Konflikte und Abgänge bei der Jungle World
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aus: ak 469 vom 17.1.2003
ak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
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Konflikte und Abgänge bei der Jungle World
Die Berliner Wochenzeitung Jungle World gehört zu den
auflagenstärksten Medien der bundesdeutschen Linken, vor allem
in der jüngeren Generation. Ihr AutorInnenstamm hat - vor allem
seit dem 11. September 2001 - mehrheitlich Positionen zu den
Kriegen der USA eingenommen, die das Blatt von linken Positionen
entfernen. Dies wird im folgenden zunächst anhand des von der
Jungle World herausgegebenen Readers zum 11. September belegt;
im Anschluss sollen die Wurzeln der Jungle-Ideologie freigelegt
werden.
Es sollte ein pluralistisches Spiegelbild der linken Debatte aus
Anlass des ersten Jahrestags der Anschläge von New York und
Washington werden. Sowohl um die Attentate selbst als auch den
nachfolgenden Krieg in Afghanistan, aber auch um den bereits
sich zuspitzenden Irakkonflikt sollte es gehen.
So wurde der Reader angekündigt, den die
Jungle-World-Redaktion im Oktober 2002 unter dem Titel "Elfter
September Nulleins" (Verbrecher Verlag, Berlin, 14 Euro)
herausgegeben hat. Das 235 Seiten starke Bändchen gibt einen
Teil der auf dem gleichnamigen Kongress am ersten
Septemberwochenende gehaltenen Beiträge wieder, enthält aber
auch noch weitere Texte.
Der Band beginnt mit einem Beitrag des israelischen
Schriftstellers Yoram Kaniuk, der zu folgender Schlussfolgerung
gelangt: "Die eindringliche Kritik, die der Dichter und
Philosoph Hans Magnus Enzensberger" - der, was Kaniuk nicht
sagt, 1991 die Gleichsetzung von Adolf Hitler und Saddam Hussein
betrieben hatte - "an seinen Freunden von der Linken übte,
trugen ihm heftige Angriffe ein. Seine Kritiker begriffen den
wesentlichen Punkt nicht, dass Saddam, Hitler, Dschingis Khan
und Stalin Verbrecher an der Menschheit sind. Wer das nicht
akzeptiert, lebt in einer Begriffswelt, mit der Menschen wie ich
sich nicht auseinander setzen können." (S. 19) Weit weniger gut
als der Hussein-Hitler-Vergleicher Enzensberger kommt bei Yoram
Kaniuk etwa Günter Grass weg. Ihm kann er nicht verzeihen, dass
"ein Humanist wie (er) die Unvernunft der deutschen Linken
verteidigt, die mit dem Mörder und Diktator Saddam
sympathisiert." (S. 18)
Kriegsgegner "sympathisieren mit Saddam"
Wer gegen den damaligen Krieg demonstrierte, zieht Kaniuks Zorn
und Unverständnis auf sich. Mehrfach spricht er von einem
"gerechten Krieg" gegen den Diktator, erwähnt aber nicht einmal,
dass die USA eben diesen Diktator nach dem Krieg von 1991 gegen
die irakischen Aufständischen an der Macht hielten; auch über
die 150.000 irakischen Kriegstoten verliert er kein Wort. Statt
dessen bezeichnet Kaniuk damalige VertreterInnen der grünen
Partei als "scheinheilige Moralapostel einer deutschen Bewegung,
die sich gegen die deutsche Demokratie stellt" (S. 9) - als ob
ihr damals die Kohl-Regierung, die für die Rüstungsexporte
(teilweise bundeseigener Firmen) in den Irak verantwortlich
zeichnete, vorzuziehen gewesen wäre.
Der Text des libanesischen Journalisten Hazem Saghiya, der
vorwiegend für "pro-westliche" arabische Presseorgane - wie die
in London erscheinende Zeitung El-Hayat - arbeitet, wird dagegen
am Ende des Bändchens nicht als Beitrag zum Reader, sondern als
"Dokumentation" veröffentlicht. Dazu ist er eigens mit einem
distanzierenden Vorwort versehen, in dem es u.a. heißt: "Der
Text gibt nicht die Meinung der Herausgeber wieder. Wir
dokumentieren ihn dennoch, weil er unseres Erachtens deutlich
macht", wie arabische Intellektuelle sich "dem Thema
Antisemitismus näher(ten)". (S. 226)
Was hatte Saghiya sich zu Schulden kommen lassen? Er habe
Antisemitismus geleugnet oder den Juden selbst die Schuld am
Antisemitismus in die Schuhe geschoben, hieß es auf meine
Nachfrage. Man lese selbst : "... die Äußerungen von Roger
Garaudy (Anm. B.S.: ein französischer Auschwitzleugner, der zu
Konferenzen in arabische Länder eingeladen wurde, dort aber auch
auf Gegenreaktionen von Intellektuellen stieß) und
seinesgleichen, die Schriften und Predigten, die Erklärungen und
Fernsehprogramme zeigen, dass der arabische Antisemitismus
vorhanden und stark, ja so gefährlich ist, dass er bekämpft
werden muss". (S. 227) Allerdings taucht am Ende des Beitrages
auch folgender Satz auf: "Der letzte wichtige Punkt (...): Der
gefährlichste Antisemitismus ist derjenige, den die Fortsetzung
der Besatzung produziert, der die Gewalt und Gegengewalt in den
Beziehungen zwischen den beiden Völkern" - dem israelischen und
dem palästinensischen - "verewigt". (S. 230)
Deutsche Wahnideen "im arabischen Exil"
Dieser Satz hatte den Jungle-MacherInnen genügt, um den Beitrag
Saghiyas zu verdammen, da er den Juden selbst die Schuld "am
Antisemitismus" gebe. Dabei sehen sie noch nicht einmal den
Unterschied zwischen dem in Deutschland und Europa
herangewachsenen Antisemitismus und jenem, um den es im Beitrag
Hazem Saghiyas geht. Kein Deutscher konnte 1933 - oder davor
oder danach - mit Wahrheitsanspruch von sich behaupten, jene,
die ihn unterdrückten, seien Juden. Anders sieht es für viele
Libanesen und Palästinenser aus, die mit realer Unterdrückung
konfrontiert sind, die oftmals von sich selbst als Israelis oder
Juden definierenden Menschen - seien sie UniformträgerInnen oder
SiedlerInnen - ausgeht. Beides umstandslos gleichzusetzen, ist
gerade im Umfeld der Jungle World ein weit verbreiteter
historischer Irrtum.
Allein dem Aufbau des Kongressreaders zum 11. September
lässt sich also entnehmen, wie in der Jungle World Debatten
kanalisiert werden. Den LeserInnen wird auf eindeutige Weise
signalisiert, welche Position moralischen und politischen
Respekt verdient und welche nur zu dokumentarischen Zwecken
geduldet wird. Zwischen den beiden, in jeweiliger Extremform
präsentierten Texten findet sich noch eine kleine Spannbreite
von Positionen, wobei die von nicht-deutschen AutorInnen
stammenden Texte (wie etwa jener des afghanischen Frauenverbands
RAWA) die mit Abstand interessantesten darstellen. Zu den
positiven Ausnahmen zählt noch der Text des iz3w-Autors Jochen
Müller. Negatives Abschreckungsbeispiel dürfte hingegen Matthias
Küntzels durchgängig präsentierte Analogie zwischen
NS-Geschichte und aktuellen reaktionären Ideologien im
arabischen Raum sein: "Schon im November 1945 kündigte sich eine
Verschiebung des antisemitischen Zentrums von Deutschland in die
arabische Welt an." (S. 100) Und: "Mithin fand die in
Deutschland seit dem 8. Mai 1945 unterdrückte Wahnidee in der
arabischen Welt (...) ihr seither wirkungsmächtigstes Exil." (S.
102)
Die Ideologie, die heute in wachsendem Maße die Jungle World
- aber auch andere Organe der deutschen Restlinken - prägt und
mit dem neuen Kampfbegriff "antideutsch" nur höchst unzureichend
benannt ist, hat sich im Gefolge des Zweiten Golfkriegs von 1991
herauskristallisiert. Damals folgten im Abstand von nur drei
Monaten die beiden historischen Ereignisse, welche die übrig
gebliebene radikale Linke entscheidend prägen sollten: die
deutsche Wiedervereinigung (die staatliche Einheit wurde am 3.
Oktober 1990 besiegelt) und der Zweite Golfkrieg ab dem 17.
Januar 1991.
Der Vollzug der nationalen Einheit Deutschlands hatte Teile
der Restlinken in starken Alarmismus versetzt. Einige von ihnen,
auch im damaligen KB, plädierten dafür, die politischen Gefahren
der neuen Situation in der Mitte Europas herauszustellen und die
ideologische Dynamik des Wiedervereinigungsprozesses zu
kritisieren. Dabei sprachen sie sich dafür aus, sich vom
Ökonomismus mancher (Vulgär-) MarxistInnen abzugrenzen, die
lediglich eine Annexion der ehemaligen DDR durch das
westdeutsche Kapital sahen - im Gegenteil müsse die massenhafte
Zustimmung der damaligen DDR-Bevölkerung zum damaligen
Einheitsprozess gesehen werden. Das war keineswegs unsinnig,
wenngleich manche der KritikerInnen des "nationalen Taumels" die
rein ideologischen Elemente - und deren Kontinuitäten zum
historischen deutschen Nationalismus - insofern überzeichneten,
als sie darüber die ökonomischen Motivationen (die materielle
Anziehungskraft des ökonomischen "Erfolgsmodells" BRD)
ausblendeten. In der Folge versuchten einige ProtagonistInnen,
die größtmögliche Kontinuität zwischen dem deutsch-deutschen
Vereinigungsprozess und dessen ideologischer Basis gegenüber der
deutschen Nationalgeschichte herauszustellen, die manche auf die
falsche Formel vom "Vierten Reich" brachten.
Der Golfkrieg zu Beginn des Jahres 1991 gab die Gelegenheit,
diese spezifische Deutschlandkritik - in Abgrenzung von der
"üblichen" linken Kritik am imperialistischen Krieg unter
Führung der USA - zuzuspitzen. Die Rolle der BRD sollte
besonders stark herausgestrichen werden, was ja an sich nicht
falsch ist. Da allerdings die reale militärische Rolle der BRD
an der Seite der USA - in Gestalt von Bundeswehreinheiten im
türkischen Incirlik - zwar vorhanden, aber für die Annahme eines
"Vierten Reiches" zu schwach war, wurde von manchen das
Schwergewicht auf die Rolle der BRD als Rüstungslieferant des
Irak gelegt. Auch das war nicht falsch, sofern das
politisch-kritische oder agitatorische Motiv dabei nicht
vergessen ließ, dass nicht allein die BRD, sondern alle
westlichen Führungsmächte in den 80er Jahren beide Diktaturen
der Golfregion - den Irak und den Iran - gleichermaßen mit
Waffen und Vernichtungstechnologie beliefert hatten. Die extreme
Variante dieser Zuspitzung lautete
damals, das (sich auf eine
eigenständige Weltmachtrolle vorbereitende) Deutschland habe
bereits in den frühen 80er Jahren - damals setzten die
Waffenlieferungen für den Iran-Irak-Krieg ein - nur deswegen den
Irak aufgerüstet, damit dieser "den deutschen Plan zur
Vernichtung der Juden zu Ende führe". Diese Agitation konnte
sich auf manche spontanen Äußerungen aus Israel stützen, wo
oftmals in den Augen von Betroffenen "die Bedrohung von gestern
und jene von heute", in Gestalt der irakischen Giftgasdrohungen,
zu einer Assoziationskette zusammenflossen.
Gegen Deutschland - für den Imperialismus
Die meisten der "antinationalen" Linken blieben allerdings
damals KriegsgegnerInnen, nur eine kleine Minderheit in ihren
Reihen wollte sich - im Kampf gegen "das Vierte Reich und seinen
verlängerten Arm im Irak" - für einen Krieg aussprechen.
Letzteres begann innerhalb der zunehmend orientierungslosen
Reste der Linken nachzuwirken. Rund um das Zirkular Bahamas
formierten sich im Laufe der neunziger Jahre Strömungen, die
nunmehr allein die BRD, die "deutsche Ideologie" und ihre
vermeintliche Verlängerung in den Nahen Osten als Hauptgefahr
ansahen, jedoch die imperialistische "westliche Normalität" kaum
mehr als Problem wahrnahmen - als hätten die herrschenden Eliten
der BRD bereits die militärische, politische und ökonomische
"Westbindung" vollkommen aufgegeben. Um die Mitte der neunziger
Jahre begann sich in diesem Spektrum die Vokabel "antideutsch"
an Stelle der Selbstbezeichnung "antinational" durchzusetzen.
Diese Ideologie ist mittlerweile durch eine Reihe linker
Spektren hindurch diffundiert und beeinflusst auch einen
wachsenden Teil der Jungle-World-AutorInnenschaft und
-Redaktion. In der Gründungsgeschichte der Jungle World, die
sich 1997 aus einer Abspaltung der Tageszeitung junge Welt
gründete, wurden solche Positionen am Anfang durch die
Konfrontation mit "traditions"- bzw. vulgärmarxistischen,
DDR-nostalgischen und ökonomistischen Positionen als
vermeintliche Alternative bestärkt.
ExpertInnen gehen, Holzköpfe bleiben
Dabei existieren jedoch Abstufungen und Unterschiede, denn auch
die Wochenzeitung steht in erheblichem Konflikt mit dem
Bahamas-Spektrum - jedenfalls, solange sie sich dessen
totalitärem und gewalttätig auftretendem Rechthabe-Anspruch
nicht beugen will. Deren Inhalte aber wurden weithin übernommen.
Dabei ist es wichtig, die unterschiedlichen
Begründungszusammenhänge und Motivationen noch zu sehen. Für
einen Teil der "Kader" dieses Umfelds ist der "antideutsche"
Diskurs, der real immer mehr zum vorwiegend antiarabischen wird,
eine - vermeintlich moralisch "einwandfreie" - subjektive
Rechtfertigung für ihren Abschied von linker Gegnerschaft zur
herrschenden Weltordnung und ihren Kriegen. Man muss nur die
regelmäßig publizierten Texte der beiden "Chefideologen" von
Jungle World zum Nahen und Mittleren Osten - Thomas von der
Osten-Sacken und Thomas Uwer - lesen, um zu erkennen, wie hier
eine stark nach außen gekehrte Gegnerschaft "gegen Deutschland"
und gegen den Antisemitismus vor allem dazu dient, ein immer
kritikloseres Nachbeten der US-Kriegspläne für diese Region zu
rechtfertigen.
Andererseits aber finden sich in diesem Spektrum, vor allem
bei jüngeren Leuten, auch viele Angehörige, die subjektiv
ehrlich davon überzeugt sind, eine dem NS-Antisemitismus
ähnliche Gefahr kehre heute tatsächlich über den Nahen Osten
zurück und bedrohe zunächst Israel. Für viele ProtagonistInnen
des Spektrums stehen klassisch linke Positionen - man nehme die
Berichterstattung der Jungle World zu Lateinamerika - beinahe
unvermittelt neben klassisch pro-imperialistischen Positionen.
Letztere scheinen ihnen im Bezug auf ein abgegrenztes
geographisches und thematisches Gebiet als linke Position
gerechtfertigt - als Abwehr einer größeren Gefahr, im Sinne
einer vermeintlichen Wiederholung der Konstellation des Zweiten
Weltkriegs. Dies kann jedoch für altlinke (Ex-)"Kader" mit
Sicherheit nicht gelten, etwa für jene der Bahamas, die längst
ihren kompletten Abschied von der Linken vollzogen haben und
deren politisch-ideologische Tätigkeit sich derzeit fast völlig
auf einen rassistisch unterfütterten Anti-Arabismus beschränkt.
Eine Entmischung wäre sicherlich notwendig. Dennoch ist
fraglich, ob eine solche im Falle der Jungle World noch gelingen
kann. Ein in vielen - nicht allen - Beiträgen unkritisch
positiver Israel-Bezug, die (im Falle des Irak noch nicht
vollständig durchgesetzte, sondern unter den AutorInnen
bisher umstrittene) Kriegsbefürwortung und eine häufige
Beschimpfung von Anti-Kriegs-Positionen vor allem während des
Afghanistan-Feldzugs haben das politische Spektrum der Zeitung
bereits eingeengt. Daraus resultiert wiederum, dass bestimmte
Sichtweisen zum "autoreferenziellen Diskurs" - also zur sich aus
sich selbst heraus "beweisenden" Redeweise - gerinnen.
Dabei wird oftmals - von einigen, nicht aber von allen
AutorInnen - eine abstrafende Haltung gegenüber linken oder
sozialen Protestpotenzialen entlang bestimmter Fragen
eingenommen, etwa wenn Thorsten Fuchshuber (in Jungle World
47/02) einen Bericht über das Europäische Sozialforum (ESF) in
Florenz zu zwei Dritteln der Pöbelei gegen die TeilnehmerInnen
widmet, weil dort auch Solidaritätsäußerungen für die
PalästinenserInnen vorkamen. Ein bezeichnendes Beispiel dafür,
wie das sich als "antideutsch" verstehende Auftreten eines
deutschen Schnösels dazu führen muss, dass jegliche
Verständigungsmöglichkeit mit einer französischen, italienischen
oder anderen Linken außerhalb der BRD entfällt.
Andererseits erwachsen aus der Einengung ihres ehemals
pluralistischen Spektrums, aber auch den (oft damit
zusammenhängenden) Abgängen ehemaliger AutorInnen - darunter der
Antisemitismus-Analytiker Alfred Schobert, die zu Lateinamerika
tätigen Autoren Raoul Zelik und Dario Azzellini, die
Arbeitssoziologin Mag Wompel und andere - auch Probleme für die
Wochenzeitung, die auch von ihren RedakteurInnen wahrgenommen
werden. Welche Entwicklungsrichtung sich definitiv durchsetzen
wird, ist daher vielleicht noch nicht völlig ausgemacht. Ein
Eingreifen in die Debatte wäre zu wünschen. Ob für die Linke
dabei etwas darin zu retten ist, kann aber nicht garantiert
werden.
Bernhard Schmid (Paris)
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