Das Ende der repressiven Toleranz & Das imperiale Elendssubjekt
DAS ENDE DER REPRESSIVEN TOLERANZ
Abschied von der "Jungle World"
Die nachstehende Polemik ("Das imperiale Elendssubjekt") war gedacht als Antidot zur opportunistischen Generallinie der "Jungle World". Dort wird seit dem 11. September ein stramm "prowestlicher" Diskurs geführt, der den demokratischen Killerkapitalismus als zivilisatorische Alternative zur Barbarei der zerfallenden Peripherie verkaufen möchte, ohne den inneren Zusammenhang der beiden Seiten bürgerlicher Weltvergesellschaftung zu reflektieren. In diesem Sinne wurde seit einigen Monaten eine perfide "Kriegsdebatte" inszeniert, die jede grundsätzliche Kritik der demokratischen Weltordnungs-Massaker unter Führung der letzten Weltmacht USA systematisch denunziert und Gegenpositionen nur als Alibi-Funktion in engen Grenzen zulässt. So durfte etwa Christian Stock (IZ3W) eine windelweiche Erörterung darüber anstellen, ob eine US-Intervention den Irak "demokratisieren" könne, was sanft bezweifelt wurde. Eine Linke, die solche "Kriegsgegner" hat, braucht keine Kriegsbefürworter mehr. Dagegen wurde mein Text von der Redaktion rundweg abgelehnt. So weit geht die repressive Toleranz der "linken" Kollaborateure des demokratischen Gesamtimperialismus eben doch nicht. Für mich ist damit jede weitere Zusammenarbeit mit der "Jungle World" selbstverständlich definitiv beendet. Wer dieses Blatt weiter zur Kenntnis nimmt, sollte wissen, daß er/sie es nur noch mit einem einseitigen Organ der pseudolinken Bellizisten zu tun hat.
Robert Kurz, 8.12.02
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DAS IMPERIALE ELENDSSUBJEKT
Warum der Bellizismus der Jungle World indiskutabel ist
Es gibt so genannte Debatten, an denen kann man sich nur im Konjunktiv beteiligen. Sicherlich wären mehr als genug Argumente ins Feld zu führen gegen die noch nicht einmal arrogante, sondern höchstens betuliche und dadurch erst recht eklige proimperiale Kriegspropaganda, wie sie seit dem 11. September mit ihrem demokratischen Rüchlein die Spalten der Jungle World verpestet. So könnte die schreiende Unlogik eines Räsonnements gezeigt werden, das sich einbildet, aus dem zweifelsfrei unappetitlichen Charakter des Saddam-Regimes oder des Al-Kaida-Monstrums wäre ein ziemlich appetitlicher Charakter des US-Weltmachtapparats zu folgern. Und jedes historische Proseminar hätte die Mittel, die Behauptung zu widerlegen, ein abgetakelter Dritte-Welt-Diktator sei eine ebensolche "Gefahr für die Welt" wie einst Hitler, und deshalb sei es ein antifaschistischer Segen, wenn Bomber-Harris sich nunmehr ein wenig Bagdad vornimmt.
Aber warum überhaupt groß Energie verschwenden auf die Kritik eines plappernden Schulaufsatz-Bellizismus, der sich so erkennbar wenig Mühe mit seiner eigenen Argumentation gibt? Wie noch, ohne selber peinlich zu werden, auf die Peinlichkeit eines "Linksradikalismus" reagieren, der unter Dutzenden von zerfallenden Folterstaaten (die meisten davon enge Verbündete des Westens) ausgerechnet bloß diejenigen frisch als Feinde der Emanzipation entdeckt, die gerade auch ins Visier der kapitalistischen Weltpolizei geraten sind? Was noch antworten auf einen Diskurs, der allen Ernstes nach dem globalen Scheitern aller nachholenden Modernisierung im Jahr 2002 für die arabischen Länder eine anständige "bürgerliche Revolution" mit gütiger Nachhilfe von US-Kampfbombern auf der historischen Tagesordnung wähnt und damit unter das Niveau, sagen wir, der marxistisch-leninistischen mechanischen Geschichtsphilosophie gesunken ist?
Leuten, die sich selbst nicht mehr ernst nehmen, indem sie als Maßstab radikaler Kritik die US-Verfassung beschwören, sollte man nicht mit ernsthaften Argumenten kommen. Der Wille, sich nach mehr als 100 Jahren Ideologiekritik zum verfaulten Phrasenmüll der "westlichen Werte" zu bekennen, ist nur als bewußter Wille zur Ignoranz erklärbar. So doppelt und dreifach blöd, wie sie sich jetzt geben, wenn sie sorgenvoll erörtern, ob ein elektronisches Scheibenschießen auf den Irak dort "mehr Demokratie" schaffen würde, können die Jungle-World-Diskutanten doch unmöglich vorher schon gewesen sein. Oder hatten wir es die ganze Zeit mit einer verkappten Agentur der Bundeszentrale für politische Bildung zu tun, die sich jetzt outet?
Diese "Debatte" kann nicht als solche anerkannt werden, weil offensichtlikch die Mehrheit der Jungle-World-Redaktion längst ideologisch Position im NATO-Militärcamp bezogen hat. Die notwendige konsequente Kritik der deutschen Ideologie, des linken Antisemitismus (Antizionismus) und des völkischen Antiimperialismus wird völlig entwertet, wenn sie daherkommt als Parteinahme für die "kapitalistische Zivilisation", die keine ist. Wer sich dem Killerkapitalismus und dessen High-Tech-Mordapparaten an den Hals wirft, stellt sich außerhalb jeder emanzipatorischen Debatte. Da nützt es auch nichts mehr, einen letzten Anschein von kritischem Bewußtsein erwecken zu wollen, indem man sich hinter dem albernen, anachronistischen und völlig kontrafaktischen Konstrukt versteckt, bei den demokratischen Weltordnungskriegen handle es sich angeblich um eine weltimperiale Konkurrenz zwischen den USA und der EU "unter deutscher Führung", während in Wirklichkeit dem transnationalen Kapital längst ein "ideeller Gesamtimperialismus" unter alleiniger und irreversibler Führung der USA entspricht.
Bloßer Vorwand auch die zum affirmativen Topos verkommene Kritik am antiamerikanischen Ressentiment, die sich schon dadurch entwertet, daß sie mitten im globalen Krisenkapitalismus den USA mit gespitztem Demokratiemäulchen einen "zivilisatorischen Vorsprung" gegenüber dem Rest der Welt bescheinigen will und deshalb gerade die US-amerikanische radikale Linke nicht zu Wort kommen lassen darf, die ein ganz anderes Bild der Verhältnisse hat; etwa wenn sie auf den "bestrafungs-industriellen Komplex" verweist, der mittlerweile einen höheren Grad der Internierung hervorgebracht hat als in der Sowjetunion zur schlimmsten Stalinzeit. Und geradezu schändlich die völlige Entsolidarisierung gegenüber der israelischen radikalen Linken, die systematisch heruntergemacht wird, weil sie angeblich den deutschen Antisemiten zuarbeitet. Was für eine "Kontextualisierung", die der linken Gesellschaftskritik anderswo aus Gründen eigener identifikatorischer Bedürfnisse jede Legitimation abspricht! Deutscher geht’s nicht, wenn die globale Lage unter den heimischen Küchendunst subsumiert wird und am antideutschen Wesen die Welt genesen soll.
Vom demokratischen Prozedere hat man sich allerdings die repressive Toleranz abgeschaut, das genaue Gegenteil einer produktiven Auseinandersetzung innerhalb eines linken Spektrums, in dem Bestimmtheit nicht mit fanatischem Dogmatismus verwechselt wird. Die bis auf wenige Ausnahmen sowieso meistens handzahme, bürgerlich-aufklärungsideologisch verhausschweinte Kritik des eigenen Bellizismus wird nur zugelassen, um sie stets abschließend von irgendeiner besonders bornierten antideutschen Charge deckeln zu lassen. Der Gedanke drängt sich auf, ob nicht sogar eine Weihnachtskolumne in der Sparkassen-Rundschau noch ehrenvoller und kritischer wäre als die Beteiligung an einer derartigen ganz und gar nicht offenen Pseudo-Debatte. So gesehen erscheint auch das publizistische Schisma von Junge Welt und Jungle World in neuem Licht: Altklassenkämpferischer Ostalgie und altantiimperialistischer "Völkertümelei" einerseits entspricht die ordinäre Identifikation mit dem westlichen demokratischen Gesamtimperialismus andererseits. Was ist schlimmer?
Wer sich von einer intellektuellen Assassinen-Sekte wie den Bahamas das Gesetz der Auseinandersetzung diktieren läßt, kann nur noch darum betteln, seitens dieser Möchtegern-Henkersknechte einer kapitalistischen Scharia um ungefähr 30 Prozent weniger Stockschläge dankend entgegenzunehmen, statt ihnen ein für allemal das Handwerk zu legen. Aber das erklärt nicht alles. Die intellektuelle Trostlosigkeit dieses Scheindiskurses zwingt zur Frage nach dem sozialen Hintergrund. Der Jungle-World-Bellizismus entspringt nicht allein der moralischen Geiselhaft bei den abendländischen Mullahs, sondern auch der zeitgeistigen Verfassung eines Generationsmilieus, das kaum ideologiekritisch zu fassen ist in einer Zeit, die jedwede Ideologie derart erbarmungslos ausgeleiert hat, daß sie unmittelbar als solche durchschaubar geworden ist und daher nur noch auf einer sekundären Ebene wirksam sein kann: Als ob längst desillusionierte Erwachsene plötzlich den finsteren Entschluß fassen, wieder ans Christkind zu glauben, weil sie sich davon ein letztes Quäntchen Selbstvermarktung erhoffen.
Leider ist die Wirklichkeit oft noch vulgärer als die Ideologie. Je härter die schiere Objektivität der kapitalistischen Krise durchschlägt, desto absurder die Wirklichkeitswahrnehmung des auf die Wertform vergatterten Subjekts. Und wenigstens in dieser Hinsicht ist die Jungle World Avantgarde, darf sie´s sein. Zum Bellizismus paßt bestens ein affirmatives, popmodern herumalberndes Antikrisengeschwätz ("Krise?Welche Krise?"), das sich einbildet, eine vermeintlich bald vorübergehende bloße Rezession aussitzen zu können. "Wer hat den schönsten Bruch in seiner Biographie?" fragt nicht nur die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Statt radikale Formkritik ein bißchen Norbert Bolz und ein augenzwinkerndes Prosit auf das Scheitern; statt soziale Empörung das Schielen auf die medialen Marktpotentiale eines Daseins als selbstgefällige Loser. Mit einem Wort: noch der soziale Abstieg als Selbstinszenierung; aber immerhin im Binnenraum der Ersten Welt, hinter den Mauern des Limes gegen die "Barbaren". Und der "lender of last resort" aller Illusionen des westlichen Wertsubjekts ist heute nun mal die US-Militärmaschine.
Dem Jungle-World-Bellizismus gegenüber ist jede ökonomische, politisch-militärische, historische und ideologiekritische Analyse ungefähr so sinnvoll wie der Versuch, einem Antisemiten empirisch nachzuweisen, daß die Juden doch nicht die Medien beherrschen, oder einem Sektensoldaten der Bahamas zu erklären, warum ein verhetztes, Steine werfendes 12-jähriges Palästinenserkind doch nicht genau dasselbe ist wie ein SS-Mann an der Rampe von Auschwitz. Wo´s eine solche Linke gibt, braucht´s keine Rechte mehr. Reichlich ein Jahr nach dem 11. September wird schon im Vorfeld des nächsten Weltordnungs-Massakers klar, daß es mit den Bellizisten nichts mehr zu diskutieren gibt. Wenn diesmal die ersten Bomben fallen, wird das einstige Diskursfeld der kritischen, auf Marx und Adorno bezogenen Linken wohl endgültig mit in die Luft fliegen.
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