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USA: Nie wieder Bratwurst


Kein Krieg für Öl. Mehrere Hunderttausend Demonstranten protestierten am Wochenende in London gegen einen möglichen Irakkrieg. In Rom versammelten sich rund 150 000 Demonstranten, in Madrid 50 000. In Deutschland und den USA sind für den 26. Oktober Protestkundgebungen geplant.


Gerne glaubt man in Europa, die Amerikaner würden sich nicht wirklich für all das interessieren, was jenseits ihrer Grenzen passiert. Von New York aus stellt sich das auf den ersten Blick etwas anders dar, gibt es hier doch die New York Times, die zwar nicht ganz so gut ist wie ihr Ruf, aber trotzdem die beruhigende Sicherheit ihres Mottos ausstrahlt: »All the news that fit to print.«

Doch deutsche Innenpolitik scheint nicht dazuzugehören. Wer etwas über Deutschland erfahren will, schaut in den Wirtschaftsteil oder - seltener - ins Feuilleton. Im Politikteil kommt Deutschland so gut wie nicht vor.

Das war auch während des Wahlkampfes nicht anders. Bis zu dem Zeitpunkt, als Gerhard Schröder mit seiner Ablehnung des Irakkriegs auf Stimmenfang ging, war er offensichtlich keine news, die fit zum drucken gewesen wäre - er wurde fast vollständig ignoriert. Als es zwischen der amerikanischen und der deutschen Regierung dann zum Konflikt kam, stieg das Interesse, vor allem auf den recht konservativen Meinungsseiten.

Manchmal konnte einen die Dünnhäutigkeit der Kommentatoren überraschen: In einer Kolumne in der New York Times mit dem Titel »The German Problem« machte William Safire die einigermaßen verwunderliche Rechnung auf, dass genau jenes Deutschland, das sich nun so unzuverlässig verhalte, ja auch mehrheitlich den amerikanischen Buchmarkt kontrolliere - man könne wohl demnächst mit der Veröffentlichung von Saddam Husseins »Mein Kampf gegen die UN-Inspektoren« rechnen.

Zuvor hatte Safire eine Äußerung des ehemaligen deutschen Verteidigungsministers Rudolf Scharping zitiert, der bei einem Treffen mit US-Abgeordneten in Hamburg angeblich die »einflussreiche, vielleicht zu einflussreiche jüdische Lobby« in den USA für den möglichen Krieg gegen den Irak verantwortlich gemacht hatte.

Auch die merkwürdigen Äußerungen des damaligen SPD-Fraktionschefs Ludwig Stiegler wenige Tage vor den Bundestagswahlen trugen nicht gerade dazu bei, die Stimmung zwischen Berlin und Washington zu verbessern. Zuerst verglich er die USA mit dem alten Rom und Präsident George W. Bush mit Caesar Augustus, dann setzte er den US-Botschafter in Deutschland, Dan Coats, mit dem früheren sowjetischen Vertreter in der DDR, Pjotr Abrassimow, gleich.

Doch so richtig zu einer fitten news wurde die German election campaign erst durch die Einlassungen von Herta Däubler-Gmelin. Zwei Mal hintereinander schaffte sie es auf die Titelseite der New York Times.

Nun sind die Wahlen vorüber, die rotgrüne Regierung ist bestätigt, und die Wogen glätten sich bereits wieder. Schröder müsse seinen Laden jetzt in Ordnung bringen, hieß es in einem Kommentar, im Übrigen sei er ja auch nicht zu beneiden, in einem Land, das »in einem Morast aus Arbeitslosigkeit, Verbrechen, Einwanderungsproblemen und einer generellen Unzufriedenheit mit dem Wohlfahrtsstaat« stecke.

Doch es gibt auch Stimmen, die freundlicher mit der deutschen Friedensliebe umgehen: Unter dem Titel »No More Bratwurst« gab ein Kommentator etwa zu bedenken, dass Schröders Ablehnung der Golfkriegspläne doch auch ihr Gutes habe: »Sollten wir die Deutschen wirklich dafür bestrafen, dass sie Pazifisten sind? Ist es nicht eher so, dass sie, einmal auf dem Kriegspfad, immer Schwierigkeiten haben, die Bremse zu finden?«

Und die rund 15 000 Unterzeichner des Aufrufs »Nicht in unserem Namen« - unter ihnen Bürgerrechtler wie der ehemalige Justizminister Ramsey Clark, Angela Davis und Martin Luther King III, aber auch Hollywoodstars wie Robert Altman und Oliver Stone, Musiker wie Laurie Anderson, Rapper Mos Def und U2-Produzent Brian Eno sowie die Autoren Gore Vidal und Kurt Vonnegut - bekannten sich zwar nicht ausdrücklich zu dem Standpunkt der deutschen Regierung. Man kann jedoch davon ausgehen, dass viele von ihnen ähnlich denken wie der Schriftsteller Norman Mailer, der Schröder einen »mutigen Mann« nannte.

Aber so richtig ernst muss man das Gerede von den deutsch-amerikanischen Verstimmungen nicht unbedingt nehmen. Schließlich sagte Schröder das, was auch in den USA viele denken, sich aber eben nicht auszusprechen wagen, vor allem, wenn sie Politiker sind. Denn auch in den USA ist Wahlkampf, und mit Kritik an dem Kurs der Bush-Regierung sieht man im Kriegsfall schnell aus wie ein vaterlandsloser Geselle.

Tatsächlich haben die USA im Moment ein ganz anderes Problem, und das betrifft tatsächlich alle: die Regierung, die Opposition, die Medien, die Wirtschaft und die so genannten kleinen Leute. Es ist die kollabierende wirtschaftliche Ordnung. Die Umwälzung, die sich hier vollzieht, ist wahrscheinlich nur mit der im Italien der frühen Neunziger vergleichbar - und dies ist ein Thema, mit dem sich für die Demokraten wesentlich einfacher und risikoloser Wahlkampf machen lässt als mit dem Krieg gegen den Irak.

Es ist ja nicht nur so, dass mit Enron und Worldcom zwei der größten Konzerne Pleite gemacht haben. Im Grunde steht das ganze Modell des shareholder value auf dem Prüfstand. Dieses Modell, das die Unternehmensführung ausschließlich auf das Wohl der Aktionäre verpflichtete und sie darin noch bestärkte, indem ein Großteil der Gehälter in Optionsscheinen bezahlt wurde - je höher der Aktienkurs, desto höher also das Gehalt -, wird mehr und mehr in Frage gestellt. Führte es doch dazu, dass die Manager vieler Unternehmen ohne Rücksicht auf die langfristige Perspektive ihrer Firmen die Aktienkurse in die Höhe trieben und dafür ihre Firmen rücksichtslos ausplünderten.

Die Folgen sind Tag für Tag in der Zeitung nachzulesen. Immer neue Skandalgeschichten über Manager, die sich um Unsummen bereicherten, kommen ans Licht der Öffentlichkeit. Und sie stehen längst nicht nur in den Boulevardblättern, sondern auch dort, wo man die Kraft des Arguments zu schätzen weiß. Nicht wenige dieser Figuren, die man auf Fotos sieht, wie sie in Handschellen abgeführt werden, wurden noch vor wenigen Jahren an der gleichen Stelle als Helden dargestellt und galten als Verkörperung des amerikanischen Unternehmergeistes. Mittlerweile sitzen mehrere Dutzend von ihnen in Untersuchungshaft und warten auf ihre Prozesse wegen Untreue, Betrug und Insidergeschäften. Viele tausend Amerikaner haben wegen dieser Betrugsgeschäfte einen Großteil ihrer Ersparnisse und ihrer Rentenansprüche verloren.

Hier wird dann auch wieder Deutschland interessant, als Vorbild nämlich. Nicht so sehr das rot-grüne Deutschland ist es, auf das sich interessierte Blicke richten, sondern die ökonomische Struktur der deutschen Großkonzerne. So schrieb etwa der New Yorker in seiner letzten Ausgabe, es sei an der Zeit, sich von dem Mythos zu verabschieden, das amerikanische Unternehmensmodell sei das beste der Welt. Die Art und Weise, wie in vielen deutschen Unternehmen operatives Geschäft und langfristige Planung durch die Teilung der Chefetage in Aufsichtsrat und Vorstand auseinander gehalten werde, funktioniere offensichtlich besser als das amerikanische Modell, alle Macht in die Hände einer Person zu legen.

Der deutsche Unternehmerverband wird es gerne hören. Eine revolutionäre Perspektive ist es allerdings nicht.

 

02.10.2002
Tobias Rapp / Jungle World    Zurück zur Übersicht

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