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Die Bagdad-Connection

In den achtziger Jahren verdiente die deutsche Industrie gut an der
Aufrüstung des Irak. Um das Geschäft wieder aufnehmen zu können,
fordert ihr Lobbyverband BDI politische Unterstützung.

Von Hans Branscheidt


"Es ist nicht ungefährlich, was die Deutschen da gebaut haben",
erklärte Haschim, "die Hauptwindrichtung geht auf Bagdad, daher die
Maulwurfstätigkeit und die Batterien der SA 2-Luftabwehrraketen, die
du überall hier siehst. Dazu die Gebäudeattrappen, die angreifende
iranische Flugzeuge irreleiten sollen. Ob eure Techniker das alles
übersehen haben?"

1988, in der letzten Phase des ersten Golfkrieges, fuhr ich mit Haschims
Hilfe in das Sperrgebiet von Samarra. Fotografieren war überall streng
verboten. Draußen in der Wüste, 30 Kilometer vom Stadtzentrum
entfernt und weitläufig eingezäunt, hatten die Iraker in den SEPP
genannten Komplexen Ahmed I und Ahmed II ihre Anlagen zur Herstellung
chemischer Kampfstoffe errichtet.

Auch an Sicherungsmaßnahmen gegen Luftangriffe des Kriegsgegners Iran
dachten die Ingenieure. "Einen wesentlichen Teil der 45
Quadratkilometer großen Fabrik haben sie unter die Erde verlegt, dazu
gehören die automatischen Abfüllanlagen für die Konfektionierung
in Granaten und Bombenkanister, aufgeteilt auf mehrere voneinander
getrennte Produktionsstraßen." Haschim hielt diese Maßnahmen nicht
für ausreichend: "Sicher ist das trotzdem nicht. Die Iraner haben
längst Bomben, deren Sprengkraft bis in 30 Meter Tiefe reicht. Treffen
sie gezielt, entweichen die Giftstoffe in großen Mengen und bedrohen
die Bevölkerung Bagdads."

Die westdeutschen Techniker und ihre geschäftsführenden
Auftraggeber, die selber gar nicht bestreiten, hier aktiv geworden zu
sein, wollen dennoch nicht bemerkt haben, dass sie an einer
militärischen Anlage arbeiteten. "Sie waren zu Dutzenden hier",
bemerkte Haschim, "und ich war 1984 einer der Zuständigen für ihre
Abschirmung." Der deutschsprachige Haschim erinnerte sich genau an
"Herrn Michael Fraenzel, den Bagdader Büroleiter der Firma Kolb /
Pilot Plant", und er ist mit sichtlichem Vergnügen imstande, den
südhessischen Dialekt von Ewald G. aus Großwallstadt nachzuahmen,
der für die Firma Hammer aus Kleinostheim bei Aschaffenburg hier
beschäftigt war.

Dessen volle Identität teilte ich der zuständigen Staatsanwaltschaft
Darmstadt mit. Doch das Interesse der deutschen Justiz an einer
Verfolgung der Todeshändler war damals nicht größer als heute. Sie
waren anerkannte Geschäftsleute in einer Bundesrepublik, deren
oberstes wirtschaftliches Credo lautete, dass jeder Export erlaubt ist.
In den achtziger Jahren wurde die noch geteilte Republik zum größten
Exporteur der Welt und rangierte auf dieser Skala vor den USA und Japan.
Nur die Ausfuhr von Rüstung und sensibler Elektronik, von Nuklear- und
kriegswaffentauglicher Chemietechnologie war untersagt oder musste extra
genehmigt werden.

Zwar war diese Verbotsliste umfangreich, aber die Praxis galt als
äußerst liberal. Die 75 000 pro Jahr beim Bundesamt für Wirtschaft
in Eschborn eingehenden Anträge wurden von weniger als 70
Beschäftigten bearbeitet. Und der Kommentar zum
Außenwirtschaftsgesetz stellte großzügig fest, dieses sei "im
Zweifelsfall zugunsten des Freiheitsprinzips" auszulegen. Um
unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden, ließ die Bundesregierung die
"Angaben zu Rüstungsexporten auf ein begrenztes Maß an
Publizität" beschränken. Der damalige Staatssekretär Ludolf von
Wartenberg, im Jahre 02 im Bundesverband der deutschen Industrie (BDI)
erneut für das Irak-Geschäft zuständig, betonte 1988
ausdrücklich: "Die Veröffentlichung von Ausfuhrwerten nach
Empfängerländern kommt nicht in Betracht."

Für solche Restriktionen gab es gute Gründe. Ende 1980, kurz nach
Beginn des ersten Golfkrieges, warf die iranische Regierung dem Irak
erstmals den Einsatz von Giftgas vor. Nach Angaben des schwedischen
Forschungsinstituts Sipri ist es allein in den Jahren 1980 bis 1984 etwa
140 Mal zu Giftgaseinsätzen Iraks gegen iranische Truppen gekommen,
die schließlich 1986 erstmals vom UN-Sicherheitsrat als solche
festgestellt und verurteilt wurden.

Im Juli 1988 gestand der damalige irakische Außenminister Tariq Aziz
diese Tatsache explizit ein. Abgelegt wurde das Geständnis am
geeignetsten Ort, auf einer Pressekonferenz in Bonn, wo diese Mitteilung
mit einer beachtlichen Gratifikation honoriert wurde. Aus "einer
Hermes-Bürgschaft über 300 Millionen Mark . (wurde) ihm die letzte
Rate erlassen" (1). Die hoch defizitäre irakische Kriegsindustrie
sollte zwecks Fortsetzung des blutigen Geschäfts spürbar entlastet
werden.

Unmittelbar nach der Rückkehr von Aziz aus Bonn wurde der chemische
Krieg gegen iranische Truppen ergänzt durch dieselbe Kriegsführung
gegen die im Irak lebenden Kurden. Erst nach der chemischen Vernichtung
Halabjas im Jahre 1988, nach massiven iranischen, israelischen und
US-amerikanischen Protesten bequemte sich die Bundesregierung, den
Bundestag über "den Stand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
wegen des Verdachts der Ausfuhr von Ausrüstungsteilen zur Produktion
chemischer Kampfstoffe im Irak" zu unterrichten.

Nicht mehr zu leugnen war nämlich die 1984 bereits in der New York
Times erschienene Meldung, dass zwei deutsche Unternehmen, die Firmen
Karl Kolb und deren Tochter Pilot Plant (Frankfurt), Laboranlagen
geliefert hätten, die zur Herstellung der verwendeten toxischen
Kampfmittel geeignet seien. Gegen den 1987 ausgesprochenen
"Genehmigungsvorbehalt" in Sachen Kolb klagte die Firma vor einem
hessischen Gericht - und bekam Recht. So konnte auch die finale
Lieferung an den Irak noch durchgeführt werden.

Hitler-Reden als Kundenservice

Zeichnet man die inzwischen gut dokumentierten Grundzüge der
deutsch-irakischen Giftgasproduktion nach, so beginnt deren Geschichte
Anfang der achtziger Jahre mit der Errichtung des SEPP-Chemiekomplexes
innerhalb einer riesigen Sperrzone von 160 Quadratkilometern. Nach
offiziellen irakischen Angaben diente die gewaltige Anlage mit 40
Kilometern Straßen und Hunderten von Gebäuden der Herstellung von
Pestiziden, ausgerechnet für die im Krieg niedergegangene
Dattelkultivierung.

Beteiligt am Aufbau des Kombinats waren die deutschen Firmen Preussag,
Heriger, Hammer und Rhein-Bayern sowie die notorische Firma Kolb. Hinzu
kam ein weiteres unverzichtbares Unternehmen, das unter den Buchstaben
W.E.T. ins Handelsregister Hamburg eingetragen war. Es gehörte
handelsrechtlich einem irakischen Beamten und einem Mitglied des
Bundesnachrichtendienstes.

Dass von Pestiziden nur zur Tarnung die Rede war, ergibt sich unter
anderem aus der Lieferung "einer Gaskammer, in der auch die Wirkung
von chemischen Kampfstoffen an Hunden und Katzen überprüft werden
kann" (2) durch Kolb/Pilot Plant nach Bagdad. Über die Firma
Rhein-Bayern, die Speziallabors für Lkw lieferte, berichtete der
stern: "Für Kunden aus dem Irak hat der Eigentümer Anton Eyerle
eine Überraschung vorbereitet, aus einem originalen Volksempfänger
dröhnen die Reden von Adolf Hitler. Für Eyerle (...) findet der
Kampf ums Vaterland in der Golfregion statt." Allein Eyerles
Jahresumsatz in diesen Geschäften lag bei 30 Millionen Mark. Dieselbe
Ausgabe des stern erwähnt eine weitere brisante Lieferung:
"Rhein-Bayern lieferte via Kolb acht mobile toxikologische
Labors", nämlich Chemielabors in sandfarbenen Magirus-Iveco-Lkw. Der
Chemiewaffenexperte Adolf-Henning Frucht charakterisierte die Gefährte
später so: "Dieses Gerät ist hervorragend geeignet, um taktische
Gemische von verschiedenen chemischen Kampfstoffen bestimmen zu
können."

Außer dem Komplex nahe Samarra entstand ab 1985 die zweitgrößte
irakische Giftstofffabrikation bei Falluja, südwestlich von Bagdad.
Auftragsnehmer bei einem Volumen von Millionen Mark war auch in
diesem Fall die Hamburger Firma W.E.T., die in enger
deutsch-französischer Kooperation das Irak-Geschäft betrieb. Ein
weiteres militärisches Primärprojekt des Ba'ath-Regimes wurde unter
der Code-Bezeichnung SAAD 16 in der Nähe von Mossul errichtet und
fungierte als Schwerpunkt für die Raketentechnologie. Die
Treibsätze, die hier entwickelt wurden, sollten den Bau von Raketen
mit großer Reichweite und dreifacher Schallgeschwindigkeit
ermöglichen.

Gleichzeitig war man hier mit der Frage beschäftigt, wie es möglich
sei, die Raketenköpfe mit tödlichen Nervengasen und
bakteriologischen Stoffen zu bestücken. Der Bau der Anlage, deren weit
reichende Massenvernichtungskraft ausdrücklich für den
"zionistischen Feind Israel" bestimmt war, geriet fast
ausschließich zum Werk deutscher Firmen. Generalunternehmer für den
Gesamtkomplex war die Gildemeister Protecta, eine Tochterfirma des
gleichnamigen Bielefelder Werkzeugmaschinenherstellers. Weiter engagiert
waren die Firmen MBB, Karl Kolb, Schneck und Integral Sauer.

Auch die eigentliche Endfertigungsstätte für den irakischen
Raketenbau, die südlich von Bagdad bei Mahmudiya lag, wurde mit
deutscher Beteiligung errichtet. Unter der Leitung des
Consen-Subunternehmers Fenneberg wurden ab August 1987 die drei
Anlagenkomplexe in Tag- und Nachtarbeit von 7 500 Arbeitsmigranten aus
Indien und Pakistan errichtet. Siemens lieferte für das Raketenwerk
die Schaltanlagen und Transformatoren. Genau hier entstanden mit
substanzieller deutscher Hilfe auch jene Raketen, deren mit Giftgas
gefüllte Köpfe später auf das Ziel Tel Aviv ausgerichtet werden
sollten.

Für die deutsche Rüstungsindustrie war dies nicht nur ein
gigantisches Geschäft, das potenziell den Zugriff auf irakische
Devisenreserven in Höhe von 30 Milliarden Dollar versprach. Es war
zugleich auch die Lehrzeit für die Kultivierung aller späteren
deutschen Camouflagen, an Exportverboten vorbei ungehindert tödliches
Gerät in alle Welt liefern zu können. Am Beispiel Irak probten die
Deutschen das Verfahren, Rüstungsgüter prinzipiell als zivile Waren
zu deklarieren. Mit Hilfe des diskreten Kunden Saddam Hussein gelang
eine umfassende militärische Kooperation zwischen Deutschland und
Irak, die ganz besonders auch die Elaborierung und Produktion moderner
Massenvernichtungsmittel umfasste.

Erst Anfang 1990 nahm eine der im Bundestag vertretenen Parteien die
Sache immerhin so ernst, um den nahe liegenden Gedanken an einen
parlamentarischen Untersuchungsauschuss zu erwägen. Unmittelbarer
Anlass war den Grünen der äußerst lückenhafte "Bericht über
die Ausfuhren in den Irak", den der damalige Bundeswirtschaftsminister
Jürgen W. Möllemann dem Parlament übergeben hatte. Möllemanns
"Irak-Bericht", Aktenzeichen AZ V B4-296-92-VS, war als
Verschlusssache klassifiziert und daher nur wenigen Parlamentariern
bekannt. Auf 64 Seiten hatten Beamte des Wirtschaftsministeriums unter
Möllemanns kundiger Aufsicht - er fungierte in der zu untersuchenden
Periode des Waffentransfers als Staatsminister im Auswärtigen Amt -
vornehmlich bereits bekannte Informationen aufbereitet.

Dabei musste allein schon das Volumen der genehmigten Exporte stutzig
machen, sowie dass sie während der gesamten Dauer des
irakisch-iranischen Kriegs erfolgt sind und damit in die Amtsperiode von
drei FDP-Wirtschaftsministern fallen: Otto Graf Lambsdorff, Martin
Bangemann und Helmut Haussmann. Die genehmigten Exporte umfassten unter
anderem 111 militärisch einsetzbare Lkw, Computerelektronik, Radar und
Chiffriergeräte, Waffen und Munition. Der neutralisierte Report
widerlegte nicht zuletzt die ständige Beteuerung Möllemanns, die
Regierung habe zwischen 1981 und 1990 keinem Export von Kriegswaffen in
den Irak zugestimmt.

Im Zweifel zugunsten der Exportbilanz

Auf Seite 19 des Berichts steht: "Entsprechend den
rüstungsexportpolitischen Grundsätzen hat die Bundesregierung bei
der Genehmigungserteilung für Zulieferung ins Partnerland (gemeint
ist: das Transferland Frankreich) dem Kooperationsinteresse Vorrang
eingeräumt." Im Klartext: Dem Münchner Rüstungsunternehmen wurde
die Lieferung von Lenkwaffenteilen nach Frankreich gestattet, die von
der hier ansässigen Firma Euromissile, die zu 50 Prozent MBB
gehörte, dann als komplettierte Waffensysteme in den Irak verschifft
wurden. Derart wurden aus Deutschland via Frankreich in den Irak
geliefert: 133 Flugabwehrraketen-Systeme Roland mit 4 250 Raketen, 262
Startanlagen der Panzerabwehrwaffen HOT mit 10 953 Raketen und 372
Startanlagen der Panzerabwehrwaffen Milan mit 12 386 Raketen.

Ein Arsenal zur Führung kompletter Schlachten. Und ein frühes
Zeichen des deutsch-französischen "Schulterschlusses" in Sachen
Irak, von dem Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Zeit so sehr
schwärmt. Jacques Chirac war damals selber unmittelbar im
Irak-Geschäft tätig, er lieferte dem Ba'ath-Regime hochwertige
Nukleartechnologie.

Sensationell las sich schließlich die Seite 22, wo die Beteiligung der
nicht wegzudenkenden Firma Kolb/Pilot Plant am Aufbau des irakischen
C-Waffenprogramms referiert wird. Explizit bestätigt der Bericht, dass
die Regierung Deutschlands schon 1982 erste Hinweise auf die Beteiligung
bundesrepublikanischer Unternehmen an diesem Komplex besaß. Statt
unverzüglich eine genaue Außenwirtschaftsprüfung vorzunehmen,
schlug sie nun "informelle Gespräche" mit den Vertretern der Firma
vor.

Im Möllemann-Bericht heißt es bitter: "USA und Israel bleiben
weiterhin von einer Beteiligung deutscher Firmen an der irakischen
Giftgasproduktion überzeugt und berichteten mehrfach über ihnen
vorliegende Erkenntnisse." Erst ein Jahr nach der vollen Aufnahme der
Chemiewaffenproduktion in Samarra leitete die Staatsanwaltschaft
Darmstadt im November 1987 ein Ermittlungsverfahren gegen Kolb ein.
Trotzdem erklärte Wirtschaftsminister Bangemann noch im Dezember 1987,
die Anlagen von Kolb seien "nicht zur Herstellung chemischer Waffen
geeignet". Wie mangelhaft die Bonner Maßnahmen waren, belegt sogar
der Bericht Möllemanns auf Seite 29 mit der beiläufigen Information,
dass die Firma Kolb 1988/89 damit begonnen hatte, an der neuen
Chemiewaffenproduktion in Falluja mitzuarbeiten - dem Dossier zufolge
eine weitere Fertigungsanlage, die "moderner noch und
funktionsfähiger als in Samarra konzipiert" sei.

Auf der Seite 29 des Reports war schließlich auch zu erfahren, auf
welche Art die immer mehr unter Druck geratende Bundesregierung ihre
angebliche Ahnungslosigkeit zu erklären suchte, wenn ausgeführt
wird, dass das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung 1989 der
Darmstädter Staatsanwaltschaft "leider" keine Amtshilfe leisten
konnte, weil es "über keine Wissenschaftler oder Fachleute zur
Beurteilung derartiger Chemieanlagen oder Fertigungsanlagen
verfügte". Man log wie Saddam: Entwickeln konnte man, liefern auch,
und im Irak mit deutschen Technikern auch alles installieren. Nur
"beurteilen" konnte man nicht, was man tat.

Gezwungenermaßen beschäftige sich der Bericht Möllemanns auch mit
dem Wirken der dubiosen Firma W.E.T. in Hamburg, die von Eingeweihten
als Tarnunternehmen des Bundesnachrichtendienstes begriffen wurde. Ihre
Gründung fiel in die Zeit, als der heutige heftige Gegner einer
US-Intervention, Klaus Kinkel (FDP), Herr des Dienstes war. W.E.T. soll
"nach hier vorliegenden Erkenntnissen" Mitte der achtziger Jahre an
"biotechnischen Exporten in den Irak" beteiligt gewesen sein.

Seit März 1990 lagen dem Hause Möllemann nach eigenem
Eingeständnis noch weit mehr Hinweise auf die entscheidende Mitwirkung
Deutscher an der Elaboration von biologischen Kampfstoffen vor. Von den
Toxinen Botulinus A und B ist offen die Rede. Welcher Art die
"Erkenntnisse" sind, verschweigt der Bericht. Er geht auch nicht auf
die Behauptungen ein, dass ein BND-Mitarbeiter aktiv an den
Machenschaften der W.E.T. teilgenommen habe. Dagegen aber macht der
Report deutlich, dass der Irak mit deutsch-französischer Beteiligung
in die Lage versetzt worden ist, den Entwicklungszeitraum zur
Herstellung von Atomwaffen von zehn auf fünf Jahre zu verkürzen.

Für nicht zur weiteren Behandlung geeignet erachtete man die offene
Frage, weshalb die Bielefelder Firma Gildemeister bis 1989 an der
Fertigstellung des Militärprojekts SAAD 16 in Mossul mitarbeiten
durfte, obwohl dem Bonner Wirtschaftsministerium seit 1981 vage, seit
1982 konkrete Erkenntnisse über die Errichtung des militärischen
Raketenkomplexes mit deutscher Beihilfe vorlagen. Die Firma Havert hatte
für ihre diesbezüglichen Exporte sogar aus Steuergeldern eine
Hermes-Bürgschaft in Höhe von 2,4 Millionen Mark erhalten. Erst
später gab man zu, dass das Geschäft besonders konstruierte
Bestandteile von Raketen betraf.

Während Möllemanns Dossier mehr oder minder geschickt jede
Regierungsverantwortung für Giftgasexporte leugnete, äußerten sich
Vertreter der beteiligten Firmen gelegentlich mit zynischer Offenheit.
Die Darmstädter Verfahren, in denen am Ende nur geringe
Ordnungswidrigkeitsstrafen verhängt wurden, kommentierte der
Kolb-Geschäftsführer Dieter Backfisch: "Für die Leute in
Deutschland ist Giftgas eine ganz furchtbare Sache, Kunden im Ausland
stört das nicht" (3). Heute gilt dieser Satz wohl eher umgekehrt.

"Die deutschen Todeskrämer lieferten den technischen Sachverstand
und Material für die Produktion von Giftgas an den Irak, an Syrien und
Libyen", schrieb William Safire 1989 in der New York Times. "Dabei
sollte man erwarten, dass die gegenwärtige Generation von Deutschen,
die sich der Schuld ihrer Väter am Vergasen von Millionen Menschen vor
gar nicht so langer Zeit bewusst sein sollten, besonders empfindlich auf
die Möglichkeit reagieren würde, Deutsche könnten einem
terroristischen Diktator beim Gasmord in irgendeiner Weise helfen."
Der Fall des Irak beweist aber, dass die Deutschen sich erneut
entschlossen, den Massenmord zum Produktionsziel zu erklären, nachdem
sie zuvor im Ersten Weltkrieg im belgischen Ypern und später in
Auschwitz als Vergasende tätig geworden waren.

Nicht zu leugnen war auch die rege und äußerst lukrative Beteiligung
der Deutschen Demokratischen Republik an der Aufrüstung des Irak. Ihre
Ifa-Lastwagen stellten das Rückgrat der Kriegslogistik des Landes dar.
Und ihre realsozialistischen Nachgeborenen erdreisten sich heute in der
jungen Welt, den Giftgaseinsatz Saddams im Einklang mit der NPD
schlankweg als "Bushs Genozid" zu leugnen.

Die Deutschen liefern auch schon wieder: Die Staatsanwaltschaft Mannheim
ermittelte und verurteilte inzwischen in Zusammenarbeit mit dem Kölner
Zollkriminalamt sechs Mitarbeiter deutscher Unternehmen, denen die
Lieferung von illegaler Technologie an den Irak nachgewiesen werden
konnte. Einer dieser Fälle betraf Spezialbohrgeräte für das weit
reichende 210-Millimeter-Geschütz al-Fao.

Romantische Anhänglichkeit

Dass der Druck, den Export potenziell militärisch nutzbaren Materials
strenger zu kontrollieren, nach dem Ende des zweiten Golfkriegs
gewachsen war, mochte die deutsche Industrie nicht hinnehmen. Doch um
das lukrative Exportgeschäft voll wieder aufnehmen zu können,
bedurfte es nun einer politischen Intervention gegen die Irak-Politik
der USA. Mit ihren Vorstößen in diese Richtung waren die
Wirtschaftsvertreter bei der rot-grünen Koalition erfolgreich, lange
bevor Schröder im Spätsommer 01 den Frieden als Wahlkampfthema
entdeckte. Die strategische Option, gemeinsam mit Frankreich die
US-Politik zu torpedieren, wurde bereits vor mehr als zweieinhalb Jahren
auf einem Treffen von Industrie- und Regierungsvertern diskutiert.

Am 29. Juni 00 traf sich auf Einladung des Bundesverbandes der
deutschen Industrie (BDI) ein diskret firmierender "Gesprächskreis
Irak", im Berliner Hotel Radisson SAS, dessen bloße personelle
Zusammensetzung schon darlegt, dass die alten Geschäfte mit dem Irak
auch von den alten Beteiligten weitergeführt werden sollen. Versammelt
waren, unter neutralem Namen bei der Hotel-Reception avisiert, die
Teilnehmer einer BDI-Delegationsreise im Mai 00 nach Bagdad, die nun
in Berlin deren Ergebnisse auswerten wollten, um die angestrebten neuen
Verträge auch unter Dach und Fach bringen zu können.

Als wäre nie etwas gewesen, erfolgte die artige Begrüßung durch
den BDI-Hauptgeschäftsführer Dr. von Wartenberg, der jahrelang kraft
seiner Position im Auswärtigen Amt zur Hochzeit des
Giftgas-Technologietransfers jede prekäre Lieferung an den Irak
bestritten hatte und nunmehr idealerweise zuständig für die
Vermittlung der aktuellen privatwirtschaftlichen Interessen der
deutschen Irak-Lobby war. Von Wartenberg lobte in lyrischen Wendungen
eingangs die irakische "fast romantische Anhänglichkeit gegenüber
Deutschland" und erinnerte die ergriffen Lauschenden daran, dass die
irakischen Eliten in den dreißiger Jahren einmal die deutsche und die
italienische Sprache gelernt hätten - wohl auch damals in romantischer
Verzückung.

Dann trug er das Schreiben des BDI an den "BM Fischer" vor, dessen
Verlesung der anwesende deutsche Geschäftsträger in Bagdad, Dr.
Claude Robert Ellner, mit zustimmendem Kopfnicken folgte. Von Wartenberg
betonte, es sei "höchste Zeit" für "die Durchsetzung
nationaler deutscher Interessen sowohl in Irak als auch bei den UN
einzutreten", denn "insbesondere gegenüber dem
UN-Sicherheitsratsmitglied USA, aber auch gegenüber anderen müsse
verdeutlicht werden, dass mit der bislang verfolgten Politik in New York
deutsche Wirtschaftsinteressen stark beeinträchtigt würden".

"Dr. Ellner ergänzt aus seiner Sicht zunächst mit dem Dank an die
Teilnehmer der Reise im Mai 00, die durch ihre beeindruckende Anzahl
und ihr engagiertes Auftreten dem Vertreter der Bundesregierung vor Ort
die Arbeit erleichtert habe - nicht zuletzt, weil Präsident Saddam
Hussein persönlich den Besuch der BDI-Delegation goutiert hätte. In
einer Vielzahl von Gesten der Sympathiebekundung und dem Rahmen des
Besuchs, der normalerweise nur hochrangigen offiziellen Besuchen
vorbehalten bliebe, hätte sich dies widergespiegelt. Nach der
Kabinettssitzung hätte Präsident Saddam im Fernsehen erklärt, (.)
eine Arbeitsgruppe werde unter Tariq Aziz eingesetzt, um die
Zusammenarbeit BDI/IFI unterstützend zu begleiten."

Dann waren die Teilnehmer dran. Es eröffnete ein Redner, dessen Firma
dem früheren Giftgastechnologie-Transfer geradezu einen historischen
Namen gegeben hatte: Dr. Michael Fraenzel aus dem Hause Kolb beklagte
sich darüber, dass neue Geschäfte nur schleppend in Gang kämen,
obwohl man doch die eigenen Angebote extra über die
"österreichische Zweigniederlassung eingebracht hätte". Kolb
nämlich weiß, wofür der Name Kolb steht, und bringt sich deshalb
mithilfe anderer Unternehmen wieder ins Geschäft. Die deutschen
Anwesenden störte das nicht.

Der diskrete Charme des BDI

Vor allem aber klagten die beiden folgenden Redner der Firmen Terramar
und VA Tech von der Bundesregierung die Lösung des Problems der
"Gesamtbesteuerung" ein, weil sie gern im Irak, weniger gern in
Deutschland versteuern möchten. "Herr Schmid, Dresdner Bank,
äußert Misstrauen und sagt sogar große Probleme voraus, wenn
nennenswerte Altforderungen (in beiden Richtungen!) nach Aufhebung des
Embargos zur Verhandlung anstünden. Den Reparaturbedarf der irakischen
D6lindustrie könne man zwar auf 30 Milliarden US-Dollar beziffern,
der allerdings in zehn Monaten und nicht in zehn Jahren zu decken sei.
Dies ließe sich aber auch nicht annähernd im Rahmen von Oil-for-Food
Geldern und ohne Hermes-Abdeckungen (aus Steuermitteln) oder die Hilfe
der Banken bewerkstelligen."

Die Bundesregierung soll aus eigenen Mitteln die alten sehr guten
Irak-Konditionen für die deutsche Wirtschaft wieder gewähren.
"Jenseits des Embargos", sagte einer der Teilnehmer in der Pause,
"aber ruhig im Rahmen eines Containments." Für jenen großartigen
Vorschlag wollte man eben auch den "BM Fischer" gewinnen, damit die
deutsche Industrie, gewappnet mit vielen Krediten und steuerlichen
Erleichterungen, ihren eigenen Kampf zur "Eindämmung" Saddam
Husseins weiterführen kann.

An irakischen Vorbehalten würde die Exportoffensive gewiss nicht
scheitern: "Herr Schröers, Firma Atecs Mannesmann, betonte, dass das
Geschäft nun anlaufe, dass der Irak deutsche Produkte wolle. Es
müsse möglich sein, die Vergangenheitsbewältigung (Altschulden)
mit der Zukunft (Neugeschäft) zu verbinden." Es ist wohl dieses
beabsichtigte "Neugeschäft" und diese Art der
"Vergangenheitsbewältigung", die sich positiv auf die alten
Fundamente der irakischen Diktatur bezieht und von einem regime change
nichts wissen will, die deutsche Unternehmer und ihre Regierung derart
furios gegen eine US-Regierung aufgebracht hat, die auf der Beendigung
aller wirtschaftlichen Beziehungen zum Ba'ath-Regime bestand und
besteht.

Die Abneigung der Eliten der deutschen Industrie gegenüber einem
Regimewechsel im Irak hat schlicht zum Grund, dass einem im Falle einer
Demokratisierung des Zweistromlands die privilegierte
Geschäftsbeziehung flöten geht. Der SPD-Bundestagsabgeordnete
Christoph Moosbauer, früher Mitglied in Möllemanns
Deutsch-Arabischer-Gesellschaft und erstmals Gast in dieser Runde, regte
laut Protokoll an, die "französische EU-Präsidentschaft solle sich
um eine eigenständige europäische Irak-Politik bemühen, dies wolle
er im Auswärtigen Ausschuss anregen".

Moosbauer, der genau weiß, dass weit vor allen US-Lieferungen in der
Vergangenheit Chirac einmal der Schrittmacher bei der Aufrüstung des
Regimes gewesen ist, möchte Frankreich dafür gewinnen, als
Türöffner zu deren Fortsetzung zu dienen. "BM Fischer sei der
französischen Haltung gegenüber aufgeschlossen, (.) es müsse eine
neue Definition für dual-use-Güter gefunden werden", bemerkte
Moosbauer damals. "Dr. von Wartenberg bedankt sich herzlich für die
Darlegungen. Bedeutsam wäre, wenn die deutsche Industrie ihre
Vorstellungen in die politischen Leitlinien des Bundestages einfließen
lassen könnte." Das dürfte mittlerweile geschehen sein, das
Bemühen um deutsch-französische Koordination ist jedenfalls nicht
ohne Erfolg geblieben.

Die politische Brisanz ihrer wirtschaftspolitischen Offensive und die
potenziellen Stolpersteine waren den Beteiligten bewusst: "Herr
Müller, IMAG, forderte staatliche Beihilfen für die Beteiligung an
der geplanten Messe in Bagdad. Herr Mayr sprach die bekannte Problematik
des Israel-Boykottschreibens an. Herr Dr. Ellner (AA) sagte zu, dies mit
dem Handelsministerium erneut aufzunehmen." Ratsam schien ihnen daher,
sich um Diskretion zu bemühen: "Dr. von Wartenberg fasst zusammen:
Die Irak-Reise war ein big event. Im irakischen Fernsehen lassen wir uns
gerne feiern, in unseren Medien ist uns etwas mehr Zurückhaltung
lieber."

Dr. Ellner, der deutsche Geschäftsträger in Bagdad, nahm am Ende der
Begegnung - man gab sich inzwischen humanitär - die "spontane
Zusage" der deutschen Wirtschaft zur Einrichtung eines
Kinderkrankenhauses im Irak dankend entgegen. Diese Absicht ist ganz
besonders auch die gleichfalls mit einem Vertreter anwesende
Deutsch-Irakische-Gesellschaft e.V. (DIG) verpflichtet. Die DIG
organisierte seit 1991 mindestens zehn "humanitäre Reisen" in den
Irak, darunter auch den berüchtigten Solidaritätsflug nach Bagdad im
Juni 01, an dem Jamal Karsli und der Ehrenvorsitzende der deutschen
C4rzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), Professor Ulrich Gottstein,
teilnahmen.

Beim BDI-Treffen war der Vorsitzende dieser Gesellschaft zu Gast, der
Marburger Professor Walter Sommerfeld, der als "Friedensfreund" und
"Embargogegner" weithin als Referent und Experte für unmenschliche
Sanktionen gegen den Irak auf Veranstaltungen hoch im Kurs steht.
Sommerfeld saß zwischen dem Vertreter der Firma Kolb und dem
Delegierten der in allen armen Ländern dieser Erde berüchtigten
Geisenheimer Waffenschmiede Fritz Werner.

Sie alle wissen ganz genau, weshalb sie das störende Embargo beseitigt
wissen wollen. Doch bedeutet die deutsche Treue zu dem jetzt ernsthaft
bedrohten Saddam mehr als nur "romantische Anhänglichkeit". Hinter
ihr steht eine elementare, durchaus realistische Furcht. Anlässlich
eines Kampfes um Bagdad könnten die noch vorhandenen Reste der
deutschen Chemie- und Biowaffenproduktion zum Einsatz kommen, gegen
Iraker wie Amerikaner. Die moralisch-politischen Auswirkungen wären
wie die Schadenersatzforderungen ungeheuerlich. Zumal da nach dem Sturz
Saddam Husseins alle Archive geöffnet werden könnten.


Anmerkungen

(1) Frankfurter Rundschau vom 6. Januar 1989. Mit Hermes-Bürgschaften
werden riskante Handelsgeschäfte und Investitionen abgesichert.

(2) stern vom 10. Dezember 1987

(3) Frankfurter Rundschau vom 6. Januar 1989

(4) Alle Zitate stammen aus dem mir vorliegenden Protokoll.


Hans Branscheidt ist Mitarbeiter der Koalition für einen
demokratischen Irak (KDI) und seit 1988 Mitarbeiter von Medico
International.


 

22.02.2003
Hans Branscheidt / jungle world    [Schwerpunkt: Der angekündigte Krieg]  Zurück zur Übersicht

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