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Chiapas: Neunter Jahrestag des Aufstandes: Zapatistas nehmen San Cristobal erneut ein!

NEUNTER JAHRESTAG DES AUFSTANDES IN CHIAPAS: ZAPATISTAS NEHMEN SAN
CRISTOBAL ERNEUT EIN !

Neun Jahre nach dem Aufstand vom 1. Januar 1994
besetzen mehrere zehntausend Indigene der EZLN („Zapatistische Armee zur
Nationalen Befreiung“) mit einer Grossdemonstration in der Neujahrsnacht
die Stadt San Cristóbal de las Casas erneut. Die mexikanische Polizei
und die Bundesarmee versucht, die Zapatistas auf dem Anmarsch
einzuschüchtern.
In den nächsten Tagen sind weitere Mobilisierungen zu erwarten, auch von
den erstarkten Bauernbewegungen, die ab 1.1.03 Grenzen und Häfen des
Landes blockieren werden. In Mexiko beginnt ein heisses 2003.


KEIN FRIEDEN OHNE GERECHTIGKEIT!
Die Zapatistas demonstrieren in diesen Tagen ihre ungebrochene Stärke,
mit zahlreichen lokalen Feiern, neuen Landbesetzungen (bspw. das Rancho
Esmeralda, nahe von Ocosingo) und einer massiven Demonstration von
Tzotziles, Tzeltales, Choles und Tojolabales in San Cristóbal. Die
Machtdemonstration der Aufstandsbewegung straft die mexikanische
Regierung Fox Lügen, welche seit bald zwei Jahren behauptet, der
Konflikt in Chiapas sei gelöst. Doch die verwässerte Verfassungsreform
über die indigenen Rechte, welche im April 2001 verabschiedet wurde, ist
ein Hohn gegenüber den 52 indigenen Völkern Mexikos. Aus ihr spricht der
jahrhundertealte Rassismus und die Angst, dass bei der Gewährung von
indigenen Rechen, ja gar indigener Autonomie, den nationalen und
multinationalen Konzernen Schranken zur Ausbeutung der natürlichen
Ressourcen gesetzt würden.

Seit April 2001 herrscht deshalb Funkstille zwischen der Regierung und
den Zapatistas, welche im Frühjahr 2001 ihre Forderung nach Anerkennung
der indigenen Rechte in einem „Marsch der indigenen Würde“ bis in die
Hauptstadt trugen und im Kongress vertraten. Seit letztem September sind
auch die juristischen Einsprachen gegen die verwässerte
Verfassungsreform vom höchsten mexikanischen Gericht abgelehnt worden.
Einzig Einsprachen bei internationalen Organisationen wie der ILO sind
noch hängig, aber der ILO fehlt die Macht zur Durchsetzung ihrer
Abkommen und Empfehlungen.

In diesem langen Schweigen der Zapatistas, das zwanzig Monate andauerte,
haben Regierungsorgane ihre Arbeit zur Aufstandsbekämpfung fortgesetzt
und viele indigene Gemeinden mit intensiver assistenzialistischer
Politik weiter gespalten. Regierungsnahe Medien verbreiteten gezielt
Gerüchte über die Zersplitterung oder gar Auflösung der zapatistischen
Aufstandsbewegung, die vor vier Jahren bei einer nationalen Befragung
über die indigenen Rechte rund 300'000 Mitglieder allein im Bundesstaat
Chiapas zählte.


VON RÄUMUNG BEDROHTE GEMEINDEN IN DEN MONTES AZULES HABEN DIE „TOTALE
UNTERSTÜTZUNG“ DER EZLN
In einem Communiqué vom 29.12.02, mit dem das Schweigen der Zapatistas
beendet wird, betont der Sprecher der EZLN, Subcomandante Marcos, dass
die von der Räumung bedrohten Gemeinden in dem Naturschutzgebiet „Montes
Azules“ um die Unterstützung der EZLN angefragt hätten. Sie hätten ihnen
ihre „totale Unterstützung“ zugesagt, und mit der EZLN gäbe es keine
„friedliche Räumungen“.

Die 42 räumungsbedrohten Siedlungen, in denen etwa 25'000 meist
zapatistische Indigenas wohnen, beschädigen laut Regierung (und
zahlreicher konservativer Umweltschutz-NGO’s, darunter der WWF) die
Natur in der Naturschutzzone. Subcomandante Marcos betont jedoch, dass
die meisten BewohnerInnen Vertriebene des schmutzigen Krieges gegen die
zapatistische Basis sind und sich die Räumungen als
Aufstandsbekämpfungs-Massnahme im von Zapatistas kontrollierten
„Hinterland“ des lakandonischen Urwaldes ausnimmt. Die BewohnerInnen der
Montes Azules hätten der EZLN erklärt, dass sie sich entschieden hätten,
„hier zu bleiben, auch wenn dies ihr Leben kosten sollte, solange nicht
die zapatistischen Forderungen erfüllt sind“. Sollte der Zeitpunkt der
Auseinandersetzungen kommen, dann gäbe es keine neue Kriegserklärung
oder weitere Communiqués, so Subcomandante Marcos.

VON DER INDIGENEN AUTONOMIE ...
Die zapatistische Bewegung ist in den letzten Jahren um einige Mitläufer
geschrumpft, doch der Grossteil der Bäuerinnen und Bauern, welche seit
neun Jahren im Widerstand sind, lassen sich von den Almosen der
Regierung nicht kaufen, wie die aktuellen Demonstrationen und die
Auseinandersetzungen um die Montes Azules zeigen. In den indigenen
Bezirken, die sich zu „autonomen Gemeinden im Widerstand“ erklärten,
funktioniert eine revolutionär-indigene Struktur, welche in den
Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Schulwesen, Versorgungs- und
Verkaufskooperativen und in der Selbstverwaltung, vom Frauen- bis zum
Ältestenrat, zunehmend Form annimmt.

Die indigene Autonomie, welche den Regierungen und Konzernen ein Dorn im
Auge ist, wird von der zapatistischen Basis täglich in die Praxis
umgesetzt. Die Zapatistas gewannen so ihre Würde zurück, während die
Bauernfamilien, welche Regierungsgelder annehmen, zunehmend vom
Subventionstropf der Regierung abhängig sind.


... ÜBER DEN BAUERNPROTEST GEGEN DEN FREIHANDEL ...
Der Beitritt Mexikos zum nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA
war die Initialzündung für den zapatistischen Aufstand 1994. Am
01.01.2003, werden im Rahmen des NAFTA-Abkommens weitere 45
Agrarprodukte „liberalisiert“ – die Appelle für ein
Liberalisierungs-Moratorium verhallten ungehört. Gegenüber der
hochsubventionierten nordamerikanischen Agrarindustrie und der
Dumpingpolitik der Multis wie Cargill oder Nestlé haben kleinere und
mittlere Bauernhöfe in Mexiko - wie auch in der USA und Kanada selber -
keine Chance. Die 24 Millionen MexikanerInnen, welche von der
Landwirtschaft leben, sehen düsteren Zeiten entgegen. Neben der
Subsistenzproduktion sinken die Marktpreise ihrer „cash crops“ unter die
Produktionskosten, die Kaffeekirschen verfaulen an den Sträuchern, das
Geld für Kleider, Schulwesen und Medizin fehlt und in der Folge lässt
die Landflucht ganze Regionen verwaisen.

Eine landesweite Koalition aller Bauernorganisationen namens „El campo
no aguanta más!“ („Die Landwirtschaft erträgt nicht mehr!“) hat mit
aufsehenerregenden Mobilisierungen begonnen. Sie drangen Anfang Dezember
in das Bundesparlament ein, blockieren seit Tagen die Verkehrswege des
Bundesstaates Morelos und ab dem 01.01.2003, werden alle grossen Häfen
und wichtigen Grenzübergänge des Landes blockiert. Das ländliche Mexiko
kämpft um seine Existenz.

Zusätzlich zur erneuerten Kriegserklärung der indigenen Völker in
Chiapas befindet sich der mexikanische Staat auch noch in Konfrontation
mit einer zu vielem entschlossenen Bauernbewegung. Dabei hat Mexiko als
südlicher Nachbar der USA und neuntgrösste Ökonomie der Welt eine
strategisch wichtige Rolle in Lateinamerika als Vorreiter des –
auslaufenden – neoliberalen Wirtschaftsmodells. Und auch der
mexikanische Widerstand gegen den Neoliberalismus ist seit dem
01.01.1994 ein wichtiger Referenzpunkt für die internationale Bewegung
gegen die Globalisierung der Reichen.


... ZUM WELTWEITEN WIDERSTAND GEGEN DEN NEOLIBERALISMUS !
Der Champaner an den Neujahrsfeiern hinterlässt bei der dünnen
mexikanischen Oberschicht also erneut den bitteren Nachgeschmack der
sozialen Rebellion, des Aufstandes der verarmten und marginalisierten
Bevölkerungsmehrheit. Und dies ist erst der Auftakt, denn im Jahre 2003
werden zahlreiche umstrittene Grossprojekte, bspw. Staudämme, im Rahmen
des „Plan Puebla Panama“ begonnen, um das Land und ganz Zentralamerika
für das „Gesamtamerikanische Freihandelsabkommen“ (FTAA) „fit“ zu
machen. Ausserdem soll im September 2003 die fünfte Ministerkonferenz
der WTO im Touristenstädtchen Cancún an der mexikanischen Karibikküste
stattfinden, an der die Landwirtschaft weltweit weiter liberalisiert
werden soll. Die internationalen Mobilisierungen gegen diese WTO-Runde
sind bereits angelaufen, es ist von einem möglichen zweiten Seattle die
Rede, die Durchführbarkeit des Anlasses in dem sonnigen Touristenort
wird diskutiert. Davos lässt grüssen!

Die Zapatistas haben durch ihre kämpferische Entschlossenheit, ihre
erfrischende Offenheit und ihre Fantasie dem weltweiten Widerstand gegen
den Neoliberalismus viele Impulse gegeben. Dass sie jedoch nicht
Geschichte sind, zeigt ihre starke Demonstration am neunten Jahrestag
des Aufstandes und ihr aktiver Beitrag zu einer „Welt, in der viele
Welten Platz haben“.

Direkte Solidarität mit Chiapas, Zürich / San Cristóbal de Las Casas

T/F: 01-400 45 69
 soli@chiapas.ch
www.chiapas.ch


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Eglistr. 25
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02.01.2003
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