Kopenhagen: Aufruf zum Protest aus Anlass des Eu-Gipfels
Dänemark hat in diesem Halbjahr den EU Vorsitz übernommen. Seit dem
Spätsommer treffen sich dort die verschiedenen Gremien um an ihrer menschen-
verachtenden machtpolitischen Herrschaft zu feilen. Am 12. und 13. Dezember
findet in Kopenhagen das Gipfeltreffen der Staats-und Regierungschefs statt.
Wir als Linksradikale rufen dazu auf, nach Kopenhagen zu fahren und vor Ort
gegen die herrschende Ordnung der Welt zu protestieren.
Neoliberalismus, bzw. die kapitalistische Globalisierung ist die logische
Fortführung der bisherigen imperialistischen Ausbreitung weniger herrschenden
Länder und Konzerne. Nach den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“
werden spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch in Osteuropa
die Brückenpfeiler des kapitalistischen Westens gesetzt. Ganze Länder
werden in den Bankrott getrieben oder unter Beschuss genommen. Die
Kluft zwischen Arm und Reich wächst stetig. Und die europäischen Länder
haben neben den USA einen maßgeblichen Anteil daran. Gleichzeitig schottet
sich Europa vor jenen ab, die ihre Länder verlassen müssen, weil ihr
Leben durch Krieg oder politische Verfolgung bedroht wird, sie ihre
Lebensgrundlage verloren oder weil sie einfach am Reichtum der westlichen
Staaten Teil haben wollen. Die Außengrenzen werden zu Festungen ausgebaut und
zahllose Menschen kommen bei dem Versuch sie zu übertreten ums Leben. Mit
Infrarotkameras und Hubschraubern wird eine regelrechte Menschenjagd veranstaltet.
Daneben werden die inneren Grenzen in den Köpfen aufgebaut: Durch
Rechtspopulismus und Medienhetze wird gegen “kriminelle Ausländer“
und „Schmarotzer“ und „Menschenschlepper“ gewettert.
Aber auch wir hier in den reichen, europäischen Ländern bekommen immer
mehr die Nebenwirkungen des Kapitalismus zu spüren. Das beginnt bei einem
ausbeuterischen Arbeitsethos, bei dem nur diejenigen etwas zählen, die ihre
Arbeitskraft verkaufen oder die, die sowieso Geld haben. Es reicht weiter
über Betriebsstillelegungen und Massenarbeitslosigkeit bis hin zu der
Verschlechterung der Bedingungen auf den übrigen Arbeitsplätzen (Ich-AG,
Subunternehmertum, Zeitarbeit und Lohnverzicht seien hier als Stichworte
genannt). Bildung, Gesundheit und Grundversorgung (z.B. Strom und Wasser)
werden zunehmend privatisiert, Sozialleistungen abgebaut. Hinzu kommt die
Verschärfung der angeblich für die „Sicherheit“ notwendigen Gesetze,
die in Wahrheit der Kontrolle und Sanktionierung von Widerstand und
Selbstbestimmung dienen und mit Hilfe von Medienpropaganda in eine
Überwachungsgesellschaft führen. Nicht nur in der BRD, sondern EU-weit wird das
Überwachungsnetz mit Institutionen wie Trevi, Europol und Eurojust und zentralen
Datenbanken (z.B. Schengener Informationssystem kaum bemerkt ausgebaut,
bzw deren Kompetenzen stetig erweitert.
Es macht keinen Sinn, diese Entwicklungen der einen oder anderen Partei in
die Schuhe zu schieben. Alles das sind zwangsläufige Folgen des kapitalistischen
Systems. Reformen sind keine Lösungen. Die einzige Lösung heißt:
Soziale Revolution weltweit! Denn es geht auch anders: Wir stellen uns
eine Welt vor, in der die Menschen gleichberechtigt, verantwortungsvoll und
solidarisch nach selbstbestimmten Prinzipien zusammen leben. Eine Welt,
in der es keine Grenzen mehr gibt. Auch wenn im Jahre 2002 die Chancen für
eine Revolution gleich Null erscheinen und der Weg dahin nicht einfach ist
– weil es viele (auch eigene) Wiederstände zu überwinden gibt und
weil viele Menschen nicht freiwillig auf ihre Privilegien verzichten werden,
so gibt es dennoch keine Alternative zum Kampf für ein gerechteres Leben.
In Kopenhagen werden sich eine Menge unterschiedlicher Menschen und Gruppen
zum Demonstrieren versammeln. Dazu gehören unter anderem auch ReformistInnen,
konservative EU-GegnerInnen, Sexisten und AntisemitInnen. Daher ist es
umso wichtiger, dass wir ganz klar unsere Inhalte und Ziele vertreten und
öffentlich machen und auch dafür streiten. Das bedeutet für uns auch,
auf den Demonstrationen vor Ort antisemitisches, sexistisches oder
rassistisches Verhalten nicht zu dulden und dagegen einzuschreiten.
Viele der zu Protesten aufrufenden Gruppen distanzieren sich in der Öffentlichkeit
mehr oder weniger vehement von „Gewalttätern“. Ein großes Bündnis
hat eine „Gewaltverzichtserklärung“ unterschrieben. Das ist neu
in Bezug auf die bisherigen Gipfelproteste und für uns nicht zu akzeptieren,
weil sie damit den Spaltungsbemühungen der staatlichen Institutionen zuarbeiten.
Eine Erklärung in der Form spricht der Militanz jeglichen politischen
Hintergrund ab. Über die wahren Orte der Gewaltausübung
wird hingegen geschwiegen.
Rücksicht auf linke Strukturen vor Ort ist eine selbstverständliche Sache,
eine andere Sache ist es, sich den Weg und die Form unseres Protestes
diktieren zu lassen. Wenn die Spaltung durch Medien und Herrschende schon so
weit gegriffen hat, dass einige Leute aus den Reihen geschmissen werden sollen,
weil sie in ihrem Block nach eigenen Vorstellungen handeln, ist es höchste Zeit
für scharfe Diskussionen. Und wenn eine Folge davon die Polarisierung der
Positionen über Aktionsformen und Ziele ist, dann ist es konsequent, getrennte
Wege zu gehen. Wir wollen unseren Weg nicht aufgeben,
weil andere Zusammenhänge einen anderen Weg gehen. Genauer gesagt:
Wir wollen unseren Plan nach Kopenhagen zu reisen nicht von Spaltungserklärungen
eines Bündnisses abhängig machen.
Denn allen sollte klar sein, gegen was sie protestieren. Die Eu besteht nicht
aus netten Politikern, denen mensch mal eben die Meinung sagen kann und
alles wird gut. Das sind Strategen, die in anderen Ländern Kriege initiieren
– aus „Menschlichkeit“ -, die die Zerbombung von Wohnhäusern als
Kollateralschäden bezeichnen, die klare machtpolitische Interessen verfolgen.
Wir wollen in Kopenhagen die Repräsentanten des Kapitalismus zumindest
symbolisch dort angreifen, wo sie sich der Öffentlichkeit als Wohltäter
(-innen gibt es in diesem Zusammenhang ja kaum) präsentieren. Wir wollen den
selbsternannten Global-Leaders wie der EU und der NATO-Mafia zeigen, dass
ihre Politik auf entschiedenen Widerstand stößt.
Bedeutend finden wir auch die massive Kriminalisierung der letzten
Gipfelproteste, die ihren bisher grausamsten Höhepunkt in der staatlich legitimierten
Ermordung von Carlo Guilliani hatte. Die Repressionen seitens der Regierungen
wurden ausgeweitet. Die Bekämpfung der DemonstrantInnen und derer,
die die Infrastruktur unterstützen, nimmt zu. Immer häufiger werden Menschen
schon im Vorfeld daran gehindert an den Protesten teilzunehmen. Es
ist die Absicht der Staatsmacht, unseren Widerstand durch Einreiseverbote,
massive Bullen-Präsenz und Knaststrafen unter Kontrolle zu halten und zugleich
unsere Organisationsstruktur zu zerstören. Die Übergriffe in Genua,
die Strafverfolgung der linken Mobilisierungskreise im Zusammenhang mit
Göteborg, Repressionen im Vorfeld von München u.a. sollten AufrührerInnen
eindeutig in die Grenzen ihrer vermeintlichen Meinungsfreiheit zurückweisen.
Die Fahrt nach Kopenhagen bedeutet für uns daher auch, unsere Solidarität
jenen zu zeigen, die aus Göteborg und Genua mit einem Trauma
wiederkamen, im Knast sitzen oder von Prozessen bedroht sind. Solidarität
statt Rückzug, denn sich jetzt zurückzuziehen bedeutet, dass wir den uns
zugedachten Raum akzeptieren. Das werden wir nicht, vielmehr gilt:
Jetzt erst recht!
Klar ist für uns, dass mit zunehmenden Widerstand die Repression heftiger
wird. Deswegen müssen wir auch darüber nachdenken, neue Strategien zu
entwickeln um unsere Positionen darzustellen und durch eine effektive Praxis
zu unterstützen. Wir müssen uns Orte suchen, an denen wir stark sind.
Auf der internationalen Demonstration am Samstag den 14.12. (Beginn: 11 Uhr,
Christiansborg) wird es einen anarchistisch-autonomen Block geben, und zwar
in Absprache mit dem Bündnis. Initiiert ist der Block von der
Kopenhagen-Anarchist-Federation sowie der Swedish-Anarchist-Federation, die keine
Erklärungen zu ihrer Widerstandsform unterschrieben haben.
Für radikale Linke, die sich dem anschließen wollen, gibt es eine Anlaufstelle:
Buchladen Usmalia im Jagetwej 69. dort werden Informationen weitergegeben und
Schlafplätze vermittelt. Weitere Informationen findet ihr auf folgender Internetseite,
die ständig aktualisiert wird: www.resist2002.dk
Außerdem wird in der Nacht vom 12. auf den 13.12. um 24 Uhr für 24 Stunden
in Kopenhagen zu dezentralen Aktionen aufgerufen. Am 13.12. startet um
17 Uhr von Enghave Plads eine Aktions-Demo gegen Rassismus, und am 14.12. findet
am Ausgangspunkt Vesterbro Torv eine Demonstration gegen den
„Polizeistaat Europa“ statt.
Falls wir nicht über die Grenzen kommen oder im Fahndungsschleier abgefan
gen werden, bleibt uns noch in Flensburg (als nächstgrößere Stadt an
der Grenze) oder auch anderen Städten der BRD zu protestieren. In Flensburg
wird es ebenfalls Anlaufstellen und Versorgungen geben. Genaueres dazu findet
ihr unter: www.kopenhagen2002.de
Also auf nach Kopenhagen, Banden bilden!
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