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Friedenshelden Chirac, Schröder und Putin? - Keine Illusionen!

Friedenshelden Chirac, Schröder und Putin? - Keine Illusionen!

...Und die französische Antikriegsbewegung dabei?

"Chirac, die Friedenstaube" zeichnet die grünen-nahe Satirezeitung Charlie
Hebdo in ihrer Ausgabe vom Mittwoch, 12. Februar. Doch aus dem Mund des
mit reichlich Hähnchengefieder ausgestattete Geschöpfs, das Chiracs
Gesichtszüge trägt, kommt "Cocorico" - wie sonst aus dem Schnabel des gallischen
Hahns, der eher als Symbol für französische Großmachtpolitik steht.

Die linksliberale Tageszeitung Libération hatte am Vortag (11. Februar)
mit der Schlagzeile "Die Anti-Kriegs-Achse" aufgemacht, und im Untertitel
erläutert: "Paris, Berlin, Moskau". Auf dem Titel prangt dazu ein
Foto der Präsidenten Jacques Chirac und Wladimir Putin. Ein eher komischer
Eindruck drängt sich dem Betrachter auf, sieht er die beiden
Staatschefs solcherart zu Antikriegs-Helden gekürt - und denkt er an
Ereignisse, die gleichzeitig anderswo auf der Welt stattfinden. Etwa die
brutale Kriegsführung in Tschetschenien, oder die noch andauernde
französische Intervention im westafrikanischen Staat C=F4té
d'Ivoire - das jüngste, wenngleich sicherlich
nicht schlimmste, Beispiel für Frankreichs neokoloniale Politik in
großen Teilen des Kontinents.

Gleichzeitig stimmt es, dass Frankreich den obersten US-amerikanischen
Kriegstreibern, die lieber morgen als übermorgen die Bomberflotten in
Richtung Irak losschicken würden, Ärger und Magengrimmen bereitet.
Ursache dafür ist einerseits die gemeinsame französisch-russische
Erklärung, die am Montag, 10. Februar verabschiedet und im Elysée-Palast durch Präsident
Chirac verlesen wurde. Hinzu gesellte sich, andererseits, am selben Tag
das Veto Frankreichs sowie Belgien - denen Deutschland sich dann in
letzter Minute anschloss - im NATO-Rat gegen das miliärische
Hilfsersuchen der Türkei.

Der südöstlichste Mitgliedsstaat des Nordatlantik-Pakts hatte - mit
starker US-amerikanischer Unterstützung im Rücken, ja möglicherweise auf
amerikanischen Druck hin - u.a. um die Verlegung von Patriot-Abwehrrakten
sowie um Ersetzung seiner NATO-Truppen auf dem Balkan gebeten, um sich auf
den "Fall eines irakischen Angriffs" vorzubereiten. In Wahrheit ging
es natürlich eher darum, einen Angriff der US-Armee und verbündeter
Streikkräfte von türkischem Territorium aus auf den Irak in die Wege
zu leiten - vom NATO-"Bündnisfall", der bei einem Angriff auf ein
Mitgliedsland automatisch in Kraft tritt und Beistandstreue erfordert, kann damit
rechtlich keine Rede sein.

Ankara mochte freilich gegen die eventuellen Folgen dieser Hilfestellung
für einen Angriff, im Fall irakischer Gegenschläge, gewappnet sein.
Hauptgrund des türkischen Regierungsersuchens war aber der Wunsch Washingtons,
mittels einer politische Geste die "Solidarität" der übrigen NATO-Staaten
gegenüber den eigenen Angriffsplänen zu demonstrieren. Deswegen weigerten sich
Paris und Brüssel zunächst, der Aufforderung unwidersprochen Folge zu
leisten. Allerdings verweigern sie mitnichten jede militärische
Hilfestellung: Von Anfang an erklärten sie sich bereit, der Türkei
bilaterale Hilfe zu gewähren, wenn diese nach Artikel 4 des
NATO-Statuts von Staat zu Staat eingefordert werde. Berlin hatte bereits
am Sonntag sein Hintertürchen aufgemacht: Deutschland liefert eigene
Patriot-Raketen an die Niederlande, und diese wiederum liefern ebensolche
Flugkörper an die Türkei.

Der Konflikt ist darum eher symbolischer Natur, als dass er reale
militärpolitische Bedeutung hätte. Die Äußerungen George W.
Bushs, der sich medienwirksam "enttäuscht" erklärt, und die seit Wochenbeginn
heftige Medienkampagne in den USA - gegen die französische "Undankbarkeit",
nachdem man das Land im Zweiten Weltkrieg befreit habe - ändern daran nichts.
Ähnlich stehen die Dinge, betrachtet man die Erklärung der Chirac,
Putin und Schröder vom Montag, in welcher die Kernsätze lauten: "Es gibt noch
eine Alternative zum Krieg, wir sind uns darin sicher. Der Einsatz von Gewalt
könnte nur das letzte Mittel darstellen." Konkret sprechen die drei
Staatschefs einer Verstärkung der UN-Kontrollen und der
Waffeninspektionen im Irak das Wort. Einen Waffengang aber schließen
sie, wie der Wortlaut ihres Textes zeigt, keineswegs aus - wenn nur die
Formen (Fortsetzung der Inspektionen bis zu einem eventuellen Bruchpunkt
mit dem Regime, keine Übergehung des UN-Sicherheitsrats durch
unilaterales Handeln der USA) gewahrt bleiben.

Am Samstag hatte die Internet-Ausgabe des deutschen Nachrichtenmagazins
DER SPIEGEL den angeblichen "Alternativ-Plan der Franzosen und
Deutschen" publiziert. Jener besteht namentlich aus einer
vollständigen Besetzung des Irak durch UN-Blauhelmtruppen - mit
deutscher Beteiligung - und einem völligen Flugverbot für irakische
Truppen, während das amtierende Regime
vorläufig noch "formell" an der Macht bleibe. Strukturell ähnlich lauteten
die Bestimmungen des berühmt gewordenen "Annex B", den man im
Februar 1999 in Rambouillet bei Paris durch die serbische Regierung hatte
unterschreiben lassen wollen. Dass dieses "Angebot" für das
irakische Regime - dessen Entmachtung es bedeutet - unakzeptabel wäre
(ganz egal, wie man ansonsten zu dessen diktatorischem Herrschaftssystem stehen mag)
und man damit sehr schnell an der Schwelle des Krieges landen würde, hätte klar sein
müssen.

Der angebliche "Plan", der dem Berliner Tagespiegel vom Dienstag zufolge auf
etwas zu langes Plaudern des Kanzlers Schröder mit einigen Journalisten
beim Rotwein zurückgehen soll, wurde jedoch von französischer Seite -
namentlich durch Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie ("Mam" genannt,
wegen ihrer Initialien) schnell dementiert. Die deutsche Außenpolitik, die
seit dem Bundestags-Wahlkampf im September von zahlreichen, vorwiegend
innenpolitisch bedingten Zickzack-Bewegungen bestimmt ist (Anfang Januar
wollte Schröder noch das Abstimmungsverhalten im UN-Sicherheitsrat
völlig offen halten, bei einem Wahlkampfauftritt am 22.01. im niedersäshsischen
Goslar entdeckte er dann plötzlich wieder seine prinzipielle
Gegnerschaft zum Irakkrieg ), wurde damit mal wieder in's Aus
manövriert. Doch Frankreich und Russland machten sich viele der
Forderungen zu eigen, namentlich jene nach einer Verstärkung des
Kontrollregimes und der weitgehenden Luftüberwachung des Irak, die
unter französischer und russischer Beteiligung ausgemalt wird.

Machtpoker unter geübten Zockern

Worum geht es also? Es handelt sich in erster Linie um einen Machtkampf
unter Großmächten, wobei Frankreich und Russland gern ein wenig von
der Eile der US-Amerikaner - die bereits 100.000 Soldaten am Golf stationiert haben
und ungeduldig werden, weil sie fürchten, ab Ende März werde das
Klima für einige Monate zu heiß zur Kriegführung - profitieren würden, um ein
größeres Stück vom Kuchen abzuschneiden, als ihnen bisher von Washington
zugedacht wurde.

Beide Länder haben in den vorausgehenden Jahrzehnten besonders stark im
Irak investiert. Russland näherte sich jedoch der US-Kriegsoption an, weil
Washington wiederum die Kriegführung in Tschetschenien deckt und weil
der Irak im Dezember 2002 bedeutende Verträge mit der russischen Firma
Lukoil aufkündigte - möglicherweise, wie manche Beobachter
spekulieren, um der US-Ölindustrie ein "Arrangement" schmackhaft zu
machen. Frankreich war in den 70er und 80er Jahren einer der wichtigsten
Lieferanten Bagdads gewesen (wobei es diesen Spitzenplatz Rolle allerdings bei
den Komponenten für ABC-Waffen mit Westdeutschland und den USA teilen musste).
Doch hatte Paris sich 1991 ohne größeres Aufhebens - nachdem der damalige
Präsident Francois Mitterrand es einige Pirouetten als "Vermittler" eingeschlagen hatte,
um seine Interessen in Bagdad nicht ohne jede Anstrengung fallen zu
lassen - der militärischen Option des seinerzeitigen Kriegsherrn George
Bush Vater angeschlossen. Und die jetzt regierende Rechtsopposition jener
Tage hatte 1991 Mitterrand sogar noch der Schlappheit geziehen, nachdem
dieser erklärt hatte, Frankreich wolle gegen den Irak keine ABC-Waffen einsetzen. Jetzt
aber, 2003, wollen Frankreich und Russland sich nicht aus einer
Nachkriegordnung "ausgeklammert" wissen.

Hinzu kommt der Streit um die Gewichte in der NATO: Die Aufnahme neuer
Mitgliedsländer in Ost- und Südosteuropa droht, das Gewicht der USA -
mit denen die Eliten dieser Staaten sich besonders verbunden fühlen - zu
stärken, hingegen dasjenige der europäischen Altmitglieder der NATO
und jenes des Nachbarn Russland zu schwächen. Nicht zuletzt wurde dies
durch den Brief von 10 mittelost- und osteuropäischen Staatschefs zur
Unterstützung der Irakpolitik Bushs demonstiert, der vor kurzem auf den "Brief der
acht " (Tony Blair, Silvio Berlusconi, José Maria Aznar..) folgte. Der
NATO-Gipfel im Dezember 2002 in Prag untermalte die künftige Ausrichtung der NATO
auf die US-Politik. Die geplante Eingreiftruppe der NATO (Response Force)
etwa entzog dem Plan der Europäer, über eigene Eingreifftrupps zu
verfügen, den Boden unter den Füßen. Zugleich wurde die künftige Response Force,
aufgrund der konkreten Planungsvorgaben, hinter vorgehaltener Hand als
"Fremdenlegion für das Pentagon" (zitiert nach New York Times)
bezeichnet.

Daher wünschen die beiden einflussreichsten kontinentaleuropäischen
NATO-Staaten, aber auch das benachbarte Russland, jetzt eine veränderte
Austarierung der Machtgleichgewichte herbei zu führen.

Nicht zuletzt hat das Agieren der kontinentaleuropäischen Staatschefs
auch handfeste innenpolitische Gründe. Einerseits lehnen die nationalen
öffentlichen Meinungen jeweils mit deutlicher Mehrheit den drohenden
Krieg im Irak ab - allerdings auch deswegen in Proportionen um die 70
Prozent, weil bisher - anders als 1990/91 - kein enormer medialer Druck
zugunsten der Kriegspropaganda entfaltet worden ist.

Andererseits sind mehrere der beteiligten Regierungen innenpolitisch
derart angeschlagen, dass sie eine verstärkte Legitimierung ihres
Handelns durch ein vermeintlich konsequentes Eintreten gegen einen
(bisher unpopulären) Krieg auf jeden Fall gebrauchen können. Auch
eine außenpolitische stärkere Abgrenzung von den USA und ihren "unverschämten Forderungen",
die als Projektionsfläche für gesellschaftliche Frustrationen und für
(in dem Fall billig erkaufte) Vorstellungen von "Widerstand gegen die Mächtigen"
herhalten können, kommt dabei nicht unwillkommen. Dabei mischen sich in
der öffentlichen Wahrnehmung wahrscheinlich in hohem Maße berechtigte
Motive (Ablehnung eines bisher als kaum gerechtfertigt erscheinenden
Krieges, ein - oftmals noch unbewusster und diese Begrifflichkeit nicht
benutzender - "spontaner Antiimperialismus") mit weit weniger legitimen
oder progressiven Elementen (Nationalismus oder Chauvinismus,
Projektionen sozialer Wut auf die alleinigen USA). Mit dieser verwischten
Gemengelage müssen wiederum Linke und Kriegsgegner Politik machen, ohne
die auch problematischen Elemente dabei zu übersehen.

Die französische Staatsführung beispielsweise kann eine solche
Initiative gut gebrauchen: Präsident Chirac wurde am 21. April 2002, im ersten
Wahlgang der Präsidentschaftswahl, von nur gut 19 Prozent derer, die eine
gültige Stimme abgaben, gewählt. Das macht etwas mehr als 5 Millionen
Stimmen aus - bei 60 Millionen EinwohnerInnen des Landes und gut 40 Millionen
Wahlberechtigten. Noch nie in der Geschichte des Landes hatte ein
amtierender Staatpräsident, der zu seiner Wiederwahl antrat, ein
dermaßen schlechtes Ergebnis im ersten Wahlgang eingefahren. In der Stichwahl der
zweiten Runde kam Jacques Chirac dann mit einem quasi "sowjetisch"
anmutenden Wahlergebnis von 82,3 Prozent durch - aber nur mit den Stimmen
von vier Fünfteln seiner linken GegnerInnen und deswegen, weil ihm
gegenüber der Neo- bzw. Altfaschist Jean-Marie Le Pen als einziger Kandidat im
Rennen blieb. Die daraus resultierende politische Legitimität ist
brüchig und anfällig. Bei der nachfolgenden Parlamentswahl im Juni
2002 kam die bürgerliche Rechte vor allem aufgrund der hohen
Wahlenthaltung - von 40 Prozent im zweiten Durchgang - durch, weil die
etablierten Linksparteien nach den Ereignissen im April, und dem
Rückzug Lionel Jospins aus der Politik, bereits schwer angeschlagen
waren. Auf größere soziale Konflikte
sollten sich die regierenden Konservativen mit einer solchen
Legitimationsbasis daher besser nicht einlassen.

Chirac versucht nun an eine spezifisch französische Politiktradition
anzuknüpfen, nämlich die Rolle, die Präsident Charles de Gaulle in
den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts auf der internationalen Bühne zu spielen
versuchte - mit der berühmten "Rede von Phnom Penh" (der Hauptstadt
Kambodschas) von 1966 als einem ihrer Höhepunkte. Der damalige Chef
einer konservativen, antikommunistischen Regierung schlüpfte damals auf
internationaler Ebene in die Rolle dessen, der unabhängig von den USA,
ja als ihr Herausforderer auftritt und auf Äquidistanz (gleichem
Abstand) zwischen Washington und Moskau bleibt. Das stimmte zwar nicht
völlig - in der Kubakrise 1961 hatte de Gaulle die vom US-Botschafter
vorlegten Fotos vom Tisch gewischt mit der Anmerkung, er glaube den USA
auch ohne Beweise auf's Wort und stehe im Kriegsfall auf ihrer Seite.

Doch dieses Auftreten erfüllte einen Zweck: In der Ära der
kontrollierten Entkolonialisierung - als Frankreich viele seiner ehemaligen afrikanischen
(und asiatischen) Kolonien in die Unabhängigkeit "entließ", wie
es so schön hieß - wurde die neokoloniale Kontrolle über diese Länder in die
Hände von "einheimischen" Eliten in ihren jeweiligen Hauptstädte gelegt.
Viele von ihnen fühlten sich vor allem in der Anfangsphase als
Modernisierungseliten, die zu einem politischen Aufbruch berufen seien - auch wenn v.a. die
Staaten des frankophonen Afrika später vor allem durch ultra-korrupte
und sich selbst bereichernde Diktaturen geprägt sein sollten. Oft
hatten Teile von ihnen auch gewisse Sympathien für den
realsozialistischen "Block", der ihnen
einen alternativen Entwicklungsweg mit einer besonderen Rolle des
Staatssektors anbot. Deswegen erfüllte das Auftreten des Präsidenten
de Gaulle, das von manchen Analytikern als "internationaler
Bonapartismus" bezeichnet wurde (aufgrund mancher verwandter Züge:
ein Auftreten als " über den Klassen und Interessen schwebend", oder Personalisierung der
Politik in Gestalt einer Führungsfigur, die als "Schiedsrichter" zwischen
widerstreitenden Interessen gilt...) einen Zweck. Nämlich den,
Frankreich als "Partner" - der auch unabhängig von der
dominierenden kapitalistischen Macht aufzutreten vermochte, die zugleich im Vietnamkrieg
für Repression gegen die Aufbruchbestrebungen der "Dritten Welt" stand - zu
profilieren. Dazu zählte auch die spätgaullistische politique arabe.

Allerdings ist Chirac eher die Karikatur eines Charles de Gaulle, denn
dessen Wiedergänger. Und während de Gaulle im Jahr 1966 aus dem
militärischen Verbund der NATO (nicht aus allen politischen Strukturen)
herausführte, hat Jacques Chirac Frankreich ab Ende 1995 zurück in
die NATO integriert. Ferner hat Frankreich heute nicht mehr dasselbe Gewicht wie
damals, angesichts des EU-Integrationsprozesses und den seit seiner
Hochphase als Kolonialmacht vergangenen Jahrzehnten. Dennoch würde
Chirac gern für sich ein wenig vom Abglanz der de Gaulle'schen
Politik nutzen, um den (innen-)politischen Mehrwert einzustreichen.

Und die französische Antikriegs-Bewegung?

Ein ("moderater") Teil der eher pazifistisch orientierten Kräfte
gibt Chirac im Moment - gegenüber der US-Administration Bush - eher noch
Rückendeckung.
So fordert die traditionelle Friedensorganisation aus dem KP-Umfeld, der
Mouvement de la paix (wörtlich: "Friedensbewegung"), Chirac eher
wohlwollend dazu auf, Frankreich solle im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen eine
eventuelle neue Resolution - nach der Resolution 1441 vom 08. November
2002, welche die Grundlagen für die Inspektionen darstellt - einlegen.
Ähnliche Positionen werden auch von katholischen Friedens- oder
Solidaritätsgruppen geteilt. - Dabei ist freilich derzeit gar nicht
sicher, ob die US-Führung nach einer erneuten Resolution als
Ermächtigungsgrundlage für einen Krieg
strebt. Die Antwort auf diese taktische Frage wird sicherlich stark von
ihrer vorherigen Einschätzung des Kräfteverhältnisses im
UN-Sicherheitsrat abhängen. Ohne erneute Abstimmung im UN-Sicherheitsrat wird freilich das
Legitimationsproblem der US-amerikanischen und britischen Regierung vor
der internationalen Öffentlichkeit vergrößert werden.

Übrigens fordert auch der Parti socialiste (PS), also die französische
Sozialdemokratie, derzeit die Rechtsregierung zum Einlegen des
französischen Vetos - im Falle der Abstimmung einer direkt zur Kriegführung
ermächtigenden Resolution - auf. Insgesamt teilt sie überwiegend die Linie einer
Mehrheit innerhalb des Rechtsblocks, wonach "derzeit" und beim
"jetzigen Stand der Dinge" gegen einen Krieg Stellung zu beziehen sei, und stattdessen auf
die Waffeninspektionen und den "1441er Prozess" (die Umsetzung der
oben zitierten UN-Resolution, die freilich unter Umständen zur
Legitimierung eines Krieges herangezogen werden wird können) zu setzen.
Dies fordert auch die Mehrheit der Konservativen, wobei sie allerdings auch immer klar
dazusetzt, dass "der Einsatz von Gewalt als letztes Mittel" auf
keinen Fall ausgeschlossen werden dürfe. Hingegen gibt es zwei
Minderheitsfraktionen auf der politischen Rechten. Auf der einen Seite fordern der
wirtschaftsliberale Politiker und Berlusconi-Fan Alain Madelin und seine
ultraliberalen Freunde, "zwischen Bush und Saddam Hussein" zu
wählen, und nehmen eine klar pro-amerikanische Position ein. Auf der
anderen Seite gibt es eine Lobby der irakischen Diktatur sowohl innerhalb
der Konservativen (etwa mit dem Abgeordneten Thierry Mariani, der im
September 2002 in Bagdad war) als auch bei den Neofaschisten. Sie fordern
eine Positionierung Frankreichs auf Seiten des irakischen Regimes -
freilich nicht aus pazifistischen Gründen, sondern, weil Frankreich
hier über eine eigene Einflusszone verfüge und seine geostrategischen
Interessen behaupten müsse.

Kommen wir zu angenehmeren Gefilden: Der linke Flügel der
Friedensbewegung lehnte, und lehnt noch immer, das "Vertrauen auf
Chirac" ab. Man bezieht sich auch nicht auf UN-Resolutionen und
bestehende internationale Institutionen, da deren Politik ohnehin nur
herrschende Interessen - oder eine Kombination aus verschiedenen
herrschenden Interessen - widerspiegele. Man denunziert stattdessen auch
Frankreichs eigene Rolle auf dem afrikanischen Kontinent, oder thematisierte die brutale Kriegführung in
Tschetschenien während des Putin-Besuchs im Pariser Rathaus am Montag
dieser Woche. Nur die internationale Mobilisierung von Demonstrationen und ggf.
Streiks könne als taugliches Mittel einer Antikriegspolitik forciert werden.
Niemand in diesem Spektrum solidarisiert sich unterdessen mit der
herrschenden irakischen Diktatur. Wobei allerdings eine Komponente (SPEB,
siehe unten) dafür ist, diese weniger stark zu thematisieren - im Namen
einer bestimmten Idee von Bündnispolitik gegenüber der arabischen
Immigration - , während andere Teile eher die frühere Waffenbrüderschaft
Frankreichs, aber auch der USA mit der irakischen Diktatur, etwa zum
Zeitpunkt des Massakers von Halabja, denunzieren.

Dieses Spektrum widerspiegelt sich vor allem in den
"Anti-Kriegs-Kollektiven", die bereits in einem halben Dutzend Pariser
Bezirken, in ebenso vielen Universitäten des Großraums Paris und in
mehreren Vor- und Trabantenstädten der Capitale entstanden sind. Hier finden
sich - neben Einzelpersonen - an organisierten Kräften vor allem
Anarchokommunisten und libertäre Kommunisten (Alternative liberataire), der undogmatische
Teil der französischen Trotzkisten (die Ligue Communiste Révolutionnaire,
LCR), die Fédération anarchiste, die französische Linksruck-Variante
(SPEB oder Socialisme par en bas, "Sozialismus von unten"), internationalistische
Kräfte wie etwa lateinamerikanische Linke, diverse GewerkschafterInnen
und auch Personen aus dem KP-Umfeld. Die KP selbst ist tendenziell
zwischen dieser Position, und der eher auf Chirac vertrauenden, oben
zitierten Position hin- und hergerissen.

Auch soziale Bewegungen wie etwa die kämpferische Wohnrauminitiative DAL
(Droit au logement), in deren Pariser Lokal sich die
Koordinierungsstruktur der Anti-Kriegs-Komitees des Großraums Paris
trifft, sind eng mit diesem linkeren Teil der Anti-Kriegs-Bewegung
verflochten.

Deutlich rechts von dieser "aktivistischen" Basis des
Antikriegs-Spektrums bemüht sich seit dem 13. Januar 03 die patriotische Wochenzeitschrift
Marianne um Einflussnahme. Sie steht dem linksnationalistischen und
EU-skeptischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Chevènement
nahe, der zwischen 1997 und 2000 als Innenminister amtierte. Mit einem eigenen
Aufruf versucht Marianne vom 13.01. jetzt, eine "die
Links-Rechts-Spaltung überwindende und klassenübergreifende"
Mobilisierung zu entfachen. Hier
unterstützt man ebenfalls die Forderung nach einem französischen Veto
im UN-Sicherheitsrat gegen eine Kriegsresolution zugunsten Bushs, und
fordert ferner einen demokratischen Regimewechsel im Irak und die
Bekämpfung des Terrorismus. Man kann indirekt aus dem - humanistisch
gehaltenen -Aufruftext schließen, dass nach Ansicht der Unterzeichner
eben Frankreichs Interessen bei einem allfälligen Regimewechsel im Irak
nicht zu kurz kommen sollen.

Auf der Grundlage ihres Aufrufs versucht Marianne, auch Teile der
politischen Rechten in die Antikriegsmobilisierungen einzubeziehen.
Dafür konnte sie auch bis Ende Januar beispielsweise 10 Parlamentarier
der konservativen Rechten gewinnen. Der sozialdemokratische
gewerkschaftliche Dachverband CFDT und mehrere Polizeigewerkschaften
unterstützen ebenfalls die Marianne-Idee. Anlässlich der
Mobilisierung zum internationalen Demonstrationstag werden mehrere
(nationale oder Europaparlaments-)Abgeordnete dieses Spektrums unterstützen, vom
neoliberalen Grünen Daniel Cohn-Bendit bis hin zum rechtskatholischen
Nationalisten Graf Philippe de Villiers.

Im linken Basisteil der Antikriegsbewegung wird jener rechte Flügel
weniger als zu unterstützender Faktor denn als politischer Konkurrent gesehen.
Im Hinblick auf den 15. Februar soll daher eine möglichst starke, von
Regierung und Nationalisten unabhängige Mobilisierung erzielt werden. Der
ideologische Einfluss von Nationalisten oder Unterstützern der französischen
Regierung solle damit so weit wie möglich zurückgedrängt werden. Zugleich soll
möglichst versucht werden, drängende soziale Bedürfnisse mit der
Frage des Krieges zu verbinden, nachdem bereits in den LehrerInnen-Demonstrationen
vom 17. Oktober 2002 "Geld für die Schulen statt für Rüstung"
gefordert worden war. Auf diese Weise soll die gesellschaftliche Mobilisierung noch
verbreitert, und inhaltlich vertieft werden. Ein Aufruf von
GewerkschafterInnen, der aus diesem Spektrum lanciert worden war, trägt
bereits mehrere hundert Unterschriften aus CGT, CFDT, FO, den
SUD-Gewerkschaften und der Lehrerorganisation FSU, wobei es allerdings
mitunter Blockaden aus den Apparaten gibt - da letztere sich oftmals eher
hinter die Forderung nach einem französischen Veto im UN-Sicherheitsrat
stellen.

Am Abend des Samstag, 15. Februar sowie am Vormittag des darauffolgenden
Sonntags soll jetzt - nach einer Koordination der Pariser Region - auch
eine landesweite Koordination der Anti-Kriegs-Komitees gegründet
werden. Denn zur nationalen Demonstration in Paris werden zahlreiche Busse aus den
Städten der "Provinz" erwartet, deren Insassen dann zu den
Gründungssitzungen bleiben sollen. Dafür wurden Säale in einem
Eisenbahner-Wohnheim im 12. Pariser Bezirk reserviert. Ein arbeitsreiches
(und möglicherweise schlafarmes), aber spannendes Wochenende zeichnet
sich ab.

Zugleich dürfte die Demonstration vom Samstag auch quantitativ
bedeutender werden als jene vom 16. November (gut 6.000 Demonstrierende
in Paris), 14. Dezember (5.000 in Paris) und 18. Januar (gut 10.000).

Der Vollständigkeit halber erwähnt seien auch noch die Umtriebe des
"Parti du travailleurs" PT, einer autoritären, dogmatisch-trotzkistisch
auftretenden Politsekte, die oftmals verdeckt agiert. Im Oktober 2002
gelang es ihr zunächst anscheinend, das Heft in der Antikriegsbewegung
an sich zu reißen. Da die PT-Leute als zeitlich erste den Aufruf aus
den USA "Not in our name" ins Französisch übersetzt hatten, konnten sie damit zunächst
unerkannt Unterschriften - etwa aus dem Bereich der Künstler und Intellektuellen - für
ihre alleinigen Aktivitäten sammeln. Damit drohte eine Verwirrung oder
gar schwere Diskreditierung geschaffen zu werden. Mittlerweile hat sich
die Politsekte aber ausmanövriert, mobilisiert aber ihre "Truppen"
stark zu den Antikriegsdemonstrationen, während sie eher ansonsten selten unter ihrem
eigenen Namen auf der Straße auftritt. Derzeit bildet sie einen
lästigen Störfaktor, aber kein weiteres Risiko.

Bernhard Schmid, Paris
12. Februar 2003

 

15.02.2003
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