Berlin: 93. Prozesstag | BKA-Ermittler mit Narrenfreiheit vorm Kammergericht
30.08.2002: 93. Prozesstag
BKA-Ermittler mit Narrenfreiheit vorm Kammergericht
Sicher als Erfolg für ihre Prozessregie werden Bundesanwälte und Kammergericht die
heutige Vernehmung verbuchen dürfen. Die Fortsetzung der Befragung einer der RZ-
Schwerpunktermittler des BKA geriet zur Demonstration der Arroganz der Justiz- und
Polizeibehörden. Kriminaloberkommissar Trede vom Bundeskrimianlamt (BKA) konnte heute
ungestört seine Zeugenaussage durch Erinnerungslücken derart gezielt reduzieren, dass
mensch kaum glauben konnte, tatsächlich einen der ehemaligen Hauptermittler in Sachen
RZ vor sich zu haben. Mit aufmunterndem Kopfnicken der Bundesanwälte und
verständnisvoller Parteinahme der fünf KammerrichterInnen konnte der Zeuge bei allen
erheblichen Fragen die Antwort mehr oder weniger verweigern. Und mehr noch. Durch das
höchstrichterliche Wohlwollen konnte der Polizist den VerteidigerInnen im Gegenzug
vorwerfen, ihnen würde das rechte Verständnis für seine doch eindeutigen Aussagen fehlen.
Erst einmal, dann öfters, dann...
Die Wahrheitsfindung erlebte durch den Zeugen so einen weiteren quälenden Tiefpunkt. Die
Vorsitzende Richterin Hennig verlas den inzwischen angefertigten Vermerk über ein der
Zeugenvernehmung vorangegangenes Telefongespräch. Dabei hatte sie dem Zeugen Trede
die anstehenden Beweisthemen erläutert, u.a. auch auf die Befragung zu mindestens einem
weiteren vermuteten Ortstermin mit dem Kronzeugen am Seegraben hingewiesen.
Wortgleich bestätigte der Beamte anschließend den Inhalt dieses Telefonates mit der
Richterin, bestritt aber tapfer, erst durch dieses Gespräch auf die Spur seines angeblich
vergessenen zweiten Aufenthaltes am Sprengstoff-Tümpel gebracht worden zu sein. Allein
aus dem Aktenstudium zur Vorbereitung auf dieser Zeugenaussage wäre ihm diese
Eingebung gekommen. Er hätte natürlich schon vorher den Plan gehabt mit dem
Bundesanwalt Maegerle, seinem ehemaligen BKA-Kollegen Barbian und der Richterin zu
telefonieren. Trotz bohrender Fragen der Anwältin Studzinsky wich der Zeuge der Nennung
eines konkreten Grundes für seine plötzliche Erkenntnis aus. Hatte er bei früheren
Vernehmungen noch seine alleinige Leitungsfunktion bei der Initiierung, Planung und
Durchführung der Seegrabensuche überdeutlich herausgestellt, so versuchte er heute den
Eindruck zu erwecken, sein Kollegen Barbian wüsste ohnehin besser Bescheid. Er sei
inzwischen mit viel bedeuteren Vorgängen im BKA betraut. Seine frühere Version, er ganz
alleine hätte im BKA damals an den Fundort Seegraben geglaubt, wollte er deshalb heute
nicht mehr recht wahrhaben. Ohne Ermahnung konnte der Zeuge dann abschließend seine
Aussage dazu abbrechen (“ Ich sage dazu nichts mehr!“). Mehr noch, die VerteidigerInnen
würden ihn ja ohnehin nicht verstehen, er fände die Fragen ausreichend beantwortet und er
könne ja alles fünfmal erzählen, die Anwältinnen wollen seine Aussagen ja nicht
aufnehmen.... In dem sich anschließenden Wortgefecht bescheinigte u.a. Rechtsanwalt
Becker Richter Alban eine Therapiebedürftigkeit , weil man mit ihm keinen vernünftigen Satz
sprechen könne. Richterin Hennig dementierte heftig den Vorwurf, sie sei heute aufgeregt,
unterbrach dann aber doch lieber die Sitzung für 20 Min..
Keine Zusammenarbeit zwischen BAW und BKA, natürlich...
Trotzdem wurde die Befragung nicht ergiebiger. So will der Zeuge alle Einzelheiten im
Vorfeld zur ersten Haftverschonung des Kronzeugen (Anfang Juli 99), sowie alle weiteren
damals geplanten Ermittlungsschritte vergessen haben. Er wäre damals über die mögliche
Haftentlassung Mouslis nicht informiert gewesen, könne sich an weitergehende, vorbereitete
Maßnahmen nach einer Entlassung nicht erinnern und hätte überhaupt nichts von den
Vorstellungen der Bundesanwaltschaft gewußt. Am Tage der Haftprüfung sei er zwar nach
Berlin gefahren, aber ob dieser Gerichtstermin der Anlass dafür war, wäre ihm schon wieder
entfallen, auch, ob er denn bei der Haftprüfung eine Aufgabe zu erfüllen gehabt hätte.
Immerhin könne er sich erinnern als Anwesender dabei im Raum gewesen zu sein. Als was
auch sonst fragten sich die BesucherInnen angesichts dieses enormen Geistesblitzes. Einen
Bezug zu dem nur einen Tag später mit ihm durchgeführten Besuch am Seegraben könne er
aber schon wieder nicht herstellen. Ob er Bearbeitungsvermerke in den sieben Wochen bis
zur großen Suchaktion am Seegraben gefertigt hätte oder wo der Schriftverkehr und die
Protokolle aus dem Kontakt mit den diversen Behörden während der Vorbereitung dieser
Aktion verblieben wären, alles Fragen, die der Zeuge unbeantwortet ließ und natürlich auch
unbeanstandet.
Kein Erbarmen
Zum Schluß konnte das offenbar heute sehr geschonte Gedächtnis des Zeugen nicht mal
mehr den Inhalt eines Telefongespräches mit seinem Kollegen Barbian vom vergangenen
Dienstag oder Mittwoch reproduzieren. Dazu bräuchte er seine Unterlagen, weil er ja
eigentlich mit viel wichtigeren Arbeiten beschäftigt sei.....gestern Bogotá und morgen Kabul!
Zum Abschluß des mühseligen Verhandlungshalbtages stieß das Gericht noch eine markige
Drohung aus, der BKA-Mann wird für nächsten Freitag noch einmal vorgeladen! Gnade!
Kurzmeldung
RZ - Ermittler verweigert Aussage
Der erneut als Zeuge geladene BKA-Beamte Trede konnte sich auch heute angeblich nicht
mehr an wesentliche Vorgänge seiner eigenen Ermittlungsarbeit erinnern. Wer sein
Gedächtnis über den zuvor verschwiegenen zweiten gemeinsamen Besuch mit dem
Kronzeugen am angeblichen Sprengstoff-Pfuhl ‘Seegraben’ erstmals aufgefrischt hat, wollte
ihm nicht mehr einfallen. Auch der Anlass für seine plötzlichen kollegialen Nachfragen nach
möglichen weiteren Ausflügen an das Gestade war ihm angeblich nicht mehr erinnerlich.
Zum Schluss wollte er heute nicht mal mehr den Inhalt eines Telefonats zwei Tage zuvor
ohne seine Aufzeichnungen wiedergeben können. Die Verteidigung ließ sich trotzdem nicht
davon abbringen, den Zeugen detailliert über seine Vorbereitungsarbeiten zum späteren
Sprengstoff zu vernehmen. Bei allen zentralen Punkten machte der Beamte allerdings
Erinnerungslücken geltend. Konnten ihm gestern im Gerichtssaal Falschaussagen
nachgewiesen werden, so reagierte der Beamte heute bei seiner Vernehmung teilweise mit
akutem Gedächtnisverlust. Dieser konnte von den Prozessbeobachterinnen nur als gezielten
Aussageverweigerung gewertet werden. Das Kammergericht tolerierte nicht nur dieses
Aussageverhalten, sondern übernahm heute mehrmals vorsichtshalber selbst die
Beantwortung der an den Zeugen gestellten Fragen.
The show must’n go on, aber die Wahrheitsfindung kennt keine Gnade: Do., den 05. 09. 02,
geht es um 9:15 Uhr weiter.
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