Antwort auf den Vorwurf des Bellizismus bei der jungle-world
Als Reaktion auf die Veröffentlichung von Robert Kurz' Artikel "Das Ende der repressiven Toleranz & Das imperiale Elendssubjekt"- und auf den Artikel aus der AK "Konflikte und Abgänge bei der Jungle World" von Bernhard Schmid - erreichte uns folgender Text von Ivo Bozic, Autor und einer von vielen Mitherausgebern der jungle-world.
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liebe kolleginnen und kollegen von nadir,
ich weiß nicht, was euch treibt, in dem aktuellen spiel der
undifferenzierten polarisierung und schubladisierung der linken (bist du
für den krieg oder dagegen) mitzumischen. im rahmen dieser völlig
unpolitischen schwarz-weiß-analysen findet derzeit eine kampagne u.a. gegen
die jungle world statt, die versucht, unsere zeitung als "bellizistisch" zu
denunzieren.
meistens wird behauptet, die jungle world würde bellizistische positionen
vertreten, ohne dass auch nur ein einziger beweis für diese behauptung
angetreten wird. das hat einen guten grund: denn die jungle world vertritt
keine bellizistischen positionen. und nicht nur das! sie hat sich auch
nicht für einen irak-krieg ausgesprochen. zumal die verwendung des begriffs
bellizismus in diesem zusammenhang ebenso kampagnenartig erfolgt und
unseriös ist, weil er nichts anderes als "kriegstreiberisch" bedeutet. und
dass in der jungle world kriegstreiber am werke sind, das wird ja wohl kaum
jemand behaupten wollen. es ist interessant, dass - auch bei nadir - auch
solche kritiker plötzlich sehr ernst genommen werden, die wie robert kurz
z.b. noch nie ein kritisches wort über das neue deutschland verloren haben,
für das er ständig schreibt, und das so einiges mehr auf dem kerbholz hat,
als eine vielleicht nicht auf dem allerersten blick klare position zum
irak-krieg.
diese vermeintlichen kenner der jungle world von ak bis freitag behaupten,
der "maßgebliche teil der redaktion" (freitag) unterstütze einen angriff
auf den irak. dies ist nicht nur frei erfunden, sondern gelogen. auch nicht
der übergroße teil der autor/innen ist dieser ansicht. es gibt in der
redaktion ebenso wie unter den autor/innen sehr unterschiedliche meinungen,
denn die jungle world ist eben kein strömungsblatt, sondern ein
pluralistisches projekt, bei dem die debatte im vordergrund steht. debatten
jedoch sind nur mit vernehmbaren, differenzierten und unterschiedlichen
positionen möglich. deswegen ist es auch unseriös, die aussagen eines
einzelnen referenten eines kongresses, den neben die jungle world übrigens
auch das iz3w veranstaltet hat (warum wird das immer vergessen? eignen die
sich nicht so gut als feindbild, weil sie nicht in die zugedachte schublade
passen?), einfach so als meinung der jungle world zu projizieren. sollen
beim nächsten kongress nur noch gefällige, artige linksradikale sitzen, die
alle auf linker mainstream-pc-linie sind? solche "kongresse" hätten manche
vielleicht gerne. aber sorry, die ddr ist tot.
richtig ist: die jungle world hat sich im gegensatz zu vielen anderen
linken blättchen und zeitungen nicht von vornherein und unter abschaltung
des gehirns in den trott der neuen deutschen friedensbewegung eingereiht.
sie hat bestimmte motive und motivationen dieser friedensbewegung, die nun
mal von gerhard schröder über horst mahler, peter gauweiler, der pds bis zu
autonomen reicht, kritisiert, ohne dabei alle über einen kamm zu scheren.
sie hat sich kritisch mit dem antiamerikanismus und antizionismus
auseinandergesetzt, der die linke und die rechte in dieser zeit so seltsam
eint. sie hat sich genau die gesellschaftliche lage im heutigen irak unter
der faschistoiden baath-partei angeschaut, und sie hat sich damit
auseinandergesetzt, welche folgen der krieg konkret haben würde.
im mittelpunkt der beobachtung standen für die jungle world dabei weder
irgendwessens ölinteressen noch linke theoreme, sondern die menschen vor
ort, die bevölkerung im irak und in den benachbarten staaten (auch israel).
die jungle hat dabei, neben den zahlreichen gefahren, AUCH chancen für die
menschen ausfindig gemacht. und nur wer die augen völlig schließt, oder
längst bei saddam hussein im bett schläft, wird diese chancen leugnen
können (und würde sich damit gegen die einschätzung der irakischen
opposition einschließlich der kommunistischen partei iraks stellen). und
wir haben auch hingehört, was die irakische opposition, was irakische linke
zu einem möglichen krieg zu sagen haben, und fanden dort durchaus
differenzierte meinungen. gleichzeitig haben wir aber auch untersucht, was
die motive der usa für ihr aggressives engagement und was die motive der
bundesregierung für ihr zögern sind.
all dies wurde dann in der jungle, weil wir uns eben nicht dem verdacht des
bellizismus - oder auch nur der befürwortung eines irak-krieges - aussetzen
wollten, dann auch noch in verschiedenen debatten-serien hin- und
herdiskutiert. dabei kamen sehr unterschiedliche autor/innen zu wort,
tatsächlich auch solche, die die folgen eines krieges für die irakische
bevölkerung eher positiv einschätzen, aber auch solche, die jedes
militärische eingreifen in der region und überhaupt radikal ablehnen und
dringend vor den unabsehbaren folgen und gefahren (auch für israel) warnen.
ein echte diskussion eben.
alles in allem hat die jungle world im gegensatz zu fast allen anderen
publikationen jene debatte ausgetragen, die in der linken derzeit geführt
wird. die jungle hat nicht den kopf ausgeschaltet, sondern genauer
hingeguckt. wer uns deshalb, ohne auch nur den geringsten nachweis, als
kriegstreiber beschimpft, dem geht es nicht mehr um eine sachliche
auseinandersetzung, dem geht es um denunziation. wer sich nicht kritiklos
der deutschen friedensbewegung anschließt, dem wird nicht nur unterstellt
für einen krieg zu sein, der wird auch noch als kriegstreiber denunziert.
in diesem drohenden - und hoffentlich abzuwendenden - krieg ist der linken
die rolle nicht wie beim vietnam-krieg oder nicaragua etc. von vornherein
vorgezeichnet. die weltmacht usa greift nicht eine sozialistische
revolution an, oder eine emanzipative bewegung, sondern sie will einen
totalitären, repressiven herrscher, ein militärregime, das sie selbst
introniert hat, und das ihr jetzt nicht mehr in den kram passt, stürzen.
man muss deshalb nicht den krieg gut finden, und dass die usa und
großbritannien versuchen, durch krieg ihre interessen im nahen osten zu
sichern. zumal ihre interessen natürlich politisch verwerflich sind. all
das gilt es natürlich scharf zu kritisieren.
aber als linke können wir in diesem konflikt nur auf der seite der
menschen, der bevölkerung stehen, denen die von saddam hussein betroffen
sind, und die von den britischen und amerikanischen bomben betroffen sein
werden. hierbei - so wie es viele linke iraker tun - die risiken und
chancen, die bei einem krieg, den man im grunde ablehnt, entstehen,
gegeneinander abzuwägen, zu betrachten, zu bewerten, das ist vielleicht
nicht linker mainstream, den findet ihr an den üblichen orten, aber das ist
bestimmt kein bellizismus.
ivo bozic
autor und einer von vielen mitherausgebern der jungle world
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