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Paderborn: Beleidigungsprozess nach Gelöbnis

Pressebericht und Leserbrief der Paderborner Initiative gegen Krieg

NEUE WESTFÄLISCHE

VON JUTTA STEINMETZ

„Mörder“-Ruf ist Beleidigung

21.11. 2002
Landgericht verurteilt 24-Jährigen zu einer Geldstrafe

Paderborn. „Mörder, Mörder“, rief ein Paderborner bei dem öffentlichen Gelöbnis von 300 Bundeswehrsoldaten am 21. Februar 2001. Damit hat er sich der Beleidigung schuldig gemacht, befand am Mittwoch die 3. Kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn. Sie verurteilte den 24-Jährigen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je zehn Euro.

Im Mai hatte das Amtsgericht den anerkannten Wehrdienstverweigerer noch von diesem Vorwurf freigesprochen. Dieser habe mit dieser verkürzten Verwendung des berühmten Tucholsky-Zitates „Alle Soldaten sind Mörder“ zur Diskussion anregen wollen, hatte damals der Richter erkannt und mit Blick auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 1995 eine Beleidigung als nicht gegeben angesehen, woraufhin Oberstaatsanwalt Hans-Peter Dietzmann in Berufung ging (die NW berichtete ausführlich).

Der Argumentation des Amtgerichts mochte die Strafkammer um Richterin Margrit Manthey nicht folgen. Just der Ruf „Mörder, Mörder“ habe nicht auf eine allgemeine Auseinandersetzung mit der Problematik Krieg abgezielt, so die richterliche Argumentation. „Die verkürzte Form des Tucholsky-Zitats war eine Beleidigung“ stellte Margrit Manthey fest. „Der Angeklagte kann nur die dort stehenden Soldaten gemeint haben“, fügte sie hinzu und folgte in ihrer Urteilsbegründung der Auslegung des BGH-Urteils durch Oberstaatsanwalt Hans-Peter Dietzmann.

Dieser hatte in seinem Plädoyer daraufhin gewiesen, dass die in Karlsruhe beurteilten Fälle einen umfangreicheren sprachlichen Kontext aufwiesen und klar erkennbar auf eine allgemeine Auseinandersetzung abzielten. In Paderborn sei die Sachlage jedoch eine andere gewesen führte der Oberstaatsanwalt aus. Hier seien mit dem „Mörder“-Ruf einige wenige Soldaten direkt angesprochen worden. Zudem habe der größere textliche Zusammenhang gefehlt.

„Die Motivation war ja vollkommen in Ordnung“ „Entscheidend ist nicht das, was man sagen wollte, sondern das, was man gesagt hat“, konstatierte er und sah somit den Tatbestand der Schmähung, bei der ein sachliches Anliegen in den Hintergrund gedrängt wird, als gegeben an.

Einen Maulkorb jedoch wollte Hans-Peter Dietzmann dem jungen Mann ausdrücklich nicht verpassen. In dem Verfahren solle keineswegs ein Kriegsgegner mundtot gemacht werden, meinte der Oberstaatsanwalt, der das Ansinnen des Paderborners, mit seinen Rufen zur Diskussion anregen zu wollen, grundsätzlich positiv beurteilte. Eine Einschätzung, der sich auch Richterin Margrit Manthey anschloss. „Die Motivation war ja vollkommen in Ordnung“, meinte sie. Es sei jedoch die Frage, ob der Kriegsgegner im Februar 2001 die richtige und zulässige Form der Auseinandersetzung gewählt
habe.

Auch mit dem Urteil ist der Fall der „Mörder“-Rufe nicht beendet. Rechtsanwalt Michael Padberg, der die Interessen des 24-Jährigen vertritt, kündigte an, dass man die Revision anstrebe. Dann werden sich die Richter am Bundesgerichshof des Paderborner Falles annehmen müssen

* * *

Leserbrief zum NW-Artikel v. 21.11.2002: "'Mörder'-Ruf ist Beleidigung"

Krieg ist ein Verbrechen. Alle Soldaten auf der Welt sind Mörder. Sie werden dazu ausgebildet, mit Vorsatz zu töten. Und sie werden in Kriegen zu Opfern, wenn sie selbst getötet werden. Das muß allen Soldaten auf der Welt klar sein. - Das war der Tenor der Erklärung des Kriegsdienstverweigerers und seines Verteidigers vor dem Paderborner Landgericht am vergangenen Mittwoch.

Da, wo Kriegshandlungen zu "humanitären Einsätzen" erklärt werden und öffentliche Gelöbnisse dies beweihräuchern, macht der kritische Ausruf "Mörder" deutlich: Splitterbomben, Maschinengewehre, Raketen,
Urangeschosse - alles Waffen, die in humanitären" Kriegen Menschen töten.
Das war die klare Botschaft des angeklagten Kriegsdienstverweigerers - seine Motivation, die nach richterlicher und staatsanwaltlicher Einschätzung auch "vollkommen in Ordnung" ist. Genau hier taten sich für uns in der Verhandlung Widersprüche auf, die letztlich zu einem Fehlurteil führten. Wir fragen: Wie kann man das Engagement eines Kriegsdienstverweigerers und seine Motivation als vollkommen in Ordnung befinden und gleichzeitig behaupten, er hätte etwas gewollt, was seinem mehrfach differenziert und qualifiziert vorgetragenem Denken völlig widerspricht - nämlch einen Soldaten beleidigen. Dabei ist doch die Entpersönlichung des einzelnen Soldaten das Wesentliche eines Glöbnisses. Mit ihm gelobt der einzelne Soldat seine Handlungen der Autorität eines Staates unterzuordnen. Jede Äusserung der Kritik und des Protestes ist von vornherein und ausschließlich auf diesen Tatbestand zu beziehen und kann keinesfalls als persönliche Beleidigung eingestuft werden. So wollte es der Angeklagte verstanden wissen. Dieser Auffassung war auch der Richter Uhlenbrock in der Begründung des Freispruchs in erster Instanz. Die Tatsache, dass der beim Gelöbnis anwesende Oberleutnant Sasse sich angesprochen fühlte, bestätigt nurmehr den oben beschriebenen Sachverhalt.

Die Paderborner Initative gegen Krieg begrüßt die angekündigte Revision und wird auch in Zukunft mit allen KriegsgegnerInnen öffentliche Gelöbnisse mit öffentlichem Protest konfrontieren. Mit der Verteidigung , die vor Gericht zu verstehen gab, dass das Morden der Untergebenen auf Abruf eines Staates nicht hinzunehmen ist, werden auch wir weiterhin öffentlich zu verstehen geben: "Der Krieg ist ein Massaker von Leuten, die sich nicht kennen, zum Nutzen von Leuten, die sich kennen, aber nicht massakrieren." (Paul Valery)

Brigitte Gläser, Am Laugrund 3, 33098 PB
Hartmut Linne, Langer Weg 52 a, 33100 PB
Gordana Stanic, Lindenweg 42, 33098 PB
von der Paderborner Initiative gegen Krieg

 

26.11.2002
Michael Behrendt   [Aktuelles zum Thema: Antimilitarismus]  Zurück zur Übersicht

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