

 

20.06.2002
Initiative gegen Antisemitismus   [Aktuelles zum Thema: Kritik d. Antisemitismus]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht