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Wunsiedel: Demonstration | "5 Fuß Erde über Rudolf Hess - Gedenkmarsch stoppen!"

Am 17. August 2002 soll in Wunsiedel wieder der traditionelle Rudolf-Hess-Gedenkmarsch stattfinden.Diesmal zu seinem 15. Todestag. Nachdem im letzten Jahr annähernd keine Antifaschist/innen während der Demonstration von über Tausend Alt- und Neonazis vor Ort waren, soll dieses Jahr den Faschist/innen entschlossener Widerstand entgegengesetzt werden. Hess, der am 17. August 1987 mit 93 Jahren im Gefängnis Berlin-Spandau starb und im oberfränkischen Wunsiedel beerdigt wurde, war schon zu Lebzeiten Märtyrerfigur der Rechten. Er wird in der rechtsradikalen Szene als Held unter der NS-Führungsriege verehrt. Als Botschafter des Friedens steht er für die Konservativen gegen den Vorwurf der kriegerischen Mentalität Deutschlands. Der eliminatorische Antisemitismus des Nazifaschismus wird von ihnen dabei verschwiegen.
Von Hitlers Sekretär zum Stellvertreter ...
Historische Tatsache ist: Heß hat die Strukturen des NSDAP von Anfang an mitaufgebaut. Bereits 1920 war er der Partei als Mitglied 1600 beigetreten. 1923 war er beim Adolf Hitlers Putschversuch beteiligt. Als dessen Privatsekretär ließ er sich von ihm "Mein Kampf" diktieren und wurde nach dem Wahlsieg der NSDAP zum "Stellvertreter des Führers" ernannt. Später wurde Heß außerdem "Reichsminister ohne Geschäftsbereich". Im Alleingang flog Heß 1941 nach England, da er die britische Regierung zu einem Waffenstillstand bewegen wollte. Damit sollte für Deutschland der Rücken frei sein für den Krieg gegen die Sowjetunion und dadurch für die Vernichtung der dort lebenden Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma.
Rudolf Heß wurde in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt.

Gedenken für Rudolf Heß

Seit seinem Selbstmord gilt Rudolf Heß in der neofaschistischen und rechtskonservativen Szene als "Märtyrer und Friedensflieger". Die Gedenkaufmärsche Ende der 80er und Anfang der 90er galten als Schmelztiegel und Sammelbecken. Die inneren Querelen und Spaltereien innerhalb der Rechten waren vergessen, wenn Alt- und Neonazis, Konservative, Revisionist/innen und Fascho-Skins ihrer Ikone Rudolf Heß gemeinsam huldigten.

Am 18. August 2001 waren es überwiegend die Neonazis aus dem Spektrum der "Freien Kameradschaften", die mit Zustimmung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes durch Wunsiedel marschierten. Der Mythos um Rudolf Heß war zur Überraschung sowohl der bürgerlichen Öffentlichkeit als auch der radikalen Linken noch nicht ausgestorben. In neofaschistischen Zeitungen, Fascho-Fanzines und auf pseudo-wissenenschaftlichen Homepages im Internet wurde der nationalsozialistische Kriegsverbrecher stets aufs Neue als "unschuldiger Systemgefangener", aber auch als "Friedensflieger" dargestellt. Durch die anhaltenden Verbote der Heß-Märsche Mitte und Ende der 90er hatten in der Szene Aktionen zum Todestag von Rudolf Heß einen besonders hohen Stellenwert. Aufkleber- und Plakatekleben, Sprühereien, Transparente an Autobahnbrücken und Spontanaufmärsche kennzeichneten jedes Jahr die "Aktionswochen" um den 17. August.
Auch in anderen europäischen Ländern hatte der Mythos um Rudolf Heß eine starke Anziehungskraft auf die jeweiligen Neonazis.

Wunsiedel 2001
Die Nazis hatten in der gesamten Bundesrepublik und darüber hinaus den Heß-Aufmarsch im vergangenen Jahr als großen Erfolg wahrgenommen. Der Anmelder Jürgen Rieger und die Führungsclique der "Freien Kameradschaften" Christian Worch, Thomas Wulff, Peter Borchert und andere, standen in der Szene als "Macher" da. Am Aufmarsch selbst beteiligten sich Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet. Neben dem verurteilten Rechtsterroristen und Ex-FAPler Friedhelm Busse waren "Blood & Honour"-Mitglieder und militante "Nationalisten" gekommen.

Das NPD-Verbot
Die NPD war bis auf etwas JN-"Fußvolk" kaum vertreten. Im ständigen Konflikt zwischen den Kameradschaften und der NPD über die Führerschaft der "nationalen Opposition" konnten die "Freien" den Heß-Marsch in Wunsiedel für sich als Erfolg verbuchen. Gerade vor dem Hintergund eines drohenden NPD-Verbotes gewinnt dies eine besondere Bedeutung: Viele NPD- und JN-Mitglieder, besonders die "erlebnisorientierten" Jung-Nazis, stehen einem möglichen Verbot verunsichert gegenüber. Die "Freien Kameradschaften" bieten ein Auffangbecken für diejenigen, die sich weiterhin in einem neofaschistischen Organisationskreis bewegen wollen. Als Aktionsplattfom hat die NPD an Bedeutung verloren. Zwar mussten Worch und seine "Kameraden" mehrere Male in Leipzig und in Frankfurt am 1. Mai 2002 herbe Niederlagen einstecken. Die geplanten Aufmärsche konnten aufgrund antifaschistischer und bürgerlicher Proteste und Blockaden nicht stattfinden.
Ein erfolgreicher Rudolf-Heß-Gedenkmarsch im Jahr 2002 würde eine erneute Stärkung der "Freien Kameradschaften" und eine Festigung der bundesdeutschen Neonazi-Szene zur Folge haben.
Wer vom Faschismus reden will, soll von Deutschland nicht schweigen
Und gegen dies will auch 2002 die "wehrhafte Demokratie" aktiv werden und findet, wie fast überall, auch Teilen der deutschen Linken ihre willigen Gehilf/innen. Derlei Engagement täuscht darüber hinweg, dass diese antifaschistischen Kräfte zwar augenscheinlich in Frontstellung zu den Faschist/innen stehen, tatsächlich aber die ideologische Deutschlandliebe gemein haben. Warum dies so ist offenbart sich in der Tatsache, dass Neonazis nur das radikalisieren, was Teil der ganz normalen kapitalistischen Vergesellschaftung ist. In erster Linie bedeutet kapitalistische Vergesellschaftung, dass der Staat die Individuen als freie und gleiche setzt, sie gleichsam seiner regelnden Funktion und dem kapitalistischen Produktionsprozess unterwirft. So darf jede/r handeln und akzeptiert die gleichen rechtlichen Bestimmungen, welchen jede/r unterworfen ist, der/die Erfolg am Markt haben möchte. Im kapitalistischen Produktionsprozess verwandelt sich diese abstrakte Gleichheit in konkrete Ungleichheit, da die Individuen einerseits mit ungleichen Mitteln antreten und sich andererseits als Konkurrent/innen gegenüberstehen.
Deshalb muss das bürgerliche Subjekt ein gespaltenes Verhältnis zum kapitalistischen Staat entwickeln, sichert dieser durch die Herstellung der abstrakten Gleichheit, in Form von Rechtssicherheit, dessen persönliche Existenzbedingung, doch nur um den Preis des Zurückstellens persönlicher Bedürfnisse und Interessen: ständig bekämpft der Einzelinteressent (bourgeois) den Staatsbürger (citoyen) in einer Person. Die Flucht aus dieser Spannung kann nur im Bezug auf ein Drittes, die Nation, bestehen. Der deutsche Sonderweg stellt sich nun so dar, dass der Einschluss alles Deutschen in diese kapitalistisch-notwendige Nation über den antisemitischen Ausschluss der "Gegenrasse" funktioniert: den Juden. Sie sollen verantwortlich für den 1. Weltkrieg, kapitalistische Krisen, "asiatischen Bolschewismus", "britische Plutokratie", Arbeitslosigkeit gewesen sein. Diese Halluzination "der Juden" als übermächtig entspricht dem Feindbild des vorindustriellen Antisemitismus. Auch in diesem, stark religiös geprägten, Judenhass schienen sie dem "Mensch", d.h. dem "Christen", überlegen (u.a. wurde ihnen, gemäß der "Kreuzigungserzählung" in der Bibel, die Macht zugeschrieben, Gott zu töten).
Die Nationwerdung Deutschlands in der 2. Hälfte der 19. Jahrhunderts manifestierte die Ausdrucksform dieses Antisemitismus als "deutsches Volk". Somit ist Adornos kategorischer Imperativ, alles so einzurichten, dass ein zweites Auschwitz nicht möglich sei, mit der Forderung von Karl Marx zu verbinden: "Krieg den deutschen Zuständen!" Das heißt, wer sich nur irgendwie als "deutsch" konstituiert, kann sich in letzter Konsequenz nicht glaubhaft gegen Neonazis stellen.
Seit 1989 hat es auf Grund von Naziterror mindestens 130 Tote gegeben. In weiten Teilen des Ostens hat sich bereits eine rechte Dominanzkultur (kulturelle Hegemonie) etabliert; "national befreite" Zonen in denen MigrantInnen, Linke und Andersdenkende einer alltäglichen, oftmals tödlichen Bedrohung ausgesetzt sind (und nicht nur dort), während der Mob klatscht oder bestenfalls wegsieht. Forderungen vor allem von bürgerlicher Seite oder der Industrie, die auf die Ausbeutung von MigrantInnen angewiesen ist und sich ihre Exportchancen nicht durch das Bild eines braunen Deutschlands verschlechtern lassen will, nach einem staatlichen Einschreiten gegen rechte Tendenzen oder Gewalt, nach mehr Sicherheit gegen rechts sowie die zunehmend in den Medien gefragten Stellungnahmen der verschiedenen Verfassungsschutzämter können jedoch keine politische Lösung bieten. Denn die rechte Gewalt existiert nicht isoliert, sie entspringt aus der Mitte des gesellschaftlichen Systems, das sich seit dem Düsseldorfer Anschlägen verlogen antifaschistisch gibt. Es waren keine Einzelmeinungen, wenn Stoiber von der Gefahr einer "durchmischten und durchrassten Gesellschaft" spricht, Schröder fordert "alle kriminellen Ausländer" sofort abzuschieben und Schily formuliert: "Das Boot ist voll";
Denn der sexistische, rassistische und antisemitische Normalzustand ist für die Masse identifikationsstiftend und lenkt von den eigenen Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen ab. So stehen diese dem Kapitalismus nicht diametral gegenüber, sondern sind notwendig in ihm angelegt.


Aktuelle Infos hier:
 http://hess.leftflash.net/

 

11.07.2002
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